Dienstag, 9. Mai 2006
Die Linke in der DDR
Nachklapp zu dem Beitrag "westliche Linke und Osten": ich schrieb ja schon, dass wir zu DDR-Zeiten Kontakte zu DDR-Autonomen gehabt hatten. Das waren natürlich keine Leute wir wir, aber wir verstanden uns ganz gut. Im Grunde waren es Punks, die gegen das DDR-System, aber nicht grundsätzlich gegen den Sozialismus waren, sondern einen anderen, freiheitlicheren Sozialismus wollten und nächtliche Farbsprühereien machten und, wie gesagt, einmal auch die Statue eines Stachanow-Arbeiters zertrümmerten. Wir versorgten sie mit theoretischen Texten, z.B. von Bakunin und der "Sonne und Faulheit"-Ausgabe des Rechts auf Faulheit von Lafargue mit dem wunderbaren Vorwort "Genießen Sie den Untergang des Abendlandes" von Lucifer Dionysios. Später stellte sich heraus, dass unser Kontakt nach drüben von ganz oben observiert wurde: Als einer von uns bei der Gauck-Behörde nach seiner Stasi-Akte fragte, erhielt er die Auskunft, dass es eine KGB-Akte über ihn gäbe. Diee wird bis heute auf einem Computer in Moskau unter Verschluss gehalten. Na, und bei einem unserer Telefongespräche nach Osten sabbelte im Hintergrund doch glatt jemand im breitesten New-Orleans-Slang dazwischen "We have them online". Nach der Wende hatten wir dann eine Diskussion mit dem DDR-Hispanisten Hans-Otto Dill, ein paar von uns nahmen auch an den Montagsdemos in Leipzig und Dresden teil (schöne Grüße an stefanolix!), und wir waren uns mit unseren DDR-Kontakten, überwiegend Leuten aus dem Kreis der Blueser und dem Neuen Forum, einig, dass die Eigenstaatlichkeit der DDR erhalten bleiben sollte, dass jetzt die historische Chance da sei für einen demokratischen Sozialismus. Das ein Großteil der DDR-Bevölkerung ganz anders tickte, wurde erkennbar, als die Besucher aus dem Osten in den Kneipen nicht mehr über Revolution diskutierten, sondern etwa ein Genosse, der in einem Kiosk verkaufte, gefragt wurde "Habt ihr was scharfes zum Lesen? Bornos?" und er ihm eine sauteure Computerzeitschrift mit Tittentitelbild verkaufte, DDr-Bürger massenweise auf den Straßen zu Rasern wurden und die Parole "Stasi in die Produktion" durch "Deutschland einig Vaterland" ersetzt wurde. Allzuviel Möglichkeiten hatten wir nicht mehr, uns in diese politische Entwicklung einzubringen, weil ein anderes Ereignis über einen längeren Zeitraum viele Kräfte band:

http://netbitch1.twoday.net/stories/1575267/


Ein Nachbeben bildete die Nie-wieder-Deutschland-Kampagne, ein letzter Versuch, sich gegen den bloßen Anschluss der DDR zu wehren, wo unter einem linken Sozialdemokraten der ach so demokratische Rechtsstaat zeigte, wie er mit grundsätzlicher Opposition umgeht. Ich habe es in einem meiner unsterblichen Romane so geschildert:

Es fing damit an, das wir uns schon in 'nem Bullen- und BGS-Kessel aufstellen mußten, in den wir nur nach 'ner Leibesvisite 'reinkamen. Die wollten vorher sichergehen, daß sie ne völlig unbewaffnete Demo einmachen. Hinterher erzählte dann OB Hauff was von Chaoten, die die Frankfurter Bevölkerung bedrohen. Vor unseren Augen machte die Staatsmacht eine regelrechte Leistungsschau, die Parade des versammelten Fuhrparks. Die Wasserwerfer fuhren vor, und die Schweine da drin grinsten und feixten und spielten an ihren Schaltern, als wären es Joysticks. Menschen wegzuspritzen muß echt n' geiles Game sein. Na, denen würde auch Bombenwerfen Spaß machen." "Die Dinger kamen dann ja auch zum Einsatz, so weit ich weiß." "Na, und wie! Die Demo selber war ein Wanderkessel, Spalier rechts, Spalier links, ohne Möglichkeit, was Anderes zu machen als brav die Strecke abzulatschen und die üblichen Parolen zu schreien. Dann fand zur Abschlußkundgebung hier auf dem Römer das Gemetzel statt. Die eigentliche Demo war vorbei, alles wartete auf die Redebeiträge, inzwischen wurde Bier verkauft, es standen sogar aufgebaute Tische herum. Vorher hatte es n bißchen genieselt, jetzt kam die Sonne durch, alles war am relaxen. Richtiges Idyll. Dann fingen die Cops plötzlich an, ringsherum den Kessel dichtzumachen. Die Leute vom Göttinger Block kapierten als Erste, was los war, weil die Bullei auf der Conny-Demo _ nach dem gleichen Konzept vorgegangen war. Sie mobilisierten über Megaphon die Leute zur richtigen Seite, so daß die Bullen den Kreis nicht ganz schließen konnten. Dafür wurden die richtig wild. Von mehreren Seiten kamen insgesamt sechs Wasserwerfer, die spritzend drauflos mangelten - die hessischen Riesenteile, halbe Panzer! Vor einem konnte gerade noch ein Typ wegspringen, den hätts fast erwischt." "Wie damals bei Günther Sare!" "Ja, genau so; und das Beklemmende: in der gleichen Stadt, vielleicht die identischen Bullen oder enge Kollegen, wer weiß? Na, ich sofort nach vorne, in die erste Reihe, Ketten schließen - die Leute rannten da nämlich alle diffus durcheinander, aber von hinten gingen ein paar Besonnene rüber, um das Chaos zu verhindern. Dann flogen die Bierbänke." "Bitte, was?" Alfie traut seinen Ohren nicht. "Ja, ein paar Leute auf der anderen Seite des Platzes wuchteten eine Bank auf ihre Schultern und schmissen sie koordiniert nach vorne, gegen die Windschutzscheibe von `nem Wasserwerfer. Und dann knallte das Ding wirkungslos da drauf, fiel runter, der Fahrer betätigte kurz die Scheibenwischer, das war 's. `Mineralisiertes Glas!' murmelte irgend jemand neben mir. Es kamen noch ein paar größere Holzteile hinterher geflogen, Wirkung natürlich auch gleich null. Als nächstes rückten dann die Prügelgarden an und hauten auf uns ein, was das Zeug hielt. Ich fiel mit dem Bauch auf so ein Gußeisengeländer von 'nem öffentlichen Klo, und unten stand ein Fotograf und knipste mir ins Gesicht. Auf meinem Rücken lag ein Typ, der von 'nem Bullen die Jacke vollbekam, und nur deswegen kriegte ich selber nichts ab." Und über allem: Die Marktstatue, Justitia!

Bleibt das Erscheinungsbild der Blueser: In den ersten Monaten nach Mauerfall waren fast alle DDR-Besucher, die wir zu Gesicht bekamen, Angehörige dieser Subkultur, mit denen wir uns bestens verstanden, außer dass ihre ständigen Hamsterkäufe von Musikalien lästig waren, wenn wir eigentlich diskutieren oder auch nur gepflegt einen trinken wollten. Nur, aus unserer Perspektive waren das typische DDR-Bürger, und aufgrund ihrer Langbärtigkeit erschien mir auch Wolfgang Thierse zunächst als die Verkörperung des DDR-Bürgers als Solchem. Ein großer Irrtum, wie sich später herausstellte.

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Danke!
Ich habe mir heute, als ich über den letzten Eintrag in ihrem Blog nachgedacht habe, gedacht, dass ich gerne mehr über diese Geschichten von damals, dh. über diese Zeit (kurz) nach/vor der Wende aus westlinker Sicht erfahren würde und dachte daran, nachzufragen. Aber das war jetzt gar nicht mehr nötig. Vielen Dank!

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@Che
ist mir zu oberflächlich und zu klischeehaft. also die westlinke, eine gruppe von individualisten, freie animalische erotik, drogen gepaart mit revoluzzertum, die ostlinken, dumpf und konsumgeil.

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das interpreterst Du aber herein, tripol. ich würde sagen. die westlinke, eine versammlung aus hochmoralischen ökopaxen und feministinnen,chaotisch-bunten punks, intellektuell brillanten, aber ziemlich verknöcherten und lustfeindlichen seminarmarxisten, herzensguten, aber politisch doktrinären sozialarbeitertypen, stalinistischen Mlern, raf-sympis mit genickschussmentalität, orthodox kommunistischen dkplern, hippiehaften fundamentalökologen, und dazwischen wir, der fröhlichere teil der autonomen. diese waren allerdings insofern für mich die westlinke, als dass es meine leute waren, das übrige linke spektrum nicht. immerhin haben wir noch zehntausende leute auf die straße gebracht, waren also in unseren besten zeiten nicht gar so wenig.die ostlinke: ost-autonome und blueser, zu denen wir in vor-wende- und wendezeiten punkuell kontakt hatten, der dann verloren ging. ich habe nichts von dumpfen und konsumgeilen ostlinken geschrieben, die ostlinken heute sind für mich eher unbekannte wesen.

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