Montag, 5. Juni 2006
Die Erblast der 68er
Kürzlich schrieb Chat Atkins bei Don etwas über Studierende, die Mitte der 90er ihre 68er-Profs mit bewusst politisch unkorrekten Sprüchen und Positionen provozierten. Da habe ich was verpasst, ebenso, wie mir das ursprüngliche Grundthema von rebellmarkt, also die via Tempo und Wiener auf den Weg gebrachte popkulturelle Rebellion von Zeitgeist-Yuppies gegen die 68er (oder was als diese imaginiert wird) gänzlich entgangen ist. Tempo und Wiener sowie die Stadtmagazine tip (Berlin) und Charakter (Göttingen), die die gleiche Hochglanz-Ästhetik und Trendy-Sprache schon ein paar Jahre vorher inszenierten, waren für uns etwas Ähnliches wie der Playboy: etwas, das man nicht liest, und wenn doch, dann heimlich auf dem Klo, abgesehen vom Veranstaltungsteil, ohne den man bei den Stadtmagazinen nicht auskam. Das Yuppietum war aus unserer Sicht eine Marotte koksnasiger BWLer und Zahnmediziner sowie FRankfurter Börsianer, trat in unserem Wahrnehmungshorizont sonst aber wenig in Erscheinung.

Für uns 81er (so nenne ich die Protestgeneration mal, deren Revolte im Zuge der Hausbesetzungen und Anti-AKW-Demos Anfang der 80er Jahre begann) waren die 68er nicht politisch korrekt, sondern unmoralisch. Lausige Verräter, die erst sagten "Das Politische ist privat, das private politisch", um dann ohne Not ihre politischen Connections zu benutzen, um ganz klassisch Karriere zu machen und ihre Ideale zu vergessen. Ich persönlich habe mit Political Correctness nie etwas am Hut gehabt, ich habe überhaupt etwas gegen rigide Moral, aber in den Kreisen, in die ich gehörte, war ab einem bestimmten Zeitpunkt der Ausdruck durchaus positiv belegt. Das ging soweit, dass in den 90ern Junglinke "das find ich voll PC" sagten, wenn sie "das find ich klasse" meinten. Für uns waren die 68er so etwas wie gescheiterte Vorbilder: Wir wollten es besser machen als sie, konsequenter, ehrlicher. Und aus unserer Sicht waren Political Correctness und 68er ein Gegensatzpaar. Dafür war ein Teil der linken Szene der 80er und noch viel mehr der 90er Jahre auf schauerliche Weise politisch korrekt, moralisch wie ein mittleres Dominikanerkonvikt. Glücklicherweise war meine eigene unmittelbare Umgebung davon über weite Zeitabschnitte nicht direkt betroffen, und ich durfte, bis auf bestimmte Krisenphasen, mit einem breiten Grinsen durchs Leben gehen. Nun, ich hatte auch keine Auseinandersetzung mit 68er Profs. In meinen jüngeren Studienjahren waren unsere Profen jüngstenfalls Angehörige der Beat-Generation, die 68 zwischen den Stühlen als Assistenten erlebt hatten, viel häufiger aber Kalte Krieger, die man noch auf die Palme bringen konnte, indem man sagte: "Ihre Gesinnung wurde doch mit Marshall-Geldern zusammengekauft!"

Na ja, manche Provokationen von dunnemals tun einem heute Leid oder man sieht mit einem milden Lächeln drauf zurück, anderes finde ich noch immer richtig, und schließlich hat meinereiner auf seine Weise auch Karriere gemacht - ohne sich zu verbiegen, doch auch nicht ohne Kompromisse, aber bei all dem sind die Dinge, die Chat und Don dort geschildert haben mir sehr sehr fremd.

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die zeit mitte der 80er war eine ganz andere als die zeit der 68er. als ich anfing zu studieren, saßen die 68er schon auf ihren professorensesseln, hatten sich mit dem system arrangiert und trugen als letztes sichtbares zeichen eines wie auch immer gearteten rebellentums langes haar und wilde rauschebärte. die waren auf demos gegen shell und wen auch immer nicht mehr zu sehen. klar, wir ließen uns auch von der staatsgewalt verkloppen, aber wir hatten auch kreative gegenideen: beispielsweise ein reiter auf einem ziemlich großen pferd in der dritten reihe. das sorgte schon für eine gewisse gleichheit und respekt. und wir besetzten häuser und hielten sie vor gerichten. ich selbst ging z.b. mit einigen mitbewohnern bis vors landgericht und gewann. der unterschied: wir waren keine theorieverliebten debattierer sondern pragmatiker mit guten anwälten. und die produzierte die 68er generation in genügend großer anzahl. somit: die erblast ist nicht sooo erdrückend.

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Ich bin auch ein 81er. Was ich als den grössten Unterschied sehe: Wir sind ja von den 68ern Junglehrern in den 70er Jahren in der Schule politisiert worden (hört sich wilder an, als es war). Als Verräter würde ich die 68er nicht bezeichnen. Dafür habe ich ihnen zu viel zu verdanken - den kritischen Blick, die das nonkonformatistische Leben, den theoretischen Unterbau. Aber die Konsequenz hat gefehlt. Wenn wir das Institut mal wieder bestreikt haben, wurden wir geduldet, aber nicht unterstützt - im akademischen Senat wurde von denen genau die Politik durchgesetzt, gegen die wir aktiv gekämpft und die sie als Lippenbekenntnis unterstützt haben.

Die nach uns waren einfach nur angepasst - was ich so als wissenschaftlicher Mitarbeiter noch mitbekommen habe. Klar auch ein wenig Rebellion und Provokation - aber nur als Pausen-Event. Streiken kann man ja mal machen, jedoch bitte nur so lange,wie die Leistungsnachweise nicht in Gefahr sind.

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Na ja, ich habe in den 70ern noch Lehrer erlebt, die Ohrfeigen gaben, da waren kaum 68er. Was ich von Verrätern schrieb, ist auch nicht mein heutiger Standpunkt, noch nicht mal meine unmittelbar persönliche Wahrnehmung, sondern die Sichtweise, die mein politisches Spektrum in den 80ern und 90ern mehrheitlich draufhatte.

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Mag sein, dass West-Berlin ein ganz spezielles Biotop in den 80er Jahren war.

Klarr hatten wir der Schule auch ein paar Lehrer, die das Strammstehen noch verinnerlicht hatten. Aber nur Einzelfälle.

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dass die 68er völlig theorievergessen dann auch nur karriere gemacht haben, währenddes die tunixe stolz und aufrecht sich dem schweinesystem verweigert haben, ist doch nicht der tugend sondern dem mangel an gelegenheit geschuldet.

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Teils, teils. Dazwischen gab´s auch noch einen Mittelweg. Froh, Dich endlich mal wieder begrüßen zu können! Schreibe demnächst zu DIESEM Aspekt mal mehr, braucht nur etwas Zeit.

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Mangel an Gelegenheiten. Ich habe da meine eigene Theorie.

Diese Jahrgänge von 1960-1967 waren/sind die geburtenstärksten der Nachkriegszeit. Ich sage immer gerne "Generation XXL". Wir waren immer zuviele. 40 Kinder in der Grundschulklasse, 50 Studenten im Proseminar, die ersten, die keine Ausbildungsplätze bekommen haben, die ersten Absolventen mit Problemen beim Berufseinstieg, die ersten Arbeitslosen der Entlassungswellen in den 90ern. Bafög gab es nur als Volldarlehen usw. Zu jung für den Wiedervereiningungsboom, aber alt genug für den Downturn nach dem Strohfeuer.

Der Mangel an Gelegenheiten war sozusagen Lebenserfahrung. Allen war von Kindheit an klar, dass die Gesellschaft nicht gerade auf einen wartet. Höchstens zum Pflichtdienst, der justament als 1982 die Abiturienten der Jahrgänge 1962 und älter zum Zivildienst einrücken mussten auf 20 Monate erhöht wurde.

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68er bashing. wer hätte das gedacht, dass die auch mal älter werden, und auf posten sitzen, die andere, jüngere gerne hätten.

übrigens war die 68er bewegung auch eine bewegung derer, die an die posten wollte, auf denen andere, ältere sassen. und dann wurden zu der zeit auch noch eien menge neuer posten geschaffen: unis ausgebaut, fachhochschulen neu gegründet, öffentlicher dienst höher gestuft und ausgebaut.

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Die ersten Absolventen mit Problemen beim Berufseinstieg waren wir nicht; zumindest bei den Lehramtskandidaten war das schon in den Jahrgängen vor uns der Fall. Sonst stimmt das Szenario aber sehr gut.

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das wäre auch eine untersuchung wert: ob der seiteneinstieg zielführender ist als die direttissima, oder anders, ob ich über krawatte und f.d.p. schneller aussenminister werde als über putzgruppe, turnschuhe und grüne.

dann wäre noch zu schauen, ob nicht ausbildungsbedingte phasen der adoleszenzverzögerung, vulgo das leben in der boheme inzwischen nicht gelebte realität für eine grössere anzahl jugendlicher ist. oser anders, dass die nicht mehr dfie alternative einstieg oder seitensinstieg haben, weil denen nur noch der seiteneinstieg bleibt.

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Scharfsinnig erkannt. Da möchte ich glatt ein Fass aufmachen, allein, mir fehlt gerade die Zeit.

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