Montag, 11. Dezember 2006
Zum Tod von Pinochet
schließe ich mich den Freudenfeiern von Santiago an.
Isabel Allende hat es auf den Punkt gebracht:

„Er wird in der Geschichte einen Platz neben Caligula und Idi Amin erhalten und sein Name wird für Brutalität und Ignoranz stehen.“

... comment

 
was hat Isabel Allende mit Santiago de Chile zu tun. Ist die nicht US-Amerikanerin?
Ich hoffe jedenfalls für dieses sympathische südamerikanische Land, daß die alten ideologischen Wunden von 1930-73 nicht wieder aufbrechen und sich die Lebensverhältnisse weiter so günstig entwickeln wie von 1982 bis heute unter wechselnden Regierungen.
Sehr stolz können die auch über die konstante Aufarbeitung der Menchenrechts-Verbrechen unter Militärregierung sein, die übrigens nur jenseits von simplifizierenden anti-imperialistischen und anti-kapitalistischen Schlagworten funktionieren kann.
Genauso wie die Nazi-Verbrechen in Deutschland, cachay?

... link  

 
Was hat Isabel Allende mit Chile zu tun? Das fragst Du im Ernst? Was hatten wohl Thomas Mann, Albert Einstein und Bert Brecht mit Deutschland zu tun?

... link  

 
von wem stammt das zitat? von salvador allendes tochter isabel oder der tochter seines cousins tomas, ebenfalls isabel?

... link  

 
@Axel: Bevor man sich blamiert einfach mal in der Wikipedia nachschauen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Isabel_Allende

... link  

 
Isabel Allende (die Tochter des Cousins) lebt seit Jahren in den USA und ist in Chile nicht besonders beliebt. Die Familie Allende entstammt der Oberschicht. Ihr Großonkel war mal Regierungschef. Und zwar von der gleichen Partei wie die jetzige Regierungschefin und deren Vorgänger.
Ich präferiere nur die wesentlich differenzierteren, weniger radikaleren und pluralistischeren Stimmen zum Tod dieses merkwürdigen und grausamen Herrn Pinochet aus dem Land selbst.
Dieses Land war in den letzten 24 Jahren:
- eins der erfolgreichsten Armutsbekämpfer.
- eine erfolgreiche Demokratisierung von Politik und Gesellschaft
- eine schöne wirtschaftliche Entwicklung
... und kein Objekt für großkopferte Sozial-Theoretiker aus Gringostan, concha de tu madre.
Solche Idi Amin Sprüche mögen bei bestimmten "aufgeklärten" Europäern und US-Amerikanern sehr gut ankommen. Die chilenische Linke hat aber gracias a Díos auf solche plakativen Provokationen verzichtet. Und gerade das bildet die Grundlage ihres Erfolges.
Für die Salonlinke sind natürlich so Leute wie Salvador Allende sexier. Für die Chilenen sicher nicht.

... link  

 
"erfolgreichster Armutsbekämpfer"???? Relativ gesehen zu anderen Ländern, nehme ich an? Ich muss sagen, es gehört schon ein ordentlicher Schuss Chuzpe dazu, steigende Armutszahlen als Erfolg verkaufen zu wollen.

Hierzu Walden Bello:
Nachdem die Friedman-Schüler mit Chile fertig waren, war das Land tatsächlich radikal transformiert - allerdings im negativen Sinne...

Die Politik der freien Marktwirtschaft hatte Chile zwei große Wirtschaftsdepressionen in nur einer Dekade beschert (1974 bis 1975 (das Bruttosozialprodukt fiel um 12%) und 1982 bis 1983 (das Bruttosozialprodukt fiel um 15%)).

Die Ideologie des freien Marktes geht davon aus, dass freie Märkte zu einem robusten Wirtschaftswachstum führen. Doch im Gegenteil, das durchschnittliche Bruttosozialprodukt Chiles, während seiner "Jakobinerjahre" (Friedman-Pinochet-Revolution zwischen 1974 und 1989), lag bei nur 2,6% (gegenüber über 4% in den Jahren zwischen 1951 u. 1971, als der Staat noch eine weit größere Rolle in der chilenischen Wirtschaft spielte). Am Ende der Periode der radikalen 'freien Marktwirtschaft' waren (soziale) Ungleichheit und Armut signifikant gestiegen. Der Prozentsatz der Familien unterhalb des "Existenzminimums" stieg zwischen 1980 und 1990 von 12 auf 15 Prozent. Der Prozentsatz derer, die unterhalb der Armutsgrenze aber noch über dem Existenzminimum lebten, stieg im selben Zeitraum von 24 auf 26 Prozent. Das heißt, in der Endphase des Pinochet-Regimes waren rund 40% der chilenischen Bevölkerung - also 5,2 von 13 Millionen Menschen - arm.

... link  

 
Lieber Artur. Ich spreche von dem Zeitraum 1982-heute. Von diesem Zeitraum liegen Teile in der Diktatur (1982-89) und Teile in der Demokratie.
1982 gab es in Lateinamerika die Verschuldungskrise. Die erwischte auch Chile.
Daraufhin wurden - in der Diktatur - realistische Wirtschaftsreformen unter dem Finanzminister Hernán Büchi.
Hier die Information unseres Auswärtigen Amtes:
http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Chile/Wirtschaft.html

Noch ein paar spanische Quellen:
http://es.wikipedia.org/wiki/Hern%C3%A1n_B%C3%BCchi
sowie:
http://es.wikipedia.org/wiki/Milagro_de_Chile
Sektion: el segundo milagro.

Gruß Axel

... link  

 
na dann ist ja alles halbso schlimm.

... link  

 
Die 1974er Krise der Militärregierung anzulasten ist ungewöhnlich. Gemeinhin wird diese Krise als Folge der "Wirtschaftspolitik" Salvador Allendes angesehen. Interessant dazu: S. 6ff von http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/155_koch.pdf

... link  

 
„Er wird in der Geschichte einen Platz neben Caligula und Idi Amin erhalten und sein Name wird für Brutalität und Ignoranz stehen.“

das mit der geschichte ist so eine sache.

wo wird in der geschichte frau margot h. ihren platz finden, und wo diejenigen, die ihr bis heute asyl gewähren?

... link  

 
naja, die ddr hat viele chilenische flüchtlinge aufgenommen unter anderem auch frau bachelet. warum sollten sie der honeckerin (auch wenn sie noch so viel scheiße gebaut hat. für die sie nie gerichtlich verurteilt wurde) nicht was zurückgeben?

... link  

 
ja, und als der mischa wolf beerdigt wurde, wie haben ihn doch alle gelobt, die da am grabe standen. hat doch nur alle geliebt die ganze zeit, oder etwa nicht?

... link  

 
wer stand denn da am grab? das waren seine kumpels vom kgb. wenn die ihn loben, ist das wohl eher natürlich, oder?

wollen wir jetzt die gesamte ddr-nomenklatura durchgehen oder hörst du auf, dich lächerlich zu machen?

... link  

 
Die Reaktionen der ausländischen Politiker und Presse ist schärfer.
Auf chilenischer Seite am schärfsten vielleicht Innenminister Belisario Velasco: Pinochet geht als typischer rechter Diktator in die Geschichte ein (er betont das extra).
M. Bachelet: Der Präsidentin mißfielen die Demonstrationen von Freude und Trauer. Sie vertraut, dass die Stärke von Chile in der Verständigung liegt.

Die Concertación-Koalition will kein Staatsbegräbnis. Der rechte Politiker Laraín meinte dazu, dass dies einem Negieren der Präsidentschaft Pinochets gleichkommt und das ist als wenn man den Daumen vor die Sonne hält. Bachelet hat öffentliche Trauer nur für Armee-Einrichtungen erlaubt.

Die europäische Reaktion ist stark anti-Pinochet. China wünscht Chile die Beibehaltung von Stabilität, wirtschaftlicher Entwicklung und sozialem Fortschritt.

Gestern gabs ein paar gewaltsame Auseinandersetzungen. Es hielt sich aber im Rahmen.

Die linke argentinische Zeitung página12 titelt: Was hat die Hölle getan, um den zu verdienen? Sofort ein etwas seltsamer Seitenhieb auf Margaret Thatcher, der man auch einen baldigen Tod wünscht. Pinochet unterstützte Thatcher im Falkland-Krieg gegen die übrigens noch viel schlimmer folternde und mordende argentinische Militärjunta. Na super.

Für die ca. 8.000 Folteropfer, deren Angehöriger, die Exilianten und die Beleidigten muß es ein schöner Tag gewesen sein. Vor allem in den ersten Jahren nach 1973 sind die Kettenhunde losgelassen worden. Ich hoffe, dass sich das nie wiederholt.

Eine chilenische Bekannte zuckte per email-Antwort mit den Schultern und meint, dass der sowieso schon ziemlich alt war. Aber schon merkwürdig, weil er war immer da.

Meine Linie ist: Der Tod von Pin8 gehört vor allem den Chilenen.

... link  

 
pubertäre Wirtschaftslibertäre hassen Allende
...und lieben Pinochet schon eher. Und dass, obwohl die ökonomische Performance unter Pinochet im Vergleich eher lausig war, trotzdem wird von dogmatischen Wirtschaftslibertären das Gegenteil, nämlich ein alles überragender ökonomischer Erfolg des Pinochet-Regimes behauptet.

Sozusagen ein taktisch-libertäres Verhältnis zu Wahrheit.

Meine Linie ist: Der Tod von Pinochet ist ein Grund zur Freude - für uns alle.

... link  

 
mmmmm, dafür war die performance der chicago boys und ihrer kommilitonen im menschenumbringen und quälen umso beeinduckender, dean.

... link  

 
auch-einer: Der, der alle geliebt hat, war Erich Mielke, und Wolf hatte schon Jahre vor dem Ende der DDR seinen Hut genommen und versucht, auf Reformen hinzuwirken. Bitte nicht alles, was mit DDR zu tun hat, durcheinanderrühren.

... link  

 
Ich bin gar nicht wirtschaftsliberal. Und pubertär leider auch nicht mehr.
Es gibt nur leider sowas wie historische Wahrheiten.
Also:
1. Ökonomisch befand sich Chile 1973 in einem dramatischen Ungleichgewicht: Neuverschuldung: 24% vom BIP!! bei ebenfalls über 10% in den Jahren vorher. Da muß irgendwas ganz falsch gelaufen sein, Freunde.
Kern der Wipol von Allende war, dass man Inflation dadurch bekämpfte, dass man Preise staatlich dekreditierte. Als Folge bildeten sich Schwarzmärkte von gewaltigen Ausmaßen. Und die hebeln jede Wipol aus. Und die Wipol unter Allende war extrem falsch.
2. Vor allem ab 1982 haben Reformen stattgefunden, die bis heute die chilenische Wipol prägen. Die Pfeiler sind: Privatisierung, Liberalisierung des Aussenhandels, Entschuldung des Staates (Chile ist heute praktisch schuldenfrei, während Deutschland mit über 60% des BIPs eines Jahres bei den Kapitalisten verschuldet ist, Genossen), Deregulierung, Inflationsbekämpfung.
Seit 1982 gabs ein stabiles BIP Wachstum. Find zur Zeit keine Zahlenreihe im Internet, kanns aber nachliefern.
Dass die Pinochet Jahre einen nachhaltigen und wirklich nicht negativen Effekt auf die sehr stabile und von einem starken Wachstum geprägten Jahre hatten, kann einfach nicht bezweifelt werden.
Auf der anderen Seite hatte diese Diktatur sehr negative Effekte, die über die durch nichts zu rechtfertigenden Morde und Folterungen hinausgehen.
Die Teile einer Gesellschaft werden vielleicht dadurch deformiert, wenn oben einer steht, für den eigentlich keine Gesetze mehr gelten.

... link  


... comment
 
Statt Kommentar
wer bis hier alle kommentare gelesen hat, der guckt sich sogar noch das hier an: http://literallyrevolutionary.blogspot.com/2006/12/you-killed-my-brother-last-winter.html

Ist ja viel passiert unterm pinochet, ne? Bloß was? Leider auch historische wahrheiten.

... link  

 
Chile ist heute einfach ein schlanker Staat, der auf eine stark marktorientierte Wipol setzt. Und das mit seit 8 Jahren sozialistischen Präsidenten. Einfach weil sich viele Sachen einfach bewährt haben. Nehmt daszur Kenntnis.

Wogegen ich hier versuche anzudiskutieren ist:
Die chilenische Geschichte wird für ideologische Gefechte ("Milton Friedman", etc.) mißbraucht. Ich war mehrmals dort. Ich hab mit einer Menge Leute gesprochen und zwar in der ihrer eigenen Sprache (chilen. Spanisch). Mit Rechten, Linken und Unpolitischen. Und dieses ganze Land, diese ganze Gesellschaft, diese ganze Leute, diese ganze Geschichte werden einfach in eine Art Theaterstück umfunktioniert, in dem herauskommt, dass Milton Friedmann ganz ganz doll böse ist. Und das ist totaler Schwachsinn. Die Realität ist wesentlich komplexer. Und wenn ihr hier groß über Schwellenländer schwadroniert, dann redet mal mit den Einwohnern, ja? Aber benutzt das nicht für eure simplifizierenden Theorien.

- alle Linken ermordet und gefoltert: 4.000 Tote, 10.000 Gefolterte sind eindeutig zu viele, aber sicher nicht alle. Ich hab persönlich Linke kennengelernt, die 1973 noch viel Linker waren und die weder gefoltert noch ermordet wurden.
- reine Lehre von M. Friedmann angewandt: Totaler Quatsch. Man kann Modelle nicht 100% umsetzen. Erfolgreich war die Wipol erst nach 1982 und Büchi war/ist kein Ökonom 8.000 Meilen im Himmel sondern sehr um praktische Umsetzung bemüht. Als Pinochet an die Macht kam, hat er zuerst gar nicht auf die Chicago Boys gesetzt sondern erst ab etwa 1975.
- 1990 gibt es in Chile keine richtige Demokratie: Hä? Also dieser Demokratie ist wirklich eine Menge gelunger. Gerade im Hinblick auf eine Aufarbeitung mit der Diktatur. Das ist die erste Frau als Präsidentin in Südamerika, meine Herren.

... link  

 
"Simplifizierende" Theorien ist eine Frechhheit, und woher bildest Du dir eigentlich ein, zu wissen, dass ich nicht mit den Menschen dort geredet hätte? Wegen des Engagements von Leuten wie mir sind einige Personen aus Folterknästen herausgekommen, und einige der Protagonisten der Tupamaros habe ich persönlich kennengelernt.

Wer die wirtschaftlichen Leistungen Büchis positiv herausstellt, müsste dann logischerweise auch die von Hjalmar Schacht und Albert Speer anerkennenswert finden.

Ansonsten bin ich ganz bei Ozmataz.

... link  

 
Sicher sehr gut, dass sich damals Leute um die unter die Räder geratenen gekümmert haben.
Nur find ichs aber eben auch sehr gut, dass im heutigen Chile Gruppen, die irgendwas mit den uruguayischen Tupamaros zu tun haben, keine Rolle spielen.
Gott sei Dank.
Gestern zeigte der per DSL gut zu empfangene Fernsehsender canal13.cl eine umfassende und kritische Dokumentation. Die Wunden sind offenbar soweit verheilt, dass dies möglich ist.
Von großen weltpolitischen Zusammenhängen (USA) war dort gar nicht die Rede. Statt dessen mehr von der Unfähigkeit Pinochets Reue zu zeigen sowie der zahlreichen entdeckten geheimen Privatkonten, nachdem er so lange Jahre nicht un-erfolgreich den spartanischen und nicht-korrupten Militärs vorspielte.

Hitler war historisch einzigartig. Hjalmar Schachts Staatsinterventionismus befördernde Wipol wurde von Hitler als Kriegsvorbereitung ausgenutzt. Ludwig Ehrhard knüpfte dann auch nicht an Schacht an.
Im Gegensatz dazu erwiesen sich die von Büchi gezeichneten wirtschaftspolitischen Linien als tragfähig für die demokratische Zukunft Chiles bis heute.

... link  

 
Sorry, was die Einwohner angeht: Die Chilenen, die ich so kenne, finden schon die Tatsache, dass man 1990 nicht "El pueblo unido, jamas sera vencido", sondern "gagna el gente, Ailwyn presidente" als Wahlkampfparole hatte als schmählichen Verrat an den antifaschistischen Traditionen Chiles, und sie bedauern bis heute, dass es keine Hinrichtungspelotone für die Generäle gegeben hat. Und das waren noch nicht einmal Kommunisten, sondern teils Bauernbewegte, teils Sozialisten und teils Anhänger der Befreiungstheologie am linken Rand der Christdemokraten.

... link  

 
Tja. Menschen sind eben verschieden. Immerhin gabs auch die ganze Zeit 40% Wähler für rechte Parteien.
Im Grunde wars doch erfolgreich, auf markige, konfliktive Sprüche zu verzichten um statt dessen in relativer Ruhe die Wirtschaft auszubauen. Haben meine Großeltern in den 50ern ja hier auch nicht anders gemacht. Aber von feurigen Latinos und sensualen Latinas wird eben erwartet, dass sie den bösen Amis in den Hintern treten anstatt zu arbeiten :-)
Ich hab vom politisch linken Ingenieurs-Projekt Unternehmer (normal eher rechts) bis zum pinochetistischen Lehrer (normal eher links) sehr verschiedene Kombinationen kennengelernt.
Allende wünschten sich viele sicher nicht zurück.
Antifaschistische Tradition? Na ich weiss nicht. V.a. was man über die 40er und 50er so lesen kann...
Und es gibt ein ziemlich starkes Klassenbewußtsein.
Es gab ja gewisse merkwürdige Traditionen, die die Unidad Popular groß gemacht haben.
Manifestiert sich offenbar auch bis heute in der Justiz.
Alejandra Matus hat über die Justiz in den 90er Jahren ein ziemlich bemerkenswertes Buch geschrieben. "El libro negro de la justicia chilena". Sie mußte unter der Concertación Regierung exilieren. In die USA übrigens. In dem Buch gings darum, dass es in Chile eine starke Tradition der Klassen-Justiz gibt.
Pinochet war ein Dreckskerl, der sich hoffentlich nicht wiederholt. Aber ein komplexer. Und seine Komplexität war eben auch ein Glück. Idi Amin war wesentlich einfacher.

... link  


... comment