Dienstag, 30. Juni 2009
Die Literatur, die mir etwas bedeutet
Für mich ist der Horizont, der mich prägte und an dem ich mich orientiere dann so eine Verbindung aus Boris Vian, Camus, Sartre, Norman Mailer, Salinger, Tennessee Williams, Truman Capote, Tom Wolfe, Hubert Selby, R.A.Wilson, P.P.Zahl, Stuart Home und sehr modernen Thriller-Autoren wie Mankell oder Schätzing und auch Tad Williams und nicht zu vergessen T.C.Boyle. – Anknüpfend an dieses Statement versuche ich es mal mit Inhalt zu füllen. Bei Vian verschmelzen für mich der Sänger und der Autor. Ich höre sozusagen ihn „Le Deserteur“ singen, wenn ich „Die Ameisen“ lese, ein herrlich groteskes Buch, in dem sich Polizisten von Achselklappensuppen ernähren, bevor sie Leute zusammenschlagen gehen, Musiker sich selber zu Hummersuppen zubereiten, das ganze Programm von „Themroc!“ und Bunuels „Der diskreteCharme der Bourgeeoisie“ als Kurzgeschichtensammlung, und wenn ich das lese, höre ich im Hintergrund französische Chansons von einer alte Kassette aus den Achtzigern und passiert bei mir das filmerische Gesamtwerk von Bunuel und Godard revue. In gewisser Weise ist das kafkaesker als Kafka, nur im Gegensatz zu Kafka, bei dem all die skurrilen Fantasien ja apokalyptisch – existenzbedrohend sind ist es lustig, wenn auch wieder auf eine sehr makabre Weise. Die vielen bizarren französischen Erwachsenencomics oder Filme wie „Delikatessen“ fallen mir dazu auch ein – ein spezifisch französischer (oder auch romanischer, Bunuel und Almodovar sind z.T. ähnlich gelagert), ebenso bizarr – grotesker wie schwarzer Humor. Und ich meine, dass Vian und Gide ihn auf der literarischen Ebene zum großen Teil mitentwickelt haben.

Camus ist anders und auf eine besondere Art eindringlich. In „Die Pest“ beschreibt er etwas ganz und gar Voraussehbares. Es wird minutiös geschildert, wie die Seuche sich ausbreitet, man weiß es beim Lesen eigentlich, im Grunde passiert nichts Unerwartetes. Aber es ist diese eindringliche, plastische, fast hypnotische Sprache, die Einen in ihren Bann zieht. Da spielen dann teils persönliche Dinge mit rein und teils solche, die mit dem Autor zu tun haben. Da ist zum Einen meine eigene Frankophilie, die etwas mit eigenen Frankreicherlebnissen zu tun hat, die zum Intensivsten gehören, was ich selber erlebt habe.

http://che2001.blogger.de/stories/1438243/

Dazu kommt bei der Pest die Schilderung der algerischen Stadt Oran, die wiederum so hautnah ist, dass ich beim Lesen den Geruch und das Sonnenflirren Nordafrikas spüre. Das ging uns ja nach der zweiten Ägyptenreise so, dass Tina und ich Bertoluccis „Himmel über der Wüste“ guckten und sahen, dass da aus den gleichen Gläser Shai getrunken wurde, wie den, aus denen wir getrunken hatten, und selbst der Handlungsablauf des Films Ähnlichkeit mit unseren eigenen Erlebnissen besaß – auch wenn wir von der Cholera und nicht vom Typhus befallen wurden.


Gut, „Die Pest“ ist eine Metapher auf den Faschismus und auch als Solche zu lesen, trotzdem faszinirte mich das Buch aus eher vordergründigen Motiven, dann allerdings Camus als Mensch noch mal auf ganz andere Weise: Ein Pieds Noir, ein weißer christlicher Algerienfranzose, der für die Rechte der arabischen Algerier kämpft, ein „Nestbeschmutzer“ wie Vian, ein Denker der permanenten Revolution, der auch Sartre, den Gott, als inkonsequent und nicht wirklich links kritisiert, der aber zugleich vor radikaler Praxis seines radikalen Denkens immer wieder zurückschreckt, ein zutiefst humaner Mensch.

Truman Capote ist witzig, herrlich ironisch und ein wirklicher Meister der Kleinen Form. Fantastisch finde ich eine Kurzgeschichte, heißt, glaube ich, „The green room", die von einem Matrosen und einem jungen Mädchen handelt, die sich in einer Art Herberge oder Gasthaus kennenlernen, wobei nie richtig klar ist, ob das eine Art Bordell, eine normale, nur schrille Gaststätte oder ein Privathaus handelt, in dem öfter durchreisende Matrosen zu Gast sind. Auf jeden Fall sind alle Räume in verschiedenen Farben gehalten, und es ist ziemlich schräg mit sehr viel Südstaatenpatina. Der Matrose flirtet mit dem Mädchen, wobei er sich anfangs sehr zurückhaltend verhält, weil sie erst 16 ist. Sie aber protzt mit ihren sexuellen Erfahrungen und bezeichnet sich als Vergewaltigungsopfer, das jetzt durch nichts mehr zu schocken sei. Als er sie küssen will, stößt sie ihn entsetzt von sich und flüchtet aus dem Raum. Was hier zusammengestoßen ist, sind die reale Lebenserfahrung des Matrosen und das Kopfkino eines pubertierenden Mädchens.

Herrlich auch dieser Film über Capote, in dem er in einem Mehrfach-Mordfall recherchiert und als papageienhaft bunter Campy – Freak unter lauter Landeiern genau deshalb zu Ergebnissen kommt, weil er eben nicht der coole Marlowe – Typ ist, den die Leute fürchten.


Bei T.C. Boyle liebe ich die erdige, kraftvolle und deftige Art des Erzählens, die Tatsache, dass er es immer wieder schafft, geschichtliche Episoden, die selbst für mich weiße Flecken sind mit Leben zu erfüllen, und ich finde ihn psychologisch interessant - es geht meistens bei ihm um Männer mit schwerem vaterkomplex, die sich gegen ein unabwendbares Schicksal stemmen und denen man wünscht, es würde ihnen gelingen. Boyle scheint aber ein Autor nur für Männer zu sein, denn diejenigen meiner weibliche Bekannten, die ihn gelesen haben finden ihn abscheulich.


(edit: Rest kommt als separater Beitrag)
Wird fortgesetzt, dauert ne Weile.

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Danke! Finde sowas ja schon deshalb gut, weil es so "Jenseits der Parole" ist und anders erdet als manche Bausteine der eigenen, politischen Biographie, über die man so berichtet.

Auf eine Parole springe ich trotzdem prompt an: Der Streit Sartre/Camus war wie der Sartre/Merleau-Ponty einer über Sartres "Flirt mit dem Totalitarismus" und den Dikaturen, ging also um seine Haltung zum Kommunismus, der zu einen vor dem Hintergrund seiner seinerseits recht krude reflektierten Besuche in der Sowjetunion, zum anderen aber auch seine Haltung zur Kommunistischen Partei Frankreichs betraf, wenn ich mich recht entsinne, müsste ich aber noch mal genauer recherchieren. Was immer ein Stück Historie ist, die Franzosen, die in die 50er/60er Jahre aufgewachsen sind, von westdeutschen Denkern unterscheidet, hier wurde die KPD ja verboten; für Foucault zum Beispiel war ein Abgrenzen gegen die KP da in France auch ein recht wichtiger Impuls.

"Die Pest" konnte ich ja nicht lesen, das war mir zu eklig detailliert beschrieben ;-) ... um auch wieder zur Literatur zurück zu finden, sonst mache ich ja das, was ich eingangs kritisierte.

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Das ist der Unterschied zwischen Sartre und zB Walter Benjamin, der kritisch und desillusioniert von einem Besuch der UdSSR zurückkehrte. Benjamin hatte sofort gepeilt, was da läuft. Man findet das in den Briefen.
Die KPF hat im Mai '68 eine ganz üble Rolle gespielt, und sich hernach noch damit gebrüstet, wie staatstragend sie war.

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@"Auf eine Parole springe ich trotzdem prompt an: Der Streit Sartre/Camus war wie der Sartre/Merleau-Ponty einer über Sartres "Flirt mit dem Totalitarismus" und den Dikaturen, ging also um seine Haltung zum Kommunismus, der zu einen vor dem Hintergrund seiner seinerseits recht krude reflektierten Besuche in der Sowjetunion, zum anderen aber auch seine Haltung zur Kommunistischen Partei Frankreichs betraf" --- Ja, klar, da sind wir aber ganz beisammen. Ich verstand Camus so, dass er an Sartre kritisierte, dessen positives Verhältnis zu den Kommies und Mao sei nicht wirklich linksradikal, weil er damit die emanzipativen, subjektiv befreienden Impulse linksradikalen Denkens negiere. Übrigens die gleiche Kritik, die im Pariser Mai Cohn-Bendit an den Maoisten hatte. Der ganze Komplex Operaisten-Autonome versus Marxisten-Lenisten fusst darauf. Wir kritisierten dunnemals die RAF als "nicht wirklich linksradikal" wegen ihrer autoritären Fixiertheit auf einen militärisch gedachten Kampf gegen den Staat statt sozialer Befreiung.

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Hier auch Danke! Mit einigen wenigen Ausnahmen liest sich das wie eine Auflistung meines eigenen Bücherregals....

Aber wenn ich mir eine Anmerkung zu Camus` Pest erlauben darf: Es ist nicht nur der Faschismus das Thema. Für mich noch mit prägender war die "Gottfrage": Als ein Kind an der Pest stirbt und sich die anderen Fragen, ob es einen Gott geben kann, wenn ein unschuldiges Kind an der Pest stirbt und sie dann sinngemäß befinden, dass dies ein extrem grausamer Gott sein muss, an den sie nicht glauben wollen....Mist, so lange her, dass ich das gelesen hab...

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naja, Che, das mit Camus war schon so, dass er an Sartre die "totale geschichtlichkeit", die zum Totalitarismus führe kritisierte. Camus war sicherlich irendwie "links", aber in den konkreten menschlichen Situation war ihm Humanität wichtiger als abstrakte Überlegungen (etwa solche, wonach die Tötung von X jetzt "geschichtlich notwendig" sei...). Das war in nuce seine Kritik an Sartre.

Sartre war übrigens natürlich nicht pro-GuLaG (im Gegenteil), er hat halt nur "taktisch" votiert. Sartre wollte sich nicht den McCarthys zur Verfügung stellen - und das kann ich auch verstehen! Finds ganz witzig: Du kommst eher aus der autonomen Ecke, ich eher aus der "angelinksten Ästhetenecke". Früher war ich radikal pro-Camus, contra-Sartre in diesem Streit. Inzwischen kann ich auch Sartres Position nachvollziehen.

Ich glaube, es war Degenhardt, der 1968 schrieb, mit der Springer-Presse teile er sie nicht, seine Wut über den Sieg der Panzer zu Prag... Und ich weigere mich auch, mit denen irgendwas zu teilen. Gerade jetzt die Kurras-Diskussion und deren versuch, gschichte umzulügen...

naja, vom Ansatz her dürften wir uns einig sein

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"naja, Che, das mit Camus war schon so, dass er an Sartre die "totale geschichtlichkeit", die zum Totalitarismus führe kritisierte."

Ja, mit guten Gründen. Diese Kritik ist ja richtig und würde später von Foucault wiederum zu recht auch erhoben und weist Bezüge zu Popper auf, der in der Hinsicht nun auch mal Recht hatte. Als Sartre den Existentialismus nur noch als innermarxischte Enklave verstehen wollte, wobei "Marxismus" dann dessen Geschichtsphilsophie meinte, war er als Denker tot.

Deine "taktische Option" verniedlicht auch etwas, was Sartre nach seinem Besuch in Stalins Russland so von sich gab. Daran kann nun auch nix ändern, was Degenehardt völlig zu recht 1968 sagte. Was is'n das für eine Logik? Als gäbe es bis heute nur die Alternative McCarthy/BILD oder Stalin/Castro.

Eine ganz intelligente, wenn auch nicht in jeder Hinsicht richtige Auseinandersetzung zu dem Thema gibt es in dem ziemlich großartigen Sartre-Buch von Bernard H. Lévy. Der steht mir politisch auch weder nahe, noch ist er mir sympathisch, noch ist das alles philophiehistorisch richtig, was er schreibt, das Buch ist trotzdem ein ganz großes.

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Ach kommen Sie, Senor Che, ich kann doch nicht die einzige Frau sein, die T.C. Boyle liebt.

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*Auf den mir von Frau croco geschonkenen silbernen Elefanten blickend, der neben einem Ebenholzbuddha auf meiner Box thront *


Das mag ja sein, aber wohl zumindest die einzige Frau in meiner Kontaktsphäre....

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Ohhhh.....

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Und manchmal bin ich so gemein, anzunehmen, dass die Meisten von denen es als Zumutung betrachten, Innenansichten von Männern mit Vaterproblemen zu lesen und sich damit auseinanderzusetzen, und sowas heißt dann gleich "frauenunkompatibel".

Hatte aber auch schon mal einen männlichen heterosexuellen Freund, der treuherzig erzählte, dass er nach monatelanger Lektüre von "lesbischer" Literatur sich darin nicht wiederfände;-)

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Von Hause aus bin ich Naturwissenschaftlerin. Die sehen das Mann-Frau-Ding nicht so extrem. Im Labor ist es wurschd, ob man Mann oder Frau, einsam, traurig oder wütend ist. Man macht seine Arbeit und die macht Freude. An der Schule ist es ähnlich.
Oder habe ich einfach eine andere Wahrnehmung?
Jedenfalls interessiert mich die Innenansicht von Menschen. Ob ich sie dann verstehe oder nicht, hängt von vielem ab, aber eher nicht vom Geschlecht des Autors.

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ot: italien
ich weiß nicht, wie weit sich die aktuellsten entwicklungen dort schon aufmerksamkeitsmäßig verbreitet haben - letzteres ist meiner meinung nach jedenfalls dringend nötig!

http://autismuskritik.twoday.net/stories/notiz-krisennews-spezial-italien/

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Was mir an der Liste auffällt: Es sind alles Schriftsteller, die bei mir unter die Bezeichnung "männliche Literatur" fallen.

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Was mir an diesem Kommentar auffällt:
Er macht keinen ernsthaften Versuch, inhaltlich auf das Posting einzugehen, sondern knallt gleich mit der Genderklatsche drauf.

Na, wenns der Gleichberechtigung dient...

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"Männliche Literatur" – ist das sowas wie evangelischer Skilauf?

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Sowas wie katholisches Porzellan. Irgendwie pfui.

P.S.
Ist es eigentlich opportun, über "männliche Literatur" zu reden?

All diese "männliche Literatur" ist doch vielleicht nichts als verschwendete Zeit, die mann dann bitteschön stattdessen gefälligst für subversive Sprechakte oder ein umfangreiches Studium feministisch-poststrukturalistischer Queer-Literatur verwendete. Gänzlich frei von vermeidenswerter "männlicher Literatur" erhält mann dann hier klare Kante gegen implizite Ontologien der Realität und vermeintlich kohärente binäre Kategorien!

Denn die notwendige Ablehnung und Exklusion aller Praktiken von Heterosexismus und männlicher Heterosexualität bedeutet - inkl. der positiv zu wertenden Einkleidung von Frauen in Burkas: die einzige noch existierende Aufgabe der Literatur, welche neue Wege inkohärenter Konfigurationen bzw. nicht-männlich-heterosexueller, nicht-normativer Performanz zwingend vorzugeben habe.

(So in etwa sähe ein dezidiertes Programm "nicht-männlicher" Literatur aus)

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Na ja, ich könnte jetzt noch Rita Mae Brown, Cathie Reichs, Ursula K.LeGuin und Marion Zimmer Bradley auflisten. Passt aber so gar nicht unter die Gender-Klatsche.

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@che: Kannste stecken lassen,
denn aus der Büchermacker-Schublade holen Dich jetzt auch keine Alibi-Autorinnen mehr raus. ;-)

@Dr. Dean: Bingo, aber wir sollten dabei auch die critical whiteness nicht ganz unter den Tisch fallen lassen, denn leider weist Ches literarische Sozialisation auch klare Defizite in Sachen nichtweißer Literatur auf. ;-))

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Che ist eben das typische männlich-weiße westliche Metropolensubjekt (MWM)!
Außerdem fehlen auch jüdische Autoren. Es wird ja immer schlimmer!

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danke, che,
für den hinweis auf camus.

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"Herrlich auch dieser Film über Capote, in dem er in einem Mehrfach-Mordfall recherchiert"

ähem, Che, das iss nich Dein Ernst? Du meinst dies hier:

http://de.wikipedia.org/wiki/Kaltbl%C3%BCtig

tolles Ding, mein Capote-Liebling, obwohl die Grassharfe auch zauberhaft ist.

PS. richtig, den Film ÜBER ihn und seinen Svhreibprozess gibts auch.

habs doppelt: mail an mich, dann geht eine büchersendung raus.

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Danke, das ist ja lieb! Bin momentan 1-3 Tausend Meter höher, dauert also ein paar Tage, mail komt aber.

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