Samstag, 5. September 2009
Nicht für´s Leben, für die Schule lernen wir
Es nimmt mich immer Wunder, wenn jemand als Habermas-Schüler, Wittfogel-Schüler, Mommsen-Schüler usw. bezeichnet wird und für sich selber diese Zuschreibung auch annimmt. Ich würde mich niemals als Schüler eines meiner früheren Professoren definieren. Die Theorieansätze, die ich vertrete, habe ich mir selbst erarbeitet oder gemeinsam mit Anderen entwickelt oder aus der Lektüre mir angeeignet, aber nicht im eigentlichen Sinne von meinen Hochschullehrern erlernt. Das Verhältnis, das wir als Studierende zu unseren Profs so hatten, war in manchen Fällen, zum Beispiel bei meinem Doktorvater, durchaus herzlich, grundsätzlich war unsere Position als linke Studierende und Fachschaftler aber die, dass rein strukturell die Profs uns als Klassenfeinde gegenüberstanden, denen gegenüber wir die Interessen der Studierenden zu artikulieren und durchzusetzen bemüht waren. Neuere Ansätze in der Geschichtsforschung, wie Alltagsgeschichte, Mentalitätsgeschichte, Geschlechtergeschichte, Körpergeschichte, Umweltgeschichte waren denn auch Ansätze, die wir in sogenannten autonomen Seminaren, als Studierende selbstorganisiert und neben dem offiziellen Lehrbetrieb, oftmals gegen ihn, aber unterstützt von den fortschrittlicheren Leuten vom MPI für Geschichte mit ihrer Auffassung von Geschichte als historisch-anthropologische Kulturwissenschaft diskutierten. Adorno, Bourdieu, Baudrillard, Marx, Weber wurden selbstverständlich in studentischen Arbeitsgruppen gelesen und diskutiert, bevor wir darüber mit unseren Profs sprachen - wir wären nicht auf die Idee gekommen, uns die Großtheoretiker von einem Prof erklären zu lassen, die Vorstellung wäre uns viel zu autoritär vorgekommen.
Die sogenannten Schulen erlebte ich zumeist als regelrechte Gefolgschaften, die daraus bestanden, einmal die Woche mit dem eigenen Prof in die Kneipe zu gehen, um dann bei der Jobvergabe bevorzugt berücksichtigt zu werden. Na ja, und als Zitier- und Niedermachkartelle natürlich.

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Nicht ein jeder eignet sich eben zum Eklektiker.

;-)

(nein, war nicht ernst gemeint)

Es ist heutzutage ohnehin eher selten, finde ich, wenn man einen aktiven Akademiker als xy-Schüler bezeichnen kann. Das liegt m. E. einmal an der gestiegenen geistigen Freiheit und Vielfalt, an einer Abnahme patriarchaler akademischer Strukturen, aber m. E. auch daran, dass sich das Tempo geistiger Neuerungen erhöht hat und es auch darum unwahrscheinlicher geworden ist, dass jemand, und sei dieser von noch so großen Verstandeskräften, eine eigene und mit seinem Namen eng verbundene Denkweise oder gar Ideenschule zu begründen vermag, die dann über Generationen hinweg Bestand hat.

Bei den Ideologen geht das vermutlich noch am leichtesten (also geht: Hayek-Schüler, Marx-Schüler, Adorno-Schüler, Carl-Schmitt-Schüler - sogar Focault-Schüler geht gerade noch...), aber abgesehen von einem gewissen Mangel an wirklich originellen und überzeugenden Produzenten von Ideologie ist unser Leben vielleicht auch schon zu frei und zu vielgestaltig geworden, um damit viel Raum für vergleichsweise begrenzte akademische Schülerschaften zu bieten.

Wohl ist auch die Gewöhnung an einen sehr freien - und damit eben auch eklektizistischen - Umgang mit geistigen Ideen so fortgeschritten, dass auf viele (auch: mich) der Gedanke als atavistisch oder geradezu verwegen erscheint, man möchte sich in seinem Denken und Werten bevorzugt auf einen einzelnen Denker bzw. "Lehrer" beziehen...

(So, nun habe ich am Schluss, den oben unterschwellig ironisch kontrastrierten geistigen Eklektizismus zur Tugend erklärt)

Wobei mich mein durchaus beschränkter geistiger Horizont daran hindert, zum Beispiel Stellung zu nehmen im Bereich Architektur oder Kunst - da ist es (vielleicht? - ich weiß es nicht) auch noch relativ leicht, von "Lehrern" und "Schülern" zu sprechen, und zugleich ist auch hier der Prozess sichtbar, dass Schülerschaften seltener werden.

Mal anders herum gefragt: Wo gibt es sie noch, diese akademischen Schülerschaften, wo spielen diese eine Rolle?

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"wir wären nicht auf die Idee gekommen, uns die Großtheoretiker von einem Prof erklären zu lassen, die Vorstellung wäre uns viel zu autoritär vorgekommen."

Vielleicht war das ja ein Fehler. War ja nicht so, dass die da nicht kompetent gewesen wären, die Lehrer.

Das ist für mich auch eine völlig andere Frage als die nach den Gefolgschaften. Ich hatte universitäre Lehrer, von denen ich zum Glück sehr viel lernte, glaube ich zumindest, Nörgler sieht das ja manchmal anders ;-), aber das hat mich doch nicht daran gehindert, trotz deren Nähe zu Habermas mich intensiv in einen Foucault einzuarbeiten, zum Beispiel, obwohl der äußerst harsch attackiert wurde, und eben mein eigenes, eklektizistisches Patchwork daraus zu stricken.

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Du bist ja aber auch kein orthodoxer Schüler im Sinne eines der Lehre strikten Folgens. Und da ergibt sich dann die Gefolgschaft auch aus einem eher repetitiven Denken der Lehre. Und natürlich haben wir von unseren Profs gelernt, nur nicht ex cathedra, sondern diskursiv auf der Basis eigener unabhängiger Theorieaneignung und respektvoller Diskussion als nächstem Schritt.

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@Dean: "Mal anders herum gefragt: Wo gibt es sie noch, diese akademischen Schülerschaften, wo spielen diese eine Rolle?" --- Na, in der Geschichtswissenschaft.

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@ Che

Diese Antwort hatte ich befürchtet. Aber ist das heute wirklich noch so ausgeprägt? Ich habe da nur das Beispiel der (an mancherlei Stellen unseligen) historischen Schule im Auge, aber zugleich die Hoffnung, dass derartig treue Lehrer-Schülerschaftsverhältnisse doch seltener geworden sind. Gibt es Fest-Schüler? Ich denke nein, sein oft eleganter Stil ist zu schwer zu kopieren - und ohne diesen Stil gibt es nicht übermäßig viel von Bestand...

Gibt es Nolte-Schüler? Gibt es, um einen dritten konservativen Historiker zu nennen, Haffner-Schüler? Gibt es eine Mommsen-Schule oder gar Wiedergänger von Max Weber? Oder gar Aly-Schüler? Vielleicht gibt es eine Reihe von methodologischen Schulen bei den Historikern, was ich vor dem Hintergrund sehr ernster und schwer zu lösender methodologischer Probleme sogar stark annehme, aber gibt es wirklich in den Geschichtswissenschaften, bei denen ich im Übrigen eher einen Trend zur Ent-Ideologisierung sehe, so "starke" Lehrer, dass diese gleich auch ein wirkmächtiges akademisches Fußvolk hervorbringen, Fußsoldaten des gleichen und übereinstimmenden Gedankens zumal?

Das ist mir bislang noch nicht aufgefallen.

Allerdings bin ich kein Historiker, bin nicht einmal ansatzweise bewandert auf diesem Gebiet, allenfalls von leichten Ahnungen berührt (und habe großen Respekt gegenüber gewissenhafter und ausgewogener Quellenarbeit), nun, und die Namen, die ich oben aufgeführt habe, sind - teils - doch eher zu den übleren zu rechnen, jedenfalls wenn man die die publizistische Wirksamkeit abzieht und nach der reinen Substanz schaut.

Che, welche Schulen gibt es denn da so, bei den Historikern - und wo sind die führenden Köpfe? Bei Mommsen habe ich es mal raunen hören, dass er sich gerne Schüler hält (aber zugleich: dass diese sich recht schnell emanzipieren), Benz kennt keine Schüler, Aly ist ein Schreihals und Solitär, Baring wohl nur als Publizist bedeutend, Foucault ließe sich ggf. als Historiker auffassen - aber das wird ihm nicht gerecht, Gruchmann ist großartig und schülerfrei, Hilberg ist noch großartiger und leider tod, Hobsbawm lesenswert (z. B. "the age of capital") und in seinem Undogmatismus vollends schülerfrei, Ricarda Huch hatte auf dem Umweg über ihre Tochter großen Einfluss auf die deutsche Rechtsordnung - und dort zwar keine Schüler, aber eine Art "ferne Verwandte", Franz Mehring hatte viele Schüler gehabt, Th. Nipperdey mag noch Schüler haben, Quidde ist auf keine Weise wiederzubeleben (was durchaus schade ist), der neokonservative Paul Nolte ist ein Solitär, HU Wehler mag wohl Schüler haben - aber das wirkt auf mich eher wie eine Seilschaft, tja und mit den Namen diverser Rechtshistoriker will ich hier niemanden langweilen.

Wie gesagt: Ich bin da reichlich unbewandert, kenne nur ein paar Namen, und deren Werk dann auch nur auf das Gröbste oberflächlich. Wirkliche Lehrer-Schüler-Verhältnisse sehe ich im Laufe des Rekapitulierens lustigerweise nur im Bereich von Rechtsgeschichte und verwandten Bereichen.

Naja - ich hab halt keine Ahnung.

Wo also sind die großen historischen Lehrer, an dessen Mäntel oder gar nur Schatten sich die Schüler hängen?

Im Bereich der Wirtschaftswissenschaften fallen mir da allerdings zahlreiche Beispiele ein, und ich empfinde das sogar als etwas peinlich - weil mein Eindruck eben der ist, dass eine Vielzahl von Lehrer-Schüler-Verhältnissen auf Probleme in einem Fachgebiet deutet.

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Dean, Du findest mich entsetzt. Dieses Nichtwissen erklärt allerdings auch so manche Missverständnisse in der Vergangenheit zwischen uns. Bevor ich also etwas über die Schulen an sich sage spreche ich ein paar Teilaspekte an.

@"Gibt es Fest-Schüler? Ich denke nein, sein oft eleganter Stil ist zu schwer zu kopieren - und ohne diesen Stil gibt es nicht übermäßig viel von Bestand...

Gibt es Nolte-Schüler? Gibt es, um einen dritten konservativen Historiker zu nennen, Haffner-Schüler? Gibt es eine Mommsen-Schule oder gar Wiedergänger von Max Weber? Oder gar Aly-Schüler?" ---- Stil ist es nicht, worauf es in der Geschichtswissenschaft ankommt, sondern Forschungsleistung und Methodenkenntnis. Fest stand der Historischen Schule nahe, aber außerhalb des Wissenschaftsbetriebs im engeren Sinne. Nolte war Germanist und Philosoph, der einige Bücher zu historischen Themen verfasst hat. Haffner war ebenfalls kein Historiker, sondern Journalist, der zu historischen Themen schrieb. Er war auch nicht konssrvativ, sondern politisch ganz schwer einzuordnen, aber die Bezeichnung "linksradikal" wäre noch treffender als "konservativ". Macht sich übrigens an dem regelrechten Wutanfall deutlich, den Du auf diesem Blog mal hattest, als ich Haffners Ansichten zur Novemberrevolution zitierte.


Die Mommsens kann man als eine Schule für sich in Form einer Historiker-Dynastie bezrachten. Hans Mommsen steht der Historischen Sozialwissenschaft nahe. Max Weber gehört für die Historische Sozialwissenschaft wie auch bereits für die ältere Sozialhistorische Schule zu den Basics, quasi zum methodischen Handwerkszeug, übrigens auch Marx und Engels. Aly ist selber der Spross einer eigenen, nämlich der Hamburger Schule. Das ist die Stiftung für Sozialforschung und Sozialgeschichte des 20 unsd 21. Jahrhunderts, die von Jan Philipp Reemtsma in Anlehnung an das Frankfurter Institut für Sozialforschung, also das Horkdorno-Institut, gegründet wurde, um die Neuen sozialen Bewegungen, insbesondere die Neue Frauenbewegung, die Schwulen-und Lesbenbewegung und die Antifa durch eigene Theorieaneignung und wissenschaftliche Untermauerung der eigenen Positionen zu stärken. Die Theoriebildung dieser Schule ist politisch ursprünglich in unmittelbarer Nähe der Autonomen verortet, und es ist kein Zufall, dass die Zeitschriften der Stiftung "Mittelweg 36" und "1999" und die autonomen Theorieorgane "Autonomie neue Folge. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft" und "Materialien für einen neuen Antiimperialismus" über weite Strecken ein übereinstimmendes Geschichtsbild formulieren. Dieser Ansatz fand als "Geschichte von unten" später engagierte Vertreter beim Göttinger Max Planck-Institut für Geschichte und gehört heute sogar zum Curriculum an niedersächsischen Gymnasien, aber das war in den 70ern und 80ern noch eine völlig andere Geschichte.

Zum Grundsätzlichen geht es hier weiter:


http://che2001.blogger.de/stories/1481155/

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"Die sogenannten Schulen erlebte ich zumeist als regelrechte Gefolgschaften, die daraus bestanden, einmal die Woche mit dem eigenen Prof in die Kneipe zu gehen, um dann bei der Jobvergabe bevorzugt berücksichtigt zu werden. Na ja, und als Zitier- und Niedermachkartelle natürlich."

eben.

posten, darum ging es, darum geht es.

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Man kann das natürlich auch tiefer hängen als mit der Begrifflichkeit der Schulenbildung und von Seil- und Gefolgschaften reden. Und die sind dann äußerst wirkungsmächtig. Ich habe zum Beispiel erlebt, dass ich bei der Besetzung einer bestimmten Assistentenstelle nicht berücksichtigt wurde, weil ich kein Bielefelder war.

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wobei auch noch die kontroverse als mittel der wissenschaftlichen karriere zu erwähnen wäre.

es ist da wie sonst im leben, man braucht förderer und freunde, aber auch gegner.

wobei bei der wissenschaft noch ein gewisser neurosegrad und ziemlich scharfes konkurrenzdenken dazukommen kann, wie man da sonst eher vom top management grosser firmen erwartet. dadurch, dasss der universitäre bereich ziemlich aufgebohrt und das studium weitgehend verschult wurde, ist das ansehen solcher akademischer abrichter nicht mehr mit dem der ordinarien früherer zeiten vergleichbar. ist vielleicht auch gut so.

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