Freitag, 16. Oktober 2009
Kargah berät Opfer von Zwangsheiraten
Die Kargah (persisch für Werkstatt) in Hannover, ein MigrantInnenprojekt, dem ich seit Langem verbunden bin hat eine neue Initiative gestartet: Beratung für die Opfer von Zwangsehen.

http://www.weser-kurier.de/Artikel/Region/Niedersachsen/44116/Die–juengsten–Braeute–sind–erst–13–Jahre–alt.html

Zwangsheirat in Niedersachsen
- 07.10.2009 -

Die jüngsten Bräute sind erst 13 Jahre alt
Von Justus Randt

Hannover. Versprochen, verkauft, verheiratet. Wer sich widersetzt, wird
nicht selten mit dem Tode bedroht. In Niedersachsen sind in den ersten
neun Monaten dieses Jahres 124 Fälle geplanter oder bereits besiegelter
Zwangsehen bekanntgeworden. 13 der Bräute oder Ehefrauen wider Willen
sind im Alter von 13 bis 15 Jahren.

Seit Anfang des Monats haben bereits vier weitere Betroffene die
kostenlose Telefonnummer 0800/0667888 gewählt und sind beim Verein
kargah gelandet. Dort hat das Landesministerium für Soziales, Frauen,
Familie und Gesundheit das Krisentelefon gegen Zwangsheirat 2007
angesiedelt. Gül Ergün (Name geändert) ist dort hauptamtliche
Mitarbeiterin und spricht von 'steigender Tendenz'. Ihren richtigen
Namen und die Adresse des Vereins will sie 'zur Sicherheit' nicht
veröffentlicht sehen - 'dafür gibt es Gründe'. Die Zahl der drohenden
oder geschlossenen Zwangsehen hat am Ende des dritten Quartals schon die
Gesamtzahl des Vorjahres erreicht.

'Im vergangenen Jahr war es nur ein Drittel, jetzt sind es schon zwei
Drittel, die sich selbst melden und deren Fall uns nicht über
Sozialarbeiter oder Schulen bekannt wird', sagt Gül Ergün. 'Das liegt
sicher auch daran, dass wir landesweit zu Vorträgen unterwegs waren, um
zu informieren.' Bundesweit scheint die Sache anders auszusehen: 'Es
gibt keine ganz klaren Zahlen, aktuell wird an einer Studie gearbeitet,
die nächstes Jahr vorliegen soll', heißt es im Berliner Büro der
Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes.

In ganz Deutschland seien aus dem Jahr 2008 nur 197 Fälle bekannt, sagt
Elke Twesten. 'Aber wo man hinguckt, findet man das Problem.' Die
Grünen-Abgeordnete zieht mit Ulla Groskurt, ihrer SPD-Kollegin im
Landtag, an einem Strang, wenn es darum geht, von Zwangsheirat Bedrohten
zu helfen: Mitunter sei 'die sofortige Flucht aus der Familie der
lebensrettende Ausweg', sagt Twesten. Sie kritisiert, dass der
Schutzplatz, den Niedersachsen in einer Berliner Zufluchtsstätte
vorhält, nicht über das Jahresende hinaus finanziert wird. Ulla Groskurt
ist überzeugt, dass die Beratung in Niedersachsen 'gut ausgebaut' ist.
'Die stationäre Aufnahme ist das Problem.'

Thomas Spieker, Sprecher des Sozialministeriums in Hannover, bestätigt,
dass der Platz in Berlin nicht länger bezahlt wird. Mit den dafür
jährlich zur Verfügung stehenden 48000 Euro solle aber eine
niedersächsische Unterkunft eingerichtet werden, 'die im Krisenfall
schneller erreichbar ist'. 'Ideal wäre beides', sagt Twesten. Anders als
für die Obhut in der Bundeshauptstadt wird darüber auf Landesebene aber
nicht pauschal abgerechnet. Die favorisierte, von der Jugendhilfe
getragene Einrichtung steht den Schutzsuchenden erst offen, wenn die
Finanzierung des Aufenthalts gesichert ist.

'Das ist ein Problem, denn in der Regel eilt es, und die Bewilligung
dauert', sagt Gül Ergün. Die - auch anonym mögliche - Beratung durch den
Verein kargah soll den Mädchen und Frauen, die überwiegend im Alter bis
21 sind, Unterstützung bei ihrer Auseinandersetzung mit der Familie
bieten. Wenn es hart auf hart kommt, 'können wir mit den Frauenhäusern
sofort helfen, aber die sind auf Erwachsene eingestellt, da gibt es die
notwendige Betreuung nicht', gibt Ergün zu bedenken.

Für Paare und Männer sind diese Einrichtungen völlig ungeeignet. Unter
den 124 von Zwangsheirat Bedrohten oder Betroffenen waren in diesem Jahr
auch sieben unfreiwillige Bräutigame. 'Männer suchen nicht so gerne
Rat', weiß Gül Ergün, 'sie können sich innerhalb der Familie aber freier
bewegen und mehr selbst tun.' Über die ethnische Herkunft Hilfesuchender
will sie nicht zu viele Details verbreiten - 'damit droht man immer zu
stigmatisieren'. Terre des Femmes spricht von 'mindestens 14 Ländern,
darunter Pakistan, Jordanien und die Türkei', in denen Zwangsehen eine
Rolle spielen. 'Auch in Deutschland wird Frauen im Namen der Ehre Gewalt
angetan.'

Ulla Groskurt fordert einen eigenständigen Aufenthaltsstatus der Frauen,
unabhängig von Eltern und Männern. Elke Twesten sieht das genau so: 'Das
ist der beste Weg, um Migrantinnen vor Zwangsehen und
Heiratsverschleppung zu schützen.' Die Grünen-Politikerin unterscheidet
Varianten der Zwangsehe: 'Entweder passiert es hier in der Community,
meistens aber im Herkunftsland, und zwar mit dem Ziel, die Familie dann
nach Deutschland nachziehen zu lassen.' Variante drei sei die erzwungene
Heirat, um dem zwangsweisen Ehemann das Aufenthaltsrecht zu sichern. 'Am
häufigsten kommt es allerdings vor, dass Mädchen und junge Frauen ins
Ausland gebracht und dort als klassische Ferienbräute verheiratet
werden', sagt Twesten.

Für sie fordert die Politikerin ein Rückkehrrecht von zwei Jahren:
Derzeit gilt für Zwangsverheiratete, die nicht die deutsche
Staatsbürgerschaft haben, dass ihr Aufenthaltstitel nach sechs Monaten
erlischt. Andersherum muss, wer nach Deutschland zwangsverheiratet
wurde, diese Ehe zwei Jahre lang aushalten. Wer es schafft, sich eher
daraus zu befreien, muss unweigerlich ausreisen - zur Familie, die diese
Trennung vermutlich nicht akzeptiert.

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