Dienstag, 11. Oktober 2011
Frisst die arabische Revolution ihre Kinder?
Fnord-Anballungen in Kairo, es sieht so aus, dass agents provocateurs die für November geplanten Wahlen verhindern sollen. Verhängnisvolle Entwicklungen in Libyen, Jemen und Syrien. Scheitert die große Befreiung? Yallah Intifada takka Tahrir!

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Die arabische Revolution wird neue Kinder gebären!
Ägypten:

Man unterschätze die ägyptische Zivilgesellschaft nicht! In Kürze kommen Wahlen, und die Chancen stehen gut, sogar ziemlich unabhängig von den Wahlergebnissen, dass damit die Versuche des Militärrats auf dem letzten Drücker über Religionsunruhen eine Militärdiktatur ("zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit") zu etablieren, endgültig gescheitert sein werden.

Die ägyptischen Muslimbrüder sind weitaus moderater, als wir im Westen uns das vorstellen, und die Mehrzahl der ägyptischen Muslime kann wiederum schon mit den Muslimbrüdern eher wenig anfangen (wobei das im ländlichen Raum wohl etwas anders aussieht), und mit Salafisten schon gar nicht.

Da spielt auch jede Menge ägyptischer Stolz hinein, z.B. Stolz auf die Stellung der Kairoer Universitäten - und jede Menge mehr. Auch ist es so, und für die nächsten Jahre, dass die jungen, gut ausgebildeten Ägypter alles dafür tun werden, damit ihnen das Juwel der Freiheit nicht mehr entrissen wird.

Die wirklich große Gefahr für Ägypten liegt nicht in den Fnordisten des Militärrats, sondern in der Wirtschaftsentwicklung. Hier wäre - so doof das vielleicht klingen mag - jetzt wirklich einmal die EU gefragt. Und zwar in einem ganz großen Maßstab.

Syrien:

Der Tanz auf den Messern. Vielleicht gelingt es Assad & Co, eine ähnliche Entwicklung wie im Iran einzuleiten, aber irgendwann wird es im unterdrückerischen Dampfkessel des Diktatoren zu Rissen kommen - und das Ende der Asad-Regierung steht an. Und auch dann werden wir uns im Westen verwundert die Augen reiben, dass die neuen Kräfte sowohl progressiver als auch muslimischer sind, als wir dachten. Wenn es gut läuft, werden sich die neuen arabischen Demokratien (die ich für Syrien in den nächsten vier Jahren erwarte) mit der Türkei und anderen einen Wettlauf um das beste demokratische Gemeinwesen liefern.

Zwischenbemerkung: Al Jazeera hat mehr Demokratie bewirkt als alle Militärmacht der USA (die mit ihren Militärinterventionen - teils - ja nicht allein auf innenpolitische Effekte, "Terrorbekämpfung" sowie die Erringung von Öl-Macht gezielt haben). In den arabischen Ländern hat Geist über gehärtetes Metall gesiegt!

Jemen: Ömpf, ganz kompliziert und schrecklich. Ich fürchte, es wird zur Somalisierung des Jemen kommen.

Libyen: Nur Mut! Das wird schon.

Tunesien: Es geht voran!

Algerien: Auch von dort wird noch so einiges Gutes kommen.

Marokko: Es wird spannend sein zu sehen, wie dort die eigentlich teilprogressive Königsfamilie durch die Entwicklungen in den Nachbarländern unter Druck gesetzt wird, zumal es auch dort zu einer Verjüngung kommt. Ich vermute, auch Marokko wird sich weiter öffnen und demokratisieren/verfreiheitlichen, in einen etwas zähen und langsamen Prozess, und das Königshaus wird versuchen, eine "Demokratisierung von oben" einzuleiten, bei Wahrung der Stabilität. Wenn das so kommt und es sogar funktioniert (und das sogar trotz der umfassenden Privilegierungen und Korruptionsfreiheiten für die Unterstützer der Herrscherfamilie), dann wird das auch auf andere auf andere arabische Monarchien ausstrahlen - vielleicht sogar auf Saudi-Arabien.

Bahrain: Auch hier wird es spannend. Zwar gab es vor einigen Monate "königliche" Unterdrückungshilfe durch Saudi-Arabien, allerdings erwarte ich hier eine ähnliche Entwicklung wie in Marokko. Also auch hier sind Fortschritte zu erwarten. Und allein schon, dass Al Jazeera im Bahrain eine sichere Basis hat, ist schon ganz außerodentlich viel wert.

Libanon: Keine Ahnung. Vor allem kann ich die iranisch beeinflusste Hisbollah-Seite nicht gut einschätzen, aber nach meiner Meinung gibt es dort einen wachsenden "Reformer-Flügel". Nur, was das genau bewirkt - da habe ich keine Idee. Es kann sogar ins Gegenteil abgleiten, allerdings zeigen die Entwicklungen im Iran, dass der Orthodoxie (so nenne ich das seinmal) die Fäden entgleiten. Zugleich gewinnt die Hisbollah im Libanon immer mehr Macht. Wenn es gut läuft, wird der nächste Hisbollah-Führer einer wie Erdogan sein. Tja: Und dann kommt im Nahen Osten noch einmal richtig Bewegung auf - und auch hier ist mir völlig unklar, wie diese verlaufen wird.

Israel: Merkwürdiger Weise hat es in den letzten Monaten eine immense Wiederbelebung der linken Zivilgesellschaft gegeben, die sowohl Sozialstaatlichkeit, gerechte Löhne, Monopolabbau, Bekämpfung des israelischen Neoliberalismus und auch - Frieden und Siedlungsstopp fordern.

Diese Bewegung scheint im Augenblick eingeschlafen zu sein - aber das täuscht. Die kommen noch einmal, vor den nächsten Wahlen - und dann mit Macht! "Bibis" Zeit läuft ab.

Saudi-Arabien: Die weiblichen (!) Proteste haben vor einigen Wochen in der Autofahrerfrage gesiegt. Endgültig! Auch das wird, eigentlich ziemlich überraschend, die zivilgesellschaftlichen Kräfte in Saudi-Arabien stärken - und weitere Folgeprozesse in Gang setzen.

Iran:

Iran versucht gerade mit aller Macht den Nachbarstaat Syrien zu "stützen". Mit dem Unterdrückergeschäft kennt sich die iranische Regierung sehr gut aus. Allerdings vergröbern sich gerade die Haarrisse innerhalb der iranischen Machtelite. Ausgerechnet AmArschisdat wandelt sich gerade, und zwar nicht nur rein verbal, graduell zum Reformer! Und die grüne Bewegung: Die ist alles andere als tot. Schon allein, wenn man sich aktuell auf Youtube umschaut, dann sieht man, wie es brodelt - und wie!

Die iranische Diktatur fällt innerhalb der nächsten vier Jahre, sage ich voraus.

Schlussbemerkung: Auf eine etwas sehr merkwürdige Weise hat die Abwahl der reaktionären "Republikaner"-Regierung und ihre Ablösung durch eine sehr schwache und inkonsequente Obama-Administration den Wandel in den arabischen Staaten begünstigt. Und vermutlich gehört es zu den besten Dingen, die wir tun können, dass wir mit den bloggenden und via Facebook vernetzten arabischen Zivilgesellschaftlern ins Gespräch kommen.

Es ist eine historische Phase, und wenn es besser läuft als erwartet, wird man diese Jahre die "Zweite Unabhängigkeit" der arabischen Staaten nennen können. Chancen dafür gibt es.

(und was für einen Mut hatten z.B. die saudi-arabischen Frauen! Wunderbar.)

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In Israel ist gar nichts eingeschlafen, das gibt es seit Monaten Massenproteste, Streiks, Großdemos und Straßenblockaden.

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heraus zum 15. oktober!

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