Freitag, 2. Juni 2006
Vietnam again and again and again
Dass Haditha kein Einzelfall war, mag nicht so sehr überraschen. Dass GIs (Abkürzung für Government Issue, soviel wie Regierungseigentum) tendeziell zu Massakern neigen, mag an ihrer Ausbildung, ihrem sozialen Hintergrund und Führungsschwäche ihrer kommandierenden Offiziere liegen, aber auch am (Un)Geist ihrer jeweiligen Regierung. Zumindest kann ich mich nicht erinnern, dass die US-Truppen in der Ära Clinton sich in Jugoslawien nur entfernt Vergleichbares geleistet hätten. Wer hingegen Michael Moores Irak-Film gesehen hat, wo dokumentiert wird, dass Panzerfahrer Privathäuser mit Napalmgranaten beschießen, weil sie gerade per Kopfhörer "Burn, motherfucker, burn!" gehört haben, wundert sich über gar nichts mehr. Ich kann mich aus Frankfurt ja auch gut an Bereitschaftsbullen erinnern, für die das Wegspritzen von Demonstranten per Wasserwerfer so eine Art Joystickgame war. Liegt alles nahe beieinander, das. Ich nenne es die Zumteufelmitdenopfernmentalität.


http://www.netzeitung.de/spezial/irak/402976.html

... comment

 
es zeigt sich, dass man im irak nicht nur die lage nicht unter kontrolle hat, sondern auch die eigenen truppen.

... link  

 
ich erlaube mir auch mal einen kleinen hinweis:
http://nixxon05.blogspot.com /2006/06/irak-geschnte-neue-welt.html#links

... link  

 
Danke dafür. Ich muss ja gestehen, dass der Irak mir weitaus näher geht als viele andere Länder mit Krisensituationen, da die Familien etlicher alter Freunde von mir in diesem Land leben. Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, wenn einer jener Freunde zwei Wochen auf Besuch im Irak war und anschließend schwerste psychosomatische Störungen hatte, und dann machte der bei sich einen Diaabend, wo man einen Haufen Steine sieht, nicht größer als Kiesel, und er sagte mit tränenerstickter Stimme "Das ist mein Elternhaus".

... link  

 
ich sähe gewisse leute gerne mal sich bei einer solchen veranstaltungen mit diesen schicksalen konfrontiert und sich in grund und boden schämen für den bodenlosen unsinn, den sie ansonsten so verzapfen.

... link  

 
Vor allem dann, wenn solche Leute jemandem wie mir Zynismus, Menschenverachtung und Gleichgültigkeit unterstellen und ich zu Denjenigen gehöre, denen Leute dort unten zumindest mittelbar ihr Leben verdanken.

... link  


... comment
 
My Lay
Was mir übrigens in Bezug auf Vietnam bzw. My Lay neu war is tdie Tatsache, dass das Massaker von einem US-Hubschrauberpiloten (Hugh Thompson) gestoppt wurde - er drohte damit, mit den Bord-MGs auf die GIs zu feuern (s. Wikipedia).

... link  

 
Ich weiß, das kenne ich aus einem Vortrag von US-Soldaten, die damals life dabei waren. Eine äußerst beeindruckende Veranstaltung, die im Rahmen der Mobilisierung zu Protestaktionen gegen den Golfkrieg von 1991 stattfand.

... link  


... comment
 
Die Amis, die da unten stationiert sind, drehen durch, werden schlicht verrückt, weil sie wissen, dass sie verheizt werden, dass die ganze Nachkriegssituation ein unorganisiertes Himmelfahrtskommando ohne klaren Sinn, Legitimation und Endpunkt ist und sie evtl. jeden Moment dran glauben müssen. Das sind Leute, deren Einsatz wegen Personalmangel zwei, drei, vier mal verlängert wird, die in Doppelschichten auf der Straße unterwegs sind, in voller Montur, 10 -15 Kilo schusssicheren Krempel, bei 40-50 Grad Außentemperatur voll mit Amphetaminen sechs Stunden irgendwo auf einem Panzer hocken und drauf warten, abgeschossen zu werden. Da ist es schon gefährlich, an so einem vorbeizufahren, er schreckt aus einem Sekundenschlaf auf und mäht dein Auto im Reflex nieder. Ich weiß von ein paar Autos internationaler Organisationen, denen das passiert ist, von Irakern brauchen wir erst gar nicht anzufangen. Es ist ein ziemliches Scheißgefühl, an einem Checkpoint von drei Jungs mit stecknadelgroßen Pupillen durchsucht zu werden.
Die vor Ort wissen doch genau, dass die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut, die Koordination zwischen den Kompanien der regulären Truppen und den eingekauften Milizionären eine Katastrophe ist, dass sie verhasst sind und dass sich ihre Führung einen Scheiß um sie kümmert. Die haben ihre Leute da unten in offenen Armeewagen ohne Türen rumfahren lassen, die wurden da drin abgeschossen wie die Hasen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass nicht 98% der Government Issues (ha!) mit einem massiven Psychoproblem nachhause fahren und ich kann mir auch nicht vorstellen, wie so was wie Haditha nicht passieren soll, bei schwer bewaffneten Freaks auf Drogen, denen täglich der Arsch auf Grundeis geht und das in einem völlig aus dem Ruder gelaufenen Umfeld.
Und nicht dass ihr denkt, mein Mitleid wäre biased; ich habe Familie in Baghdad – Red Zone – die haben inzwischen zwei bis drei Stunden Strom am Tag, stehen bis zu 10 Stunden für Benzin an, weil ja überall permanent die Generatoren laufen; am Abend sperren sie in Nachbarschaftshilfe ihre Strasse ab und schießen vom Dach auf jedes Auto das sich nähert, weil nach 16.00 Uhr nur noch Todesschwadronen verschiedener Provenienz unterwegs sind. Mit deren psychischer Verfassung steht es mindestens genauso schlecht.
Empfehlung, Journalistenblog mit meiner Ansicht nach hervorragenden Analysen:
http://www.back-to-iraq.com/

... link  

 
so etwas darfst du den kriegsgeilis in der deutschen blogosphäre aber nicht sagen. da brechen ja mühsam zusammengezimmerte bilder vom sandkastenkrieg auseinander

... link  

 
schicken wir sie doch einfach mal einen juninachmittag lang auf eine typische bagdader kreuzung, um den verkehr zu regeln, das dürfte für den einen oder anderen denkanstoss ausreichen.

... link  

 
Danke, Betty, für diesen Beitrag und den klasse Link!

... link  

 
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass nicht 98% der Government Issues (ha!) mit einem massiven Psychoproblem nachhause fahren"

ich auch nicht. aber wofür gibt es denn die innovationen der ruhmreichen pharmaindustrie?

"In einigen Fällen seien Soldaten, die nach einem Irak-Einsatz traumatisiert zurück gekommen seien, wieder in den Krieg geschickt worden. Um sie im Kampfeinsatz zu lassen, würden zunehmend Anti-Depressiva mit teils gefährlichen Risiken verabreicht. US-Soldaten seien auch in Kampfzonen geblieben, selbst wenn Vorgesetzte über die gesundheitlichen Probleme informiert gewesen seien.(...)"

http://autismuskritik.twoday.net/stories/1926571/

auch amphetamine sind nicht nur in der us-army und nicht nur bei der luftwaffe während der einsätze recht beliebt. aber zunehmend in den offenen wahnsinn herübergleitende gesellschaftliche verhältnisse werden eben u.a. auch durch drogen sowohl "geschmiert" als auch erst erträglich gemacht - koks an den börsen, heroin im vietnamkrieg etc.

kriegssituationen als offene manifestationen bzw. konsequenz gewisser arten von wahnsinnigen zuständen machen das imo lediglich sehr deutlich.

... link  

 
Die Droge, die in Dons Liquide vorkommt, eine fixe Kombnation aus Prozac und Amphetamin, wurde eigens von der israelischen Armee für solche Situationen entwickelt, für Einsatzkräfte, die ein Selbstmordatttentat miterleben und handlungsfähig bleiben sollen.

... link  

 
Als Leute aus Deutschland da runtergefahren sind, um im privaten Rahmen zu helfen, hat man sich einen Jeep mit MG auf Lafette und 250 Schuss Mun gemietet, nur um umherreisen zu können. Und heute sieht´s nicht anders aus. Wenn das für einen gewissen Herrn ein Normalzustand sein soll, dann möchte ich mal wissen, was der sich unter Bürgerkrieg vorstellt.

Ich persönlich war ja nicht im Irak, im Nahen Osten aber schon, und ich habe erlebt, wie toll man sich des Nachts in einem Minenfeld fühlt oder was es für ein klasse Gefühl ist, da, wo man gerade vorbeigegangen ist, ein Auto explodieren zu sehen, und dann das Beschwichtigungsgeschreibsel eines komplett Ahnungslosen zu lesen.

... link  

 
überdimensioniert und hinterhergeklebt, aber veilleicht interessiert es ja noch jemand...
Selbst die Leutchen, die den Krieg für irgendwie bedrohungsmäßig gerechtfertigt, eine ideologisch gute Idee oder wenigstens ein gutes Geschäft gehalten haben, müssten inzwischen merken, dass es sich geostrategisch, militärisch-organisatorisch und wirtschaftpolitisch um einen völligen fuck up handelt. Außer natürlich man lebt in einer Realität brought to you by Foxnews.

Das ist aber sehr schwer zuzugeben, denn mit dem Scheitern des Konzeptes hinter dem Irakkrieg bricht auch das neocon/liberale Herrschaftsparadigma insgesamt zusammen. Warum? Dieser Krieg war angelegt als lean government oder von mir aus lean management war. Rumsfelds brilliantes Konzept bestand darin, mit wenigen Truppen vor Ort den Aufbau durch den amerikanischen miilitärisch-industriellen Komplex abzusichern und die Kosten dafür auf dem Rücken der Iraker zu sozialisieren, also Halliburton, Bechtel, KBR und Freunde durch die (von ihnen) angekurbelte irakische Erdölförderung zu finanzieren.

Sozusagen Public Private Partnership und maximales Outsourcing. Das ließ sich auch sehr schön vor Ort beobachten; neben den Minigrüppchen der Coalition Forces, hier ein Paar Italiener, dort ein paar Polen, eine unübersehbare Vielzahl von zusammengeleastem Soldatenmaterial – nepalesische Gurkhas, Legionäre aller Arten und Sprachen. Da braucht man kein Militärspezialist zu sein, um sich vorzustellen, dass die Koordination funktioniert wie auf einer deutschen Großbaustelle. Aber vor allem überall Kleingruppen von Sicherheitsleuten, die den Einstieg der großen Firmen und ihrer Repräsentanten absichern sollten. Der Irak hätte ja ein Riesengeschäft werden können.

Nun bin ich mir bis heute nicht sicher, ob es ideologische Verblendung oder strategisches Versagen war, auf jeden Fall hatte die Besatzung nichts besseres zu tun, als – bei geringer eigener Truppenzahl – mal im Diercke-Atlas nachschauen wie groß der Irak ist – den irakischen Staat abzuwickeln, nach dem Motto, weg mit dem Sozialismus. Die irakische Armee und Polizei, sogar die Verkehrspolizei, sowie die Mitarbeiter aller Ministerien wurden entlassen. Ob es am Personalmangel oder an einer mir unbekannten Geheimstrategie lag, von allen Regierungsgebäuden in Bagdad wurde lediglich das Ölministerium militärisch gesichert.

Was dann kam, ist ein Phänomen, das unter Irakern scherzhaft als die ‚Mutter aller Schlachten’ bekannt ist, nämlich die umfassende Plünderung allen Staatseigentums unter der Schirmherrschaft der amerikanischen Armee; Ministerien, Schulen, Bibliotheken, Museen, die Nationalbank, Kunstdepots, Krankenhäuser, Archive, Straßenbeleuchtung, Forschungsinstitute, Fabriken, Elektrizitätswerke wurden bis auf die Kupferkabel in der Wand ausgeräumt.

So vergrätzt man eine gut ausgebildete laizistisch orientierte Mittelschicht, die auf den internationalen Anschluss hofft und so schafft man ein Machtvakuum für private Milizen, Mafia und Mullahs als Mikroschutzräume in einem untergehenden Staat. Gleichzeitig lädt man die Geheimdienste, Terrororganisationen und Schmuggler der Nachbarstaaten ein, über ungesicherte Grenzen einzusickern und ihre claims abzustecken.

Während Bremer verkündete, der erste Schritt einer Modernisierung des Iraks läge in einem feinen Privatisierungsgesetz, war die öffentliche Infrastruktur schon auf dem Schwarzmarkt verschwunden, Millionen arbeitsloser irakischer Polizisten und Soldaten waren auf der Suche nach Sinn und Sold und die Entführungsindustrie konzentrierte sich zunächst auf Kinder wohlhabender Iraker, Restaurant- und Supermarktbesitzer, bis sie gemerkt hat, dass Ausländer auch lukrativ sein können.

Die zentrale Misskonzeption der Rechten liegt darin zu glauben, man wäre im Irak einmarschiert, weil es sich dabei um einen islamistisch terroristisch desintrierten Staat gehandelt hätte; das Gegenteil ist der Fall; die Saddam Diktatur war als Diktatur old school, jeder Taxifahrer ein Geheimdienstler, aber der Staat hat als Staat funktioniert. Desintegration und Islamisierung sind erst durch den Staatsabriss des regime change aktiv produziert worden. Gut gemacht, Rumsfeld.

Das Problem dabei ist, dass das Experiment auf 20% der Weltölreserven stattfindet. Ein Dominoeffekt, aber nicht wie ihn sich die Neokons vorgestellt haben: Ölpreis steigt, Iran gestärkt, Kriegskosten astronomisch, die Religiösen übernehmen auf lokaler Ebene die Macht; ins Knie geschossen.

Merke: Das neoliberale Paradigma funktioniert nur auf einer Wirtspflanze, welche die Reproduktionsbedingungen der ‚in Wert zu setzenden Einheit’ sichert. Neoliberalismus ist nicht produktiv sondern parasitär. Und er ist größenwahnsinnig in dem Maße, in dem er Komplexität reduziert.

Es ist aber auch eine linke Fehleinschätzung zu glauben, dass alles gut wird, sobald die Besatzer abziehen. Das hätte vielleicht noch 2003 funktionieren können, liegt aber inzwischen völlig neben der Realität. Ethnische Säuberungen sind längst tagtägliche Routine, der Südirak ist weitgehend unter iranischem Einfluss, die neue irakische Polizei und das irakische Militär sind fest in der Hand von ethnisch/ religiös/kriminellen Milizen. Die Amerikaner sind ‚auf der Strasse’ nur noch eine Partei von vielen. Das irakische Verteidigungsministerium (!!!) warnt im irakischen Fernsehen davor, den Befehlen von irakischer Polizei und Armee Folge zu leisten, wenn sie nicht in Begleitung von ‚coalition forces working in the area’ sind.

Ein Abzug bedeutet also unter Garantie noch weitreichendere Massaker, Machtkämpfe mit ungewissem Ausgang, möglicherweise eine instabile Diktatur, die noch unschöner ist als die Alte, oder, wie die alte Krücke Scholl Latour vorausgesagt hat, einen überdimensional weltpolitisch und wirtschaftspolitisch aufgepumpten Konflikt, der ungelöst vor sich hin brodelt und metasthasiert.

So oder so werden noch tausende Iraker sterben, noch mehr von denen, die das Geld und die Bildung haben, werden sich absetzen und der Rest wird wie seit Anfang der 80er Jahre den Kopf unten halten und versuchen zu überleben.

Wofür oder wogegen jetzt demonstrieren? Ich bin da ehrlich gesagt ratlos.

... link  

 
Danke für diesen hervorragenden Beitrag. Er illustriert alle Irrtümer der Neocons eindringlich.

... link  


... comment