Montag, 20. August 2007
Nomen est Omen? Zu mittelalterlichen Herrschernamen
Es ist keineswegs so, dass die Beinamen mittelalterlicher, antiker oder frühneuzeitlicher Herrscherpersönlichkeiten immer das aus heutiger Sicht Offenkundige widerspiegeln. Zwar war Karl der Kahle tatsächlich kahl, doch war weder sein Vorgänger Ludwig der Fromme fromm noch sein Nachfolger Karl der Einfältige dumm. Ludwig der Fromme war vielmehr ein gewiefter und machtbewusster Herrscher, und Karl der Einfältige ein strategischer Planer. Ludwig hieß der Fromme, weil er sich ausschließlich mit Priestern und Mönchen als Beratern umgab und die karolingische Familie systematisch von Entscheidungsprozessen ausschloss, was zu einem Bruderkrieg im Wortsinne führte. Karl der Einfältige war hingegen tatsächlich fromm, zugleich aber geradlinig, ehrlich und straight, und diese Mischung hieß damals "Einfalt". Ludwig der Gebartete war, nun ja, bärtig, Waldemar Atterdag auf das Geschehen der zukünftigen Tage ausgerichtet, Johanna die Wahnsinnige nicht ganz bei Trost, und dass die besondere Kategorie der Menschenschlächter wie Bloody Mary und Iwan der Schreckliche ihre Namen nicht aus Jux und Dollerei bekommen hatte versteht sich wohl von selbst. Hier gab es allerdings zwei Prachtexemplare, deren Namen noch etwas krasser ausfielen, die man heute aber nicht mehr kennt: Der Wikingerkönig Erik Blutaxt und der Tatarenherrscher Kara Norgai Khan, genannt "Der Schwarze Höllenhund".

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Ludwig der Fromme
Ich war bisher davon ausgegangen, dass Ludwig der Fromme erst von der "Nachwelt" bzw. den Chroniken schreibenden Mönchen seinen Beinamen verliehen bekam - weil ohne seinen Vater Karl "den Großen" und ihn die römisch-katholische Kirche nie die (weltliche) Machtstellung erreicht hätte, die sie später innehatte. Außerdem hat Ludwig tatsächlich einige (aus Sicht der das Überlieferungsmonopol innehabende Kirche) fromme Werke getan, z. B. ließ er die von seinen Vater gesammelten mündlichen Überlieferungen "heidnischen Aberglaubens" (sächsischer Sagen und Mythen) vernichten.

Den Wikingerfürsten (Jarle und Könige) waren in der Regel schon zu Lebzeiten unter ihren Beinamen bekannt. Aber auch hier gibt es Fehlinterpretationen: Harald Blauzahn hatte keinen blauen Zahn, sondern Blåtand (neudänisch wirklich "Blauzahn") stand für
"blaak Than" - dunkler Than - letzteres ein Häuptlingstitel. Ob sein Schwager und Rivale Eirik Blodøks seinen Titel wirklich schon zu Lebzeiten oder "nur" aufgrund der Legende, dass er 18 seiner 19 Brüder umbrachte (und ausgerechnet den machgierigen Haakon dabei verschonte), trug, lasse ich mal offen. Er wird wohl keine 18 Brüder zum Umbringen gehabt haben.

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Schwertzeit, Beilzeit, Schilde bersten, niemand will den andern schonen, Windzeit, Wolfzeit, bis die Welt vergeht
Er hatte 18 Brüder zum Umbringen: Harald, der Begründer des Königreichs Norwegen, hatte sich in eine Frau verliebt und um ihre Hand angehalten. Sie aber sagte, sie würde ihn dann ehelichen, wenn er ihr ganz Norwegen zu Füßen legte. Daraufhin schwor er, sich nie wieder Haare und Bart zu scheren, bis er nicht ganz Norwegen erobert hätte. Er zettelte nun ständig Fehden an und focht Duelle aus, und in jedem Fall siegte er und übernahm den Besitz des besiegten Gegners. Viele verspotteten "Harald Wuschelkopf" wegen seines Äußeren und wurden jeweils um Haupteslänge verkleinert. Schließlich hatte er ganz Norwegen erobert und heiratete die Angebetete, aber nur noch als eine Frau unter vielen, da er sich aus den Witwen der von ihm erschlagenen Gegner einen Harem zusammengeraubt hatte. Aus Harald Wuschelkopf wurde Harald Schönhaar, und die Rauschebärte und Haarmähnen wurden in Norwegen Pflicht.

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Seit wann nimmst Du Sagatexte wörtlich?
Aber es stimmt schon: Eirik Blodøks könnte tatsächlich einen ganzen Stall (Halb-)Brüder gehabt haben. Ich sehe die Sagatexte mit einer gewissen Skepsis, weil ich eine Vorstellung von den Umständen habe, unter denen sie gedichtet und vorgetragen wurden. Wichtig war, dass sie spannend, unterhaltsam - und für den Gastgeber erfreulich waren. (Skalden galten allerdings als "unverletzlich", folglich dürfte sie sich die eine oder andere unbequeme Ansicht schon mal geleistet haben. ) Deshalb misstraue den klösterlichen Propagandaschreibern, im Volksmund auch "Chronisten" genannt, auch mehr als den fabulierfreudigen Sagadichtern.

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Nix Sagatexte
sondern aufschlussreiches Buch mit dem Titel "War Karl der Kahle wirklich kahl?"

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