Sonntag, 11. November 2007
Zum "Massenmörder" Che Guevara und rechter Realitätsklitterei
reedit

In der konkret vom Oktober hatte sich Hermann L. Gremliza über den unsäglichen Miersch/Maxeiner-Artikel ausgelassen, der über die Bezeichnung Che Guevaras als Massenmörder die moralische Demontage der Linken zu betreiben versucht und dabei Folgendes festgestellt

http://shiftingreality.wordpress.com/2007/10/12/politischer-boulevard/

Die Zahl der auf Betreiben von Che Guevara Hingerichteten sei, wenn man sie mit 200 ansetzt, gemessen an der Tatsache, dass das Batista-Regime etwa 20 000 Menschen, überwiegend nach schweren Folterungen, ermordet hatte, und dass es in erster Linie die Angehörigen der an diesen Morden beteiligten Einheiten waren, die hingerichtet wurden eher als sehr verhältnismäßig anzusetzen, vor allem, wenn man bedenkt, was in jener Zeit prowestliche Regime so anrichteten.

“Hat man je in der WELT gelesen, die Bombardierung einer afghanischen Hochzeitsgesellschaft sei das Werk von Killern? Und kein ethisch einwandfreier Kollateralschaden?… Einige Zahlen der von solch westlich orientierten Regimes Ermordeten: Guatemala 140.000, Südafrika 120.000, Indonesien 900.000, Chile 3.000, Osttimor 200.000….Das Leben im Stadion ist bei sonnigem Wetter recht angenehm, sprach Bruno Heck 1973, als Pinochet das Estadio Nacional zum Konzentrationslager für 40.000 seiner Gegner gemacht hatte. Dort wurden Victor Jara, damit er nicht mehr Gitarre spielen könne, die Hände gebrochen, bevor er mit einem Maschinengewehr erschossen wurde. Bruno Heck war der erste Generalsekretär der CDU. Noch heute wird alljährlich unter Anteilnahme der Spitzen der Gesellschaft der Bruno-Heck-Wissenschaftspreis verliehen.”

Hierzu findet sich in der aktuellen konkret-Ausgabe ein interessanter Leserbrief. Ich zitiere wörtlich:

"Wo kommt die verdammte Zahl der beim Putsch in Chile von Militär und Polizei getöteten Menschen her? Der dpa-Korrespondent Heriberto Zecher (oder so ähnlich; er war in großer Zeit auch für den <<Völkischen Beobachter>> tätig) meldete Ende September 1973 unter Berufung auf Junta-General Mendoza über 3.500 Tote. Der schwedische Botschafter Harald Edelstam, selbst mißhandelt, als er den Abzug des kubanischen Botschaftspersonals in Santiago gegen den Beschuss der Soldateska ermöglichte, ging drei Wochen nach dem Putsch (unter Berufung auf unterschiedliche Quellen wie Ärzte, Gewerkschafter/innen, Mitarbeiter/innen von Leichenhäusern) von deutlich über 10. 000 Ermordeten aus. Kleinlich? Alles längst den Mapocho runter? Glaube ich nicht. Vor dem Hintergrund aktueller Anlässe und wahrscheinlich nicht zuletzt wegen des nachgewachsenen Personals, das Allende kaum von Alzheimer zu unterscheiden in der Lage ist, war die Nachrichtenkreativität hinsichtlich Chiles in letzter Zeit besonders penetrant und zynisch. Wenn man schon nicht in jedem Zusammenhang das Methodische daran deduzieren will oder kann, dann sollte man wenigstens von Zahlen die Finger lassen, die noch falscher sind als die eines dpa-Faschisten."

In der Tat: Konservative, rechte und besonders Bush-freundliche Kräfte rechnen die Zahl der Opfer des Pinochet-Regimes herunter, um durch Relativierung seiner Grausamkeit die Linke in Südamerika, insbesondere Castro-Cuba (das ohne Frage eine Diktatur ist) umso schrecklicher darstellen zu können. Hiermit übernehmen sie eine Diskursmatrix von ganz rechts: Denn Auschwitzleugnung und Noltes Beschreibung der Shoah als den Deutschen eigentlich wesensfremde "asiatische Tat", die nur aus Angst vor Stalin begangen werden konnte, sind ja nichts anderes als genau das. Aber wenn´s gegen die letzten Kommies geht, darf gerne auch mal faschistisch geschichtsklittert werden.

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Volxhochschule.
Was ist eigentlich "faschistisch" klittern im gegensatz zu z.B. "teutonisch", "US-amerikanisch" oder "zionistisch" klittern? Es müsste doch eigentlich à la italienne sein, oder ?

Also nachlässig, wurschtig, nepotistisch und korrupt, jedoch äusserlich elegant, und mit sehr gutem Essen, oder? Irgendwie klingt das ganz OK.

Warum denn eigentlich immer "faschistisch"? Das waren doch die syndikalistischen Spaghettifresser, die die soziale Konkurrenz durch den korporatistischen Staat, dem sich alles unterzuordnen hatte, lösen wollten?

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Faschismus ist ein Oberbegriff für rechtstotalitäre Staatsformen, unter den sowohl der Nationalsozialismus als auch der italienische Faschismus, die spanische Falange, das Codreanu-Regime in Rumänien und das Szalasy-Regime in Ungarn fallen. Typisch für heutige Faschisten ist die Tatsache, dass sie den Nationalsozialismus dadurch verharmlosen wollen, dass sie die Zahlen der in den KZs Ermordeten kleinrechnen, und genau diese Methode wenden auch rechte und "prowestliche" Autoren in ganz etablierten Medien an, indem sie die Zahl der Opfer des Pinochet-Regimes bagatellisieren.

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Volxhochschule, mit Nachsitzen.
Ach so. Ich dachte die inflationäre Verwendung des Begriffs "Faschismus" wurde seinerzeit von Herrn Stalin befördert, als man im Paradis der arbeitenden Klasse anwies nicht mehr vom "Nationalsozialismus", von wegen der semantischen Nähe zum 'nationalen Sozialismus' zu reden, sondern vom "Faschismus", wahlweise auch vom "Hitlerfaschismus".

Was alles wahrscheinlich daran lag das der 5-Jahresplan bei Pflaumenmus wieder mal ins Hintertreffen gekommen war.

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Die Verwendung des Begriffs Faschismus als Gattungsbegriff ist ein feststehender Terminus in der Geschichtswissenschaft, deren Beeinflussung durch Herrn Stalin etwa soviel Stellenwert hat wie die Bedeutung von Herrn Hitler für die theoretische Astrophysik. Auch die mongolische Schädelpyramide hatte keine nachhaltigen Auswirkungen auf die Architektur, obwohl sie da schon viel näher dran ist als die beiden anderen genannten Relationen.

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Ah, so.

Es handelt sich da also um Begriffe derselben Wissenschaft die nach dem sucht was Wissen schafft. Und in dieser unbestimmten "Wissenschaft" ist es ja selten so dass über aufgeladene Begriffe traute Einigkeit herrscht. Sagen wir mal das bei eingigen "Wissenschaftlern" und ihren Adepten der Gattungsbegriff fest gemauert in der Erden steht. Es muss jedoch sicher nicht für alle gelten.

Kann es sein das es sich bei der banalisierenden Nutzung des Begriffs "Faschismus" eher um eine Art von Verumgangssprachlichung, eine Art Chiffre für eine dunkle Gegengottheit handelt, die durch dauernde Besprechung gebannt werden soll, wie eine Warze?

Denn der nationale Sozialismus deutscher Prägung hatte ja, neben einigen bedauerlichen Verirrungen, eine Vielzahl traditionell "linker" Elemente aufgesogen, war also an sich zwar nicht kuchengut, hatte aber für "Linke" so einige Rosinen zu bieten.

Es stand ja unter anderem an den "bürgerlichen Klassenstaat zu zertrümmern", wie es ein im Zweitberuf dann doch noch ganz erfolgloser Postkartenmaler so sagte.

Humpty-Dumpty hatte recht. Faschisten sind stets die anderen.

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Das, mein Gutester, ist eine geballte Ladung Scheiße. Die Rosinen, die der Nationalsozialismus für Linke zu bieten hatte, das waren die Schlinge um den Hals von Erich Mühsam, der Moorsoldateneinsatz für Sozis, Kommies und Gewerkschafter, das Knochen gebrochen kriegen am 1. Mai, ja alles tolle Rosinen für Linke, abgesehen davon, dass der NS nunmal dem Erhalt des bürgerlichen Klassenstaates diente. Oder waren die Krupps, Mausers, Messerschmidts, Porsches etwa Sozialisten, die Unternehmer enteignet haben, um ihre Betriebe in Arbeiterhand zu geben?

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Volxabendschule.
Hey, das arme Grosskapital hatte doch, so wird behauptet, doch nur die Wahl sich entweder von den dräuenden Russen notschlachten zu lassen, oder sich den Nazis an den Hals zu werfen, in der Hoffnung auf einen ergebnisoffenen Dialog und nebenbei noch etwas Zaster zu machen, wie es das Grosskapital halt nicht lassen kann (sonst wäre es ja das Kleinkapital).

Im übrigen bezeichnen manche "Geschichtswissenschaftler" die frühen - also die noch machtlosen - Zeiten der Nazis und der deutschen Commies eher als Konkurrenzkampf untereinander denn als ideologische entgegengesetzten Kampf. Siehe die vielen gemeinsamen Überschneidungen, so ab/um '27. Keine Ruhmeszeit. Würde man diesen "Geschichtswissenschaftlern" Glauben schenken wollen, so wären die deutschen Commies halt nur zweiter Sieger geworden. Und für zweite Sieger im Kampf um die Macht gab es dann damals wohl keine Trostpreise, später.

Aber, wie gesagt, alles wohl nur eine geballte Ladung Scheisse.

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Naja das nicht, aber nicht historiographisch untermauert. Klar gab es die Annäherungsversuche zwischen NSDAP und KPD um 1927. Das sagt aber nichts über den Nationalsozialismus in seiner Regimephase aus, und auch nicht über die Linke außerhalb der KPD. Es handelte sich um kurzfristige Zweckbündnisse, die etwas mit Stalins aberwitziger "Die Sozialdemokratie ist der Hauptfeind"-These und damals noch aktuellen Auseinandersetzungen mit Parteigängern Trotzkis und Sinowjews zu tun hatten. Ich wüsste niemanden in der seriösen Geschichtswissenschaft, der aus dieser Tatsache eine Gleichsetzung von Sozialismus und Nationalsozialismus oder auch nur eine Ähnlichkeit von beiden vornehmen würde. Jedenfalls findet sich so etwas weder bei Kocka noch Haffner noch Kershaw, nicht bei Broszat, nicht bei Jäckel, nicht bei Schlangen, auch nicht bei Wehler, Mommsen, Winkler, Mason, Hobsbawm, schon gar nicht Roth, Heim und Aly. Es findet sich hingegen fortlaufend bei neokonservativen, neoliberalen und abnarchokapitalistischen Bloggern, und in meinem Wahrnehmungshorizont nur bei diesen.

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Naja, geht ja auch schwer. Der "Sozialismus" als solcher ist ja ein recht geisterhafter Zustand, von dem man sich ja nur einig ist, das er noch nie richtig umgesetzt wurde. Der Nationalsozialismus deutscher Prägung, mit all seinen kleinen Holprigkeiten, den gab es ja tatsächlich. Und nicht nur ideologisch-abstrakt, auch mit so einigen die gern und willig mitgetan haben, in allem.

Historisch sind die Annäherungen und Konkurrenzkämpfe, die Personalwechsel ab/um '27 zwischen den beiden Parteien schon belegt.

Ich denke nicht, das es derzeit igendwo in D idellen Bedarf und Fördergelder dafür gäbe in diese Richtung zu forschen. Die Archive in Moskau sind ja offen, Forscher anderer Nationen nutzen sie. In D braucht es jedoch noch die letzten, leuchtenden, Helden.

Der Bruder von Göring taugt ja nicht so gut.



Wie gesagt, alles zerfällt zu Scheisse, besonders die neoliberalen Blogger.

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@Ich denke nicht, das es derzeit igendwo in D idellen Bedarf und Fördergelder dafür gäbe in diese Richtung zu forschen. - Ich wüsste nicht, was das bringen sollte und ob da noch so viel zu erforschen ist. Die damalige NSDAP hatte einen "sozialistischen" Flügel, das waren Nationalsozialisten im Wortsinn. Die wollten durchaus Unternehmen enteignen und verstaatlichen, was sie von den Stalinisten unterschied, war im Wesentlichen die Tatsache, dass sie den "Sozialismus in einem Land" nicht als Weg zum Ziel des Weltkommunismus wollten, sondern bereits als Endziel anstrebten. Sie argumentierten nicht mit Marx, sondern einem ganz phänomenologisch-platten Sozialismusbegriff, einer Mischung aus syndikalistischen Vorstellungen und einem Antikapitalismus, der vor allem Hass auf bestimmte Kapitalisten und Unterscheidung zwischen "schaffendem" und "raffendem" Kapital beinhaltete. Aber: diese Nationalrevolutionäre oder Nationalbolschewisten, wie Niekisch und die Brüder Strasser, waren lange vor Hitlers Siegeszug aus der Partei ausgetreten oder rausgeschmissen, und Hitlers Aufstieg wurde erst möglich durch das Bündnis mit dem Großkapital. Der rechte Flügel der Nationalrevolutionäre, die sehr stark antisemitische Röhm-Fraktion, wurde schließlich, weil Hitlers Plänen bereits hinderlich, 1934 liquidiert. Aber das ist alles bestens dokumentiert, da gibt es m.E. wenig zu forschen.Viel interessanter erscheint mir da die Verortung des Nationalsozialismus in der Kontinuität sozialdarwinistischen Denkens und zum Beispiel die Verbindung der Rassenkonzepte mit der damaligen Biologie und deren Nachwirkungen in die heutige Bevölkerungswissenschaft hinein.

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Wenn man sich mal einen dieser Folterberichte durchgelesen hat, wirkt es ziemlich müssig wie viele jetzt genau ermordet oder gefoltert wurden. Ein einziger Fall wäre definitiv zu viel. In den nach der Diktatur entstandenen und als glaubwürdig geltenden Berichten der re-demokratisierten Republik wird von 4.000 Ermordeten gesprochen. 1990 sprach die Rettig Komission von 2.095 Toten und 1.102 verschwundenen Festgenommenen (detenidos desaparecidos). Wenn ich mich recht erinnere gabs 2002 einen weiteren Bericht, der auf 4.000 Tote kam. Die unmittelbar nach dem Putsch genannten Zahlen werden auch von Pin8-kritischen Leuten allgemein als zu hoch bezeichnet. Sicher nicht pin8-freundliche Historiker sprechen von äußerst geringen Widerstand (http://tinyurl.com/ynrrjo). Deshalb war dieser Wahnsinn schon allein militärisch fragwürdig, zumal Chile damals stolz auf eine lange Tradition gewaltloser Politik war. Die kubanische Revolution hat Leute vor dem Tod auch nicht auf so eine bestialische Weise gequält.

Die Darstellung von Ché Guevara als Massenmörder kann ich auch nicht ganz nachvollziehen. Für mich wurde er zu einer Art Warlord, der durch imho zweifelhafte Ideale extrem motiviert war. "Massenmörder" verengt seine wirklich komplexe Persönlichkeit auf nicht akzeptable Weise.

Nolte-ähnliche Ideen hab ich bezogen auf Chile nicht gehört. Erklärte Pin8-Sympathisanten sind da viel einfacher gestrickt. Die sprechen von "comunistas degenerados", die "den Tod verdient haben", weil das 1818 oder so in "heroischen Kämpfen" "befreite" Vaterland dabei war in "kommunistische" Hände zu fallen und dann vor allem die kubanischen Berater... . Zum Glück sind die aber in Chile wie auch in Argentinien oder Brasilien in einer deutlichen Minderheiten-Position.
Das "nunca más" (nie wieder) ist schon ziemlich nachhaltig und ich seh das als eine klare Kulturleistung. Selbst als in Argentinien 2001 die inzwischen überwundende Krise losbrach, gabs zu keiner Zeit die Gefahr der Rückkehr der Militärs zur Macht.

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Nolte-ähnliche Ideen, Che als Massenmörder, das gibt es auch nicht in Südamerika, sondern bezieht sich auf einen Diskurs sowohl unter rechten, antideutschen als auch radikal wirtschaftsliberalen Gruppen oder Einzelpersonen in Deutschland, der sich fast nur im Internet abspielt.

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Das ist dann Eurozentrismus. Die Übertragung von europäischen Konzeptionen auf eine davon verschiedene südamerikanische Geschichte. Unsinn eben.

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Unsinn zur gezielten Delegitimierung linker Bewegungen.

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Ach was, Che2001. Es ist nun einmal so, dass Geschichte im Fluss ist und heute ist Che nun einmal wahlweise ein "stalinhafter Warlord" oder "der größte Massenmörder aller Zeiten"...

Ich persönlich glaube, dass er zeitweise gewalttätig war, und darüber hinaus extrem dümmliche Ansichten zur Ökonomie vertreten hat. Seine zeitweise Gewalttätigkeit wird aber durch die erfolgreiche Befreiung des kubanischen Volkes mehr als aufgewogen. Auch hat das kubanische System große Mängel, aber nichts von diesen Mängeln ist nur annäherungsweise vergleichbar mit den brutalen Terror der prokapitalistischen Diktatoren, die früher geherrscht haben. Ich persönlich sähe es lieber, wenn Lebemann Kuba an Stelle der Castros regieren würde. Vorausgesetzt, Lebemann wäre dem kubanischen Volkswillen unterworfen.

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@dr dean: Ist das Ihr Ernst? Schon mal die kubanische Freiheit life und leibhaftig erlebt? Welcher Unterschied besteht denn bitte darin, ob nun derjenige, der Menschenrechtsverletzungen aka Terror (gemeinhin "Mängel" genannt) begeht, Castro oder Batista heißt?

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