Donnerstag, 8. Oktober 2009
Was fällt einem ein zu Honduras?
Ich muss ja gestehen, dass dieser Putsch in Honduras und Zelayas Versuche, zurück ins Land und wieder an die Macht zu kommen bei mir nicht so richtig auf dem Schirm waren - zumindest nicht in dem Sinne, dass ich beurteilen konnte, was da wirklich gespielt wurde. Für jemanden, der als Geschichts- und Sozialforscher sich selber weltanschaulich ins Lager des neuen Antiimperialismus rechnet ist das kein Ruhmesblatt. Mittlerweile scheint die Lage sich ja bereits wieder zu stabilisieren, und es ist mit einer Rückkehr zu verfassungsmäßigen Verhältnissen und wahrscheinlich Neuwahlen zu rechnen. Sicher ist auch, dass jeder Vergleich mit Chile 1973 oder den Militärputschen in Argentinien und Uruguay hysterisch wäre. Es ging hier um die gewaltsame Entfernung eines die Privilegien einer Oligarchie ankratzenden Präsidenten aus seinem Amt und die Niederhaltung von Protesten und Widerstand durch Ausgangssperren, aber nicht um die Errichtung einer Militärdiktatur. Während sich die politische Öffentlichkeit weltweit in der Angelegenheit weitgehend mit Stellungsnahmen zurückhielt oder den Putsch kritisierte, fällt die ziemlich singuläre Verteidigung der Friedrich-Naumann-Stiftung für den Coup d État ins Auge. Darüber las ich kürzlich einen ganz interessanten Blogeintrag:

http://www.freitag.de/community/blogs/leif-eriksson/deutsche-liberale-und-der-putsch-in-honduras

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Seh Honduras erstmal als ein armes agraisches Land mit einer senioralen Gesellschaftsstruktur und zu viel Bevölkerungswachstum in den letzten vielleicht 40 Jahren. Vermutlich sind campesinos Familien froh, wenn es eine Tochter über den Rio Grande schafft, um dort als Zimmermädchen ein paar Dollars per Westernunion nach Hause zu überweisen.

Halte sowohl den Mariachi Zelaya als auch den Gorrileti für Leute, die kein Land regieren sollten. Was ich so von Christian Lüth von der Friedrich Naumann Stiftung mitbekommen hab, überzeugt mich auch nicht. Man darf keiner lateinamerikanischen Armee den Befehl geben, einen gewählten Präsidenten zu verhaften, um ihn ausser Landes zu bringen.

Nur ist der Mariachi Zelaya vor seinem Rauswurf einen höchst konfrontativen Kurs gegen die überwältigende Mehrheit des ebenfalls gewählten Kongresses gefahren. Er strebte eine Streichung des Wiederwahlverbots der Verfassung per Volksentscheid an. Das roch schon ein bischen nach auto-golpe und Daniel Ortega läßt im Nachbarland Wahlen fälschen. Seit seiner Wahl zog der Mariachi Zelaya eine schuldenfinanzierte Ausgabenpolitik durch. Darunter litt die Bonität und irgendwann blieben als Finanziers nur noch der IWF und Hugo Chávez übrig. Er entschied sich mit dem Kongress (inklusive dem Gorrileti) für Hugo Chávez. Nun gibt der aber Geld direkt an die Exekutive ohne viel Bedingungen zu stellen (und ohne das Geld zu besitzen, aber das ist eine andere Geschichte). Dadurch stärkte sich die Macht des im Präsidialsystem ohnehin schon starken Präsidenten.

Gorrileti und andere Oligarchen befürchteten wohl ähnlich wie in Ecuador, Venezuela, Bolivien oder Nicaragua an die Wand gedrängt und irgendwann durch Boliburgueses ersetzt zu werden. Einen Plan wie sie das Land aus der biblischen Armut und sehr ungerechten Verteilung führen haben die allerdings auch nicht.

Lange Rede kurzer Sinn: Man sollte sich besser mal anschauen, was Herr Lüth nun eigentlich gesagt hat, bevor gewisse Leute wild mit den Armen rudernd von Putschen und Stadien reden. Diese Zeit ist definitiv vorbei. Selbst die Agitprop-Seite amerika21 zählt bislang 17 Tote. Das ist bedauerlich. Allerdings waren die Zelaya Anhänger nicht unbedingt gewaltlos (Verprügeln von 70-jährigen Politikern, Anzünden von Häusern). In Caracas sterben zur Zeit jedes Wochenende 30 bis 50 Menschen an Schußwaffen.

Positiv gilt es zu vermerken, dass kein Land des gesamten Kontinents die Gorrileti Regierung jemals anerkannt hat, obwohl jeder hoffte, dass der Mariachi Zelaya endlich diesen bescheuerten Hut absetzt. Die Obama Regierung übt wirklich Druck auf den Gorrileti aus.
Die wilden Emotionen draussen erschweren eher eine dringend notwendige Einigung, die allerdings den sich als links bezeichnenden Kräften eine faire Chance bei den Wahlen geben sollte. Mit Lüth hat man nun ein Symbol für das Böse gefunden. Die Tragik liegt aber in einer leider sehr robusten senioralen Sozialstruktur, die sich schon in der Konquista bildete und sich nicht durch tollkühne Männern in fliegenden Kisten lösen läßt sondern durch einen komplexen, langjährigen Prozess. Länder wie Chile, Brasilien, Uruguay und Argentinien liefern hier ermutigendere Ansätze.

Und conchale*: WAS soll bitte das Ausrufezeichen hinter Chile in dem Artikel...
Das Dorfschullehrerinnen-Auftreten von Bachelet ist reine Tarnung. Die Frau ist eine starke Politikerin und Chile eine gefestigte Demokratie mit einer tragischen aber wirklich vergangenen Epoche als Militärdiktatur.

Kritik an Zelaya findest du auch im Guardian. So singulär ist dann Lüth auch nicht.
http://www.guardian.co.uk/commentisfree/cifamerica/2009/sep/23/manuel-zelaya-honduras-embassy-protests

* aktuelle Schreibweise von conchadetumadre

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Danke für diesen Blickwinkel, den Guardian ziehe ich mir dann mal rein.

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zelaya wollte eine volksbefragung, um eine verfassungsgebende versammlung einzuberufen. wohl durchaus mit dem ziel, die möglichkeit seiner wiederwahl zu erreichen. das mag ein verstoß gegen die verfassung gewesen sein. dafür hätte man ihn festnehmen, anklagen, seine Schuld beweisen und verurteilen müssen. in einem rechtsstaatlichen verfahren. das gab es nicht. also war es ein putsch.

stattdessen redet lüth von einem "amtsenthebungsverfahren". das ist wohl eher unter der kategorie "dreist" zu verbuchen.

im übrigen heißt der putschistenführer micheletti, so weit ich weiß.

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der Mariachi Zelaya heisst auch Mel Zelaya. Fuer mich bleiben sie der Mariachi Zelaya und der Gorrileti. Verfolge das seit Wochen in verschiedenen lateinamerikanischen Medien, youtube filmchen, etc. und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass das hondurensische Volk diese Typen als Politiker nicht verdient. Ich halte das auch nicht fuer rassistisch.

Mir ist Lueth auch zu sehr in die eine Richtung.
Nur wuerd ich das nicht als "singulaere Position" sehen. Hab gestern einen guten Artikel in einer brasilianischen Zeitung gefunden, den ich hier nicht wiederfinden kann. Die honduranische Verfassung sprach sich in Artikel 239 sehr, sehr deutlich gegen jegliche Wiederwahlbestrebungen aus. Und ein anderer Paragraph sagt, dass das Verfassungsgericht der allein massgliche Ausleger der Verfassung ist. Honduras hatte in seiner Geschichte ueber 15 Verfassungen. Die von 1982 hatte einigermassen Bestand. Warum strengt der Mariachi 100 Tage vor einer Praesidentschaftswahl eine Verfassungsaenderung an, wenn er 4 oder 5 Jahre Praesident war? Damit spannt man die ohnehin nicht sonderlich entwickelte Verfassungstreue und Rechtsstaatlichkeit in dieser Gesellschaft zum zereissen an. Die muessen aber auf den bestehenden Banden der Gesellschaft aufbauen.
Natuerlich sprechen wir ueber eine nachhaltig ungerechte Gesellschaft. Nur funktioniert dieser Konfrontationskurs in Lateinamerika nicht. Ohne venezoelanisches Oelblasengeld haette Zelaya auch nicht so agiert. Fortschritte gibts in Laendern, in denen ausgleichende Politiker an der Macht sind (Brasilien, Chile, Uruguay). Oder in denen es friedliche Uebergaenge zwischen gemaessigt radikalen Politikern unterschiedlicher Richtungen des "Peronismus" (was immer das ist) gibt (Argentinien).

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"Die muessen aber auf den bestehenden Banden der Gesellschaft aufbauen."

Auf welchen Banden? Der Micheletti-Bande? Oder Faucussé-Bande?

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Honduras -Putschhintergrund
Als Antwort auf saltoftheearth:
http://kritische-massen.over-blog.de/article 33433928.html
http://kritis´che-massen.over-blog.de/article
332440464.html
http://kritische-massen.over-blog.de/article33272178.html

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Hab mal auf der Suchseite des Blogs den Begriff Honduras eingegeben. Mit deinen Links ist das ein wenig schwierig.
Jedenfalls handelt es sich bei diesen Texten um eine extrem einseitige Sicht der Dinge.
Eva Gollinger, aporrea oder amerika21.de sind jedenfalls keine unabhängigen Quellen. Es gibt eine Menge Material, um die man das ergänzen sollte, möchte man sich ein einigermassen realistisches Bild der Lage zu verschaffen. So viel Respekt sollte man den Meeren des Südens schon zollen.
Die Ausgangssperre halte ich für eine gute Sache, da so Tote verhindert wurden.
In der heißen Phase der tollkühnen Rückkehr des Mariachi Zelaya in einer fliegenden Kiste berichtete aporrea.org von einem Baseball-Stadium, in das angeblich Oppositionelle verbracht wurden. In klarer Referenz an Santiago 73. Es war eine Ente. Und es ist so bezeichnend. Die bedingungslose Sympathie für eine Seite verhindert eine halbwegs faire Aufnahme der Ereignisse. Gerade wenns sich um Lateinamerika handelt, sollte man die Emos ein wenig zurückhalten.

Gegenmeinungen zu Honduras werden etwa hier geäußert:
http://lagringasblogicito.blogspot.com/
Auch diese Leute haben das Recht gehört zu werden und nicht von einem romantisch-teutonischen Mob, der in seiner überwiegenden Mehrzahl nie in seinem Leben ein colectivo bestiegen hat, als DIE BÖSEN gebrandmarkt zu werden.

Oder geb dir mal die Mühe sowas zu lesen:
http://tinyurl.com/yzugy42

Oder das hier: (Zettel würde es lieben, glaub ich):
http://www.twq.com/09october/index.cfm?id=364

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