Freitag, 26. Juni 2020
Diesmal nicht
Bislang habe ich, wenn meine Zeit es zuließ, bei so ziemlich jeder Antirassismuskampagne mitgemacht.

Bei Tear this down mache ich nicht mit. Die Bismarckstraße darf ebenso weiterhin so heißen dürfen wie die Mohrengasse. Dass man die Namen Peters und Lüderitz entfernt finde ich in Ordnung, die Salzgitter Flachstahl AG heißt schließlich auch nicht mehr Hermann-Göring-Werke, aber jenseits der Benamung von Straßen und Plätzen nach kolonialistischen Haupttätern sollte Schluss sein. Alles andere wäre geschichtsfern.

Btw Ich verstehe auch nicht, warum auf dem Trafalgar Square die Statue von Horatio Nelson attackiert wurde. Was hat der mit Rassismus und Kolonialgräueln zu tun?


Dieser Logik nach müsste man übrigens die Werke von Plato, Aristoteles, Horaz, Vergil und Eratosthenes ächten, weil sie Sklavenhalter waren.

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Vor allem waren sie weiß....

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.....und alte Männer.

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Wo liegt der Unterschied zwischen Bismarck und Lüderitz?

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Bismarck wollte der kolonialen Expansion des Deutschen Reichs entgegensteuern, was einer der Gründe für seine Entlassung war. Lüderitz und Peters waren die wichtigsten treibenden Gestalten des deutschen Kolonialismus in Afrika, Peters ein ruchloser Massenmörder ("Hänge-Peters"), der wegen seiner Grausamkeit des Amtes enthoben wurde. Unter anderem ließ er eine seiner afrikanischen Gespielinnen aufhängen, als er feststellte, dass sie noch ein Verhältnis, mit einem Stammesangehörigen, hatte, den er ebenfalls aufhängen ließ. Anschließend ließ er beider Heimatdörfer niederbrennen und löste damit den ersten Chagga-Aufstand aus. Wenn nach dem noch Straßen und Plätze benannt sind könnte es ebensogut Rudolf-Hess-Plätze geben.

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Als Antirassist und Historiker weißt du sicherlich sehr gut, wo die Unterschiede zwischen antiker und neuzeitlicher Sklaverei liegen.

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Sehr schön, mal wieder Dich zu treffen. Natürlich weiss ich um diese Unterschiede, sehr gut sogar. Gab übrigens gestern auf ARTE einen ganz tollen Film, der zeigt, wie Sklaverei-ähnlich zum Teil die Arbeitsbedingungen in ganz normalen kapitalistischen Fabriken lange Zeit waren.

Was ich allerdings nicht weiß ist, worauf Du mit Deiner Anmerkung hinaus willst. Kannst Du das näher erläutern?

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Ja, hallo. :-)
Ich habe nur auf den Schluss deines Posts gezielt, aber ich denke das war ja ohnehin eher Polemik. ;-)
Weil du ja antike Philosophen angeführt hattest. Die antike Sklaverei hatte ja keine rassistische Komponente bzw. war der Chauvinismus gegenüber Barbaren ja anders gelagert. Wenn ich mich richtig erinnere bedeutet Barbar übersetzt Stotterer, also "nicht oder schlecht griechisch Sprechende". Das impliziert ja eine kulturelle Lesart, eine nicht essentialistische quasi, so nach dem Motto, wenn jemand erstmal die Sprache lernt und zivilisiert ist/wird, ist es auch kein Barbar mehr.
Und nicht alle Barbaren waren Sklaven und umgekehrt waren nicht alle Sklaven Barbaren. Bei einer "Privatinsolvenz" wurde ein Grieche oder auch Römer doch quasi selbst zur Ware und versklavt, oder?

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Ach so und mit neuzeitlicher Sklaverei meine ich jetzt vor allem die amerikanische und generell den kolonialen Kontext. Auf antike Sklaverei bezieht sich der aktuelle Ikonoklasmus ja nicht, oder hab ich da was verpasst?

Sklavereiähnliche Ausbeutungsverhältnisse im Frühkapitalismus sind dann nochmal ein anderes Thema. Und auch das ist ja nicht verschwunden. Viel anders ist das was in der Fleischindustrie abgeht ja wahrscheinlich nicht.

Vielleicht könnte man alle diese unterschiedlichen Phänomene unter dem Begriff der Ungleichzeitigkeit zusammenfassen...

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Ungleichzeitigkeit in der Gleichzeitigkeit, Dritte Welt in der Ersten, das trifft es beides. Ich habe bloß den Eindruck, dass die aktuellen Ikonoklasten zum Teil wenig historisches Bewusstsein bzw. Bildung haben und sehr wenig trennscharf sind. Da geht es ja sogar schon gegen Kant.


BTW bei der neuzeitlichen Sklaverei, speziell im Zusammenhang mit Kolonialismus, spielt vor allem auch eine Rolle, dass dies ein Zurückschlagen in historisch überwundene Gesellschaftsformen ist: Eine Industriegesellschaft führt die antike Sklavenwirtschaft wieder ein, um Lohnkosten zu sparen. Die extremste Zuspitzung ist das KZ.

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https://jungle.world/artikel/2020/27/no-more-heroes

Den Artikel fand ich ganz nett, zum Thema der Ausgewogenheit beim Ikonoklasmus.

Ja, genau und dieses Zurückschlagen wurde dann ja ideologisch gerechtfertigt über rassistische Konstrukte.

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Sehr guter und ausgewogener Artikel, in der Tat.

Ein Freund meinte kürzlich, wenn diese Sprach-Umerziehung weiter getrieben wird darf es den Führerschein bald gar nicht mehr geben.

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Was den Rassismus betrifft, so sollte man in der Analyse sehr genau hinschauen, ab wann sich rassistische Narrative etabliert haben. Ähnlich wie mit dem Antisemitismus, der zunächst einmal ein Antijudaismus gewesen ist und kein Judenhaß aus rassistischen Gründen, und man sollte schauen, wo und wann also sich der Haß auf eine Religion dann ins Rassendenken transformierte, diesen Wandel kann man mit dem 19. Jahrhundert verbinden. Einen anderen Menschen als nicht gleichwertig oder gar bloße Arbeitskraft anzusehen, wie das eben auch bei den Negersklaven geschah, heißt zunächst mal, daß in Hierarchien und in Profitstreben gedacht wird, nicht anders als in der Antike, und daß bei der modernen Sklaverei seit dem 15. Jhd und der Entdeckung und Eroberung Amerikas sowie der damit einhergehenden beginnenden Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftens, der Körper des Menschen als Maschine und als reines Werkzeug für den Profit des Unternehmers gesehen wurde. Einen schönen Beitrag fand ich dazu gestern auf Facebook:

"In der Praxis betrieb man nüchterne Kosten-Nutzen-Analysen. So wurden in Batavia Sklaven für 300 Gulden gehandelt (abhängig von ihrem Wissen um Anbautechniken und Verarbeitungsprozesse - wir würden heute sagen: technologisches Know-how). Ein weißer europäischer (nicht selten deutscher) Söldner wurde für nur 10 Gulden pro Jahr geworben. Diese Männer waren leichter ersetzbar. Für Barbados um 1650 schreibt Richard Ligon in seinem Buch „A True and Exact History of the Island of Barbados“, um ein 500-Acre-Anwesen auf Barbados zu kaufen, müsse man 14.000 Pfund Sterling investieren. 30 weiße Schuldknechte und einhundert afrikanische Sklaven brauche man, um das Land zu bewirtschaften und damit - bei einer durchschnittlich guten Ernte und einem Zuckerpreis von 3 Pence pro Pfund - einen jährlichen Erlös von 8.489 Pfund Sterling zu erzielen. Nach Abwägen aller Faktoren empfiehlt Ligon jedoch, so weit wie möglich den Einsatz von weißen Schuldknechten, da sie im Vergleich zu afrikanischen Sklaven wesentlich billiger zu haben seien: Man bezahle ja nur ihre Überfahrt, wofür nicht mehr als 6 Pfund Sterling zu veranschlagen seien. Ein Afrikaner dagegen kostete (um 1650) bis zu 25 Pfund Sterling, konnte dafür sein ganzes Leben lang ausgebeutet werden. Dieses allerdings währte nach Ankunft auf der Insel oft nicht länger als die vertraglich vereinbarte Dienstzeit eines Schuldknechts. Krankheiten, so Ligon, seien das größte Risiko für das Geschäft auf der Insel. Es ist m.E. schwer zu sagen, wer unter diesen Bedingungen mehr gelitten, mehr ausgebeutet wurde: Afrikaner oder Iren und Schotten. Zumindest ist bei Ligon klar, dass die Hautfarbe der unfreien Arbeiter nur zweitrangig ist. An erster Stelle kommt der Profit. Diesen Inhalt verbergen oder melden."

In solchen Verhältnissen ist es also nicht primär die Hautfarbe. Es trat dann aber in bezug auf die Schwarzen im 19. Jhd noch etwas anderes mit hinzu.

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Einmal abgesehen von der Frage, welche Legitimität diese Ikonoklasten eigentlich besitzen zu entscheiden, welche Denkmäler gestürzt werden - was bereits für sich eine ungeheure und undemokratische Anmaßungdarstellt: zu diesen neuen, selbstgerechten und einfältigen Bilderstürmern sei der Artikel bzw. die Analyse von Leander F. Badura empfohlen, daraus besonders diese Sätze, die gut zeigen, daß es bei diesen Denkmalstürzen sich um unreflektierte und symbolische Aktionen handelt.

"Dass es vollkommen wohlfeil ist, eine schwarze Kachel auf Instagram zu posten, wenn dies alle tun und es lediglich der eigenen Selbstvergewisserung dient, ist die eine Sache. Dass der Gedanke »Wenn du nicht für uns bist, bist du gegen uns« außerdem schon ein Schritt Richtung Autoritarismus ist und das Zögern, Nachdenken und Zweifeln zu suspendieren sucht, ist der viel bedenklichere Punkt. Doch wo das Privileg, das letztlich in der falsch eingerichteten Gesellschaft einigen eben erst die Möglichkeit zu Distanz und Reflexion gibt, per se unter Generalverdacht gerät, gerät auch der Privilegierte unter Generalverdacht, wenn er sich nicht dem Katechismus der Uniformität unterordnen will.

Zur moralischen Selbstüberhöhung gesellt sich die Selbstkasteiung. Auch diese ist eng mit dem Privilegienbegriff verbunden. Privilegien, die zu bekennen sind, werden zu einer Art Sündensurrogat. Dass Kritik einer Reflexion auf die eigene gesellschaftliche Position bedarf, steht außer Frage. Doch der »antiprivilegatorischen Aktion« geht es nicht um Reflexion, sondern um Schuldbewusstsein. Jeder und jede Weiße müsse sich permanent seiner Schuldhaftigkeit inne sein und diese bekennen. Dass aus den USA Bilder auftauchten, auf denen Weiße zu sehen waren, die schwere Ketten um den Hals und Schilder mit der Aufschrift »I’m sorry« trugen, ist nur ein besonders krasser Ausdruck zeitgenössischen Flagellantentums.

Zur erleuchteten Bewegung gehören die Bilderstürmer. Nun hat das spontane Stürzen von Statuen, die Personen darstellen, die in direktem Zusammenhang mit Sklavenhandel stehen, durchaus seine Berechtigung. Sie zu zerschlagen, ist ein Akt der Selbstbefreiung, nicht umsonst zieren zahllose französische Kirchen kopflose Heiligenstatuen. Doch da die personalen Herrschaftsverhältnisse in den Städten, in denen die Statuen fallen, nicht mehr existieren, nimmt der symbolische Charakter der Aktionen überhand. Es geht um einen Ikonoklasmus, der nicht zu Unrecht seine Antwort von staat­licher Seite fand. Über solch symbolische Akte macht sich die Bewegung zugleich integrierbar. Zu schlechter Letzt gibt es für die erweckten Weißen sogar ein Paradies, aus dem sie sich selbst vertreiben wollen. Der von der Autorin Tupoka Ogette geprägte Begriff »Happyland« bezeichnet diesen Garten Eden, in dem angeblich alle Weißen leben, bevor sie sich des gesellschaftlichen Rassismus bewusst werden. Wie überheblich man sein muss, pauschal allen weißen Menschen zu unterstellen, sie würden in einem Land des Glücks leben, während sich die schlimmste Wirtschaftskrise ­aller Zeiten anbahnt, kann nur übersehen, wer sich unbedingt selbst auf der moralisch sicheren Seite wissen will."

Ein im ganzen sehr lesenswerter Artikel zu diesem Thema, wenngleich ich die Überlegungen zum Statuensturz nicht teile. Denn dazu bedarf es zunächst mal einer Legitimierung. Und diese haben diese Ikonoklasten nun einmal nicht.

https://jungle.world/artikel/2020/27/der-katechismus-der-antirassisten

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Recht passend fand ich auch diesen Kommentar zum Thema.

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Hervorzuheben:

Anscheinend hängen immer noch viele Konzepten wie Critical Whiteness an, checken Privilegien und decken sogenannte Mikroaggressionen auf. Dabei findet eine Verlagerung des Politischen ins Private statt, die das Gesellschaftliche nahezu komplett ausblendet.

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@bersarin
Klar sind es erstmal ökonomische Parameter, die zur Sklaverei führen. Aber Rassismus entstand ja genau an der Stelle, wo es darum ging, zu begründen, dass man Afrikaner oder generell Nichtweisse dafür nehmen kann.
Und klar war die Behandlung der weißen Subalternen oft genug nicht besser. Aber hier muss man schon trennscharf bleiben. Es ist eben kein vergleichbarer Rassismus daraus entstanden. Ein irischstämmiger US-Präsident war vor einem schwarzen Präsidenten möglich und ein Nachkomme von Sklaven steht hier überhaupt noch aus.


Was den Antisemitismus angeht, so ist der ohnehin ein komplizierter Sonderfall des Rassismus, Nichtweißen würde m.W. nie die geheime Weltherrschaft angedichtet.

Allgemein gehe ich davon aus, dass es Rassismus auch schon vor dem 19. Jahrhundert gab.

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@"Aber hier muss man schon trennscharf bleiben. Es ist eben kein vergleichbarer Rassismus daraus entstanden." ----- Doch. Der Sozialdarwinismus begann damit, dass davon ausgegangen wurde, Adel und Bourgeoisie und Proletariat seien Abkömmlinge unterschiedlicher europäischer "Rassen" und die soziale Ungleichheit begründe sich mit angeborenen Intelligenz- und Mentalitätsunterschieden. Siehe z. B. die Schriften Otto Ammons, der nachweisen wollte, dass die Oberschichten auf germanische Langschädel und die Unterschichten auf keltische Rundschädel zurückzuführen seien. Die Schädelvermessungen, die solches beweisen sollten, gehörten zu den umfangreichsten naturwissenschaftlichen Untersuchungen des 19. Jahrhunderts überhaupt. Oder Heinrich Ernst Zieglers Werk "Die Naturwissenschaft und die sozialdemokratische Theorie", die mit Darwin zu beweisen versuchte, dass jeder Versuch, soziale Gleichheit herzustellen gegen die Gesetze der Biologie sei. Der völkische Antisemitismus leitet sich unmittelbar aus solchen biologischen Rassentheorien ab, die damals anerkannter Stand der Naturwissenschaft waren.

Vor der Anwendung der Biologie auf menschliche Populationen gab es keinen Rassismus, weil es keinen Rassenbegriff gab.


BTW die Unterscheidung zwischen Kulturmenschen und Barbaren ist hingegen kein Rassismus, sondern ein Kulturalismus, der auch Schwankungen unterlag. Für die Griechen waren alle außer ihnen selber und dem makedonischen Königshaus Barbaren, für die Römer waren sie selbst, die Griechen, die Makedonen und die hellenistischen oft aus Griechen, Makedonen und einheimischer Bevölkerung verschmolzenen Eliten der Diadochenreiche Kulturmenschen, alle anderen Barbaren, im Verlauf der römischen Kaiserzeit wurden auch die Parther und Perser nicht mehr als Barbaren angesehen.

Seit Caracalla 212 das Römische Bürgerrecht für alle Freien im Imperium eingeführt hatte unterschied man zwischen Bürgern, Freigelassenen und Sklaven einerseits und Barbaren als Menschen von außerhalb des Imperiums andererseits.

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Genau um diese Trennschärfe geht es mir, futuretwin, als ich schrieb "Was den Rassismus betrifft, so sollte man in der Analyse sehr genau hinschauen, ab wann sich rassistische Narrative etabliert haben." Der Antisemitismus und auch der Rassismus etablierten sich als es einen biologischen Rassebegriff gab. Man kann das insbesondere gut an der Transformation des Antijudaismus hin zum rassischen Antisemitismus sehen,gekoppelt zudem mit einem sich etablierenden Nationalismus.

"Nichtweißen würde m.W. nie die geheime Weltherrschaft angedichtet."

Teile der Juden sind Nichtweiße. Das Wort Nichtweiße ist ebenfalls nicht besonders zielführend. Manche Spanier und Portugiesen wären in diesem Falle zu einem Teil und aufgrund dunkler Hautfarbe Nichtweiße, die muslimischen Eroberer sind ebenfalls Nichtweiße. Dennoch waren sie aktiv am Sklavenhandel beteiligt und ebenso an einer expansionistischen Eroberungspolitik in Europa, im asiatischen und im afrikanischen Raum.

Sklaverei hatte zudem etwas mit der Religionszugehörigkeit zu tun. Christenmenschen versklavten einander nicht.

Daß Völker einander in Abwertung gegenüberstehen, ist ebenfalls etwas, das nichts spezifisch Rassistisches ist. Erst in der Verbindung von technischem Fortschritt in Europa, der Entwicklung des Rassebegriffs qua Biologie konnte sich das entwickeln, was wir im modernen Sinne als Rassismus ansehen. Die Kantische Unterscheidung etwa der Menschenrassen, aber auch die von Herder und ebenso Hegels Differenzierung von Kulturräumen, fußt auf einer taxinomischen Struktur, die Differenzen in Kulturen und qua geographischer Gegebenheiten auch in Mentalitäten ausmacht. Rasse meint hier begriffsgeschichtlich etwas ganz anderes als dann im 19. Jahrhundert. In diesem Sinne muß man auch beim Sklavenhandel differenzieren, ob hier unter dem Paradigma des Profits agiert wurde und ob die Abwertung aus der (zentralen) Differenz Christ/Nichtchrist erfolgte (oder eben Muslim/Nicht-Muslim). Es kommt beim Begriff des Rassismus also darauf an, in welcher Weise die vermeintliche Inferiorität einer bestimmten Kultur oder eines bestimmten Menschentypus begründet wurde.

Dehnte man den Begriff des Rassismus undifferenziert aus, dann findet sich bereits in der Antike, bei den Persern, bei den Arabern, bei den Osmanen oder bei den Chinesen Rassismus. Und in diesem Sinne ist ches Satz "Vor der Anwendung der Biologie auf menschliche Populationen gab es keinen Rassismus, weil es keinen Rassenbegriff gab" richtig.

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Es gibt zum Beispiel auch einen ausgeprägten chinesischen Nationalismus/Kulturalismus, ev. Rassismus, der das Reich der Mitte in das Zentrum des gesamten Weltgeschehens stellt und Menschen außerhalb der chinesischen, japanischen und koreanischen Kulturkreise als Barbaren, weiße Europäer und Nordamerikaner hingegen als fremde Teufel bezeichnet.

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@Mark: Auch das ist so gut, dass ich es herüberhole: "Ads by Teads
Irrige Strategien der politischen Korrektheit

Einem ähnlich irrigen Strickmuster folgen jedoch manche der Protestaktionen, zu denen es in Folge der Tötung des Schwarzen George Floyd durch Polizisten in den USA kam. Was ich damit meine, ist etwa das Umstürzen der Statuen von Sklavenhändlern aus der Kolonialzeit.

Wie bombastisch wird das von den Medien ins Bild gerückt - und wie wenig ändert es an den wirklichen gesellschaftlichen Verhältnissen. Hier lebt sich eine charakteristische Strategie der Systems der politischen Korrektheit aus: Man konzentriert sich auf symbolische Akte. Anstatt dass im Stürzen dieser jahrhundertealten Monumente eine Stärke zum Ausdruck käme, versinnbildlicht sich darin ganz im Gegenteil die völlige Ohnmacht derjenigen, die glauben, damit etwas Großartiges zu tun.

Wer nicht imstande ist, den modernen Sklaventreibern zu Leibe zu rücken, zum Beispiel dem Amazon-Chef Jeff Bezos, wer an der Macht der heutigen Eliten und Großkonzerne nicht rütteln kann, der tobt sich aus in solchen Ersatzhandlungen, der rückt Denkmälern von Personen zu Leibe, die gar nicht mehr existieren und schon lange nichts mehr zu sagen haben."

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@Bersarin: " Doch der »antiprivilegatorischen Aktion« geht es nicht um Reflexion, sondern um Schuldbewusstsein. Jeder und jede Weiße müsse sich permanent seiner Schuldhaftigkeit inne sein und diese bekennen. Dass aus den USA Bilder auftauchten, auf denen Weiße zu sehen waren, die schwere Ketten um den Hals und Schilder mit der Aufschrift »I’m sorry« trugen, ist nur ein besonders krasser Ausdruck zeitgenössischen Flagellantentums.

Zur erleuchteten Bewegung gehören die Bilderstürmer. Nun hat das spontane Stürzen von Statuen, die Personen darstellen, die in direktem Zusammenhang mit Sklavenhandel stehen, durchaus seine Berechtigung. Sie zu zerschlagen, ist ein Akt der Selbstbefreiung, nicht umsonst zieren zahllose französische Kirchen kopflose Heiligenstatuen. Doch da die personalen Herrschaftsverhältnisse in den Städten, in denen die Statuen fallen, nicht mehr existieren, nimmt der symbolische Charakter der Aktionen überhand. Es geht um einen Ikonoklasmus, der nicht zu Unrecht seine Antwort von staat­licher Seite fand. Über solch symbolische Akte macht sich die Bewegung zugleich integrierbar. Zu schlechter Letzt gibt es für die erweckten Weißen sogar ein Paradies, aus dem sie sich selbst vertreiben wollen. Der von der Autorin Tupoka Ogette geprägte Begriff »Happyland« bezeichnet diesen Garten Eden, in dem angeblich alle Weißen leben, bevor sie sich des gesellschaftlichen Rassismus bewusst werden. Wie überheblich man sein muss, pauschal allen weißen Menschen zu unterstellen, sie würden in einem Land des Glücks leben, während sich die schlimmste Wirtschaftskrise ­aller Zeiten anbahnt, kann nur übersehen, wer sich unbedingt selbst auf der moralisch sicheren Seite wissen will." ----

Es ist ebenso bemerkenswert wie erschreckend, dass Antirassismus in Deutschland sich inzwischen diesem fahrenden Zug aus den USA anschließt, der seine Wurzeln im religiösen Rigorismus der Puritaner, Quäker, Baptisten, Methodisten und diverser protestantischer Sekten hat, aus denen sich die Bürgerrechtsbewegung in den USA ursprpünglich speiste - im Gegensatz zu Black Power, wo abgesehen von der Nation of Islam ein marxistisch begründeter Antiimperialismus in Verbindung mit einem schwarzen Nationalismus im Mittelpunkt stand. Diese Strömung wurde von Polizei und Geheimdiensten mit Mord, Todschlag und Terror zerschlagen. Was übrig blieb war eine Strömung, die individualisierte Moral statt Klassenkampf in den Focus stellt.


Einer der wesentlichsten Konflikte mit Momorulez vor 10 Jahren auf diesem Blog war die Tatsache, dass er missionarisch gefordert hatte, dass ich samt Umfeld mich der Critical-Whiteness-Strömung anschließen sollte, weil diese US-Bewegung die deutsche Rassismusdebatte international überhaupt erst anschlussfähig machen würde. Das ist völliger Blödsinn: Es gibt in Deutschland seit Jahrzehnten eine eigene Rassismusdebatte, geführt von den Flüchtlingsselbstorganisationen, den Flüchtlingsräten und Antirassismusgruppen, der Bundeskonferenz der entwicklungspolitischen Aktionsgruppen (BUKO) und Zeitschriftenprojekten wie Grundrisse, Arranca!, ProKla, Wildcat und Materialien für einen Neuen Antiimperialismus, bei der sehr stark die Wechselwirkungen zwischen Rassismus und Kapitalismus reflektiert werden und insgesamt die Systemfrage immer wieder thematisiert wird, ein weit materialistischerer, politischerer und radikalerer Ansatz als Critical Whiteness, ein Ansatz allerdings, von dem Momo und Co,. nie etwas vernommen hatten. Der Versuch von ein paar jungschen Studies aus Potsdam, 2012 das Nobordercamp zu kapern und sich damit an die Spitze der antirassistischen Bündnisse in Deutschland zu stellen scheiterte kläglich.

Ich erinnerte mich noch lebhaft an die Fehlinterpretationen dieser Vorgänge, bei denen interpersonale Zwistigkeiten zwischen Bloggern auf diesen Konflikt extrapoliert wurden und es dann hieß, die hinter der Abwehr der moralinsauren Check-Deine-Privilegien-Kampagne, die implizit darauf abzielte die antirassistischen Aktionsbündnisse handlungsunfähig zu machen stehende Fraktion wären Mackertypen und Funktionäre der Flüchtlingsräte, festgemacht an meiner Person, die nicht bereit wären People of Colour auf Augenhöhe zu akzeptieren (wer weiß, wie viele Geflüchtete sich in den Flüchtlingsräten und Antirassismusgruppen engagieren weiß um die Lächerlichkeit dieses Arguments). Hiermit wurde ein Konflikt um die richtige Vorgehensweise - Moralkampagne oder starkes plurales Bündnis mit pragmatischen Zielen, gespeist aus unterschiedlichen theoretischen Hintergründen - als Extrapolation hochprojektiv wahrgenommener Streitigkeiten unter Bloggern gesetzt.


Seit 8 Jahren hat dieser Blödsinn jetzt geschlummert. Und jetzt ist zu fürchten, dass daraus leider eine ganze Bewegung wird.

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OK, der Reihe nach.
@che
Es ging um ausgebeutete Iren und Schotten auf Plantagen. Da meinte ich, die Lebensumstände waren wahrscheinlich kaum anders als die der Sklaven, aber die Folgen sind andere.
Du willst nicht wirklich behaupten, die Ausbeutung der Iren und Schotten auf Überseeplantagen hängt zusammen mit einer Ideologie der germanischen Überlegenheit über die "keltische Rasse" die von deutschen Schädelvermessern aufgestellt wurde? Kommt mir weit hergeholt vor. Und selbst wenn, handelt es sich trotzdem nicht um einen vergleichbaren Rassismus, da er nicht bis heute wirkungsmächtig ist. Schon alleine deshalb nicht, weil allein optisch Schotten und Iren nicht so leicht von germanischeren Europäern zu unterscheiden sind, wie es Afrikaner nun mal sind. Rein praktisch kann das also nicht verglichen werden.

In deinem BTW zur Antike stand jetzt nichts was meinen Aussagen widersprechen würde, oder?
Also letztlich eine Bestätigung, dass die antike Sklaverei ohne Rassismus stattfand und der von dir angebrachte Vergleich von antiken mit neuzeitlichen Sklavenhaltern unsinnig ist.
Aber wie gesagt, nehme ich an, dass er polemisch gemeint war, nach dem Motto: "Die Ikonoklasten sind so doof, diese geschichtsvergessene Aktion wäre denen auch noch zuzutrauen."

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@bersarin
"Das Wort Nichtweiße ist ebenfalls nicht besonders zielführend."
Stimmt. Ist suboptimal. Welches schlägst du vor?

Religion spielt auch eine Rolle. Schwarze Sklaven wurden auf der anderen Seite auch getauft, oder?
Profit spielt doch immer eine Rolle bei der Sklaverei, das schliesst doch andere Parameter nicht aus.

Ansonsten sehe ich auch bei dir nichts was mir widersprechen würde.

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Damals gab es noch gar keinen Rassismus, aber der biologistische Rassismus des 19. Jahrhunderts war eine Herrschaftsideologie, die sich auch gegen die eigenen Unterschichten richtete. Darwin selbst beschrieb die keltischen Iren als eine faule, dumme "Rasse", die sich vermehren würde wie Kaninchen. Die Stelle such ich Dir gerne raus, bin jetzt aber auf dem Sprung. Verglichen wurde anhand von herbeikonstruierten Schädellänge-Durchmesser-Indizes, die Rückschlüsse auf die Intelligenz erlauben würden. Ich meine nicht direkt: "Die Ikonoklasten sind so doof, diese geschichtsvergessene Aktion wäre denen auch noch zuzutrauen.", sondern hatte diesen Vergleich ironisch gemeint.

BTW ein Freund meinte übrigens, bei der aktuellen hochmoralischen Aufladung von Wortbedeutungen und Wortherkünften müsste man jetzt aber dringend den Begriff Führerschein abschaffen. Auch das, sicherheitshalber hinzugefügt, war ironisch gemeint.

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Heißt der nicht offiziell sowieso "Fahrerlaubnis"?

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futuretwin, Du würdest Dir in der Analyse Probleme ersparen, wenn Du die Aspekte auseinanderhieltest. Es ging nicht darum, die Folgen der Ausbeutung von Arbeitskraft durch Sklaven und die von Auswanderern oder solchen, die ins Ausland verkauft wurden, gleichzusetzen, sondern um eine Differenzierung in der Analyse, wie die Ausbeutung im Jahr 1650 und wie sie im Jahr 1850 funktionierte und welche Narrative sich dabei etablierten, um solche Ausbeutung wie eben die Sklaverei zu legitimieren. Um diesen Wandel im Paradigma sichtbar zu machen und nicht alles über einen Leisten zu schlagen, sind solche Differenzierungen hilfreich. Der Begriff Rassismus als ubiquitärer Begriff ist auch insofern nicht zielführend, weil die Europäer etwa zum Osmanischen Reich und also zu den Dunkelhäutigen, den Turkvölkern, die Teile Kleinasiens regierten, und den Arabern ein anderes Verhältnis hatten, teils auf Augenhöhe, als zu den "wilden" Schwarzen.

"Du willst nicht wirklich behaupten, die Ausbeutung der Iren und Schotten auf Überseeplantagen hängt zusammen mit einer Ideologie der germanischen Überlegenheit ..."

Wo hat che das behauptet? Natürlich nirgends insofern verstehe ich Deine Frage nicht. Und noch viel weniger verstehe ich sie, sofern sie rhetorisch motiviert ist.

Das von mir gebrachte Zitat zeigt, daß das Primat solcher Aktionen zunächst mal die Ausbeutung von Menschen war - sei das als Sklaven oder als Arbeitskraft, und primär ging es solchen Unternehmern um den Profit. Das Narrativ des Rassismus ist - schon qua des biologischen Begriffs der Rasse, wie von che gezeigt - etwas, das deutlich später hinzutrat und dann erst die Ausbeutungsverhältnisse, auch in den sich etablierenden Kolonien des späten 19. Jhds, bestimmte.

Was das Wort "Nichtweiße" betrifft, so schlage ich vor die Regionen zu benennen. Afrikaner und speziell Schwarze, sofern das nichtarabische Afrika gemeint ist, oder eben Chinesen, Inder, Japaner oder ganz allgemein Asiaten, Araber, Afrikaner, Europäer.

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Und ansonsten pointierte es che in seinem Kommentar vom Sonntag, 12. Juli 2020, 18:40 sehr genau. Auch wenn ich, was die umfassende Systemkritik betrifft, manches anders sehe, ist dies eine Haltung, die zumindest in sich konsistent ist und die nicht mit der attitude (englisch ausszusprechen) dealt. Den Konflikt mit solchen Leuten wie momorulez damals beschreibt che exakt. Hier handelt es sich vorwiegend um Symbolpolitik Und wenn die kritischen Weißen wirklich umfassend kritisch sein wollen, so mögen sie doch dann bitte ihren Blogschreibplatz am besten Schwarzen zur Verfügung stellen statt paternalistisch über sie zu schreiben. Soviel zur Konsequenz dieses ganzen leeren Geredes.

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Hier übrigens das Darwin-Zitat
"Der sittenhafte Schotte verbringt sein Leben in Kampf und Sparsamkeit, heiratet spät und setzt wenig Kinder in die Welt. Der lasterhafte, liederliche Ire aber vermehrt sich wie ein Kaninchen. Sollte ein Gebiet ursprünglich von einer gleichen Anzahl Sachsen und einer gleichen Anzahl Kelten bevölkert sein, werden die Kelten sich in 12 Generationen durchgesetzt haben, nicht wegen ihrer Vorzüge, sondern wegen ihrer Nachteile."- Charles Darwin, der in Zusammenarbeit mit Galton und Greg die Eugenik und den Sozialdarwinismus begründete.

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Wo hat che das behauptet? Natürlich nirgends insofern verstehe ich Deine Frage nicht. Und noch viel weniger verstehe ich sie, sofern sie rhetorisch motiviert ist.

Che hatte etwas von ausgebeuteten Iren und Schotten geschrieben. Dann hatte ich geschrieben, dass sich aus diesen Ausbeutungsverhältnissen kein vergleichbarer Rassismus entwickelt hätte. Vielleicht ist Rassismus nicht der richtige Begriff hier. Diskriminierung wäre wohl passender. Das bestritt Che und kam mit Schädelvermessern um die Ecke die Kelten (also Iren und Schotten, vielleicht der Vollständigkeit halber Bretonen) als den germanischstämmigen Europäern unterlegen betrachteten. Dann kam meine Frage, was das denn miteinander zu tun hätte.

Bei dem Darwin-Zitat wird besonders deutlich, dass es letztlich gar nicht um Rasse geht, sondern eher um Konfessionen. Die Iren sind katholisch, die Schotten nicht. Keltischstämmig sind beide, wie gesagt, die Bretonen auch.

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Ich muss bei dem Thema immer an Willi Fährmann denken. Wir haben in der Schule "Der lange Weg des Lukas B." gelesen und Willi Fährmann hat mal in unserer Schule einen Vortrag gehalten. Da kam dann sinngemäß vor, dass die Auswanderer in schlimmerem Elend die Überfahrt nach Amerika verbrachten als die Sklaven. Diese wären geradezu verhätschelt worden, da sie ja Waren waren, deren Preis man nicht mindern wollte.

Das emfinde das ich im Nachhinein als eine merkwürdige geistige Operation bei der anscheinend so etwas wie white guilt relativiert werden soll. So dieses "wir Weißen hatten es aber auch ganz schlimm". Das das vielleicht tatsächlich so war, sei mal dahingestellt. Es ist einfach manchmal etwas merkwürdig in welchen Kontexten solche Aufrechnungen angestellt werden. Ich will niemandem hier unterstellen, so argumentieren zu wollen. Es ist einfach nur eine Assoziation von mir.

Ein recht beeindruckendes Beispiel für mehr oder weniger "Sklaverei von Weißen" fand ich einmal hier:
http://www.kriegsreisende.de/imperialismus/dompedro.htm

Nur ist das eben nicht bis heute wirkungsmächtig. Es ist gut möglich, dass Giselle Bündchen von Mecklenburgern abstammt, die nach Brasillien verschleppt wurden, um dort in Södnerarmeen zu dienen. Das weiß heute aber keiner mehr.

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Wenn man das Darwin-Zitat in den Zusammenhang seiner Entstehungsgeschichte stellt wird sehr wohl deutlich dass es hier um Rasse geht. Darwin hatte etwas darüber geschrieben, wodurch sich der Mensch vom Affen unterscheide, dann die Entwicklung von der frühesten Steinzeit bis heute geschildert die er als evolutionäre Entwicklung nach dem Prinzip des Survival of the Fittest betrachtete - die Vorherrschaft der Europäer als in der Evolution angelegt - und war dann dazu gekommen, auch innerhalb der europäischen Völker eine Rassenhierarchisierung anzunehmen.

Dass sich aus den Ausbeutungsverhältnissen der Frühen Neuzeit bezogen auf weiße Schuldknechte kein der Versklavung Schwarzer analoger Rassismus entwickelt hat stimmt und stimmt auch wieder nicht - die Ausgebeuteten des 17. Jahrhundert wurden insgesamt nicht rassistisch diskriminiert sondern waren eine Handelsware, Leibeigene oder Schuldknechte. Der ursprüngliche europäische Rassismus innerhalb der Rassentheorien hingegen diskriminierte nicht nur die Schwarzen, er unterteilte auch díe europäische Bevölkerung in Rassen, legitimierte damit den Kapitalismus und unterschied auch noch soziale Rassen, z.B. "Asoziale" und "Geborene Verbrecher" als genetisch bestimmter Ausschuss der Gesellschaft, sogenannte "Ballastexistenzen", deren spätere Vernichtung, wie sie durch die Nazis betrieben wurde, von Anthropologen, Biologen und Medizinern schon in der Kaiserzeit noch nicht angestrebt wurde. Stattdessen verfochten diese die Zwangssterilisierung dieser Bevölkerungsgruppen. Einer ihrer extremsten Vertreter, Fritz Lenz, forderte dann in der Weimarer Republik die Sterilisierung des "ganzen untüchtigen Drittels der Bevölkerung". Dieser Lenz bezeichnete sich selbst in der NS-Zeit als eigentlichen Begründer der NS-Weltanschauung und wurde 1951 in Göttingen Professor für Anthropologie.

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"Du willst nicht wirklich behaupten, die Ausbeutung der Iren und Schotten auf Überseeplantagen hängt zusammen mit einer Ideologie der germanischen Überlegenheit ..."

Es ist dies eine Aussage von Dir und im Modus der rhetorischen Frage ("Du willst nicht wirklich behaupten ...") wird darin eine These aufgestellt bzw. eine Vermutung konstruiert, was che womöglich gesagt haben könnte. Was che schrieb, ist aber oben deutlich nachzulesen und eigentlich auch recht klar formuliert. Insofern wunderte ich mich über diese Deine Frage ein wenig und verstehe ihre Motivation nicht ganz.

In der Tat ist in diesem Kontext der Begriff Rassismus nicht wirklich zielführend. Aus den oben von mir dargelegten Gründen. Das bedeutet nicht, daß es keine Unterschiede in der Behandlung von Europäern und schwarzen Afrikanern gegeben hätte. Einer davon ist sicherlich auch die Religion: einen Christenmenschen versklavt man nicht, aber damit verbunden auch Formen der Abwertung.

Das Problem bei solchen Themen sind in der Tat die freien Assoziationen, wie Dein Beispiel von Willi Fährmann gut illustriert. Zumal wenn niemand hier in der Debatte (wie Du ja auch vermutest) solches hier behauptet hat, daß es die europäischen Auswanderer (Nordeuropäer, Deutsche, Iren, aber auch dunklere Typen wie Italiener und Spanier) bei der Überfahrt schlechter hatten als die Sklaven. Auch wenn Sklaven wie auch Auswanderer gleichermaßen in - freilich unterschiedlichen - Ausbeutungsverhältnissen stehen.

Insofern ist es für solche Debatten gut und hermeneutisch wichtig, wenn man sich an das hält, was einer äußert und nicht, was man vermutet, daß einer geäußert haben kann, um das dann auch noch mit weiteren Assoziationen aufzuladen. Da sind wir nämlich, und deshalb paßt ches Verweis hier auch gut, bei dem Problem von Momorulez (und anderen aus diesem Dunstkreis einer identätspolitischen Linken). Es wird in einer übersteigerten Lesart eine Aussage mit eigenen Assoziationen aufgeladen. Mit anderen Worten: es fährt dann jemand einen ganz eigenen Film, der aber nichts mit dem zu tun hat, was einer da konkret äußerte. Es ensteht eine unheilvolle Hermeneutik des Verdachts. Und Aussagen werden nach verborgenen Motiven abgesucht.

Im Grunde sind solche Debatten ja relativ einfach: Man muß genau, sehr genau freilich, lesen und dann muß man überlegen, was man formuliert, wie man eine These setzt und wie man sie begründet bzw. wie man die Position eines anderen widerlegen oder aber korrigieren, erweitern oder ergänzen will. Und das tut man am besten, indem man sich an die konkreten Äußerungen hält und diese zum Maß nimmt. Zitate sind da immer am besten.

Richtig ist, daß es in Debatten Leute gibt, die die Sklaverei relativieren wollen. Jedoch muß man auch dort immer genau hinsehen, ob es sich um ein Relativieren oder aber ein Differenzieren handelt. Hier wurde von che und mir in bezug auf den Rassismusbegriff und den Lauf der Zeiten eine Unterscheidung eingeführt: wo nämlich der Begriff des Rassismus sinnvoll ist und wo er eine ex post facto-Deutung darstellt.

Ein zentraler Aspekt in diesen Fragen ist dabei der der Ökonomie: daß sich bestimmte Narrative der Unterscheidung und Abwertung anderer nicht nur aus der Religion heraus (Christ, Muslim, Jude oder aber paganer Menschen), sondern ebenso auch aus ökonomischen Motiven heraus gebildet haben. So wie das auch in dem Artikel von Badura formuliert wurde.

Und damit ist man bei einer generellen Frage, die nicht nur Europäer (Christen insgesamt), sondern ebenso Muslime, Afrikaner, Chinesen oder Inder betrifft: wie nämlich Andersheit gedacht und auch konstruiert wird und welchen Stellenwert der Andere, der Fremde, der Gast, der Reisende, der Kolonialisierte, der Unterworfene hat.

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Natürlich ging es den Auswanderern schlecht, den über den Atlantik verfrachteten Soldaten aber schlechter.

Johann Gottfried Seume, der zu den Soldaten gehörte, die von seinem Kurfürsten an die Engländer verkauft wurden und dann gegen Washingtons Kontinentalarmee kämpften schildert das so, dass die Männer zu viert in einem Bett auf der Seite schliefen um Platz zu sparen, und alle zwei Stunden wurde umgewendet. Das Trinkwasser wurde durch ein Tuch geseit, um Algen, Maden und Dreck nicht mitzutrinken - wahrscheinlich nützte das gegen Cholera-Vibrionen nichts.


Die schwarzen Sklaven wurden unter Deck angekettet, 2-3 Reihen übereinander auf Pritschen, eine Reihe in der Mitte sitzend.

Heinrich Heine schilderte dies so:



Der Superkargo Mynher van Koek
Sitzt rechnend in seiner Kajüte;
Er kalkuliert der Ladung Betrag
Und die probabeln Profite.

»Der Gummi ist gut, der Pfeffer ist gut,
Dreihundert Säcke und Fässer;
Ich habe Goldstaub und Elfenbein -
Die schwarze Ware ist besser.

Sechshundert Neger tauschte ich ein
Spottwohlfeil am Senegalflusse.
Das Fleisch ist hart, die Sehnen sind stramm,
Wie Eisen vom besten Gusse.

Ich hab zum Tausche Branntewein,
Glasperlen und Stahlzeug gegeben;
Gewinne daran achthundert Prozent,
Bleibt mir die Hälfte am Leben.

Bleiben mir Neger dreihundert nur
Im Hafen von Rio-Janeiro,
Zahlt dort mir hundert Dukaten per Stück
Das Haus Gonzales Perreiro.«

Da plötzlich wird Mynher van Koek
Aus seinen Gedanken gerissen;
Der Schiffschirurgius tritt herein,
Der Doktor van der Smissen.

Das ist eine klapperdürre Figur,
Die Nase voll roter Warzen -
Nun, Wasserfeldscherer, ruft van Koek,
Wie gehts meinen lieben Schwarzen?

Der Doktor dankt der Nachfrage und spricht:
»Ich bin zu melden gekommen,
Daß heute nacht die Sterblichkeit
Bedeutend zugenommen.

Im Durchschnitt starben täglich zwei,
Doch heute starben sieben,
Vier Männer, drei Frauen - Ich hab den Verlust
Sogleich in die Kladde geschrieben.

Ich inspizierte die Leichen genau;
Denn diese Schelme stellen
Sich manchmal tot, damit man sie
Hinabwirft in die Wellen.

Ich nahm den Toten die Eisen ab;
Und wie ich gewöhnlich tue,
Ich ließ die Leichen werfen ins Meer
Des Morgens in der Fruhe.

Es schossen alsbald hervor aus der Flut
Haifische, ganze Heere,
Sie lieben so sehr das Negerfleisch;
Das sind meine Pensionäre.

Sie folgten unseres Schiffes Spur,
Seit wir verlassen die Küste;
Die Bestien wittern den Leichengeruch,
Mit schnupperndem Fraßgelüste.

Es ist possierlich anzusehn,
Wie sie nach den Toten schnappen!
Die faßt den Kopf, die faßt das Bein,
Die andern schlucken die Lappen.

Ist alles verschlungen, dann tummeln sie sich
Vergnügt um des Schiffes Planken
Und glotzen mich an, als wollten sie
Sich für das Frühstück bedanken.«

Doch seufzend fällt ihm in die Red
Van Koek: Wie kann ich lindern
Das Übel? wie kann ich die Progression
Der Sterblichkeit verhindern?

Der Doktor erwidert: »Durch eigne Schuld
Sind viele Schwarze gestorben;
Ihr schlechter Odem hat die Luft
Im Schiffsraum so sehr verdorben.

Auch starben viele durch Melancholie,
Dieweil sie sich tödlich langweilen;
Durch etwas Luft, Musik und Tanz
Läßt sich die Krankheit heilen.«

Da ruft van Koek: »Ein guter Rat!
Mein teurer Wasserfeldscherer
Ist klug wie Aristoteles,
Des Alexanders Lehrer.

Der Präsident der Sozietät
Der Tulpenveredlung im Delfte
Ist sehr gescheit, doch hat er nicht
Von Eurem Verstande die Hälfte.

Musik! Musik! Die Schwarzen solln
Hier auf dem Verdecke tanzen.
Und wer sich beim Hopsen nicht amüsiert,
Den soll die Peitsche kuranzen.

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Noah hatte drei Söhne: Sem, Ham und Japhet. Ham bemerkte bloß, daß sein Vater ein Trunkenbold war, und vergaß, daß er auch ein Genie war, daß er eine Arche gebaut hatte und so die Welt rettete. Schriftsteller sollten nicht Ham nachahmen. Vergiß das nicht!
(angeblich aus Anton Tschechow: "Briefe", 16. 9. 1891, zitiert nach Helga Schubert "Blickwinkel" (aus Mutters Bücherschrank))

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