Samstag, 17. Juni 2006
Gedenken
Heute ist der 17.Juni, ein Tag, der in meiner Kindheit, Jugend und Studienzeit der ideologisch hoch aufgeladene Nationalfeiertag Westdeutschlands war. Ein autonomer Arbeiteraufstand, eine proletarische Revolte, gleicham das Kronstadt der DDR, wurde von der westlichen Propaganda zum Tag der deutschern Einheit gedeutet bzw.hochstilisiert. Nicht die nationale Einheit und nicht den westlichen Kapitalismus wollten die Aufständischen von damals zu Anfang der Erhebung, sondern die politische Selbstbestimmung der Arbeiterklasse.
(edited: nach verschiedenen Kommentaren habe ich hier meine Formulierungen geändert, da ich Einiges zu spitz auf den Punkt gebracht hatte)

Der Kasernenhofkommunismus zeigte sein hässlichstes Gesicht und gab Bert Brecht anlass zu einer Note an die DDR-Volkskammer, in deres hieß: "Lösen sie das Volk auf und wählen sie sich ein Neues!" Präziser konnte man es eigentlich nicht auf den Punkt bringen, worum es in diesem Konflikt ging.

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Stimmt nicht ...
... schreibt jedenfalls die Birthler-Behörde: Die Hauptforderungen im gesamten Land lauteten: "Nieder mit der SED", "Freie Wahlen", "Freilassung aller politischen Häftlinge" "Rücktritt der Regierung", "Abzug der Besatzungstruppen aus Deutschland" und "Wiedervereinigung".

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Der Aufstand entzündete sich zunächst an einer gleichzeitigen Erhöhung der Arbeitsnormen und Lohnsenkung, womit das SED-Regime im Übrigen erfolgreich demostriere, dass der Kasernenhofkommunismus nichts Anders war als ein Monopolkapitalismus mit dem Staat als Gesamtkapitalisten und mit einem Sozialismus im marxschen Sinne nichts zu tun hatte, da weder der Wertbegriff noch der Begriff der kapitalistischen Arbeit in Frage gestellt wurde. Ich bleibe dabei: Im Ursprung, zu Beginn der Erhebung, war der 17.Juni einme proletarische Revolte links des SED-Regimes, fast ähnlich dem späeteren Ungarn-Aufstand.

Dass ihm Verlauf des Aufstands sich diesem dann die Angehörigen entmachteter früherer gesellschaftlicher Eliten, etwa frühere Unternehmer und Großbauern, sich anschlossen und die in der Darstellung der Birthler-Behörde genannten Forderungen erhoben ist eine andere Geschichte. Eine gute Darstellung dieser Ereignisse, in der Zeitzeugenberichte im Vordergrund stehen, findet sich in den Elefantenpress-Bänden "Trümmer, Träume, Truman" und "Bikini - Kalter Krieg und Capri-Sonne". Lesenwert zur gesamten Thematik: Ostdeutschland unter dem Kommunismus 1945-1950 (Geschichte und Gesellsxchaft 25/Heft4), Bauernkämper/Sabrow/Stöver "Doppelte Zeitgeschichte. Deutsch-deutsche Beziehungen 1945 - 1990" sowie, aus dem eher autonomen Spektrum:

Red Devil, "17. Juni 1953 - Arbeiteraufstand oder Konterrevolution?" Analyse der Klassengesellschaft der DDR und des Staatskapitalismus

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Che hat Recht.
Der 17. Juni für die Einen ein Volksaufstand, für die Anderen der Versuch der Konterrevolution. In diesem Spektrum gibt es sicherlich viele Facetten des betrachtens.
Aber auch: Alle Geschichte ist Lüge. Weil jeder etwas interpretieren will. (Th. Lessing)
Die SED hatte schon lange die Klasse verraten, wo sie vorgab diese vertreten zu wollen. Ich bin mit der Interpretation aufgewachsen, dass eine von Aussen eingeschleppte Konterrevolution niedergeschlagen wurde. Erst mit dem politischen Denken kamen dann die Unterschiede ans Licht und auch das Erkennen, wie ähnlich das alles war und sich in der DDR wiederholte, was sich in den dreißigern in der SU abgespielt hat.

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Die in meinen Augen beste und aktuellste Darstellung findet sich bei "Hubertus Knabe: Der 17. Juni 1953". Diesen Knaben kenne ich übrigens noch aus seiner Zeit als grüner Pressesprecher hier in Bremen. Mich wundert's nicht, dass der mit seinem aufklärerischen Impetus heute solch massiven Ärger mit diesen Stasi-Kadern in Berlin hat, die gern in Ruhe weiter ihre Geschichtslügen polieren möchten.

Es fing damals an mit Protesten gegen erneute Normerhöhungen - das ist richtig. Die weitergehenden Forderungen wurden dann aber ebenfalls von den Arbeitern aufgestellt, die ja das westdeutsche "Wirtschaftswunder" als Vorbild hatten - und nicht von "bourgeoisen Elementen" oder irgend einem anderen "Kai aus der Kiste"

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Es überrascht die große Weisheit der Arbeiter, sich zwei Jahre vor Einsetzen des westlichen Wirtschaftswunders an dessen Vorbild zu orientieren. Knabe wird in der Fachwelt ja auch durchaus für eine apologetische, heutige Entwicklungen zurückextrapolierende Geschichtsschreibung kritisiert, z.b. hier:


http://www.historicum.net/sehepunkte/2005/03/8127.html

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"...der 17.Juni, ein Tag, der in meiner Kindheit, Jugend und Studienzeit der ideologisch hoch aufgeladene Nationalfeiertag Westdeutschlands war"

ein feiertag, der immerhin mitte juni in der regel dazu führte, dass, wer wollte, die gelegenheit hatte, ihn bei schönem wetter im freien zu verbringen.

die ideologische aufladung fand im saale vor sehr kleinem publikum statt.

es gibt anzeichen dafür, dass zu wendezeiten die cdu plötzlich die gefangene ihrer zu diesen anlässen geäusserten sprechblasen war. wer hätte aber auch gedacht, dass ein vermeintlich so starkes regime so schnell in sich zusammenfallen kann.

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Naja, nehmen wir doch einfach mal die Resolution der Arbeiter im Berliner Funkwerk Köpenick. Von den 2.000 Arbeitern dort - weit und breit kein Bourgeois in Sicht - stimmten nur 30 gegen eine Resolution, die in folgenden Forderungen mündete: "1. Rücktritt der Regierung, 2. Freie und geheime Wahlen, 3. Die Wiedervereinigung". Die SED hatte da bereits komplett jeden Rückhalt im Proletariat verloren.

Von solchen Resolutionen gibt es buchstäblich hunderte. Die 20.000 streikenden Leuna-Arbeiter, die zum Buna-Werk zogen, um auch dort den Aufstand zu initiieren, sangen das Deutschland-Lied UND "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" usw., usf.

Es ist einfach Quatsch, zu behaupten, diese Arbeiter hätten eine syndikalistische Räterepublik errichten wollen.

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Ich habe nicht behauptet, es sei um eine syndikalistische Räterepublik gegangen, ich habe nur gesagt, am Anfang habe ein Kampf um proletarische Selbstbestimmung im Vordergrund gestanden, nicht die Wiedervereinigung und auch nicht die Wiedereinführung des Kapitalismus.

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Um noch mal deutlich zu machen, worum es mir im Kern geht: Was ist denn das Wesen der marxschen Kritik? Die Kritik an Wertbegriff und Wertform, am Fetischcharakter der Ware und am kapitalistischen Begriff der Arbeit. Was tut also ein Marxschüler und was tut er nicht? Was er nicht tut, ist jedenfalls die Arbeitsnormen zu erhöhen, das tut gemeinhin ein Kapitalist. Und der Aufstand in der DDR begann jedenfalls so, wie alle Arbeiterrevolten unterm/gegen den Kapitalismus beginnen. Die Ereignisse, die dem Aufstand vorausgingen, machen deutlich, was das DDR-Regime nie war: Sozialismus im marxschen Sinne.

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Atkins, Knabe, Ulbricht: Wenn sie schreiten Seit' an Seit'
Wie schön, daß in unsrer von Streit so arg durchfurchten Zeit wenigstens Aktkins, der Knabe und Walter Ulbricht sich einig sind – nämlich darin, daß die Ereignisse des 17. Juni der ideologischen Überhöhung bedürfen.

Ob das interessengeleitete Lügen-Brimborium dann "Konterrevolution" oder "Heim in Westreich" lautet, ist unerheblich; entscheidend ist der feste Wille, Geschichte nicht einfach zu fälschen, sondern ihr den passenden Anstrich des jeweils genehmen Weltanschaungskäses aufzukleistern.

Dabei ist jedes Mittel recht. Obwohl Atkins genau gelesen hatte, daß Che an keiner Stelle von einer "syndikalistische Räterepublik" als damaliger Zielsetzung sprach, wird dieser Popanz aufgebaut, um die verquaste Sichtweise zu retten. Hauptsache staatstragend, Hauptsache gnadenlose Affirmation des Bestehenden – auch als SED-Propagandaschleuder hätte Atkins einen guten Job gemacht.
Daß Du gleichzeitig Ches tatsächlich geäußerten Einwand – wie denn die Arbeiter sich etwas zum Vorbild und Ziel hätten nehmen können, das noch gar nicht existierte – geflissentlich übersiehst, läßt Dich nicht gut aussehen.

Daß Atkins Unsinn erzählt, läßt sich aus den von ihm angeführten Quellen entnehmen. Was er zitiert, ist direkt konträr zu dem, wofür er es zitiert: Die Forderung "Wiedervereinigung" gewinnt nämlich Brisanz durch die gleichzeitige Forderung "Abzug der Besatzungstruppen". Das heißt nämlich: ein wiedervereinigtes, vollständig (!) besatzungsfreies, neutrales Deutschland – für Amerikaner, Briten und Franzosen eine Horrorvorstellung!

Der 17. Juni war der Aufstand gegen eine Form gesellschaftlicher Herrschaft. Indem Atkins das Datum für deren aktuelle Form reklamiert, ist er objektiv solidarisch mit denen, die Panzer riefen.

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Eine interessante Diskussion,
mir aber zu "ergebnisorientiert". Mein Bedürfnis ist es weniger, den 17.6. in eine ideologische Position einzuordnen. Es war ein sehr widersprüchliches Ereignis. Noch einige Gedanken dazu hier:
http://opablog.twoday.net/stories/2206001/

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