Dienstag, 2. Januar 2007
Ein ganz anderer Jahresrückblick
ist zweifellos einer, bei dessen Lektüre einem wirklich anders wird. Bitte sehr:


2006: die höchste Todesrate an den Außengrenzen - kaum noch Asylgesuche

PRO ASYL: "Europa trägt maßgeblich Verantwortung für das Massensterben"
"Die Festung Europa steht. Deutschland und die anderen Mitgliedsstaaten
der Europäischen Union setzen auf Flüchtlingsabwehr um jeden Preis. 2006
ist das Jahr mit der höchsten Todesrate an den europäischen Außengrenzen
und einem neuen historischen Tiefstand bei den Asylgesuchen". So die
Jahresbilanz von PRO ASYL zur europäischen Flüchtlingspolitik.

Nach Angaben der spanischen Behörden kamen 2006 circa 6.000 Flüchtlinge
und Migranten auf dem Weg von Westafrika zu den Kanarischen Inseln ums
Leben. Die Dunkelziffer der Todesfälle an den europäischen Südgrenzen
bleibt hoch. "Europa trägt maßgeblich Verantwortung für das
Massensterben", so Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL. Die
EU-Staaten seien bereit, elementare Menschenrechtsstandards aufzugeben.
Drittstaaten wie Libyen, Marokko, Mauretanien, der Ukraine, der Türkei
etc. werde in einer zynischen Arbeitsteilung eine Türsteherfunktion vor
den Toren der 'Festung Europa' zugewiesen.

Die Asylzahlen in Deutschland und Europa erreichen einen neuen
historischen Tiefstand. In Deutschland wurden 2006 rund 20.000 neue
Asylgesuche registriert, der niedrigste Stand seit 1977. Insgesamt
verzeichneten die 25 EU-Staaten 2006 weniger als 200.000 Asylanträge.

Die zentrale Frage an die kommende EU-Präsidentschaft Deutschlands ist:
Findet eine Gemeinschaft von 27 Demokratien auf das Massensterben an den
Außengrenzen eine andere Antwort als militärische Abwehrmaßnahmen,
Auslagerung des Flüchtlingsschutzes und fortgesetzte
Menschenrechtsverletzungen? Sie bleibt bei der Lektüre des Programms der
deutschen EU-Präsidentschaft 'Europa gelingt gemeinsam' unbeantwortet.
Das von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vorgelegte Programm folgt
einer restriktiven Agenda und blendet Menschenrechte und
Flüchtlingsschutz aus. "Mehr Grenzschutz, mehr Rückübernahmeabkommen und
mehr gemeinsame Abschiebungen bilden die Schlüsselelemente auf der
Agenda des Bundesinnenministeriums", so Kopp.

Aus Sicht von PRO ASYL muss die Durchsetzung der Menschenrechte oberste
Priorität für die deutsche EU-Präsidentschaft haben: Diese gelten für
alle Menschen in Flucht- bzw. Migrationsbewegungen. Flüchtlingen ist der
gefahrenfreie Zugang zum EU-Territorium und zu einem fairen
Asylverfahren zu gewährleisten. Jegliche Kooperation mit Drittstaaten,
in denen die Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht geachtet werden,
ist einzustellen. Europa braucht legale Einwanderungsmöglichkeiten,
damit Migranten nicht lebensgefährliche Wege beschreiten müssen.

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"Europa braucht legale Einwanderungsmöglichkeiten,
damit Migranten nicht lebensgefährliche Wege beschreiten müssen."

Europa braucht vor allem Unternehmer, die in so genannten Entwicklungsländern Löhne zahlen, die den Menschen ein menschen würdiges Leben und Entwicklungsmöglichkeiten in Form von Bildung bieten!

Dann müssen diese Menschen nicht mehr aus ihrer HEIMAT flüchten!!!

Verdammt nochmal!

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Vollkommen richtig, allerdings würde ich nicht zwischen entweder-oder unterscheiden. Offene Grenzen, freies Fluten UND menschenwürdige Arbeitsbedingungen in den Ländern des Südens.

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@jolly
es gibt keine Unternehmer, »die Löhne zahlen«. Keine Ahnung, wie Du auf sowas kommst. Wahrscheinlich stehst Du der FDP oder ihren Internetschergen wie Antibürostuhlteam oder B.L.U.B.B nahe. Oder Du warst noch nie in Afrika. Aber das würde auch nichts machen.

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Lebenswürdige Verhältnisse, weniger Despotie, Rechts- und Eigentumssicherheit und etwas weniger Korruption in den südlichen Ländern wäre an sich ja ein guter Anfang. Um den Menschen dort nicht zu zwingen den gefahrvollen Weg in den Norden auf sich nehmen zu müssen uns alles hinter sich lassen zu müssen.

Aber das würde an "nation-building" grenzen. Und manchen Konzern um seine Pfründe bringen.

Schnelle (Teil) Lösungen gefragt ? Vielleicht realistischer als das "freie Fluten" ?

Ach ja, da wären dann die Fischereiabkommen der EU-Länder mit afrikanischen "Staaten" zu erwähnen, die viele einheimische Fischer um Lohn und Brot bringen, auch solche, die sich dann in Massen aus schierer Not auf ebenden Weg in den Norden machen, auf den genannten "freien Fluten" in denen dann nicht wenige umkommen.

Lookie here:
http://www.timesonline.co.uk/newspaper/0,,172-2183562,00.html

or here:
http://www.findarticles.com/p/articles/mi_qn4158/is_20060724/ai_n16642725

or even here:

http://www.telegraph.co.uk/news/main.jhtml?xml=/news/2006/05/27/wsenegal27.xml&sSheet=/news/2006/05/27/ixnews.html



Aber es ist ja nicht so, das dies nicht schon länger bekannt wäre:

http://www.guardian.co.uk/fish/story/0,7369,590445,00.html

und
http://www.eurocbc.org/page241.html

sowie
http://www.eurocbc.org/page806.html

Die Fischereiflotten werden ja auch von der EU finanziert. Vielleicht wäre hier ein schneller und praktikabler Weg die Not an manchen Orten ein wenig zu lindern, wenn man es denn wollte. Nämlich wenn die EU das einfach sein liesse.

Es wäre jedenfalls hilfreicher als auf "Die Unternehmer" einen zu lassen. Denn die meisten einheimischen Gross-"Unternehmer" dort sind vielfach (ehemalige) Warlords im Anzug, die sich einen auf so etwas pfeifen.

Charity begins at home. That's why it never happens.


Fragt euch doch auch mal wessen Fischereiflotten es massgeblich sind und auf wessen Territorium die Flüchtlinge an Land bzw. an die Schutzzäume kommen, und wer den Löwenanteil der EU-Fischereiförderung erhält. 20.000 Arbeitsplätze stünden allein bei den spanischen Fischereien auf dem Spiel, wenn man das liesse, so liest man. Nicht mehr lange hin, und man kann das Kalkül 1 subventionierter Arbeitsplatz = 1 Menschenleben aufmachen.

Kurios nur, das dies die deutsche Presse kaum interessiert... Und auch sonst wohl keinen.

Darauf einen guten Rijoa. Und der N.A.T.O. beitreten: No Action, Talk Only. Heute gibt es einen guten Fisch. Um die deutsche EU-Rats-Präsidentschaft zu feiern.

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Dazu wäre dann zu ergänzen: In dem Ort, in dem im 16.Jahrhundert die Fischindustrie erfunden wurde, Zahara de los Atunes an der Costa de la Luz, herrscht heute 65 % Arbeitslosigkeit, weil die Thunfischgründe vor der Küste an Japaner verkauft wurden. Ich wurde selbst Zeuge, wie kilometerlange Stellnetze, in denen die gefangenen Thune teilweise tagelang zappeln, im Abstand von noch nicht einmal einer halben Seemeile vor der Küste von einem japanischen Vollfroster abgeerntet wurden, während die arbeitslosen Fischer "mierda" murmelten. Den spanischen Thunfisch (weil vor Spanien gefangen) gibt es dann auf der Tokyoter Fischbörse zu kaufen, wo spanische Firmen ihn tiefgefroren rund um die Welt reimportieren. Dafür fängt der Spanier die Fische beim Neger, der nicht nur einfach langzzeitarbeitslos ist, sondern gleich anfängt, Kohldampf zu schieben.

Wie Adorno sagte: "Der Wahnsinn ist zugleich einer der politischen Realität", und Tucholsky "Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten".


Man schaue nur mal die Filme "We feed the world", Darwins Alptraum" und "Der Waffenhändler".


Ich denke, dass sich die bestehende Weltwirtschaft am Genauesten als Kombination aus Nahrungskette, Schlachthaus und offener Psychiatrie abbilden lässt.

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@ che

Da liegst Du wohl richtig.

Dennoch bin ich der altmodischen Überzeugung das es günstig wäre :

a) Menschen ihre Lebensgrundlage zu lassen

b) ihnen zu ermöglichen diese zu verbessern

anstelle der derzeit am obigen Beispiel praktizierten Alternative:

1) ihnen die Lebensgrundlage zu nehmen

2) sie zu Flüchtlingen zu machen und die restlichen zu verelenden.


Mit der Nahrungskette hat das imho wenig zu tun. Das Schöne dabei ist doch, das dies (Alternative 2) im genannten Falle auch noch subventioniert wird - mittelbar auch aus unseren Steuergeldern. Und es sich von jetzt auf morgen ändern liesse, wenn man denn wollte.

Es ist schlicht ein politisch gewollter Vorgang, dessen Fallout - tote Neger - billigend in Kauf genommen wird. Um die Flüchtlinge sollen sich dann ehrbare ehrenamtliche Helfer kümmern. Die Folge - der Flüchtlingsstrom - wird heiss diskutiert, die (Teil-) Ursachen werden jedoch kaum erwähnt, siehe das obige kleine unvollständige Beispiel.

Im übrigen schiebt der Herr Neger im von Dir angeführten Beispiel nicht nur Kohldampf, sondern klettert in eine Nussschale mit Kurs Kanaren und ersäuft oder er verreckt einfach vor Ort.

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exact á point
Das ist ja das, was unsereins (die sogenannten Neuen Antiimperialisten) ständig kritisieren: Dass Entwicklungspolitik nichts Anders bedeutet, als den Krieg gegen die Subsistenz, dass die "Grüne Revolution" in den Drei Kontinenten nichts Anderes war als die Vertreibung Hunderter Millionen Bauern in großstädtische Slums, weil ihre Wirtschaftsweise mit der Durchkapitalisierung der Landwirtschaft für Cash Crop Produktion vernichtet wurde, und wenn immer ich von "sozialer Revolution" spreche, beinhaltet dies auch Dinge wie die Verteidigung der Subsistenz gegen die Intergrationskräfte der Modernisierung.

In diesem Punkt - power to the kleinbauer - decke ich mich sehr mit Bloggerkollege Balou.

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Auch wenn ich anecke, aber obiges Beispiel hat mit Entwickelungspolitik imho wenig zu tun. Es handelt sich scheinbar um die Durchsetzung rein nationalstaatlicher Interessen innerhalb der EU, gefördert von den zuständigen Gewerkschaften, Lobbies und Pressure-Groups. Die übliche Mischung aus Wählerstimmen und wirtschaftlichen Interessen, halt. Frappierend ist, das das kommentarlos durchläuft, wo schon jeder durchs Klo gespülte Koran eine Headline wert ist.

Ungeachtet dessen würde ich wirklich gerne wissen, wer diesen Verelendungsfisch hauptsächlich aufkauft und verarbeitet. Sicher sieht man ihn im Convenience-Food-Regal der Tiefkühlabteilung wieder.

Wie wäre es mit dem Sticker : "Enthält 1/1.000tel toten Neger" ? Wenn wir schon das Verbraucherschutzgesetz haben sollten doch die Inhalte korrekt benannt werden, oder ?

Zum anderen: da hast Du jetzt mal recht.

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"Man schaue nur mal die Filme "We feed the world", Darwins Alptraum" und "Der Waffenhändler"."

ich möchte ergänzen: und natürlich den klassiker:

http://www.filmzentrale.com/rezis/corporationab.htm

was zwanglos überleitet zu:

"Ich denke, dass sich die bestehende Weltwirtschaft am Genauesten als Kombination aus Nahrungskette, Schlachthaus und offener Psychiatrie abbilden lässt."

und dem bleibt kaum etwas hinzuzufügen.

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@ monoma

Nun ja, es liesse sich ja schon.

Denn das oben beschribene kleine Beispiel, nur eine Winzigkeit gewiss aber immerhin, ist ja nicht "die bestehende Weltwirtschaft" eine Art düsterer Koloss, der Menschen auf Knopfdruck in zappelde Marionetten verwandelt, sondern schlicht ein Stück menschenverachtende Politik die heute bei uns hier in Europa gemacht wird und auch unter der deutschen EU-Präsidentschaft fortgesetzt wird.

Politik lässt sich ändern, so habe ich mal gehört. Nur hier ist der "Staat", wenn man die EU als eine Art "Suprastaat" bezeichnen möchte, was sie an sich ja ist, direkt und als Frontrunner in Kollusion mit Pressure-Groups hochaktiv bei etwas was man als moderne Kolonialpolitik bezeichnen könnte.

"Der Rückzug des Staates aus grundlegenden gesellschaftlichen Einrichtungen ist in jeder Hinsicht gruselig." so ein Teil aus der Beschreibung von "The Corporation"

Nur hier ist "der Staat" mit Leib und Seele ganz vorne mit dabei. "Der Staat" von dem wir sonst gewohnt sind ihn als Gegenpol zu ebendiesen Corporations zu sehen. "Der Staat" der langjährig und planvoll die Ursachen für die Folgen schafft, die zu Recht angeprangert werden.

Ein wenig wundert es mich, das dies nicht stört. Es mag sein, das hier die Reaktionsmuster fehlen, die woanders eingefahren sind.

Wäre ich ein Zyniker, so würde ich sagen dass der "Dubya-Quotient" für diesen Fall einfach zu niedrig wäre. Hoppla, ich vergass, ich bin ja einer :-)

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@lebemann
die rezension, aus der der erwähnte satz stammt, ist aus der "taz" - und das ein teil der dortigen redaktion eigentlich typisch sozialdemokratische positionen vertritt, ist vielleicht nicht ganz neu.

und ich habe nirgendwo geschrieben, dass ich mir den *inhalt* der rezension zu eigen mache.

ich halte "den staat" als organisationseinheit menschlichen lebens dabei für ein anderes grundproblem, was nichts am heutigen verhältnis ändert, dass die großen "global player" es faktisch bereits geschafft haben, diverseste staatliche mächte zu ihren quasianhängseln zu machen. da ist nicht mehr viel mit "gegenpol".

(da ich auf dem sprung bin, für den moment gerade nicht mehr - wobei ich mir zum verhältnis staat-konzerne eine ganz interessante diskussion vorstellen kann)

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@ monoma

Das wollte ich Dir auch nicht unterschieben, sorry wenn es falsch rüberkam.

Mein Punkt war lediglich, das uns diese "staatlich" schon langjährig praktizerte Kollusion anhand obigen Beispieles nicht zu stören scheint, die Folgen aber schon.

Nach konkreten Folgen, ausser bessere Flüchtlingsbehandlung, hatte ich in der deutschen Presse noch niemanden rufen lesen.

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Danke für diesen Beitrag!

Wenn ich mal an der Stelle auf einen meiner Beiträge zu dem Thema aufmerksam machen darf:

http://finkployd.blogger.de/stories/618603/

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