Mittwoch, 20. Mai 2009
Trommeln im Park
Während ich dies schreibe, liegt meine schöne Nachbarin splitternackt und ein Buch lesend in ihrer Fensterbank und blinzelt mir zu. Das und die Körperhaltung, in der sie sich rekelt, könnte den Inhalt dieses Artikels schon wieder konterkarieren, aber das hat noch keinen Linksintellektuellen vom Ausformulieren seiner Standpunkte abgebracht.

- Ein absolutes Schlüsselerlebnis in den frühen Achtzigern war für mich eine spontane Jamsession in einem öffentlichen Park. Als ich zufällig dort vorbeikam, spielte eine Frau Gitarre, während ein Mann Querflöte blies. Es lagen noch ein paar Bongos rum, und ich fragte, ob ich mitmachen dürfe. “Dafür sind wir hier!” bekam ich zu hören. So setzte ich mich denn dazu und trommelte. Nach einer Weile kam jemand mit einer Ukulele vorbei, dann jemand mit Klarinette, irgendjemand reichte mir eine Mundharmonika. Ich konnte zwar nur Blockflöte, und auch das mehr schlecht als recht und bin eigentlich unmusikalisch, aber darauf kam es hier nicht an. Was wir spielten klang eh wie Freejazz. Immer mehr Leute schlossen sich uns an; tatsächlich hatte jemand das Gerücht gestreut, im Park fände ein Mitmach-Konzert statt, und also kamen die Leute, um es wahr werden zu lassen, sozusagen ein Gerücht in der Laborphase. Am Ende spielte ein Mann, über den sich herausstellte, dass er Domposaunist war, hinreißende Saxophonsoli in der Abenddämmerung.

Es war ein großartiger sehr langer Samstag, auf dem Freundschaften geknüpft wurden.

Gut 10 Jahre später spielte ich zwar keine Musik im Park, prügelte mich aber mit Cassandra mit Schlagstöcken, wovon die Passanten erstaunt, aber ohne heftige Reaktionen Notiz nahmen.

Es gab auch Konzerte, die umsonst im selben Park stattfanden und auch genauso hießen: Umsonst&draußen.

Wenn heute jemand im Park Musik spielt, dann, weil er oder sie Geld braucht, nicht als Ausdruck spontaner Lebensfreude und schon gar nicht als sich spontan findende Clique einander vorher Wildfremder (was nebenbei gesagt auch in Kneipen ein damals übliches Ereignis war). Ich habe ja sogar den Verdacht, würden wir heute so etwas machen, käme irgend ein Spinner daher und würde nach der GEMA-Anmeldung fragen. Und bei Stockkampf im Park holte man wahrscheinlich die Polizei. Ganz normal wären hingegen beide Ereignisse, wären sie ein “Event” kontextualisiert mit irgendwas. Aber einfach so spontan, weils Spaß macht – das scheint mir von Allzuvielen als out of time angesehen zu sein. Wenn man etwas macht, dann hat es ein Programm, und da scheint mir ein impliziter Rechtfertigungsdruck dahinterzustehen.

Als ich kürzlich im Kollegenkreis erzählte, dass eine offene Zweierbeziehung mit erlaubten Seitensprüngen für mich eher das normale Beziehungsmodell darstellen würde als ein eheähnliches Verhältnis waren die verdutzt – niemand von denen teilte meine Ansicht. Für meine Generation und noch viel mehr die Altersdekade über mir galt eine solche Beziehungsform oftmals als linken Idealen gemäßer als das “Modell Ehe”, und Eifersucht als eine zwar menschlich verständliche, aber irgendwo unreife oder unaufgeklärte Emotion – ein Partner ist schließlich ein selbstbestimmter Mensch und kein Besitz. Gut, das mag alles erst mal ziemlich theoretisch und im praktischen Leben dann doch ganz anders umsetzbar sein, aber zumindest wurde in solche Richtungen gedacht, geredet und geliebt, und das scheint 10, 15 Jahre Jüngeren heute nicht einmal mehr ansatzweise vorstellbar zu sein. Dafür ist praktisch niemand mehr weder tätowiert noch gepierct noch intimrasiert. Auf der einen Seite wird der eigene Körper wie ein Kunstwerk inszeniert, auf der anderen Seite wird mit ihm viel weniger Spaßiges mehr gemacht als früher.

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Dafür ist praktisch niemand mehr weder tätowiert noch gepierct noch intimrasiert. Auf der einen Seite wird der eigene Körper wie ein Kunstwerk inszeniert, auf der anderen Seite wird mit ihm viel weniger Spaßiges mehr gemacht als früher.

dann wäre der eigentliche trend asexualität.

lässt sich begründen, wer mit vierzehn bravo liest, will mit sechzehn nur noch seine ruhe.

biologistisch könnte man mit dem wegfall von schlüsselreizen argumentieren. die welt ist nicht biologistisch. wie einmal eine arbeitskollegin, damals achtzehn, sagte: einen freund? nein, dazu sind männer einfach zu stressig.

der eigentliche paradigmenwechsel findet derzeit beim verhältnis kinder eltern statt. der ganze bohei um unzucht miit minderjährigen führt dazu, die väter ganz still und gründlich nach draussen zu führen. wenn dann auch noch der staat grossflächig und weiträumig die aufzucht übernimmt, gibt es keine väter mehr.

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"Gut 10 Jahre später spielte ich zwar keine Musik im Park, prügelte mich aber mit Cassandra mit Schlagstöcken, wovon die Passanten erstaunt, aber ohne heftige Reaktionen Notiz nahmen."

Da wurde auch zeitgleich jongliert und feuergespuckt ein paar Ecken weiter. Kinder und Hunde tobten rum, es lagen Leute einfach nur auf der Wiese und lasen entweder oder schuten sich das Treiben so an.
Und im Hintergrund dass "plopp-plopp" der Tennisbälle.
Danach Füsse ins Wasser halten und es einfach nur gut sein lassen.

Gelegentlich üben da oben jetzt LARPer und re-Enacter, und die haben immer die Stauner auf ihrer Seite.

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Larper und Reenacter? Was zum Henker ist das?

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re-enactment:
@ché und ich besorgen uns irgendwie ähnelnde Uniformteile und spielen Soldaten der XX-Division SturmundDrang

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LARPer
http://de.wikipedia.org/wiki/LARP

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Cool!

Die Welt scheint doch kreativer zu sein als ich dachte.

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mag eine "urban legend" sein aber gibt die Geschichte, dass einige LarperInnen in voller Montur irgendwo in Niedersachsen vor ca. 10 Jahren über eine Horde campender Faschos hergefallen sein sollen (und natürlich den Kampf für sich entscheiden konnten)

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Keine 'urban legend' ist aber das LARP jetzt beim Bevormundungsstaat auch schon auf der Amoklauf fördernden Terrorliste steht

http://www.derwesten.de/nachrichten/staedte/dortmund/sued/2009/4/3/news-116275716/detail.html

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LARP ist Live Adventure Role Playing, im Gegensatz zu "Paper and Pen" was wir damals gespielt haben. Das gibt es auf verschiedenen Niveaus- von grottenolmenschlecht bis absolut grossartig.

Re-Enactment ist, wenn man sich ein Originalkostüm näht (möglichst per Hand) und dann irgendetwas Historisches nachstellt. Das geht dann von Herold besorgt sich und dir so was ähnliches wie eine Uniform und dann seit ihr die Division "Sturm und Drang" bis zu Leuten, die sich die Rekonstruktion von Bauern in der Zeit von 1320 bis 1380 in Gegend XY spezialisieren und alles selbst nach Museumsvorbildern nachstellen ubnd nacharbveiten und wehe, dass da was mit der Maschine genäht ist! In der Szene gab es sogar Leute, ob es sie immer noch gibt weiss ich nicht, die nach Norwegen fuhren, weil es da einen Museumshof gab, der die "richtige" Wolle mit den "richtigen" Schafen auf die "richtige " Weise herstellte.

Beide Gruppen sind sich spinnefeind, was an den Elfenohren auf Mittelaltermärkten liegt- oder so.

Im Spektrum der Re-Enacter kommen auch Gruppen wie "Ulfhedmar" vor, und die haben ganz sicher keine Faschos vermöbelt, aber das ist meinem Eindruck nach eher nicht der Regelfall.
Das Gerücht habe ich auch schon gehört, und zumindest in Gö waren in der Szene auch recht viele Linke aktiv, aber ob es stimmt weiss ich trotzdem nicht.

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re-enactment spielt in den us of a eine rolle, der bürgerkrieg dort ist lange genug her, um als freizeitvergnügen herhalten zu können. das wird vom optischen her recht realistisch betrieben, die entsprechendern ausrüstungsteile und zubehör sind, auch übers internet, erhältlich. es braucht also kein koföderierter mehr einen unionsoffizier zu erschießen, wenn er ein paar stiefel will.

einschub: es gibt da allerhand zubehör, sogar die der zeit entsprechenden schriftarten. wer also eine lutherbibel drucken, die boston tea party auf einem flugblatt kommentieren, plakate aus der zeit der bürgerkriegs oder zeitungen aus dem wilden westen (the tombstone epitaph) herausgeben will, bei walden fonts wird er fündig.
die freunde des werks von h.p. lovecraft finden auf den seiten der h.p.lovecraft historical society (cthulhulives.com) unter we thought it would be fun und propmaking allerhand darüber, wie man sich die passenden requisiten zum buch bastelt.
einschub zu ende.

in sachsen gibt es einige vereine, die truppenteile, etwa zu zeiten der völkerschlacht bei leipzig, darstellen. zu seiner zeit wars weniger lustig, siche die schilderungen bei kügelgen oder richter.

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Ein paar ehemalige DDR-Grenzsoldaten betreiben einen Freizeitpark, wo ein Stück Mauer wiederaufgebaut wurde und kanadische Touristen versuchen rüberzukommen, ohne abgeknallt zu werden.

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in Britannien tummeln sich in der Re-enactment-scene v.a. begeisterte Väter mit ihren teils gelangweilten, teils ebenso enthusiastischen Söhnen (vergleichbares Millieu wie Modellbau- oder Eisenbahnfreaks), gibt da Vereine in jeder halbwegs grösseren Stadt welche sich zumeist einer speziellen Gruppe (Kelten, Römer, Angelsachsen, Wikinger, etc. ...) widmen ... die meisten Re-enacterInnen (fast ausschliesslich Männer) sind harmlos, es gibt dort - speziell unter den Weltkrieg II-Re-enactment-Gruppen - aber auch einige finstere Vereine: http://jungle-world.com/artikel/2007/39/20419.html

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Gut, dann machen wir jetzt eine Reenactmentgruppe auf und stellen die Übergabe der SS-Division Wiking im ungarischen Niederheurigen und die Testflüge der Me262 "Schwalbe" mit Originalmaterial nach. Nörgler, Cassandra, Herold, Jankuhnologe und ich werden viel Spaß dabei haben und großes Hallo.

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warum nicht die me 163 mit cassandra featuring hanna reitsch?

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Das mit der offenen Zweiberbeziehung war eine prima Idee.
Nur kenne ich kein einziges Paar in meiner Ecke, bei denen das wirklich ohne Grausamkeiten abgelaufen ist. Entspannt darüber reden ist eine Sache. Doch sobald es gelebt wurde, ging es schief, ziemlich unreif schief.

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Das kenne ich wiederum anders, wenn auch nicht aus Erleben am eigenen Leib, wohl aber aus nächster Nähe.

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@und bin eigentlich unmusikalisch

Das ist kaum jemand wirklich, zumindest niemand, der selber Musik liebt und gerne hört. So genannte Amusikalität hat eher etwas mit Ungeschicklichkeit in der Umsetzung zu tun.

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Ein bißchen Bi schadet nie oder Sodom und Gonorrha
@croco: Da gibt es in meinem Bekanntenkreis z.B. eine Frau, die startete als Hetera, hatte dann ihr lesbisches Coming Out, lebt heute aber wieder mit einem Mann zusammen und hat parallel ständig Affären und Techtel mit Frauen. Wobei das zwischen "ich will doch nur spielen" und einem, nun ja, regelrechten Konsum ihrer Gespielinnen gelagert ist. Man kann sie durchaus als unmoralisch bezeichnen, wobei sie aus ihrer sexuellen Orientierung nichts macht, was im engeren Sinne an ihre Identität geknüpft wäre, sie hat zum Beispiel auch SM mal eine Weile ausprobiert und dann wieder bleibengelassen. Ein Freund von mir hatte jahrelang zwei parallele Beziehungen mit zwei Frauen, die voneinander wussten und sich kannten. Das war alles andere als unproblematisch und hatte am Ende keine Perspektive mehr, funktionierte aber zunächst ziemlich lange. Meine Schwester hatte mal eine offene Zweierbeziehung mit erlaubten Seitensprüngen, bei der über die Jahre hinweg von ihrer Seite einmal und ihres Freundes Seite zweimal seitengesprungen wurde ohne Folgen. Wobei es echt lustig war, als sie aus dem Norwegenurlaub zurückkam und ihrer kreuzbraven Nachbarin auf die Frage, wie der Urlaub gewesen sei auf dem Treppenabsatz in schallender Lautstärke erzählte "Der Skilehrer war total süß, jeden Tag gevögelt, hat super Spaß gemacht" und nicht mal mitbekam, dass die Nachbarin kurz davor war im Boden zu versinken.


Auffällig ist Eines: In meiner wahrgenommenen Lebenswirklichkeit sind solche Dinge Angelegenheit einer bestimmten Altersgruppe (Jahrgänge 1950 - 1970) und waren hauptsächlich 1970 - 1992 verbreitet.

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Mittlerweile leidet ihr ja auch alle an Altersrheuma und pflegt bei einem netten Kamillentee eure Zipperlein- da hat man wenig Nerv auf so was :)

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Werd du erstmal trocken hinter den Ohren.

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Na ja, ich habe derlei Dinge noch deutlich später praktiziert. Aber ich heiße ja auch schon so;-)

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Stimmt. Bist ja auch ne Heiße;-))

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