Samstag, 24. Oktober 2009
Von der Militanz zur Gentrification
"Früher, da seid Ihr ins Viertel gezogen und habt bei Hausbesetzungen mitgemacht, weil hier das Leben tobte. Heute gehören Euch die Häuser, ihr habt Kinder und einen Bauch angesetzt, und jetzt wollt Ihr aus der Gegend einen großen Kindergarten machen. Das läuft nicht, die action bleibt im Viertel!"


Diese Worte einer alten lieben Mitstreiterin drücken exakt aus, wie das Problem sich heute darstellt. So um 1980 rettete eine Welle von Hausbesetzungen zahlreiche schöne alte Häuser, ein sinnloses Stadtautobahnprojekt wurde verhindert. Heute wohnen viele der früheren HausbesetzerInnen als akademischer neuer Mittelstand in den Häusern, die sie seinerzeit preisgünstig erwerben konnten, fürchten sich um ihrer Kinder willen vor den Junkies, schwarzafrikanischen Flüchtlingen und Berbern vor der Haustür, sind grüne Stammwähler und doch ganz froh, wenn die Polizei mal den Big Stick aus der Tasche nimmt. Erinnerungen an eine rebellische Jugend am Kaminfeuer, Stahlgitter gegen die urbane Armut im Vorgarten. Lebenslügen aus Stein.


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Und was
darf man sich unter der "action" konkret vorstellen? Abfackeln von Volvo-Kombis?

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Action, baby!
Vielleicht so. Vermutlich gehört es aber eher zur "Action, die im Viertel bleibt", dass grenzdebile Flugis verteilt und verklebt werden, in denen zu "machtvollen" (= Randale) Polit-Folklore-Demos aufgerufen wird.

Man gönnt sich ja sonst nichts. Und vor allem gönnen die Polit-Hooligans von heute den ehemaligen Besetzern nicht den vollen Bauch, nicht den Kampf für ein lebenswertes Umfeld und zuallerletzt die Kinderwagen, welche an Stelle von potentiell werfbaren Steinen echte kleine Kinder durch die Gegend fahren.

Action, baby!

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Es ging mehr darum, dass exspontige Besitzbürger mehr Polizeipräsenz forderten, um die Junkies und Asylies und Kurdens unter Kontrolle zu halten, weil in einem Park am Rande eines Spielplatzes eine Fixe gefunden wurde. Und darum, dass nach einem tatsächlichen Krawall, bei dem einige Fensterscheiben zu Bruch gingen ein Geheul losbrach, als seien die Wohnungen der besagten Leute geplündert worden. Dass tatsächlich ständig Flüchtlinge von der Polizei mißhandelt wurden - der Schwarze als Solcher gilt ohnehin automatisch als Drogendealer - und illegale Abschiebungen stattfinden interessierte die Leute nicht. Hauptsache, mehr Polizei.

Man will sich als Wohlstandsbürger mit linker Vergangenheit ja wohlfühlen, da stören diese Untermenschen ja nur.

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Che, das mag man mit Recht
als Verrat an der eigenen Vergangenheit und Verspießerung geißeln. Als jemand, der anderthalb Jahrzehnte in einem actiongeladenen Multikultiviertel gewohnt hat, kann ich es aber auch ein Stück weit verstehen, wenn man irgendwann (etwa, sobald Kinder im Spiel sind) auf diese spezielle Folkore keinen Bock mehr hat. Oder wenn sich das Viertel in den letzten 20 Jahren einigermaßen gemacht hat, Sorge hat, dass es vor die Hunde geht.

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So wie Mark kann man das sagen, aber Dr. Dean klingt heute wie der Lebemann.

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Tatsache ist
dass Leute, die einmal Genossen waren, heute mit geradezu körperlichem Ekel reagieren, wenn sie vier Schwarze oder fünf Stachelpunks aufeinander sehen und die Vetreibung der Armutsbevölkerung in die Hochhausghettos am Stadtrand unterstützen.

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Das wirft Fragen auf.
Ist links und solidarisch mit den Schwachen sein vielleicht für die meisten nur so lange eine Option, wie sie dabei nicht viel zu verlieren, aber noch einiges zu gewinnen haben?

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Salonmarxologie – aufgedeckt
Zu dergleichen pflege ich zu sagen: Das ist menschlich verständlich, aber trostlos.
Die von Dir angesprochene Enttäuschung berührt gleichsam in einer Tiefenschicht das Theorie-Praxis-Thema, das mich ja gerade heute wieder umtrieb. Was ich darlegen möchte, macht an Deiner Formulierung „Leute, die einmal Genossen waren“ sich fest. Der tradierte Begriff des Genossen war mir je schon ungemütlich, da verbunden mit emotionsgesättigter Überzeugung, etwas Flüchtigem, auf das sich nicht bauen läßt. Jahrzehnte später bestätigte sich mir das: Von denen, die nicht Genossen, sondern „Kapital“-Kombattanten waren; von diesen Arroganten und Elitären im Elfenbeinturm hat nicht einer abgeschworen, keiner fiel um, bis heute nicht. Und wie spiegelbildlich existiert von den heftigen Gefühlslinken von damals nicht einer, der nicht längst die Seite der Barrikade gewechselt hätte.
Das stärkt noch ex post und abermals das Mißtrauen in den Begriff des Genossen als einer Imago des irrationalen Kollektivs. Je stärker der Empfindungsgenosse bloß die Haltung verbürgt, umso mehr bürgt er für nichts, und um so größer die Enttäuschung, die nun Dich trifft.
Nicht zuletzt diese Einsicht nötigte zur Salonmarxologie. Deren Geheimnis ist die Erkenntnis der biographischen Relevanz der Differenz von intelligiblem und empirischem Charakter: Dieser ist flüchtig, jener, so vorhanden, ist stabil. „Genossen“ hatten, nach meiner Erfahrung, noch nie einen intelligiblen Charakter.
Was Dich, lieber Che, ständig mittendurch reißt, ist der quer durch Dich durchlaufende Widerspruch von Intelligibilität und Genossen-Idolatrie. Da sollte man sich entscheiden, zumal dann, wenn die Ex-Genossen zu Deinem Leidwesen Dir grade mal eins scheißen.
_______________

@ Mark. Danke erstmal für Deine Genesungswünsche, ich kann es brauchen. –
Aber hallo wird da bilanziert je nach Lage und biographisch gewandeltem Interesse. Das ist die Sorte, die früher als jeder McKinsey die Bedeutung des sich selbst neu Erfindens erkannte.

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Darauf kann ich nur so antworten, wie ich nunmal gestrickt bin: I´m bound to my Counscience.

Anschaulich so ausgedrückt:
http://www.youtube.com/watch?v=Yylvib5oW4c&feature=related

http://www.youtube.com/watch?v=n8Kxq9uFDes

http://www.youtube.com/watch?v=NLLsn1f7Tdc

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So präzise
wie der noergler hätte ich es nicht ausdrücken können. Aber tatsächlich stand Genossentum bei mir auch seit jeher unter dem Generalverdacht, dass abgesehen von ein paar Engagierten, denen es tatsächlich mehr um Inhalte oder die Sache geht, die Mehrheit aus Mitläufern gebildet wird, die wenn es der jeweilige biographische Zufall so gewollt hätte, genausogut auch auf der anderen Seite des Spektrums hätten mitmarschieren können. Entsprechend wenig Anstrengung kostet es die Betreffenden dann, sich unter entsprechend geänderten biographischen Rahmenbedingungen (Kinder im Spiel, Immobilienbesitz etc.) "neu zu erfinden". Um dann wie Kamerad ziwo die Welt nur noch durch die Brille "ich als Steuerzahler" zu sehen und erbärmlich unter der Vorstellung zu leiden, die Aufwendungen für Flüchtlinge, Arbeitslose und andere Marginalisierte würde direkt vom eigenen Konto abgebucht.

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Meine Formulierungen klingen etwas sehr harsch - und sollen nicht darüber hinweg täuschenl, dass mir Gefühlslinke Genossen i.d.R. lieber sind als rechte Schreihälse, ob nun rechtsextrem, aus dem neurechten Lager, oder als rechts"liberale" Extremisten, welche die eigene Steuererklärung zum Zentralpunkt aller Politik erklären, während sie erstens alle verfluchen, welche noch die Welt zu bessern versuchen, zweitens auch all jene, welche anders leben als sie selbst.

Genau da reagiere ich dann allerdings allergisch: Wenn in einem arrogant-militanten Ton, dem gleichzeitig deutliche Borniertheit kaum absprechbar ist, andere Lebensentwürfe verteufelt werden, und das eigenen Sein zum Maßstab gemacht wird.

Vom Lebemann trennt mich unverändert sehr vieles, im Übrigen nicht nut Gutes. Was er sehr zugespitzt formuliert, im stets beleidigten Ton und mit "profunder" Vorverurteilung aller Linken, das dürfte sich realweltlich deutlich sympathischer darstellen.

Im Fall derjenigen, die da ihr verstrahlt militantes bewegungslinkes politisches Dasein mit Worten wie "Das läuft nicht" schmücken, was bei Lichte betrachtet nicht entfernt so machtvoll ist wie es daher kommt, denen bestreite ich erstens, in irgend einer relevanten Weise progressiv zu sein, zweitens, realweltlich sympathischer als in ihren Texten da zu stehen.

Da habe ich also selbst Vorurteile, massive zumal, nämlich über sich militant gebende Bewegungslinke mit engstirniger Nulltoleranz gegenüber anderen. Ich halte den ganzen Ton, mit der sie ihr kurzes Pamphlet verfasst haben, für vollumfänglich zum Kotzen - und ich sehe einfach nicht, wo ich an dieser Einschätzung Abtriche machen sollte.

Ich habe solche Leute, die derartige Texte schreiben, in meinem Leben vieldutzendfach kennen gelernt. Dummköpfe, Wirrköpfe, Randalekrieger. Da gab es keine einzige positive Ausnahme darunter - aber jede Menge gemeingefährlicher wie aggressiver Spinner, die anderen Menschen das Leben schwer machen.

Menschen, die derartige "Fehler" machen, wie das Großziehen eigener Kinder, die werden von diesen militanten "Linken" gehasst. Wie gesagt: Mein Kotzreflex, nicht zuletzt nahe an meinen Erinnerungen gebaut, ist da sehr groß.

Das ist in gewisser Hinsicht inkonsequent, weil diejenigen, welche den Staat zur Beute von Kapitalisten und asozialen "liberalen" Extremisten machen, deutlich größeren Schaden verursachen - während sie (i.d.R.) kaum eine einzige, nachhaltig schätzenswerte positive Motivation ihres Handelns vorweisen können.

P.S.

Das mag es geben, dass Ex-Hausbesetzer verspießern - oder schlicht keine Lust mehr auf diejenigen haben, welche sich in "Plenen" rumdrücken, um dort ihr pseudolinkes Mackertum auszuleben.

Gründe dafür gibt es - gute und nachvollziehbare.

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Die Frau, die diesen Spruch gebracht hat, ist realweltlich eine äußerst tolerante, witzige, lebenslustige Person. Die Drastik ihrer Sprüche ist auch in keiner Weise szenetypisch, hat ihr im Gegenteil zu echten Problemen in der Szene verholfen - Vegane als "Gurkenkinder" und Antifa(M)-Leute als "Schießbudenfiguren" und "Kegelverein" bezeichnen z.B.. In meinem engeren Bekanntenkreis ist es teilweise üblich, so zu reden, wie die Titanic schreibt, das ist sicher gewöhnungsbedürftig, ich möchte diesen Stil jedoch nicht missen. Nicht Kindergroßziehen wird hier im Übrigen inkriminiert, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der das Pflegen eines saturierten Lebensstils mit dem Wegräumen Wollen von Armen, Fertigen und Asylsuchenden verbunden wird, die das Idyll stören. Einige von denen fanden es ja sogar gut, dass die Söhne türkischer Ladenbesitzer eine Art Kiezmiliz gebildet hatten, die für "Ordnung" sorgte - was tatsächlich hauptsächlich das rassistisch motivierte Zusammenschlagen von Kurden beinhaltete, aber als Aufräumen mit Drogendealern verkauft wurde.

Das ist ein Milieu, das sich als links versteht und gegenüber den sozial Schwächsten Verhaltensweisen zeigt, die bruchlos an die "Asozialenpolitik" der Nazis anknüpfen könnten.

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Womit für mich
nur einmal mehr bestätigt wird, dass es von erheblicher Verblendung zeugt, davon auszugehen, man habe es linkerseits grundsätzlich mit irgendwie anderen (im Sinne von _besseren_) Menschen zu tun. Insofern kracht da für mich jetzt kein Weltbild zusammen angesichts solch massiver Inkonsistenz von Reden, Fühlen und Handeln.

Es würde mir als Linkem und in der Multikulti- und Flüchtlingsfrage engagierter Person allerdings schon zu denken geben, wieso der Entwurf einer multikulturellen Gesellschaft bei vielen auf einmal so an Strahlkraft verliert, wenn man ihn konkret leben muss und wenn man den Preis dafür auch in der Form bezahlen muss, dass es im Viertel halt nicht mehr ganz so lauschig ist. Das kann man durchaus kritsieren, sei es aus genuin linker Perspektive oder auch aus Sicht eines Lebemanns oder Dr. Deans. Ich bin aber skeptisch, ob das Bemühen, "die action" im Viertel zu halten, dem Modell der offenen Gesellschaft wieder mehr Glanz und Ansehen verleiht bei denen, die sich von dieser Vorstellung in den letzten Jahren nach und nach verabschiedet haben.

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Das, was gemeinhin unter multikulti verstanden wird lehne ich ohnehin ab. Antirassismus beinhaltet ja gerade eine Kritik des multikulturellen Konzepts, das m. E. die rassistische Spaltung der Gesellschaft weder überwinden kann noch soll.

http://wolfwetzel.wordpress.com/2007/08/01/was-hat-das-multikulturelle-konzept-mit-verkehrsberuhigung-zu-tun-1992/

Die action im Viertel halten war auch weniger als das Veranstalten von Straßenkrawallen gemeint, sondern eher in dem Sinne, dass es immer Vieles zugleich war: Flaniermeile und touristischer Schwerpunkt und nichtalltägliches Wohngebiet und sozialer Brennpunkt, alles in Einem. Wo es normal ist, dass im Restaurant oder Biergarten Haschisch geraucht wird oder ein paar Jamaicaner auf der Straße eine Jamsession machen. Es kann keine rede davon sein, dass es im Viertel nicht mehr so lauschig sei. Das Viertel ist, wie es immer war, nur ein ganze Reihe linke Spießer sind heute konservativ geworden.

http://www.magistrix.de/lyrics/Slime/Linke-Spiesser-21768.html

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Ups,
da habe ich mir jetzt eine Begriffskritik eingehandelt, die mit meinem Punkt eigentlich so rasend viel nicht zu tun hat. Ich meinte mit multikulti tatsächlich nichts anderes als ein gepflegtes Miteinander von Angehörigen verschiedener Kulturen, Ethnien oder was auch immer in einem Viertel - und nicht, was Politiker "von oben herab" vielleicht darunter verstehen mit Einwanderungsquoten undundund.

Ich habe selber wie gesagt lange (und gerne) in einem Viertel mit hohem Ausländeranteil gewohnt, zuächst überwiegend Türken, ab Mitte der 90er dann auch verstärkt Osteuropa und Balkan. Aber da war der Brennpunkt-Charakter deutlich ausgeprägter als der Aspekt Flaniermeile oder touristisches Ausflugsziel (allenfalls Sextouristen aus dem Umland im Sperrbezirk), von daher ist das schon ein härtes Pflaster als was Du da beschreibst. Dort hätte ich es eher verstanden, wenn Altlinke mit der Zeit mehr law-and-order-mäßig draufkommen und mit der kulturellen und subkulturellen Vielfalt irgendwann nicht mehr so rasend viel anfangen können. Denn leider hat das Viertel die Kurve nicht gekriegt, die Gentrification-Tendenzen der frühen 90er sind bald wieder versandet, wozu der massive Zuzug aus Osteuropa sicher sein Teil beigetragen hat.

Da war dementsprechend ganz andere (blaulichtaffinere) Action als spontane Jams von Jamaikanern oder paar Biergelage von Punks auf der Neckarwiese. Aber es war halt auch nicht annähend so spießig und muffig wie in dem angrenzenden Stadtteil, in dem sich überwiegend Lehrer, Sozialpädagogen und Alternativ-Buchhändler niedergelassen hatten. ;-)

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@ Che

Die verlangte "Action im Viertel" klang für mich aber deutlich mehr nach linker Militanz. Und da ist es m. E. doch kein größeres Wunder, wenn ehemalige Hausbesetzer dazu schlicht sagen:

Nein, danke!

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Dieser Konflikt zwischen verbürgerlichten Ex-HausbesetzerInnen und sozial Marginalisierten ist aus meiner Sicht schlichtweg eine Form von Klassenkampf, und da ist dann auch klar, auf wessen Seite ich Stellung beziehe.

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Dass ungentrifizierte Areale – was keineswegs zwangsläufig erfolgt – zu Gewalt-, Müll- und Drogengebieten sich entwickeln, liegt im objektiven Interesse der Gentrifizierungsgewinner/Investoren, da so der bauspekulative Gentrificker als Retter sich zu präsentieren vermag: 'Sie sollten hier nicht so Widerstand leisten. Gucken Sie doch mal in X-Stadt in den Stadtteil Y, was da jetzt los ist, weil man uns da nicht reingelassen hat.'

Die sozioökonomische Destabilisierung ist Strategie und vorsätzliche Tat von Fortress und anderen Finanzmonstern, durch Unterlassung von Instandhaltung und durch Nichtvermietung den Verfall und die dadurch bedingte Veränderung des sozialen Klimas vor Ort erst zu erzeugen, um dann darauf zu verweisen, dass es so ja wohl nicht bleiben kann, aber gotttlob habe man ja schon das Konzept und die Finanzierung.
Das findet derzeit etwa in St. Pauli statt:

http://www.no-bnq.org/

(Wieso hören wir von Momorulez nichts darüber, oder habe ich da etwas übersehen?)

Was ich damit sagen will, ist:
Nicht Che will Zoff und Randale im Quartier – Investoren sind es, die das wollen.

Dass es bei den hier in Rede stehenden Immobilien nicht um einen Konflikt mit einem globalen Investor geht, habe ich verstanden. Aber vielleicht hat nicht jeder verstanden, wo die Freunde der Gewalt zu finden sind, und wo nicht.
____________________

Wogegen Che sich wendet, sind Sterilität und Kälte des sozialen Einheitsgraus von Arealen, denen man Buntheit und Vielfalt ausgetrieben hat. Es entspricht nicht der Wirklichkeit, sondern nur einer gewissen Mentalität, die Alternative zur gleichmacherischen Unwirtlichkeit der Stadtteile nur noch in brennenden Kfz erblicken zu können.

In den andalusischen Großstädten geht das so: Als in jahrhundertalten Stadtteilen die Preise von Häusern von 10.000 Euro auf 1 Million Euro gestiegen waren, wurden weit draußen Neubaugebiete errichtet, in die man die nunmehr Depravierten verfrachtete. Dort machen sie nun etwas, was sie vorher nie taten: Müllberge in den Straßen anhäufen und Autos anzünden. Erstaunlicherweise tun sie das, ohne dass linke Randalemacher sie dazu aufgerufen hätten.

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Genau so ist es.

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@noergler:
Es entspricht nicht der Wirklichkeit, sondern nur einer gewissen Mentalität, die Alternative zur gleichmacherischen Unwirtlichkeit der Stadtteile nur noch in brennenden Kfz erblicken zu können.

Das ist eine Scheinalternative, der wirklich niemand hier das Wort geredet hat. Ich wollte einfach wissen, was ich mir unter der verbleibenden Action im Viertel vorzustellen habe, und ich sehe nun klarer, nachdem Che das genauer ausgeführt hat.

Die von Dir beschriebene Interessenslage von Investoren gibt es natürlich. Und das Vorgehen ist keineswegs eine Domäne globaler Finanztrusts. Die Stadt Mannheim hat es im denkmalgeschützten Laurentiusblock ja ganz genauso gemacht, leerstehen und verfallen lassen, um dann auf Beifall zu hoffen, wenn dieser vermeintliche Schandfleck endlich beseitigt wird und stattdessen ein moderner Wohnklotz mit Tiefgaragen hochgezogen wird.

Ich bin im Übrigen auch nicht der Auffassung, mit der Errichtung irgendwelcher Banlieus, in denen die sozial schwachen und schlecht integrierten zusammengepfercht werden, täten sich die Städte einen Gefallen. Ich muss ehrlicherweise aber auch sagen, dass ich nach fast 15 Jahren in der Neckarstadt-West (die ich trotz allem irgendwie geliebt habe) inzwischen froh bin, da raus zu sein. Dass dieses Viertel mit seiner ganzen alten Bausubstanz die Kurve nicht gekriegt hat, macht mich ziemlich traurig, aber an irgendwelchen Finanzinvestoren aus Übersee lag das sicher nicht.

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@noergler, Andalusien: In Malaga habe ich es erlebt, von alten Damen mit riesigen Zahnlücken angebettelt zu werden. Das waren keine Obdachlosen, sondern ganz normale ehemalige Arbeiterinnen, die nicht genug Rente bekamen. Ich hatte den Eindruck, in das zahnlose Gesicht unserer eigenen Gesellschaft ein paar Jahrzehnte in der Zukunft zu schauen.

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Fragen an die Diskutanten
Mark793 fragt sich, "(...) wieso der Entwurf einer multikulturellen Gesellschaft bei vielen auf einmal so an Strahlkraft verliert, wenn man ihn konkret leben muss und wenn man den Preis dafür auch in der Form bezahlen muss, dass es im Viertel halt nicht mehr ganz so lauschig ist."
Ich finde die Frage gut, und finde darüber hinaus, dass Ches Kommentar von 12:26 eine Teil-Antwort dazu darstellt.

Wenn man sich (in Ermangelung besserer Begriffe) verschiedene "mulitkulturelle Quartiere" anschaut, dann wird man hier gelungenere und weniger gelungenere Beispiele finden.

(das wäre meine Grundthese)

Was nun sind die Erfolgs- bzw. Misserfolgsfaktoren dabei? Wann und warum genau wird ein Quartier zum Brennpunkt von Aggression, Kriminalität und Gangs, wann von Verwahrlosung?

Mir fehlen dazu die Antworten, ich stelle fest: Ich weiß zu wenig. Gefühlsmäßig würde ich sagen, dass Armut und Perspektivlosigkeit eine Rolle spielen - aber diese Einschätzung wird nur zu geringeren Teilen durch meine Erfahrung bestätigt. Es gibt stabile multikulturelle Quartiere, wo es ein Nebeneinander von Armut und Gentrifikation gibt, und insgesamt ein lebenswertes Wohnumfeld.

Ich denke, dass die Zusammensetzung der Abstammung eine Rolle spielt. Ich hatte mit Arabern bislang immer nur gute Erfahrungen gemacht, ich kannte viele kulturell orientierte und
sozial aufmerksame darunter, und doch denke ich, dass ein hoher Anteil von "Araberfamilien" in den Wohnquartieren eine negative Rolle spielen können.

Nur frage ich mich, woran genau das liegt. Ist es in erster Linie die nicht erfüllte Integrationsschuld durch die deutsche Mehrheitsbevölkerung? Kann man überhaupt so einfach fragen - oder ist das Geschehen komplexer, und wenn ja, wie - und auf welche Weise. Ich meine, dass diejenigen, die ausgiebige Erfahrungen in Flüchtlingsarbeit haben, hierzu einige Antworten haben könnten - jedenfalls deutlich mehr als ich sie habe.

Mein Eindruck ist, dass die multikulturellen Ausgeh-Viertel besser abschneiden (warum eigentlich?), sowie, dass die konkrete Geschichte der Bewohner (auch die Erfahrungen mit der eigenen Existenz in "Deutschland") eine wichtige Rolle spielt, dass Vorbilder eine wichtige Rolle spielen - aber insgesamt stelle ich den Kommentatoren und Lesern hier die Frage:

Was ist es?

Der von "Investoren" teils offensiv betriebene Verfall von Quartieren ist sicher ein Faktor. Ein weiterer Faktor scheint mir zu sein, wenn schwarzgrüne Bürgerliche waggonweise Geldbündel für "saubere" Quartiere ausgeben, in Hamburg für einen extrem teuren - und damit irrsinnigen - neuen Stadtteil, in dem sich die Träume der politischen Klasse kulminieren, statt in die Pflege bestehender Quartiere.

Ich fühle mich ratlos, finde das Thema aber sehr interessant und freue mich auf jede Anwort.

(...und vielleicht hat das Thema Militanz mit der Qualität der Quartiersentwicklung eher wenig zu tun. Die in den Quartieren notwendige "action" ist jedenfalls nicht die "action", von der sich radikal und militant gebende "Linke" Plenen träumen - eher schon passen linksalternative Stadteilläden zu diesem Thema - aber auch nicht gerade perfekt, sondern wohl nur für kleinere Schichten interessant)

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Danke, Dr. Dean,
dass Du die sehr ernst gemeinte Frage nochmal aufgreifst. Ich habe darauf leider auch keine einfachen und allgemeingültigen Anworten parat (wobei Che für das Viertel, um das es ihm konkret geht, wahrscheinlich schon eine treffende Diagnose stellt).

Eine Facette des Themas, die oben auch schon mit dem Stichwort "großer Kindergarten" angerissen ist, sollte man in der Tat nicht unterschätzen: Ob man Kinder hat oder nicht, macht in der Perspektive womöglich schon einen Riesenunterschied. So wohl ich mich damals mit meiner Ex (postpunkige Ewigstudentin mit Connects in die Londoner Hausbesetzerszene) und in den darauffolgenden Singlejahren im Problemkiez gefühlt habe, so wenig wäre ich auf die Idee gekommen, dort Kinder großziehen zu wollen. Gebrauchte Spritzbestecke im Sandkasten, die hohe Kampfhund-Dichte und Deutsch als dritte Verkehrssprache nach Türkisch und Russisch an Kindergärten und Grundschulen, warum man seinem Kind das alles zumuten sollte, wenn man es auch anders haben kann, darf man mir gerne mal erklären (und mich meinetwegen auch als Spießer beschimpfen).

Es ist nun freilich auch hier in der niederrheinischen Verbundgemeinde nicht so, dass wir auf einer Insel der Seligen ohne Kontakt zu den sozialen Realitäten lebten, aber die hiesige Mischung scheint mir (auch für meine Frau) wesentlich bekömmlicher zu sein als das heiße Pflaster der Neckarstadt-West. Von meinen ganzen kinderlosen Freunden und Bekannten dort sind inzwischen auch die meisten weggezogen. Das heißt, man muss die Versuche, dauerhaft eine etwas ausgewogenere Soziodemographie ins Viertel zu bringen, leider als gescheitert betrachten.

Mich macht das ziemlich traurig, weil ich dieses Viertel mit seiner alten Bausubstanz und dem ganz speziellen Flair trotz aller Mängel doch irgendwie geliebt habe. Aber so viel älter hätte ich dort nicht werden mögen. Und wie gesagt, meiner Tochter auf ihrem weiteren Schul- und Lebensweg den Stempel aufzudrücken, aus diesem Loser-Stadtteil zu kommen, das war es mir/uns dann doch nicht wert.

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(Trollbeitrag durch Blogger.de-Admin gelöscht.)

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Wenn um deine Wohnung herum sich Junkies aufhalten, hast du wahrscheinlich das Problem der Wohnungseinbrüche, selbst wenn dann nur die CD-Sammlung fehlt. Das ist faktisch ein Problem, aber man sollte als reflektierter Mensch nicht die Junkies zum Problem machen, sondern die Drogenpolitik. Bei deutlichem Vermögensgefälle entstehen Probleme, die politisch, gesellschaftlich betrachtet werden müssen, ansonsten läuft man in die neoliberale Falle, ein umfassendes Problem im Individuum abzulagern.

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