Dienstag, 7. April 2020
Zum Hungerstreik in der ZASt Halberstadt: Auflösung der Sammellager durchsetzen!
Anbei ein Offener Brief des Antirassistischen Netzwerk Sachsen-Anhalt zum Hungerstreik der Bewohner_innen in der ZASt Sachsen-Anhalt. Auch wenn die Abläufe in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes und die Information der Bewohner_innen in Niedersachsen ungleich besser organisiert zu sein scheinen, vermittelt der Protest in Halberstadt einen Eindruck davon, was es bedeutet, wenn über die gesamte Erstaufnahmeeinrichtung die Quarantäne verhängt wird. Die niedersächsische Landesaufnahmebehörde will nach eigenem Bekunden erreichen, dass im Fall nachgewiesener Infektionen nicht die gesamte Einrichtung, sondern "nur" einzelne Häuser unter Quarantäne genommen werden. Ob dies in Großlagern mit 900 bzw. 700 Personen machbar ist, ist allerdings fraglich: Im Zweifel entscheiden die Gesundheitsbehörden. Die Konsequenz aus den Protesten in Halberstadt kann insofern nur lauten: Dezentralisierung jetzt!
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Für das spreaden in den sozialen medien bitte folgende hashtags benutzen: #coronasolidarity #leavenoonebehind #halberstadt
http://antiranetlsa.blogsport.de/2020/04/04/halberstadt-dezentralisierung-jetzt-schutz-vor-infektion-fuer-alle-solidaritaet-mit-den-hungerstreikenden-der-zast-in-halberstadt/
[Halberstadt] Dezentralisierung jetzt. Schutz vor Infektion für alle. Solidarität mit den Hungerstreikenden der ZASt!
Die Situation in der ZASt kippt aufgrund der Corona-Krise und Menschen treten wegen der Unterversorgung in Hungerstreik! Die Landesbehörden müssen sofort handeln!
Offener Brief des Antirassistischen Netzwerk Sachsen-Anhalt
4.4.2020
Offener Brief als pdf

„Die Lage hier in der ZASt scheint zu eskalieren. Wenn nicht schnell etwas passiert, dann gibt es hier Tote.“ (Bewohner aus der ZASt, 1.4.2020)
„Wir werden heute 12:00 Uhr in den Hungerstreik treten. Die Zustände nach einer Woche Quarantäne sind unaushaltbar.“ (Bewohner*in aus der ZASt, 4.4.2020)
Sowohl Bewohner*innen als auch Sozialarbeiter*innen berichten, dass es keine ausreichende Versorgung gibt und die gesamte Situation chaotisch und sehr angespannt ist. Verantwortliche behaupten, die Situation sei unter Kontrolle und die Menschen ausreichend versorgt.
Zur aktuellen Situation in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber*innen (ZASt):
Rund 850 Menschen leben aktuell in der ZASt, alleinreisende Geflüchtete, genauso wie Familien. Trotz des Wissens im Vorhinein, dass die Wohn- und Lebensverhältnisse, wie sie in der ZASt vorzufinden sind, eine Gefahr für die Menschen durch eine massenhafte Ansteckung mit dem Cornavirus bedeuten, wurden keine Schritte eingeleitet, um die Geflüchteten dezentral unterzubringen.
Bereits Ende März wurde ein Bewohner positiv auf den Coronavirus getestet, woraufhin alle Bewohner*innen das Lagers, also 850 Menschen, unter Quarantäne gestellt wurden. Am Donnerstag (2.4.2020) waren es bereits 20-30 „positive Fälle“.
Zum Einen haben sich in den vergangenen Tagen die Bewohner*innen nach außen an Unterstützer*innen gewandt und die drastische Lage vor Ort geschildert. Zum anderen haben die zuständigen Stellen das Land Sachsen-Anhalt, die für die Versorgung der ZASt zuständig sind, um Hilfe gebeten, da sie eine notwendige Versorgung der Menschen nicht mehr sicherstellen können. Ein solidarisches, zivilgesellschaftliches Netzwerk in Halberstadt wurde vom Landkreis in die konkrete Unterstützung miteinbezogen, Geld für Einkäufe für eine zusätzliche Versorgung bereitgestellt, Zugang zur ZASt gewährt. Nach einer Krisensitzung von Verantwortlichen gestern stellt sich aktuell die Lage wieder neu dar und es ist fraglich, ob eine solidarische und aber dringend notwendige Versorgung der Menschen stattfinden kann, da aus Sicht des Innenministeriums die Versorgung in der ZASt gesichert sei.
Die erste Woche unter Massenquarantäne haben uns Bewohner*Innen wie folgt dargestellt:

Das Lager ist nun in 5 Quarantäneblöcke aufgeteilt. Alle Bewohner*innen sollen getestet werden. Infizierte Menschen werden in ein extra Lager nach Quedlinburg gebracht. Die Abholung infizierter Personen ohne Erklärung lösen Panik unter den Bewohner*innen aus. Hier spielt die kollektive, permanente Erfahrung einer ständig drohenden Gefahr von Abschiebungen eine wesentliche Rolle.
Es herrscht ein Mangel an aktuellen Informationen über Infektionsmöglichkeiten mit Covid-19 und den Folgen daraus.
Die Menschen können die Gebäude nicht mehr verlassen. Sie fühlen sich eingesperrt und isoliert.
Für die Menschen ist es schlichtweg nicht möglich, sich selbst oder andere zu schützen, da die Unterbringung weiterhin mit bis zu fünf Personen in einem Raum erfolgt. Duschen und Toiletten werden weiterhin gemeinschaftlich benutzt. Der gebotene Infektionsschutz ist nicht gegeben.
Es herrschte ein Mangel an Desinfektionsmittel, Hygieneartikeln und Toilettenpapier.
Auch wenn es eine rudimentäre Essensversorgung durch eine zentrale Kantine gibt, ist diese Versorgung unzureichend und mangelhaft. Eine Problematik die auch grundsätzlich schon lange Thema ist.
Es wurden Hamburger Gitter aufgebaut, um mitten in der Pandemie Essenswarteschlangen zu bilden. Gerade Warteschlangen sind aber der Grund, weshalb Mensen an Hochschulen und Kantinen längst geschlossen sind.
Durch das Ausgangsverbot können sich die Menschen aber selbst nicht mit dem Nötigsten, wie Nahrungsmittel, Hygieneartikel sowie Toilettenpapier etc., versorgen.
Neben dem Personal der Security, das in der Vergangenheit immer wieder Gewalt gegen Bewohner*Innen ausgeübt hat, ist nun auch rund um die Uhr Polizei vor Ort. Mit beiden, Security und Polizei, haben die Bewohner*innen i.d.R. Erfahrungen, die von Gewalt und Repression geprägte sind. Auch in der jetzigen Situation ist davon auszugehen, dass die Androhung und Anwendung von Gewalt ein Mittel zur Beherrschung der Lage ist.
Sicherheitspersonal als auch Sozialarbeiter*innen und alle anderen Mitarbeiter*innen betreten und verlassen täglich das Gelände und das Lager, während die Bewohner*innen eingesperrt werden. Auch hier scheint es kein ernstzunehmendes Konzept geben.
Es ist festzuhalten:
Es herrschen unhaltbare Zustände seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in der ZASt in Halberstadt, die im Vorhinein hätten verhindert werden können. Das Land konnte tagelang die Versorgung von 850 Geflüchteten nicht ausreichend sicherstellen. Die Bewohner*innen waren und sind weiterhin massiver gesundheitlicher Gefahr ausgesetzt, werden isoliert und menschenunwürdig behandelt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich das Virus auch in einem Massenlagern wie der ZASt, aber auch in anderen Lagern, wie z.B. in Krumpa im Saalekreis oder in der Breitscheidstraße in Magdeburg, ausbreiten werden. Nichtsdestotrotz wurden von Seiten der Verwaltung keinerlei Vorbereitungsmaßnahmen ergriffen – ein erstaunlicher Vorgang, denn überall sonst sind Ansammlungen von mehr als zwei Menschen verboten und private Zusammenkünfte werden als „Corona-Parties“ gewertet, aufgelöst und bestraft.
Warum gelten die neuen Standards also nicht für die Massenunterkünfte von Geflüchteten? Solch ein Handeln ist nicht nur ignorant, sondern grob fahrlässig im gesamtgesellschaftlichen Kontext und rassistisch im Besonderen, wenn wir darauf schauen, welche Menschen eine derartige Behandlung trifft. Die Verantwortlichen müssen dafür zur Verantwortung gezogen werden!
Die Bewohner*innen der ZASt können so nicht weiterleben. Drastische Veränderungen sind nötig, um nicht in einer unvorhersehbar langen Dauerschleife aus potentieller Infektionsgefahr hängen zu bleiben.
Wir fordern von den verantwortlichen Politikern und Politikerinnen, wie Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) und anderen Verantwortlichen im Landesverwaltungsamt:
1. Eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten, und zwar sofort und dauerhaft. Wir fordern die Schließung der Massenunterbringungen, wie der ZAST und allen anderen Lagern in Sachsen-Anhalt. Für die dezentrale Unterbringung bietet sich an, den vorhandenen Leerstand in Halberstadt (und wahlweise ebenso in den anderen Landkreisen) zu Gunsten der Geflüchteten zu nutzen und sie in Wohnungen unterzubringen. Hierfür sei auch auf das positive Beispiel Halle/S. Verwiesen.
2. Die Sicherheit und den Schutz der Gesundheit von allen Menschen! D.h. ein umfassender Infektionsschutz und ein uneingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung unabhängig vom Pass oder Aufenthaltsstatus.
3. Ein Ende der Sanktionen bzw. die finanziellen Möglichkeiten, damit die Menschen sich mit dem Notwendigen versorgen können. Bei Quarantänefällen muss die Versorgung mit ausreichenden Mengen an Hygieneartikeln und angemessener, immunstärkender Nahrung garantiert sein.
4. Schaffen Sie kurzfristig neue Stellen für Sozialarbeiter*innen, medizinisches Personal, psychologische Betreuung und juristische Beratung von Geflüchteten!
5. Frauen, Kinder und vulnerabel Personen verdienen besonderen Schutz vor Gewalt, wie sie in Lagern allgegenwärtig ist als auch vor häuslicher Gewalt. Eine ausreichende Beratung, Betreuung als auch Schutzräume und Häuser müssen ermöglicht werden.
6. Wir fordern Zugang für solidarische Menschen in die ZASt als auch andere Lager um die Betroffenen zu versorgen.
Sachsen-Anhalt, 4.4.2020
Wir werden in den kommenden Tagen weiter berichten, die Stimme der Betroffenen hörbar machen und die Situation vor Ort weiter kritisch begleiten.
Mehr Informationen finden sich hier: www.antiranetlsa.blogsport.de
Videos und Botschaften aus der ZASt werden hier veröffentlicht (in Arbeit): https://bit.ly/34bdIa2
Pressekontakte:
Alex: 0178-1393790, vom Solidaritätsnetzwerk in Halberstadt
Helen: 0157-38303546
E-Mail: antiramd@riseup.net

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