Montag, 4. März 2024
Probleme des Antirassismus, ein Zwischenbericht
Vor einiger Zeit hatte ich auf Empfehlung Bersarins mit der Lektüre des Sammelbands "Probleme des Antirassismus" begonnen und als jemand, der sich selber als Antirassist definiert und lange Zeit sehr engagierter Antira-Aktivist war mich von den vertretenen Ansichten und Positionen ziemlich irritiert gefühlt.

https://che2001.blogger.de/stories/2877289

Das wurde nach Fortsetzung der Lektüre nicht besser. Manches ist hochinteressant, so die Auseinandersetzung mit dem verkürzten, klischeehaften Antirassismus von Edward Said (böse könnte man das auch Kitschversion von Panarabismus nennen) oder die erkenntnisbringenden Erläuterungen postkolonialer Studien, die nicht nur hinter die Dialektik der Aufklärung, sondern hinter die Aufklärung selbst zurückfallen. Etwa, wenn Ethnien um ihrer selbst wegen im Rahmen des Antirassismus, der Antidiskriminierung geschätzt und aufgewertet werden, was dann auf das "naturhaft-Besondere" hinausläuft. Poststrukturalistische, dekonstruktivistische Diskurse, die de facto plötzlich wieder auf Rassen hinauslaufen, auch wenn das niemand direkt so sagt.

Andererseits werden dort auch Theorieansätze abgehandelt, zu denen mir nur noch WTF einfällt, etwa, wenn soziale und ökonomische Verhältnisse in Vektoren und Formeln gefasst werden.


Interessant finde ich die Schlussfolgerung von Andreas Benl, mit der ich trotzdem nicht einverstanden bin.

"In Europa und den USA wird die Frage beantwortet werden müssen, ob man an der delegierten Regression festhalten und sie mit immer neuen Stellvertretern aus dem „Global South“ besetzen will, die kaum noch kaschieren können, dass Kulturalismus und Antizionismus „im Namen des Anderen“ ideologische Bedürfnisse in Akademie, Kultur und Politik westlicher Metropolen bedienen. Oder ob es möglich ist, im jeweiligen wohlverstandenen Eigeninteresse transnationale Bündnisse zu bilden gegen die unterschiedlichsten Formen antizivilisatorischer Identitätspolitik, deren Fluchtpunkt immer wieder der Antisemitismus ist."


Einerseits stimmt es natürlich, dass falsche Projektion seit jeher den Umgang westlicher Linker mit fremden Gesellschaften prägt und neben Selbstbespiegelung im Fremden die Stellvertreterrolle von revolutionären oder sozialen Bewegungen im globalen Süden für nicht stattfindende Kämpfe hierzulande ebenso eine Rolle spielt wie die unkritische Übernahme eines kategorischen Antizionismus etwa von palästinensischer Seite.

Dabei geht aber völlig verloren, was Antiimperialismus (der klassische, nicht der neue) eigentlich meint.
Kernthese ist hierbei die Annahme, dass der globale Kapitalismus einen geopolitischen Charakter angenommen hat. Die Arbeiterschaft in den Industriemetropolen ist kein Proletariat mehr, sondern im Weltmaßstab betrachtet eine Mittelschicht, die selbst von der Ausbeutung der früher einmal so genannten Dritten Welt profitiert. Soziale Revolution ist somit auch nur noch im Weltmaßstab denkbar, getragen von den verarmten Massen des globalen Südens. Die Aufgabe, die der Linken in den Metropolen in diesem Kontext zukommt, wäre die Unterstützung von Befreiungsbewegungen im Trikont, die Unterstützung von Entwicklungsprojekten, die gerade nicht auf Ausweitung imperialistischer Ausbeutungsstrukturen abzielen und die Behinderung von Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen. Wobei Letzteres insbesondere die Sabotage von Militäroperationen des Westens meint, die der - tatsächlichen oder vermeintlichen - Bekämpfung antiimperialistischer Aufstände im globalen Süden dienen. In diesem Sinne kann Antiimperialismus dann von Engagement in der Friedensbewegung bis hin zu Mitgliedschaft in bewaffneten Gruppen wie der früheren RAF reichen.

Das ist so in etwa das Weltbild und Politikverständnis der Antiimps, wie sie im Szenejargon einmal hießen. Das ist durchaus nicht meins, mein eigener politischer Hintergrund hat sich ja gerade in Abgrenzung zu diesem klassischen Antiimperialismus herausgebildet. Aber dass dieser gar nicht mehr gewusst wird und man sich nur noch an einem grundsätzlich mit Antisemitismus konnotierten Antiimperialismusbegriff abarbeitet, der aus einer sehr speziellen Anwendung der Kritischen Theorie hervorgegangen ist und so etwas wie Klassenkampf gar nicht mehr kennt stößt mir sehr sauer auf.

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Neuer Antiimperialismus?
Das ist alles sehr interessant und informativ. Aber Du beschreibst hier, was Du nicht vertrittst und nicht bist. Schreibe doch mal etwas über den Neuen Antiimperialismus. Ich glaube, dass wenige eine konkrete Vorstellung davon haben, was das überhaupt ist.

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Hier ist zunächst einmal zu lesen, wo der ursprünglich her kam und wie er sich in seiner Anfangsphase entwickelt hat.

https://www.grundrisse.net/grundrisse51/autonomer_antiimperialismus.htm

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Das Mysterium des bewaffneten Kampfes
@In diesem Sinne kann Antiimperialismus dann von Engagement in der Friedensbewegung bis hin zu Mitgliedschaft in bewaffneten Gruppen wie der früheren RAF reichen. ----- Das liest sich wie ein innerer Pluralismus. Tatsächlich sahen die Hardcore-Antiimps aber eher letztere Konsequenz als das eigentliche Ziel an. Sie hatten dafür auch einen eigenen Ausdruck: Zur Front kommen. Was einerseits die militaristische Reduziertheit dieses Antimperialismusverständnisses ausdrückte und andererseits fast wie eine religiöse oder logenmäßige Einweihung gehandelt wurde.

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Und der Riesenbalken im Auge der Antideutschen
@antizivilisatorische Identitätspolitik, deren Fluchtpunkt immer wieder der Antisemitismus ist


Was in Einzelfällen tatsächlich vorkam wird in einem dogmatischen Vulgäradornismus sämtlichen antiimperialistischen und antirassistischen Ansätzen übergestülpt.

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Beides völlig richtig und eine wertvolle Ergänzung, danke!

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Zweierlei Antirassismus
Unter Antira-Aktivismus verstehen die im Buch Gemeinten (und, so fürchte ich, leider auch ein Teil der AutorInnen) plakative, provokante Aktionen, mit denen zumeist bestimmte Institutionen oder auch Einzelpersonen öffentlich als rassistisch geblamed werden, oder auch des Sexismus oder beides.

In meinen Kreisen versteht man darunter eher Dinge wie von Abschiebung Bedrohte verstecken, ehrenamtliche Flüchtlingssozialarbeit, Schwimmkurse für Flüchtlingskinder, Besuche in den Sammelunterkünften und nachts dort mit dem Schlagstock Patrouille gehen als Schutz gegen Rassisten.

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Dabei lässt sich die Stoßrichtung des Neuen Antiimperialismus - dessen Existenz vom irgendwie-antideutschen Lager nie wahrgenommen wird, obwohl er bei linken Protesten von Golfkrieg 1991 und 2002 über Heiligendamm, Occupy Wallstreet bis Porto Allegre wirkungsmächtig und agendasetzend war - geradezu durch eine Umkehrung des Satzes von Benl auf den Punkt bringen: statt "antizivilisatorische Identitätspolitik, deren Fluchtpunkt immer wieder der Antisemitismus ist"

"gegen die Zerstörung sozialer Strukturen durch technologische Gewalt gerichtete Verteidigung und Operationalisierung des unmittelbaren Existenzrechts, deren Fluchtpunkt immer die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus ist."

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Die Antideutschen und ihr geistiges Umfeld vertreten einen unhinterfragten Positivismus, man könnte auch sagen ultrakonservativen Marxismus mit einem Fortschrittsbegriff, der einer Zeit entstammt, als man glaubte, technischer Fortschritt könne nur Gutes bringen. Das Umschlagen der Aufklärung in Barbarei wird von ihnen immer nur am Thema Antisemitismus operationalisiert, nicht hingegen beim Thema technologische Gewalt und gewalttätige Modernisierung.

Die sollten mal im Zusammenhang Adornos "Negative Dialektik" und Detlef Hartmann: "Leben als Sabotage. Zur Krise der technologischen Gewalt" lesen und vor allem verstehen.

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Zu den klassischen Missverständnissen in punkto Neuer Antiimperialismus gehört zum Beispiel die dortige Bezugnahme auf die Verteidigung der Subsistenz. Modernisierungsmaßnahmen wie die Grünen Revolutionen in der Entwicklungspolitik der 60er bis 80er Jahre zielten auf die Zerschlagung ländlicher Subsistenzsstrukturen ab, städtebauliche Modernisierungsmaßnahmen auf Vertreibung von Armutsbevölkerungen und ebenfalls Vernichtung von Subsistenzsstrukturen. Daher ist die Verteidigung von Subsistenzsstrukturen aus Sicht der autonomen Antiimperialisten ein zentrales Moment des Widerstands und Voraussetzung sozialer Revolten.

Von Seiten konventioneller Marxisten wird eingewandt, damit romantisierten z.B. die Materialien für einen neuen Antiimperialismus oder Wildcat reaktionäre, paternalistische und tribalistische Gesellschaftsstukturen, was sich dann auch in Begriffen wie "antizivilisatorische Identitätspolitik" niederschlägt.

Darum geht es aber gerade nicht. Nur wo ein Rest von Subsistenzwirtschaft in den Gesellschaften des Südens noch übrig ist, da ist Widerstand, soziales Aufbegehren und womöglich Revolution möglich. Bauern, die das essen, was sie selber anbauen haben die Möglichkeit, sich zu wehren, Landarbeiter auf monokulturellen Cashcropplantagen haben diese Möglichkeit nicht, weil die Landbesitzer die Waffe des Hungers in ihren Händen halten. TextilarbeiterInnen in Bangla Desh, die zuhause Geflügel und die Ziege im Hinterhof halten und Gemüsebeete haben können sich in einer Welt ohne Streikkasse im Ausstand am Leben erhalten, so, wie europäische ProletarierInnen mit ihren Kleingärten und Kaninchenställen im 19. Jahrhundert auch. Der Rückgriff auf die Subsistenz ist die materielle Voraussetzung, rebellieren zu können.

Das verstehen die Antideutschen und auch die Wertkritik-Leute nicht im Ansatz.

Und unterstellen stattdessen eine Romantisierung archaischer Verhältnisse, projektiven Eskapismus und in der Konsequenz Antisemitismus, wo es eigentlich um die sozioökonomischen Grundvoraussetzungen, Existenzkämpfe zu führen geht.

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Reizwort Antiimperialismus
Dabei denken bestimmte Leute gleich an Verschwörungstheorie und Antisemitismus. Dabei handelt es sich hier um einen Ansatz, der aus der sozialhistorischen Forschung im Umfeld der Reemtsma-Stiftung hervorgegangen ist.

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Das mag so sein. Ich wunderte mich seinerzeit über lacommune, der meinte, er verstünde nicht, wieso ein sozialrevolutionärer Ansatz ausgerechnet Neuer Antiimperialismus genannt würde.

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Bei den Antimps ist allerdings immer noch der RAF-Bezug mitzunennen und der damit einhergehender Antisemitismus, wenn man etwa an Ulrike Meinhofs Auslassungen zum Massaker von München 1972 denkt und auch an die Sortieraktionen nach Juden und Nicht-Juden bei der Entführung eines Passagierflugzeugs der Air France durch palästinensische und deutsche Terroristen nach Entebbe – in die Arme eines blutigen Diktators.

Was den revolutionären Impetus anbelangt, muß man es vermutlich von den Jahrzehnten her sehen: Zur Zeit der 1968er und bis hin in die späten 1980er sah vieles anders aus, als dann für die 1990er und die folgenden Jahre, unter anderem auch, daß in kaum einem westlichen Land noch ein revolutionäres Subjekt namens Arbeiter derart am Start war und worauf man setzen konnte, was sich ja auch in Büchern von Michael Hardt und Antonio Negri und dem Multitude-Konzept niederschlug. Antiimps und neue Antiimps hatte ich allerdings nicht derart auf dem Schirm und dies war nie mein Forschungsgebiet – von politischer Praxis ganz zu schweigen, die mich allenfalls als ästhetisches Phänomen interessierte. Mein Theorierahmen lief von Marx und vor allem von Hegel und Adorno, Benjamin, Kritische Theorie her, dazu ein wenig Luhmanns Systemtheorie und Foucault samt Nietzsche und ein wenig Heidegger. Alles also mehr oder weniger theoretische Fundierungen.

Ansonsten zur gegenwärtigen Identitätspolitik, auch im Blick auf Antirassismus, möchte ich auf diesen guten Essay von Alexander Zinn von Anfang März verweisen: "Von Blüher zu Butler. Über die zerstörerische Wirkung queerer Identitätspolitik":

https://queernations.de/essay-von-alexander-zinn-zur-kritik-an-judith-butler-online/?

Daraus nur ein paar Passagen zitiert:

Wie regressiv die linksidentitären Konzepte sind und wie wenig sie noch mit der Vision einer Gesellschaft freier Individuen zu tun haben, haben in der LGBTI-Bewegung bislang nur die Wenigsten verstanden. Dabei lässt sich kaum übersehen, dass mit der neuen »Identitätspolitik« hoher Konformitätsdruck einhergeht. Wer nicht mit den Wölfen heult, wird zum Paria. Mit der populär gewordenen Losung »I am what I am« hat das nichts mehr zu tun. Stattdessen werden Individuen auf ihre identitären Eigenschaften reduziert, aus denen sich ihr Platz in einer Welt ergeben soll, die aufgeteilt ist in Schwarz und Weiß, Freund und Feind. Wie in archaischen Stammesgesellschaften wird die eigene Gruppe vor »schädlichen Einflüssen« und »Ehrverletzungen« geschützt. Doch die »Safe Spaces«, die man nun allenthalben fordert, sind geistige Gefängnisse, an deren Toren Diskurswächter die neuen Benimmregeln kontrollieren. Worin sich all das von den miefigen fünfziger Jahren unterscheidet, aus denen man einst zur sexuellen Revolution aufbrach, ist kaum auszumachen.

[…]

"Die größte Gefahr, die von der heutigen, linksidentitären Ideologie ausgeht, ist, dass sie die Werte der Aufklärung, besonders die universelle Gültigkeit der Menschen- und Bürgerrechte, infrage stellt. Stattdessen frönt man einem exzessiven Kulturrelativismus, der sich von rechtsidentitären Konzepten nur in Nuancen unterscheidet. Einige Akteure relativieren sogar die Genitalverstümmlung junger Frauen als Ausdruck kultureller Authentizität und diskreditieren deren Kritiker als »eurozentristisch« oder »rassistisch«. Konsequent zu Ende gedacht, könnte man dann auch rechtfertigen, dass die Terroristen des Islamischen Staates Homosexuelle von Hochhausdächern warfen. Das kulturrelativistische und »intersektionale« Antidiskriminierungsbündnis führt dazu, dass solcheWidersprüche aus falscher Rücksichtnahme auf vermeintliche Bündnispartner unter den Teppich gekehrt werden. So etwa vom LSVD-Bundesverband, der nicht müde wird, die Homophobie der katholischen Kircheanzuprangern, von dem aber wochenlang nichts zu hören war, als ein islamistischer Attentäter in Dresden ein schwules Paar angriff und einen derMänner ermordete.
Was aber sind die tieferen Ursachen dafür, dass Organisationen, die in den 1990er Jahren mit einer neuen Realpolitik die wohl erfolgreichste Phase der Homosexuellenemanzipation einleiteten, inzwischen unter einem derartigen Realitätsverlust leiden? Douglas Murrays Analyse, die immer abstruseren Forderungen der Interessenverbände seien darauf zurückzuführen, dass Gleichberechtigung und Gleichstellung bereits weitgehend erreicht seien, ist sicher nicht falsch, greift aber zu kurz. Schließlich könnten sich die Verbände in einer so komfortablen Situation auch beruhigt zurücklehnen und mit einer gelassenen Wächterposition begnügen, etwa nach dem Vorbild der Verbraucherzentralen. Woher also kommt der Eifer, der Fanatismus, der die neue Identitätspolitik bestimmt? Um diese Frage zu beantworten, hilft ein Blick in die Geschichte der homosexuellen Emanzipationspolitik. Denn der Konflikt zwischen »Realos« und »Fundis«, der in den Debatten über die neue Identitätspolitik ausgetragen wird, ist nicht neu. Im Gegenteil: Die LGBTI-Bewegung hat Ähnliches schon früher erlebt, ja sie scheint eine gewisse Affinität zu derartigen Konflikten zu haben. Eine der Ursache liegt in der Neigung zu einer Theoriebildung, die darauf zielt, Homosexualität historisch oder soziologisch zu legitimieren, der dabei mitunter aber jeglicher Realitätsbezug abhandenkommt."

Das trifft hier zwar nicht ganz die Aspekte der sozialen Aktion, über die Du schriebst, aber doch eine immer stärker voranschreitende Wokifizierung linker Positionen hin zu irgendwelchen absurden Mikropolitiken hin.

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Nicht alle Anttimps hatten RAF-Bezug und nicht alle waren antisemitisch. Im Mittelpunkt stand zunächst die von mir xmal beschriebene und auch oben erwähnte These von der geopolitischen Ausweitung der Klassenfrage. Wir argumentierten in den 80ern ja mal in einer dieser Diskussionsschlachten, die Debatte hätte in der Szene das Niveau der HSV-Stadionpost angenommen: Die Antiimps als Fanclub der RAF und die Autonomen als Fanclub der RZ.

Die Entebbe-Geschichte wiederum, damit hatte die RAF nichts zu tun. Das war die Gruppe Carlos, eine Abspaltung der RZ zusammen mit der PFLP-Sonderkommando, einer rein terroristischen Abspaltung der PFLP.

@"Antiimps und neue Antiimps hatte ich allerdings nicht derart auf dem Schirm " ----- Es gibt keine neuen Antiimps, die VertreterInnen des Neuen Antiimperialismus, also Leute wie ich, werden in der Szene Sozrevs genannt. Und deren Ansatz hat von der theoretischen Fundierung her einiges mit Marx und Kritischer Theorie zu tun. Die Bezugnahme auf eine mögliche politische Praxis wurde oben geschildert. In der Theorie ist das eine Verbindung aus einer sehr unmittelbar an den Urtexten ausgerichteten Marxinterpretation, die dem Nörgler gefallen hätte, Dependenzhthoerie, Operaismus, Adorno und Foucault. Zentrale TheoretikerInnen sind/waren Toni Negri, Karl Heinz Roth, Detlef Hartmann, Jan Philipp Reemtsma, Angelika Ebbinghaus, Götz Aly, Susanne Heim, Ahlrich Meier und Mike Davis.

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Ich meinte auch nicht alle Antiimps, aber doch muß man auf diese bedenkliche und gefährliche Nähe dort hinweisen. Es waren auch nicht alle Deutschen Nazis. Aber eben doch eine Großzahl. Insofern halt ich diese "Es waren ja nicht alle ....."-Sätze für problematisch.

"Die Entebbe-Geschichte wiederum, damit hatte die RAF nichts zu tun."

Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann sind jetzt nicht spezifisch arabische Namen. Beide waren an der Entführung und der Durchführung der Aktion beteiligt, auch am Selektieren von Juden und Nicht-Juden. Von der Ausbildung der RAF in den frühen 1970er Jahren im arabischen Raum und ihrem Zusammengehen mit den arabischen PLO-Terroristen ganz zu schweigen. Und auch was die Rückzugsräume nach der Lorenzentführung betrifft.

Die von Dir genannten Ansätze tauchten teils im universitären Milieu und dort in den autonomen Seminaren auf. Am Ende muß man diese Fragen und auch das, was überhaupt die Frage ist, in der Begriffsarbeit und in der Arbeit an Texten klären.

Aber all das ist inzwischen wohl Geschichte. Heute haben wir wieder Rassentheorie. Die nennt sich dann immerhin eine kritische. Und wir finden eine Woko Haram, die derart dogmatisch ist und mit Sprechverboten agiert, daß sie locker und gut an die entsetzlichsten Sektierer der 1980er Jahre heranreicht und man sich eher an Sprach- und Sprechregeln des DDR-Regimes erinnert fühlt. Aber jene Sektierer im Unimilieu waren damals zum Glück eine Minderheit und das wurde unter dem Spinnerfaktor subsumiert und konnte abgehakt werden. Heute haben diese Leute, frei nach Gramsci, eine hoch gefährliche kulturelle Hegemonier erreicht, weil ihnen bis hinein in die Kreise der sogenannten öffentlich-rechtlichen Medien und in die Universitäten, was Professoren und Universitätsleitung betrifft, applaudiert wird. Etwa wenn Wissenschaftler wie Egon Flaig bei Vorträgen wie in Erlangen-Nürnberg ohne weitere Begründung ausgeladen werden, wenn eine Ethnologin wie Susanne Schröter denunziert wird und immer wieder, bis in die Wissenschaft hinein, es Kräfte gibt, die Wissenschaftsveranstaltungen mit ihr unterdrücken und verhindern wollen. All das, wofür einstmals eine Linke stand, Aufklärung und Offenheit des Denkens, ist nun zugunsten eines Aberglaubens wie Geschlechterdiversität im Eimer.

Ich kann zu diesen sich gegenwärtig abspielenden Dingen unbedingt das neue Buch von Susanne Schröter empfehlen: "Der neue Kulturkampf. Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht"

https://www.herder.de/geschichte-politik/shop/p4/83646-der-neue-kulturkampf-klappenbroschur/?

Und hier auch eine Leseprobe:

https://media.herder.de/leseprobe/978-3-451-39710-3/index.html

Unbedingte Kaufempfehlung, wenn man einen Blick auf die einzelnen Fälle und auf die Strukturen werfen will, die hinter diesem neuen Totalitarismus, der im Gewand der Aufklärung daherkommt, stecken. Die Ausprägungen dieser Cancel Culture und der neuen Wokeness werden uns noch Jahre und Jahrzehnte beschäftigen und das wird nicht nur Auswirkungen auf die Universitäten und die Forschung dort haben, wenn immer neue Sprechverbote installiert werden und wenn bereits Forschungen zu Problemen bei Migration und ungehinderter Zuwanderung als rassistisch markiert werden, wie das gegenwärtig bereits geschieht.

Absehbar war das bereits vor über zehn Jahren. Wir kennen da ja beide den einen oder den anderen Blog, wie etwa Metalust und auch die Mädchenmannschaft unter Nadine Lantzsch et al.

Auch dies sei im Hinblick auf das von mir empfohlene Buch "Probleme des Antirassismus" gesagt.

Traurig ist diese Entwicklung vor allem für jene Linke, die immer noch emanzipatorisch denkt und die eben nicht mit Diskurs- und Sprechverboten arbeiten möchte.

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Es gibt da eine interessante Erzählung einer französischen Geisel (Sylver Ayache) von Entebbe hinsichtlich der Selektionen (aus einer französischen Publikation):

Cette séparation, ce tri entre Israéliens et non Israéliens a été un moment très douloureux. Car il y avait parmi nous un rescapé des camps; et celui-ci n’a pas pu s’empêcher d’interpeller Wilfried Böse, le pirate commandant l’opération, pour lui dire combien il était surpris de son attitude et que cela le ramenait plusieurs années en arrière…

L’homme l’a regardé dans les yeux et lui a dit : vous vous trompez je ne suis pas du tout nazi mais j’appartiens à la bande à Baader et j’ai décidé de lutter pour la cause palestinienne en raison des exactions qui ont été faites dans les camps de réfugiés… »

« En tous cas, a répondu l’otage, moi qui avais demandé à mes enfants et petits-enfants de tourner la page, à présent je m’en repends ».

C’est alors que Böse l’a très gentiment pris par les épaules et ils sont allés s’asseoir l’un près de l’autre pour converser un moment ensemble. Le terroriste allemand semblait perturbé. Oui j’ai vu cette très belle scène.

D’ailleurs lorsque les Israéliens sont arrivés sur le tarmac de l’aéroport W.Böse a vite compris ; il se trouvait à l’extérieur où il buvait un apéritif avec d’autres terroristes ; il a alors regardé ce rescapé des camps ; j’ai en effet vu leurs regards se croiser et l’homme a alors jeté sa grenade à l’extérieur au lieu de la lancer à l’intérieur. Ce fut là quelque chose d’extraordinaire. Il a été abattu immédiatement après par les Israéliens.

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Meine Übersetzung:

Diese Trennung, diese Selektion in Israelis und Nicht-Israelis war ein sehr schmerzhafter Moment. Denn unter uns war ein KZ-Überlebender; und der konnte nicht anders, als Wilfried Böse, den befehlshabenden Piraten, zur Rede zu stellen und ihm zu sagen, wie überrascht er über sein Verhalten sei und dass ihn das um Jahre zurückversetze...

Der Mann schaute ihm in die Augen und sagte: Sie irren sich, ich bin überhaupt kein Nazi, sondern gehöre der Baader-Bande an und habe mich aufgrund der Übergriffe in den Flüchtlingslagern entschieden, für die palästinensische Sache zu kämpfen..."

"Jedenfalls", antwortete die Geisel, "ich, der ich meine Kinder und Enkelkinder gebeten hatte, mit der Vergangenheit abzuschließen, bereue es jetzt".

Daraufhin nahm Böse ihn sanft an den Schultern und sie setzten sich nebeneinander, um sich eine Weile zu unterhalten. Der deutsche Terrorist schien verwirrt zu sein. Ja, ich habe diese sehr schöne Szene gesehen.

Als die Israelis auf dem Rollfeld des Flughafens ankamen, erkannte W. Böse die Situation schnell: Er war draußen, trank mit anderen Terroristen einen Aperitif. Er sah den KZ-Überlebenden an, und ich sah, wie sich ihre Blicke trafen, und der Mann warf seine Handgranate nach draußen statt nach drinnen. Das war etwas Außergewöhnliches. Er wurde unmittelbar danach von den Israelis erschossen.

https://web.archive.org/web/20111218024943/http://www.tribu12.com/pdf/Tribu23.pdf

Damit ist selbstredend nichts entschuldigt. Es zeigt aber, dass linksterroristische Organisationen wie RZ und RAF, die ja in der Auseinandersetzung mit der Nazivergangenheit ihrer Väter entstanden sind, im Zuge ihrer Radikalisierung in arabischen Ausbildungscamps mit Widersprüchen in Bezug auf Juden und Israel konfrontiert wurden, die zumindest Böse nicht ohne weiteres auflösen konnte.

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Diese Aussagen zu Böse (nomen est omen, man hätte diesen Namen in einem Theaterstück nicht besser wählen können) hatte ich ebenfalls, in einer Dokumentation zu Entebbe, die vor einigen Jahren im Fernsehen lief, noch in Erinnerung. Vor allem zeigt dieses Dokument die unglaubliche Naivität dieser Leute (auch bei Ensslin und Meinhof läßt sich das beobachten und noch bei vielen anderen, die nicht in den Terror glitten, die aber dennoch in Klischees und in einen Jargon verfielen, der nicht viel anders war als die von ihnen kritisierte Heideggerei der konservativen Studenten). Und diese Naivität kann man leider auch vielen dieser Pamphlete und Manifeste entnehmen. Eine einfache Welt, die in Gut und Böse aufteilt, ein simpler Manichäismus. Und es zeigt dies zugleich, wie jene Studenten und Aktivisten, die das Dritte Reich, den deutschen Faschismus und die eigenen Eltern kritisierten, am Ende für eine Ideologie genauso verführbar waren wie eben ihre eigenen Eltern. Man sitzt einem Narrativ auf, ohne es zu befragen und zu hinterfragen.

Daß von solchem Schwarz-weiß-Denken nicht einmal so kluge und hochbegabte Studenten wie der Adorno-Schüler Hans-Jürgen Krahl frei waren und in der Praxis die ansonsten so hoch angesehene Reflexion in die ärgsten Verkürzungen umschlug, ist dabei um so erschreckender und zeigt gut, wie wirkungsmächtig solche Mechanismen einfacher Einteilungen um einer vermeintlich besseren Praxis willen waren. Adorno hatte diese gefährlichen Verkürzungen, gerade im Blick auf die Studenten, immer auf dem Schirm. Und zugleich war er eben entsetzt wie der Goethische Zauberlehrling über das, was seine Theorie da losgetreten hatte. SO und in DIESER Art war es dann doch nicht konzipiert.

Das, was sich da heute an deutschen und US-amerikanischen Universitäten teils abspielt, sind im Grunde Wiederholungen dieser Situation, wenn Theorien und Texte in Verkürzungen geraten und ganz unmittelbar und ohne tiefere Reflexion auf die Inhalte als Anwendungsfälle genommen werden, um die Theorie in eine absurde Praxis zu überführen. Und das geht dann eben hin bis zu solchen Selektionsrampen, wenn man einmal das richtige revolutionäre Subjekt der Geschichte bestimmt hatte, oder aber ins Canceln unliebsamer Positionen in Forschung und Wissenschaft im Namen des Antirassismus. Man bastelt ein Etikett, das multifunktional auf alle unliebsamen Fälle paßt, um diese dann wirkungsvoll zu erledigen und die übrigen Zuschauer nimmt man gleich mit in Geiselhaft. Denn wer will schon gerne Rassist sein. Also schweigt die Mehrheit zu solchem Gebaren.

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Wenn Böse sagte, er gehöre der Baader-Bande an, dann war dies metaphorisch gemeint, Baader-Meinhof (Baadär-Meinoff gesprochen) steht im Französischen nämlich für deutschen Linksterrorismus als Gattungsbegriff. Jedenfalls gehörten Böse und Kuhlmann nicht der RAF an, sondern dem von Carlos geführten internationalen Flügel der Revolutionären Zellen. Die Entebbe-Entführung führte bei den RZ zu einer sehr grundsätzlichen, sehr selbstkritischen und auch veröffentlichten Diskussion mit dem Resultat, dass alle Verbindungen zu der Carlos-Gruppe gekappt wurden und dass es keine Attentate auf Personen mehr gab, sondern nur noch Gewalt gegen Sachen ("Dinge haben keine Tränen"). Mit der Ausnahme des höchst mysteriösen Anschlags auf den hessischen Finanzminister Karry, auf den die Titanic den satirischen Fotocomic "Immer Ärger mit Karry" münzte.

1987 führte dann die Ermordung von Gerd Albartus dazu, dass eine breite, jahrelang geführte intensive Diskussion über Antisemitismus in der radikalen Linken einsetzte. Hans-Joachim Klein, RZ-Mitglied der ersten Stunde, schrieb zu Entebbe und einem fehlgeleiteten Antiimperialismus auch ein sehr gutes Buch, "Rückkehr in die Menschlichkeit", welches nach der Albartus-Ermordung, 8 Jahre nach seinem ersten Erscheinen, breit rezipiert wurde.

Wenn später Antideutsche behaupteten und bis heute gebetsmühlenartig wiederholen, die antiimperialistische Linke habe sich mit Antisemitismus in ihren eigenen Reihen nie auseinandergesetzt klingt das wie Hohn. Ich vermute allerdings, dass heutige AktivistInnen die Diskussionen von damals nicht mal mehr kennen.

Ich schon, ich war dabei.

https://de.wikipedia.org/wiki/Gerd_Albartus

https://www.rowohlt.de/buch/hans-joachim-klein-rueckkehr-in-die-menschlichkeit-9783688110827

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@Bersarin "Die von Dir genannten Ansätze tauchten teils im universitären Milieu und dort in den autonomen Seminaren auf. Am Ende muß man diese Fragen und auch das, was überhaupt die Frage ist, in der Begriffsarbeit und in der Arbeit an Texten klären." ---- dort tauchten sie auch auf, aber nicht in erster Linie. Sie spielten und spielen bis heute
eine Rolle in den international geführten Diskussionen der entwicklungspolitischen Aktionsgruppen, z.B. auf dem Weltsozialforum.

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Auf Demos, bei den Parolen und Flugblättern der 1980er Jahre und auch auf der großen Wand an der Hafenstraße damals war von diesen Distanzierungen nicht viel mitzubekommen – eher im Gegenteil. Und insbesondere Israel wurde in weiten Kreisen als ein Gebilde betrachtet, daß es zu beseitigen gilt. Jenem linken Antisemitismus haben sich explizit erst die Antideutschen gewidmet. Und zwar lautstark, so daß es vernehmbar war und nicht in kleinen Zirkeln nur debattiert wurde. Einfältig leider ihr „Nie, nie, nie wieder Deutschland!“. Und auch, wie einige dieser Leute vermeinten, daß Adornos Nichtidentisches in Israel verwirklicht wäre. Aber Dummköppe gibt es in allen linken Fraktionen.

Ausstiegsbücher zur RAF et al. und auch eine Kritik an diesem eingeschlagenen Weg sind ja ein paar auf dem Markt. Mich würde in diesem Kontext interessieren, wo man explizit eine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus der RAF und Teilen der Linken und besonders bei Ulrike Meinhof findet. Gibt es bei Klein dazu Passagen? Denn das ist ja, gerade auch im Blick auf die deutsche Geschichte, ein Thema von nicht geringem Gewicht. Und es war ja nicht nur die RAF, sondern ein großer Teil der Linken, die weit über eine normale Kritik an Israel hinausgingen.

Eine erste systematische und im Blick auf die westdeutsche Linke kritische Auseinandersetzung findet sich in jenem Buch von Jeffrey Herf: „Der unerklärte Krieg gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke“. Herf schreibt:

„SDS leaders also circulated an open letter by Wolfgang Abendroth, a professor of political science at the University of Marburg, whose views carried weight among leaders of SDS. Rejecting solidarity with Israel and urging support for the Arab states, Abendroth wrote that “identification of socialist internationalism in the capitalist states of Europe with Israel’s contemporary policy is, despite all sympathy for the Israeli people, impossible.” He rejected “the nationalist hysteria of the Arab countries” but argued that it “would grow if the socialist parties in Europe or the official policy of the FRG were to take the side of Israel. . . . The overall interests of the colonial revolution, of the socialist countries and also of the revolutionary fl ank of the international workers’ movement in the capitalist countries agrees more with the Arab states (namely Egypt, Syria and Algeria, not the feudal states) than with the interests of Israel.”“

Das einzige, was man Abendroth in diesem Kontext noch sinnvoll zusprechen kann, wenn man es freundlich sehen möchte, ist eine unendliche, leider wenig erfrischende Naivität. Man ist dann am Ende doch froh, daß solche Leute niemals in die Praxis gelangen. Erstaunt und mit großen Augen würden sie dann dastehen, hinterher natürlich von nichts gewußt habend, und betroffen aus der ihrer Wäsche schauend, wenn die lieben guten Araber als gehätscheltes historisches Subjekt der Geschichte es am Ende doch nicht so machen, wie es sich der Herr Abendroth in seinem Professorenzimmer vorstellt, sondern ganz einfach die unliebsamen Juden weitgehend umbringen oder vertreiben. Natürlich dann im Namen der Revolution. Und in diesem Kontext muß man sicherlich auch die unrühmliche Rolle des SDS in den späteren 1960er Jahren nennen, zu dem Herf einiges schreibt.

Einer, der bei Verstand blieb, war immerhin Rudi Dutschke, der in seinen Notizen schrieb: „Die Gründung des Staates Israel war die pol[itische] Emanzipation des Judentums, die unbedingt erhalten bleiben muß.“

In Christof Wackernagels Buch „RAF oder Hollywood. Tagebuch einer gescheiterten Utopie“ finde ich zu dieser Frage und der Aufarbeitung nicht viel. Bei Inge Viett müßte ich mal hineinschauen, glaube aber bei ihr eher nicht an eine Selbstkritik im Blick eben auch auf die eigene deutsche Geschichte. Das ist die typische Ich-bereue-im-Grunde-nichts-Haltung. Leicht ist es, die Generation der Väter und Mütter anzuklagen. Beim Blick in den Spiegel wird es dann schon schwieriger. [Wobei man bei Viett sagen muß, daß sie eine wirkliche Scheißkindheit und Jugend gehabt hat und da kann man diesen Weg in einen neuen Abgrund durchaus ein wenig nachvollziehen.]

In Bommi Baumanns „Wie alles anfing“ gibt es, soweit ich mich erinnere, keine reflektierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen eines linken Antisemitismus, sondern allenfalls ein Abwiegeln, was den gescheiterten Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus (ausgerechnet zur Reichspogromnacht) in Berlin betrifft. (Die Bombe kam von einem V-Mann und die Linke um Kunzelmann stieg darauf auch prompt ein. Die Bombe, die eine erhebliche Sprengkraft besaß, versagte nur wegen eines technischen Fehlers.) Prominent zu nennen ist hier sicherlich auch Karl-Heinz Dellwo, der zur Mitgliedschaft und zum Ausstieg ja einiges geschrieben hat: „...mitten im Nebel“. Aber das ist eher eine linksinterne Auseinandersetzung, so will mir scheinen, deren Selbstkritik in eine andere Richtung geht.

Man könnte es auch so formulieren: Selbstkritik ist immer die Kritik der anderen. Odo Marquard hatte am Ende mit seinem halb ironischen halb spöttischen Blick auf die Linke jener 1968er ff. ein gutes Gespür für die menschlichen Widersprüche und daß Menschen aus krummem Holz sind.

Im Blick auf die 1968er und von diesen herkommend beschreibt diesen Kampf gegen Israel und den Wandel in der Linken seit 1967 (selbst Meinhof stand da noch auf der Seite Israels, bevor sie sich radikalisierte) Götz Aly in seinem Buch „Unser Kampf. 1968“. Auch dort kommt Abendroth nicht gut weg. Und auch nicht der entsetzliche Antisemitismus und Judenhaß der Studenten, als 1969 in Frankfurt der israelische Botschafter zum Thema "Frieden in Nahost" sprach. Und wie üblich und bis heute bei Teilen der Linken üblich: mit mundtot machen, Niederbrüllen und Mikrokabel zerschneiden wird abgewürgt. In Hamburg dann ähnliches. Aly muß man hier hoch anrechnen, daß er diese Dinge, die sich in dieser Zeit, in der er selber dabei war ehrlich und selbstkritisch benennt. Den großartigen Gerd Koenen muß man hier auch noch dazu nennen. Ungeheuer spannend hier zu lesen „Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977“.

Insofern gibt es diese Auseinandersetzung zwar. Aber meist dann doch von Leuten geführt, die auch zu ihrer eigenen Vita und den Irrtümern des Lebens kritisch stehen und sie eben nicht im Alter als den einzig richtigen Weg verklären.

Ein spannendes Projekt für Sozialhistoriker und für eine Forschungsarbeit wäre es sicherlich, diese Jahre im Blick auf die Linke von den 1960er Jahren bis in zum Ende der RAF 1998 im Blick auf Israelkritik, Israelhaß, gemäßigte und harte Formen des Antisemitismus und Zwischenstufen einmal aufzuarbeiten und vor allem die Materialien und die Quellen dazu zu sichten.

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Schockierende Ähnlichkeiten zu diesen antisemitischen Vorfällen im Sommer 1969 in Frankfurt/M finden wir gegenwärtig an deutschen Universitäten, wenn dort Studenten ihren Müll ablassen und Veranstaltungen mit antisemitischen Zwischenrufen stören. Was zum Glück im Vergleich zu 1969 anders ist: Heute ist das bei den Studenten eine Minderheit und es sind keine Masssenaufmärsche. Die meisten Veranstaltungen, zumindest die, die ich besucht habe, konnten friedlich über die Bühne gehen.

Adorno äußerte sich im übrigen in einem Brief an Herbert Marcuse entsetzt über diese Aktionen und war vollkommen schockiert über die haßerfüllten Gesichter, die ihn an entsetzliche Zeiten erinnerten, die gerade einmal 30 Jahre zurück lagen.

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Die Debatte um linken Antisemitismus, aufgehängt an der Ermordung von Gerd Albartus, zog sich 1987 - 1989 durch die konkret, ich meine, Ästhetik und Kommunikation, Interim, Grundrisse, Revolutionärer Zorn (Organ der RZ), Extradienst und kleine Szeneblätter wie Subversion, Das Nestbeschmutz und die hektografiierten Jahresreader regionaler Antifagruppen, zu einer Zeit, als es noch gar keine Antideutschen gab.

Da lohnt es sich zu bibliographieren, das geht aber nicht im Netz. Dazu müsste man sich schon in ein einschlägiges Archiv setzen, etwa das Archiv für internationale Sozialgeschichte in Amsterdam und die Papierausgaben lesen. Ich bin da außen vor als Finanzdienstleister mit 45 Stunden Arbeitswoche. Ich kann nur anekdotisches Wissen aus meiner Vergangenheit posten.

https://che2001.blogger.de/STORIES/2711541/#2712981

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Und im Übrigen ist meine Beschreibung von Diskussionsprozessen aus dem Binnenhorizont der autonomen Szene geschrieben. Ich bin da so sehr Insider, dass mir eine Außenperspektive gar nicht möglich ist.

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