Samstag, 20. Januar 2007
Zur Binnenstruktur der autonomen Linken, wie ich sie erlebte
Nachdem ich in der Diskussion mit Bandini, dem ich übrigens herzlich zur Rückkehr in die Bloggerwelt gratuliere, und Stefanolix gerade alternativkulturelle Merkwürdigkeiten beim Wickel habe, lasse ich das lieber meinen Helden Alfie in einem meiner unsterblichen Romane erklären, eh voilá:


Das linke Menschenbild - was ist das?

Oder gibt es so etwas überhaupt? Diese Frage stellt Alfie sich in der letzten Zeit immer häufiger. Dabei sollte e r es eigentlich wissen - seit den späten Siebzigern dabei, in allen Szene-Zusammenhängen gerne gesehen, theoretisch außerordentlich bewandert...
Die Wahrheit ist, er kennt sich nicht mehr aus. Das Verständnis von Verhaltensnormen, Rollenzuweisungen etc pp hat in der Szene niemand eindeutig definiert, aber niemals haben die Leute sich darüber so sehr den Kopf zerbrochen wie gerade zur Zeit. Nun ja, wir leben ja auch, was die Linke angeht, in einer SaureGurkenepoche. Politischer Durchsetzungsmöglichkeiten und Utopien beraubt, nach langen, immer genauso ablaufenden Kämpfen ausgelaugt, die stets gegen Windmühlen geführt wurden, unterlag sie zu schlechter Letzt der Wiedervereinigungsdepression.
Nun leckt die Linke ihre Wunden, und ihr studentisch-akademischer oder sonstwie sich intellektuell definierender Teil betrachtet fasziniert den eigenen Bauchnabel. Nicht, daß dabei nichts Produktives herauskommen könnte; Kritik an den eigenen, oft gar nicht libertären Strukturen und Verhaltensweisen ist allemal angebracht.
Da gibt es linke Macker mit übelst frauenfeindlichem Verhalten und Frauen, die, firm in feministischer Theorie, mit eindeutigem Jargon und Outfit, keine Frauendemo auslassend, auf harte Männer mit markigen Sprüchen abfahren und sich in ihrer jeweiligen Beziehung bereitwillig dominieren lassen. Da rennen mindestens zwei Drittel der Szene mit einem moralinsauren Schuld-und-Sühne-Denken durch die Gegend, an dem der olle Siegmund seine helle Freud hätte... und nebenbei gesagt, geht wohl kaum ein soziales Millieu mit sich selbst so grausam um, wie eben die linke Szene.
Dazu kommt die Aufweichung des subkulturellen Millieus durch verpunkte Bürgers und verbürgerlichte Punks (die mit ks, nicht die mit x), das Verschwinden früher selbstverständlicher gesamtlinker Verbindlichkeiten. "Die neue Unübersichtlichkeit macht uns noch alle, wirst sehen!" wie Sabine seit zwei Jahren ständig meint.
- Früher, so um 1980 herum, schien alles vergleichbar einfach.
Da fuhr mensch, falls motorisiert, nen Käfer mit kleiner Heckscheibe oder n R4 mit einsteckbarer Anlasserkurbel und Anti-AKW-Aufkleber. Einheitlich wie das Fahrzeug waren Musik und Kleidung: Hannes Wader, Ton Steine Scherben, Fehlfarben; der Text war wichtiger als der Sound. Auf Feten: Deep Purple, Led Zeppelin, Uriah Heep, White Snake, Blue Oyster Cult. Die Kluft: entweder selbstgehäkelt bzw Kamelhaar oder Afghan-Kammgarn oder aber Leder, drei Jackenmodelle zur Auswahl: Motorradjacke schwarz mit geflochtenen Schulterstücken und massiver Polsterung (Modell Streetfighter), Antiklederjacke olivbraun mit spitzem Kragen (Modell Fritz Teufel) und schließlich der bodenlange Original-Fünfziger-Jahre-Motorradmantel. Verkehrt wurde ausschließlich in Szenekneipen, von denen es in den kleineren Städten immer nur eine gab: in Osnabrück den PH-Keller, in Braunschweig erst den Golem, dann die Chimäre, später das Eusebia, in Salzgitter das Wilde Huhn, in Göttingen den Theaterkeller, in Bremerhaven die
Haifischbar, in Kassel das Lohmann's. Diese Kneipen hatten ebenfalls einen Einheitslook: eng, schmuddlig, große, mit Einritzungen verzierte Holztische, die Wände voll Plakate, die oft bis 1967 zurückreichten, oder völlig schwarzes PVC. Die oben genannte Musik aus einer quäkenden, schlechten Anlage. Discos wurden gemieden, stattdessen in Jugend- und Kommunikationszentren abgehottet, in denen Jugendliche oft eine Minderheit bildeten: Die Fabrik, das Onkel Pöh, das KOMM, das E-Werk, die Brunsviga, die Kampnagelfabrik, die Ufa-Fabrik. Später, im Verlauf der Achtziger, sollte es noch ein paar Nachzügler-Projekte dieser Art geben: Tempodrom, Schwarze Katze, JUZI, Alhambra.
Wie der linke Lebensstil, das linke Lebensgefühl so einheitlich wirkten, daß Bullenspitzel in aller Regel dadurch enttarnt wurden, daß ihnen trotz perfektem Aussehen und plausibler Legende ein gewisses Flair, wie Alfie sagt, "der Stallgeruch", fehlte, so legte eine kollektive Aversion fest, was "out" war: Popperlook bzw Schleifchen im Haar, Taco- und Culture-Club-Musik, Bodybuilder und Edelfreßlokale waren Haßobjekte. Inwieweit diese Normierungen des linken Alltagslebens richtig und rational begründbar waren, mag eine interessante Frage sein; gestellt wurde sie nicht. Tatsache war, daß die subkulturelle Festgelegtheit der Szene identitätsstiftend wirkte und so eine Art linkes Heimatgefühl schuf, das im Verlauf der Achtziger Jahre zumindest außerhalb von Szenestädten wie Berlin, Hamburg, Frankfurt, Bremen oder Göttingen allmählich verloren ging.

Auf der anderen Seite hatten die alten Szenenormen aufgrund ihres formalen Charakters viele zentrale Fragen ausgeklammert; ganz abgesehen davon, daß sie die Szene für Angehörige ganzer sozialer Gruppen fast unzugänglich machten, vernebelten sie den selbstkritischen Blick auf ihre internen Strukturen. Diese waren auch bei sich als undogmatisch verstehenden Gruppen durchaus hierarchisch und autoritär, mit Opinionleaders und Gefolgschaften. Während ständig die Verbundenheit von Politischem und Privatem betont wurde, wäre niemand auf die Idee gekommen, die eigenen privaten Verhältnisse, Beziehungskisten etc ernsthaft zu thematisieren. Mancherorts sonnten sich die linken Gruppen in Selbstbeweihräucherung, was die Spontis und Autonomen den orthodoxen MarxistInnen oft zum Vorwurf machten, sie selber aber genauso drauf hatten. Ein ziemlicher Innovationsschub kam, was die universitäre Linke anging, dann mit der Streikwelle an den Hochschulen im Jahre 1988, der sogenannten "Unimut"-Bewegung. Eine Generation von Studis, die keinerlei Szene-Biographie und auch an den Aktionen der Friedensbewegung oder dem Wackersdorf-Kampf keinen Anteil gehabt hatte, politisierte sich selbst und organisierte sich spontan. Hierbei kam es zu einer Art "Generationskonflikt" mit den etablierten politischen Hochschulgruppen. Einerseits wurden alle Bevormundungs- und Umwerbungsversuche, wie sie vor allem aus der Juso-SHB-MSB-Ecke, aber auch von radikaleren Gruppen kamen, entschieden zurückgewiesen. Zum Anderen weigerten sich die jüngeren Studis ebenso entschieden, solidarisch gemeinte Kritik oder auch nur Ratschläge jeder Art von Älteren (wobei "Ältere" zwei Semester bedeuten konnte) anzuhören oder sich die Erfahrungen früherer Auseinandersetzungen zunutze zumachen. Da die politischen Vorstellungen der "Unimut"-Bewegung heterogen und oft unzusammenhängend waren, stellte sich ihr Abgrenzungsverhalten gegen die etablierten politischen Hochschulgruppen und die älteren Semester eher als hilfloser Akt dar; es ging auch keine neue politische Kraft aus dieser Bewegung hervor.
Aber die "VeteranInnen" der "Unimut-Bewegung" , die nun sukzessive in die linken Gruppen, die Hochschullisten und Basisgruppen hineingingen, taten dies mit einem anderen Selbstbewußtsein und Rollenverständnis, als dies bis dahin bei Newcomern üblich gewesen war.
Überkommene Gruppenstrukturen, existierende Hierarchien, auch "mackerhaftes" Verhalten von Leuten (auch Frauen) wurden von ihnen schonungslos kritisiert. Dabei ging es, was die Stoßrichtung dieser Kritik anging, allerdings weniger darum, daß die tatsächlichen Strukturen linker Gruppen deren Idealen von Egalität und befreitem Leben nicht entsprachen, sondern schlicht und platt um den Wunsch nach menschlich netteren Umgangsformen.
Eine andere Entwicklung hatte ihren Ausgangspunkt genommen, als sich nach und nach in weiteren Kreisen herumsprach, daß es innerhalb von Szene-Zusammenhängen Vergewaltigungen gegeben hatte, und keineswegs etwa nur am Rande und vereinzelt, sondern über Jahre hinweg erschreckend häufig. Die Vergewaltiger- und Sexismusdebatte bekam dadurch eine bisher unbekannte Brisanz: sie richtete sich nicht mehr ausschließlich gegen ein erstmal abstrakt als System begriffenes Patriarchat oder die frauenfeindliche Anmache durch Normalo-bürgerliche Männer, sondern es mußte sich prinzipiell jeder linke Mann die Frage nach der Glaubwürdigkeit seines antipatriarchalen Anspruchs (wenn er denn einen hatte) stellen lassen, nicht abstrakt-theoretisch, sondern ganz konkret, nicht in der Vertrautheit der eigenen Beziehung, sondern öffentlich. Parolen wie "Jeder Mann ist ein potentieller Vergewaltiger" hatten die linken Männer zwar ausdrücklich nicht ausgespart, aber solange Vergewaltigungen in der Szene kein Thema waren, ließ sich das bequem beiseite wälzen. Es bedurfte recht wuchtiger Auseinandersetzungen, um daran zumindest vom Begreifen her etwas zu ändern. Auch Alfie hatte da keine Ausnahme gebildet, wenn er auch von so klischeehaften Reaktionen wie tumber Ignoranz oder dem verlogenen Selbstbezichtigungsgeseiere à la Herbert frei geblieben war. Es ist heutzutage leider nötig, auf "Selbstverständlichkeiten" gesondert hinzuweisen. Nicht kurz und gut, sondern vielmehr lang und kompliziert, im Augenblick sind die Debatten, wie sie in vielen Gruppen geführt werden, keine Theorie- und Strategiediskussionen mehr, sondern befassen sich mit Gruppenstrukturen und Rollenverständnis.
Auf der Ebene des trivialen Alltagslebens führt das Ganze dann allerdings mitunter zu merkwürdigen Resultaten, wie etwa vor zwei Wochen in Alfies WG, als Bernward gemeint hatte, daß es auch mal interessant wäre, sich zu überlegen, was linke Frauen daran besonders emanzipiert finden würden, sich so unerotisch wie nur möglich zu kleiden. Seitdem redet Dorit, die gerade hereingeschaut hatte, kein Wort mehr mit ihm.
"Der Typ erzählt zwar viel Müll, aber deshalb mußt du ihn doch nicht gleich zur Unperson machen!" hatte Henning - während Bernie übrigens dabei war! - ne Woche später gemeint und dafür "Euch ist in eurer Macho-Solidarität auch nichts zu blöde!" geerntet. Alfie hatte nichts gesagt, sondern noch ein Flens gekippt. Die Tatsache, daß er bei solchen Napfsülzen wie Dorit oder Herbert, die er nicht fürn Pfennig ernstnimmt, selber so beliebt ist, hängt nun mal damit zusammen, daß er sich bei solchen Gelegenheiten raushält. Nicht aus Taktik oder Konfliktscheue, sondern weil er keine Lust hat, ernsthafte Auseinandersetzungen auf der Ebene der an den Kopf geschmissenen Plattheiten zu führen. Son Löres interessiert ihn nicht. Immerhin, die ideologische Verbissenheit um Alltagsbagatellen hat sich über die Jahre gehalten.
Früher gab es mal die Diskussion um die sozialistische Kartoffel, und die ging so
: "Ist eine sozialistische Kartoffel nur dann eine sozialistische Kartoffel, wenn sie ohne entfremdete Arbeit hergestellt wurde, oder reicht es, wenn sie aus einem realsozialistischen Land kommt? Wie steht es mit der Ökologie? Ist eine Kartoffel, die privatwirtschaftlich, aber ökologisch hergestellt wurde, einer Industriekartoffel aus einem sozialistischen Land vorzuziehen oder umgekehrt?" Na ja, und so weiter. Alfie ist nicht mehr so ganz bei der Sache, der Kater wirkt nach. Verwendbarer sind vielleicht die Gedanken, die Azad zu dem Thema mal geäußert hat. "Eure Probleme mit eurem Selbstverständnis und euren Strukturen sind deshalb so kompliziert, weil es in eurem Land keinen revolutionären Prozeß gibt, auf den ihr euch beziehen könnt," hatte er argumentiert."Der Neue Mensch entsteht aus der kämpfenden Konfrontation mit der alten Welt. Was ihr braucht, sind keine immer neuen Theoriediskussionen, sondern neue Verhältnisse, und dazu müßt ihr die herrschenden Verhältnisse angreifen." Doch weitere Gedanken überlassen wir lieber der lieben Leserin und dem nicht minder sympathischen Leser, denn Azad ist gar nicht da, und Alfie nicht mehr in der Stimmung. Auch in einem Buch muß man ja mal seine Ruhe haben und mit sich allein sein. Verlassen wir also die Szenerie und begeben uns nach Hamburg St Pauli, in eine Kneipe namens "Onkel Otto". Aber das ist ein anderes Kapitel...*

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Das Schisma
(Fortsetzung - anderer Roman)

...Das Schisma mit der linksdogmatischen Gruppe begann, als Bernie während seines Berlinbesuchs die revolutionäre Begeisterung für randalierende Türkenkids auf dem revolutionären ersten Mai verhöhnte, schlimmer noch, den ganzen revolutionären ersten Mai "linksbürgerliche Folkloreveranstaltung" nannte. Die Luft wurde so dick, dasss man sie in Scheiben schneiden konnte. Es war nicht das erste Mal, dass Bernie selbstverständliche Riten und Ansichten in Frage stellte, aber nun wackelten ein revolutionärer Stützpfeiler, sowie diejenigen, die sich an ihn klammerten. Der leithammelnde Diskussionsleiter stellte sogleich den Antrag, Bernie auszuschließen, aber stattdessen erhielt der zuvor noch hoffnungsvolle Jungdogmatiker eine echte Diskussion über den revolutionären ersten Mai, sowie am Ende ein Entschließungspapier und Flugblatt, welches zur Nicht-Teilnahme am revolutionären ersten Mai aufrief, übertitelt mit zwei Worten:

Sinnlose Folklore

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Och naja, ich erinnere mich noch, als unsere Gruppe in einem Bündnisflugblatt gegen Stadtsanierung die Formulierung "Keine sinnlose Verschleuderung von Millionenbeträgen!" als abgedroschen und moralisch kritisierte und durch "Verschleuderung von Milliardenbeträgen ohne jede Zweckbindung jetzt!" ersetzte.

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Ach je, gleicher Roman, weiter hinten:


"Heute morgen, am ...19...haben wir das Haus Kohnstraße 14 besetzt. Die Besitzerin, Margarethe Kunze-Schröder, läßt es bewußt leerstehen, um InteressentInnen für eine Luxussanierung zu finden. In Anbetracht der katastrophalen Wohnungsnot in unserer Stadt und der Tatsache, daß es sich um eines der schönsten Wohnhäuser in einem sehr armen Stadtteil handelt, halten wir diesen Schritt für notwendig und fordern alle, die dringend eine Wohnung brauchen oder es in ihren überteuerten Appartements oder ihren verwanzten Drecklöchern nicht mehr aushalten auf, vorbeizuschauen und vielleicht auch einzuziehen. Wir setzen durch, was BürgerInnen wünschen, sich aber nie zu machen trauen: Schneller wohnen!
Kämpfende Einheit Ghettoblaster."

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Ist das "Onkel Otto" denn wirklich ein anderes Kapitel? Habe niemals so tief drinnen gesteckt in diesen Szenen wie Du - das können 1, 2 Jahre sein, die uns da unterscheiden.

Mein Bruder, 5 Jahre älter, war noch im SDAJ, meine Schwester, 3 Jahre älter, hat noch in Gorleben gezeltet und war in Göttingen eher an der Peripherie jener Szene, die Du schilderst, unterwegs.

Ich meinerseits war eher Friedensbewegungs-sozialisiert, eher diffus-roncalli-mäßig unterwegs, "Softie" nannte man das ja, diese Klaus Hoffmann-Hörenden - und dann kam ein ziemlich brutaler Bruch rund um die NDW und die Punk-Wirkungen in Deutschland.

Dann ging man nicht mehr in's "Farmers Inn", "Franco" oder "Zombie" (vermute, Du kennst da das eine oder andere), sondern in's "bad" ("alternatives" Veranstaltungszentrum mit Disco inmitten der Herrenhäuser Gärten in Hannover, ehemaliges Freibad - aber schon eine neue Generation nach Zentren wie dem "Raschplatz Pavillion", wo eher noch der Geist der 70er wehte) oder in's "Soxzs" (eher wavig) und mußte ständig aufpassen, nicht von Skins verprügelt zu werden.

Das waren ja mehr als Äußerlichkeiten: Nachdem Kohl an's Ruder kam, setzte ja schon erst mal ein Zusammenbruch ein. "Die Grünen" waren dann auch nicht so dolle, wie man sie sich erhoffte, und galten als "Wollsocken" eh als uncool - Statler beispielsweise, padonnez-moi, scheint mir ja bis heute in diesem Bruch zu leben.

Klar, es gab auch noch Wackersdorf etc. - für mich war aber z.B alles rund um die Hafenstraße, wo ich auch eher Zuschauer war, ein Versuch, eben diesen Lifestyle-Bruch der frühen 80er auch wieder mit Inhalten zu füllen. Weil eben das weitergedacht wurde, was in der auf den TUNIX-Kongreß folgenden Alternativbewegung angelegt war - statt der großen Weltrevolution konkrete Projektarbeit.

Man kann jetzt die Hafenstraße und die Alte Flora als letzte Kämpfe der längst untergehenden Hausbesetzerkultur der frühen 80er ansehen, ein letztes Fanal, für mich war alles Drumherum eher der Versuch der Transformation dessen, was Du schilderst, aber eben weniger immanent-repressiv (kann ich mich als Zuschauer auch irren), sondern viel lustiger. Nicht umsonst kamen da die "Goldenen Zitronen" und andere auf, der "wahre Heino" etc..

Insofern glaube ich schon, daß zumindest in den Großstädten anders als in den Biotopen der Uni-Städte schon auch noch viel anderes los war, was mir viel offener schien. Meine einzige DKP-Freundin z.B. rannte mit Psych-Frisur rum und wollte ficken, pardonnez-moi, war aber so. Der FC St. Pauli politisierte sich und hat allerlei bewirkt. Und bei allen dogmatischen Spaßbremsen, die da auch heute noch rumlaufen, war's ansonsten so verbiestert nun auch nicht.

Auch diese ganzen Aktionen in Berlin in all den rechtsfreien Räumen nach dem Mauerfall, sei's Tuntenhaus oder die Techno-Discos, haben das ja fortgeschrieben, und genau das ist ja der Skandal des Prozesses der Wiedervereinigung, daß in Ost wie West dieses als Potenzial eingeebnet wurde und keiner das mehr so richtig auf dem Zettel hat. Und daß in der Techno-Bewegung selbst auf einmal alle Begriffe nur noch ästhetisch und nicht mehr ökonomisch ausgelegt wurden, z.B. der Begriff "kommerziell".

Und, wo Du gerade über die New Economy geschrieben hattest: Da gab es ja ähnlich wie im Techno-Umfeld, Westbam etc., schon auch Versuche, Ökonomie mal anders zu denken - networkend und independant, sozusagen. Hatte dann mit Marx nicht mehr so viel zu tun, aber Gott, Visionen gab's halt, die man schon auch als Lehre wiederum aus dem ganzen Hafenstraßen etc.-Umfeld ansehen konnte.

Für mich war die New Economy dann auch der Punkt der Re-Politisierung - weil Chancen, die proklamiert wurden, wiederum eingeebnet sich fanden.

Ich habe damals in einer Firma gearbeitet, wo uns im Zuge des Börsengangs dann so Unsinn wie "Wir sind doch jetzt alle Unternehmer!" um die Ohren gehauen wurde, weil man Aktien kaufe konnte. Das fanden wir so doof, daß wir im Gegenzug,, von einer Gewerkschaft beraten, einen Betriebsrat gegründet haben. Das fanden die Analysten zwar total Scheiße, war aber ein guter Schritt, der ja eher alter, sozialdemokratischer Logik folgte, und ich würde die trotz alledem nicht aus der Geschichte linken Denkens komplett hinauswerfen, diese Logik. Sehe es eher als Problem, daß den Leuten eingeredet wird, dieses sei "nicht zeitgemäß".

Das sind zum einen drei Elemente - konkrete Projektarbeit, neues Wirtschaften, das Wiederentdecken von uralten Traditionen der Arbeiterbewegung - die doch weiterhin stattfanden.

Und diese Szene-Interna, die Du beschreibst, waren von allerlei Anderem, das nicht im selben Sinne, engagiert, aktiv, bewunderswert aktiv ,wie ihr es wart, zumindest umgeben.

Mir lag jetzt doch daran, daß zu erwähnen, um ein weiteres Mosaik-Steinchen hinzuzufügen, das Bild ist mir sonst zu engmaschig gestrickt ... und es passiert dann als Gegenreaktion immer wieder neu genau das, was schon in den frühen 80ern passierte: Der Ausruf "Wie uncool!" und weitergehen. Finde es viel wichtiger, mal wieder cool zu werden ...

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was heißt denn hier eigentlich uncool?
Den Klaus Hoffmannn habe ich auch gehört, war erst kürzlich wieder in einem seiner Konzerte, und ich habe ihn auch mal persönlich kennengelernt und mit der Band eine Nacht durchgesoffen. Ich habe das Leben in der Szene trotz eines diffusen Unbehagens hinsichtlich des moralischen Rigorismus insgesamt unterm strich positov erlebt, sonst hätte ich es nicht 18 Jahre dort ausgehalten. Da kommen ja noch verschiedene andere Facetten hinzu. Ich hatte schon mal die coole Seite der ganzen Sache gepostet:


http://che2001.blogger.de/stories/382362/


So, und zu dem damaligen Freund mit den ultrastraighten Vorstellungen bezüglich der eigenen Zukunft ist noch zu sagen, dass er ein "Buch der coolen Leute" führte, in dem er und ich einige der vorderen Plätze belegten, dass er einerseits ein glänzender Theoretiker war, der auch nach zwei Flaschen Rotwein noch in druckreifen Essays redete und andererseits ein Streetfighter und Kampfsporttrainer, der einmal auf einer Hauedemo einem Bullen den Knüppel wegnahm, und ein ausgesprochen schöner Mann und Schwarm der Szenefrauen. Dieser Rigorismus war von der Sorte, wie ein Drachentöter rigoros ist. Das soll uncool sein? Die straighte Moral der Szene hatte ja auch Vorzüge. Hatte ich in einer fremden Stadt zu tun, war es eine Selbstverständlichkeit, dass ich bei GenossInnen kostenlos wohnen konnte, auch wenn die mich vorher nie gesehen hatten, und wer kein Auto hatte und mal eins brauchte, konnte es sich jederzeit bei Szeneleuten ausleihen, das war so arschlar, dass man darüber gar nicht erst redete.


Die Szene hat auch die mit weitem Abstand besten Parties gefeiert, die ich je erlebt habe, und zumindest in den Anfangsjahren gab es da eine sexuelle Freizügigkeit, die einfach ein Genuss war ;-)


Eine gewisse Selbstdisziplin gehört wohl für Viele einfach dazu, wenn man über Jahre hinweg bei eskalierenden Demos oder Kurdistan- und Nicaragua-Missionen für die eigene Überzeugung Leib und Leben riskiert.
Es ist ein Unterschied, ob man linken Protest als Jugendtrip betreibt oder da ein kompletter Lebensentwurf hintersteht.
Die Grenze zum repressiven Moralismus war fließend, aber Letzterer kam so richtig eigentlich auch erst auf, als es mit der autonomen Bewegung und der Westlinken insgesamt bergab ging. Im Übrigen: Martin Luther King, Mohandas Karamchand Gandhi und Martin Niemöller, menno, was waren das für Spaßbremsen in ihrer uncoolen Prinzipienstrenge ;-)))

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Danke für den Einblick
Gerade für einen der zu dieser Zeit kaum in diesem Lande war interessant mglw. auch erhellend zu lesen.

Darf ich das ganze somit unter Biedermeier 2.0 verbuchen ?

Nochmals vielen Dank, es ist für mich ein wenig wie das Lesen in den Ritualen exotischer Völker. der deutschen Volksseele tut zuviel Wohlstand und persönliche Freiheit wohl nicht gut.

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Larmorjanz
Der Einblick sei Dir gerne gewährt und keine Sorge Lebemann, es geht doch längst schon in Richtung Freiheitsabbau. Falls dir der reduzierte Bürger 0.5 wirklich besser gefällt, nämlich ein politisch passiver und aufs Fensehglotzen beschränkter Beschränkter, hey, dann müsste für Dich ja ziemlich alles paletti sein.

P.S.
Woran genau machst der lebemann eigentlich fest, dass er (übrigens mit Erbmaterial, das meinem sehr ähnlich ist), nicht zur "deutschen Volksseele" zu rechnen bist?

Weeste, die deutsche Larmojanz, die haste janz...

P.P.S.
Es gibt es noch jede Menge weiterer Subkulturen, nicht nur in der Politik.

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Ein Schuh, andersrum.
@ Dean

Nicht schnellschiessen !

Es ging mir eher darum dass imho, wenn in D ein "Zuviel" an Wohlstand und persönlicher Freiheit erreicht wird, man sich selber - offenbar aus Langeweile und Eitelkeit - wieder einen Käfig aus Ritualen im Sinne von "Muss" und "Soll" strickt, wie es der oben abgehandelte "Linke" Lebensentwurf glauben macht.

Er ist zwar grundsätzlich sinnlos und rückschrittlich im Sinne von nicht zielführend und antiindividualistisch aber er beschert ein warmes emotionales Zuhause fast wie in einer besonders spartanischen und überregelten Klostergemeinschaft.

Insofern ist er objektiv kaum anders - gemessen an seinen Ritualen und Ge- wie auch Verboten - als die spiessbürgerliche ländliche Dorfgemeinschaft, in der jeder jeden sozial kontolliert und die härteste Strafe für Abweichlertum der Ausschluss aus der Gemeinde ist.

Der Rest scheint ja wohl reine Attitüde zu sein. daher Biedermeier 2.0.

Erlebt habe ich das weder in GB noch in F noch in den USA (NY, Windy City, LA) uns in E schon gar nicht. Daher die Überzeichnung mit der "deutschen Volksseele".

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Von wegen deutsche Volksseele
Ich würde die hier beschriebene Mentalität deutscher Autonomer als die Light-Ausgabe der Lebenshaltung der britischen Straight-Edge-Linken bezeichnen. Ich hatte mal ein wenig mit Londoner Hardcores und Veganen zu tun, und da kommt zur zwanghaft politisch korrekten Berufswahl auch noch die passende Ernährung plus Alkohol- und Drogenverzicht plus teilweise auch noch sexuelle Enthaltsamkeit. Wenn Du mal mit einem katalanischen Gewerkschafter redest, der in der anarchosyndikalistischen CNT oder der linkskommunistischen CGT organisiert ist, so wirken deutsche Autonome dagegen auch eher etwas verspielt und nicht unbedingt sonderlich straight. Japanische Linke - Stichwort Shin Ga Kura - vertreten eine Mischung aus Samurai-Ehrenkodex und Marxismus-Leninismus, und verglichen damit ist diese Mentalität locker. Ach ja, und Karma Yoga ist möglicherweise ein noch strengeres System.

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Sehr spannend zu lesen und dabei sehr aufschlussreich, ich würde den Roman sofort kaufen. Aus quasi-ostdeutscher Sicht einer späteren Generation sind da ja nur die Echos aus der Ferne (zeitlich & örtlich) wahrnehmbar.

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