Dienstag, 20. November 2007
Nichts ist vergessen, und niemand - Der Tag, an dem Silvio Meier starb
Die Nachricht vom Tod Silvios erreichte uns, als wir mit völlig anderen, eigenen Problemen beschäftigt waren. Die Art von Auseinandersetzung mit Faschos, bei der in erster Linie Antifas in kleinen Gruppen gegen die Nazis direkt vorgingen, hatte nach dem Tod von Conny und Alex 1989 und 1990 in Göttingen ein Ende gefunden. Eine Antifa-Strategie, die primär die Auseinandersetzung mit den Nazis selbst suchte, schien gescheitert, entsprechend wurde versucht, neue Wege zu gehen. Einige Antifas suchten möglichst breite Bündnisse, bildeten eine vereinsähnliche Antifa mit festen Strukturen, warben offensiv um Mitglieder und wollten eine bundesweite Organisation aufbauen - die Autonome Antifa (M), die bald vom eigentlich autonomen Gedankengut zum Marxismus-Leninismus umschwenkte und einen zunehmend autoritären Charakter annahm. Dann waren da wir, die wir einen Antifa-Begriff, der sich über den Feind, die Faschos, definierte kritisierten und vor allem die Opfer der Nazigewalt als Subjekte, nicht mehr als bloße Gewaltopfer, interessant fanden und so vom Antifaschismus zum Antirassismus und zur Aktionseinheit mit MigrantInnen und (überwiegend jugoslawischen, nigerianischen und kurdischen) Bürgerkriegsflüchtlingen fanden. In Bremen war die Situation nochmal anders, hier zerfiel die gemischte autonome Linke in die Fraktion der Antiimps und die der Sozrevs. Die Antiimps vertraten einen tradierten leninistischen Imperialismusbegriff und sympathisierten mit marxistisch-leninistischen Guerrillabewegungen im Nahen Osten wie PKK und PFLP, die Sozrevs (Sozialrevolutionäre) waren libertäre Autonome, deren Imperialismuskritik sich auf Subjekte wie Bauernaufstände in den Ländern des Südens, Frauenkämpfe und Kämpfe um das unmittelbare Existenzrecht wie etwa Brotpreisrevolten bezog. Aus ihrem neuen Antiimperialismus leitete sich die Flüchtlingssolidarität in der Theorie ab, während sie sich für uns aus Erfahrungen der Praxis ergab. Beides kam aber rasch zusammen und entwickelte sich zu einem neuen Ansatz. Flüchtlinssoli bedeutete für uns auch neue Verpflichtungen gegenüber den Betroffenen. Als Silvio getötet wurde, rödelten wir zwischen Soli mit einer Kirchenbesetzung in Norderstedt und der Nachbetreuung der Flüchtlinge, Einsammeln von Spendengeldern für Kurdistan und dem Runterbringen der Gelder ins Land (versteckt in der Unterwäsche) und der Vorbereitung der Bundestagsblockade in Bonn. Die "Barrikaden von Friedrichshain" wurden von uns solidarisch wahrgenommen, aber wir steckten zu sehr in anderen Kämpfen, um uns da einzubringen. Die Politik sowohl der von uns kritisierten Antifa (M) als auch von uns war nur möglich vor dem Hintergrund eines antifaschistischen Bündnisses, das in Göttingen von autonom bis zur SPD, dem DGB und der evangelischen Kirche reichte und das dafür sorgte, dass in der Stadt kein Fascho den Fuß auf den Boden bekam. Die Neonazis, die unsere Gegner waren, waren keine überfallartig auftauchenden Faschohorden wie in Berlin, sondern Nazis, die wir namentlich kannten und denen wir zahlenmäßig in der Regel mindestens 10:1 überlegen waren. Riefen in der Innenstadt auch nur drei Skinheads "Heil Hitler!", mobilisierte eine Telefonkette zu jeder Tages- und Nachtzeit 400 Leute an den Ort des Geschehens. So erfreulich die Lage in Göttingen war, Ärger bereitete das Umland, und bis nach Ilsenburg und Kassel lieferten wir uns Verfolgungsjagden mit dem braunen Pack. Das war manchmal auch ganz lustig: Einmal traf ein Trupp Göttinger Antifas bei einem bedrohten Flüchtlingswohnheim ein, dessen BewohnerInnen den Zaum um ihr Heim demoliert hatten und als Waffen gegen die Nazis einsetzten, sorgfältig darauf achten, mit der Nagelseite zu treffen. Auf die Frage, ob sie nicht furchtbar Angst gehabt hätten, kamen Sprüche wie "wieso, ich habe mit Arafat gekämpft, da sollen wir Angst vor 15 jährigen Glatzen haben?". Noch lustiger wurde es,als Flüchtlings zur Ehre der Antifas einen Hammel schlachteten und lecker zubereiteten, nur waren das mehrheitlich Vegetarier...

Nun, aber zurück zu Silvio: Nichts ist vergessen, und deshalb gibt es eine Demo.


http://www.antifa.de/cms/content/view/62/32/


http://www.silviomeier.tk/

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Hab das was Schönes gefunden: Never Give up! Never Give In!

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Der "Chim" macht eine atemberaubende Drahtseilaktion zwischen Satire und Ernst. Komisches Blog, auf dem man nicht kommentieren kann.

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»Neronazis«
finde ich nun aber den besten Begriff, den Du jemals neu geschaffen hast. Das ist weit geiler als Neonazis, was mir schon lange etwas zu abgeschmackt rüberkam. Chappeau, es gibt doch noch neues auf der Welt.

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Mir kam diese Idee deswegen, weil damals Faschos "Ausländer raus!" mit "Zündet sie an!" toppten. Dabei war dieser Kaiser selber weniger schlimm als sein Ruf, Rom hat er wohl nicht anzünden lassen.

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Che, so richtig und theoretisch durchdacht das ist: Ich erinnere mich von damals daran, dass Ihr vor dem 60jährigen Neonazi Karl Polacek Angst hattet und eine Berliner Genossin dazu anmerkte: "Schlagt die Faschisten, wo (und nicht: falls) Ihr sie trefft."

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Nachdem der eine Frau mit einer Holzfälleraxt angegriffen hatte, hatte er sich auch nicht gerade als der liebe Nachbar von nebenan gezeigt. Und Polaceks Ausweisung nach Österreich war dann ausnahmsweise eine Abschiebung, auf die wir mit Sekt anstießen.

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Bin fünf Jahre lang jeden Tag an der Gedenktafel in der U Samariterstraße vorbeigekommen. Kein Vergeben, kein Vergessen!

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