Montag, 6. Februar 2006
Heißer September in Paris
Es ist der 17.September 1824 in Paris. Die schmalen, verwinkelten Straßen der Altstadt sind durch teils hastig aufgeworfene Barrikaden befestigt: Man hat Pflastersteine ausgegraben und zu Wällen aufgeworden, sandgefüllte Körbe, umgeworfene Schubkarren und alte Truhen dahinter aufgetürmt. Hinter diesen mehr als notdürftigen Schanzen liegen die Manufakturarbeiter und die Textilarbeiterinnen mit den aus geplünderten Waffenläden geholten Jagdbüchsen, Marktfrauen mit Schrotflinten, Metzgerbeilen oder Hämmern, Straßenjungen mit geklauten Stoßdegen oder auch nur abgebrochenen Stuhlbeinen. Paris ist geteilt: In den westlichen Vororten und an der Straße nach Versailles steht die königliche Kavallerie und werden Gendarmen und Artillerie zusammengezogen. In den Armenvierteln der Innenstadt und des Ostens, dort, wo Arbeiter und Handwerker in der Mehrzahl sind, erwarten die Unterprivilegierten den Tag der Abrechnung. Im Jardin de Luxembourg warten Truppen auf ihren Einsatz: Husaren, Gardeinfanterie, berittene Gendarmen, Marineinfanterie und Pioniere mit Orgelgewehren auf Geschützlafetten. Im Quartier Latin beziehen die Studenten Stellung auf besser befestigten Barrikaden aus umgestürzten Kutschen, mit Schotter gefüllten Bier- und Weinfässern, Bauholz und Steinquadern. Sie tragen trikolorefarbene Kokarden und rote Jakobinermützen, Musketen aus aufgebrochenen Magazinen, Duellpistolen und Duelldegen. Niemand ist bereit, nach dem Tod Ludwig des XVIII. einen weiteren Bourbonen auf dem Thron sehen zu wollen, nachdem der Großherzog von Korsika, Napoleon, sich zum "Kaiser der Arbeiter" ausgerufen hat. Die Tatsache, dass Blücher sich auf dem Schlachtfeld von Waterloo im Nebel verirrt hatte, hatte die Schlacht mit einem Patt enden lassen. Der Kaiser war bereit gewesen, auf den Thron Frankreichs zu verzichten, wenn ihm die souveräne Herrschaft über seine Geburtsinsel blieb. Dem Wiener Kongress war nichts übriggeblieben, als ihm dies zu gewähren, unter der Bedingung, das er über nicht mehr als zehntausend Soldaten und zehn Schiffe geböte. Der Korse hatte in seiner Heimat den fortschrittlichsten Staat Europas organisiert, nun nutzt er das Machtvakuum und stellt sich auf die Seite von Proletariat und radikalem Kleinbürgertum.

Bei Nacht und Nebel landet der Korse mit seinen erlaubten 10 000 Mann und Tausenden von griechischen Freiheitskämpfern. Während um Paris die Schlacht tobt, nähert sich der Stadt ein schnell sich vergrößerndes Herr, das von niemandem aufgehalten wird. Karl verzichtet vor der Thronbesteigung auf die Königswürde. Als Napoleon am 21. September die Stadt erreicht, sind 6.000 Menschen gefallen. Noch immer wehen Trikoloren und auch rote Fahnen über unerstürmten Barrikaden. Das Eintreffen des alten und neuen Kaisers bringt alle Auseinandersetzungen zum Stoppen. Die Massen jubeln dem kleinen, mittlerweile betagten Mann zu. Mit der Thronbesteigung des "Arbeiterkaisers" endet die Staatenordnung des Wiener Kongresses.

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Generationenparty
In meiner Wohnung wird eine Party gefeiert. Die Wohnung besteht aus den Räumlichkeiten aller Wohnungen meines Lebens seit Auszug aus dem Elternhaus: Die erste WG, also jene hier: http://che2001.blogger.de/stories/361444/, jene legendäre Szene WG zwischen Uni, Kurden-Eck und Puff, die erste eigene Wohnung am Versuchsgelände, die Klause unterm Dach und mein jetziges Domizil. Sie verteilen sich über mehrere Stockwerke, teils auch Viertel- und Halbetagen, und jede hat ein Schlafzimmer und mehrere Betten. Alle Epochen meines Lebens als Erwachsener fallen hier zusammen, denn die Traumzeit ist Bestandteil der Heutemorgengesternwelt, und verschiedene Zeitabschnitte und Lebensphasen sind fußläufig erreichbar. Vor dem Haus liegt ein Park, und der MFG-Typ radelt hindurch, spricht mich an, ob ich nach Hannover fahre. Ja, irgendwann, sage ich. Er beitet mir Geld, ich sage, ich nehme kein Geld für eine Mitfahrgelegenheit, die ich vielleicht erst in einem halben Jahr anbiete. Er gibt mir einen vierzig Euro-Schein, Sonntagsgeld, und sagt, damit stünde ich in seiner Pflicht, das wäre vielleicht auch Startkapital für eine gemeinsame Mitfahrzentrale. Das Sonntagsgeld ist eine Erfindung der Regierung, um den Umsatz am verkaufsoffenen Sonntag anzukurbeln.Alles, was sonst fünfzig Euro kostet, kostet sonntags vierzig, was für fünf Euro kostet vier usw., dafür wurde spezielles Geld gedruckt, das nur sonntags gültig ist. In meiner WG ist eine Fete, der MFG-Typ kommt mit und flirtet mit Maria. Ich will alleine sein und mit mir Rotwein trinken, durchwühle meine Regale, finde dieses und jenes, z.B. zwischen Büchern einen unverdorbenen Schaschlikspieß aus den Achtzigern, aber auch Rotwein und Brandy. Plötzlich merke ich, das das Himmelsblau nachgeht bzw. stehengeblieben ist: es ist noch hell, aber schon 22 Uhr. Ich komme zu spät zur Geburtstagsfeier meiner Schwester! Als ich eintreffe, sind die Tribünen schon abgebaut, aber Schwesterchen und die Allerschönste noch da. Ein Glück! Wir schließen uns in die Arme.

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