Dienstag, 7. Februar 2006
Wo ich herkomme
1982 war ein besonderes Jahr. Die Häuserkämpfe in Hamburg, Frankfurt, Berlin, Bremen und Göttingen ebbten
gerade ab, der Anti-Atomraketenherbst stand bevor, die 68er waren gerade im Hafen der bürgerlichen
Sicherheit eingelaufen, als eine neue Gegenkultur entstand: Die Autonomen.

Die Gründe der Rebellion waren noch die gleichen wie für die 68er. Noch hatten wir Altnazis als Lehrer. Im Deutschen Herbst hatte man aufgrund einer politisch gegebenen 6 ein Drittel eines Jahrgangs auf meiner
Schule sitzenbleiben lassen, und die Botschaft nach links lautete: Wir können Euch liquidieren.

Was wir, Schüler/innen im Abialter, junge Studis, Azubis um die 20 an den 68ern kritisierten, war, dass
diese zu schnell verbürgerlicht waren, dass sie nicht so radikal waren, wie ihre Parolen vermuten ließen,
dass Mao und Stalin und Konsorten überhaupt nicht links, sondern nur autoritär waren. Wir setzten teils
auf den Anarchismus, teils wandten wir uns ganz gegen ideologisch geschlossene Weltbilder, es waren auch
Kommunisten vor-bolschewistischer Prägung dabei, nach Luxemburg oder nach Marx himself. Wir lehnten den
Birkenstock-Fischerhemd-Passat-Diesel-Mief der 68er ab. Unsere Musik war Neue Deutsche Welle, TonSteineScherben,
Die Toten Hosen, Einstürzende Neubauten, Heavy Metal und Punk. Der Anspruch "Wir wollen Spaß, wollen Spaß."
verband sich mit "Macht kaputt, was Euch kaputt macht" und dem Anspruch auf eine eigene Aneignung linker Traditionen, die uns nicht von Großideologen oder pädagogisierenden Müslibärten vordoziert werden sollte.

Jahre politischer Kämpfe, militant am Bauzaun, konstruktiv und kompromissbereit in Bürgerinitiativen
und Hochschulgremien, mit publizistischen Mitteln, auf allen Ebenen. Gegen AKWs, gegen Startbahn West, gegen Neonazis, für ein Bleiberecht für Flüchtlinge, am Schluss wurde unbezahlte Sozialarbeit daraus. 17 Jahre autonome Szene prägten bei mir vor allem eine grundsätzlich gesellschaftskritische Haltung und die Fähigkeit,
sich mit ungewohnten und oft auch unangenehmen Situationen arrangieren zu können, ohne sich mit ihnen abzufinden.

Manche von uns sind Fernsehredakteure geworden, es gibt selbstständige Unternehmer, Lehrer, Ärzte,
PR-Leute, Designer, alles Mögliche, das niemand mit Autonomen in Verbindung bringen würde, die Otto Normal meist in einer Bauwagensiedlung-Schmuddelecke wähnt. Verschiedene Tätigkeiten - Wissenschaft, New Economy,schließlich PR-Beratung in der Old Ecomomy führten mich auf andere Wege. Meine Wurzeln habe ich nicht verloren.

Auch als berufsbedingter Anzugträger, Teuerurlauber und Gourmet verkehre ich immer noch in linksradikalen Kreisen - aber eben auch mit der IHK, dem Marketingclub, CDU-Politikern usw.

Und ich treffe auch da hin und wieder Menschen mit einer ähnlichen Geschichte wie der eigenen, musste aber feststellen,dass es auch unter golfspielenden Rotariern Leute gibt, mit denen ich mich gut verstehe.

Eine andere kulturelle Grenze bleibt bestehen: So gibt es zwischen
meinemeinem und einer bestimmten Sorte von geschniegelten Á la mode Yuppies eine unüberwindbare Barriere.

Und das ist auch besser so. Treffe ich Autonome, also nicht die eigenen Leute von früher, sondern junge
Leute, die sich heute so nennen, oder auch Leute von Attac, dann finden sich wenig Gemeinsamkeiten. Vielleicht
die politisch-moralische Empörung über bestimmte MIsstände, OK, aber es gibt keinen gemeinsamen Theoriehintergrund, und Dinge wie
Veganismus und asketische Lebensweise machen aus meiner Sicht keinen Sinn und taten das noch nie, und häufig
kommen mir die Leute einfach nur pubertär vor.

Manchmal habe ich den Eindruck, für Viele geht es in erster Linie um Marke tragen, und dann tragen
Autonome halt Carharrt, Hein Gericke, Belstaff,Dockers und die Kufaya (Palästinensertuch, das eigentlich kurdisch ist) mit einer solchen Kultfixiertheit
wie die NE-Yetties und Yappies Versace, Prada und Cerutti und Neonazis Lonsdale und Dr Martens mit weißen
Schnürsenkeln. Inalte? Wer diskutiert denn noch über realisierbare Alternativen zur herrschenden Politik?
Symbolische Proteste haben eine psychohygienische Funktion: Katharsis, man kann vor sich selber geradestehen.
Ich wende mich nicht dagegen, dass sie stattfinden, aber es reicht nicht.

Selber gut zu leben, finde ich völlig in Ordnung, ich war schon immer Hedonist. Meine linke Utopie beinhaltete
nie uniformierte Armut, sondern Luxus für alle.

Na ja, wo ich heute weltanschaulich stehe, kann ich so ganz genau nicht sagen; nur: die Art von autonomer Szene, zu der ich gehörte, waren hochintellektuelle Leute, die z.B. eine Buchreihe "Autonomie Neue Folge" herausgaben, die sogar einen neuen Forschungsansatz in der Geschichtswissenschaft mit auf den Weg brachte, und nicht der Typ "pöbelnde Straßenpunks". Wir haben uns auch weniger mit ritualisierten Protesten gegen alles Mögliche abgegeben, als vielmehr, von der Phase "Bürgerwehr gegen Neonazis" abgesehen, mit Discos, Felafelständen, Konzerten etc. Geld gesammelt, das wir, verborgen in der eigenen Kleidung, nach Kurdistand/Irak runtergeschafft haben, um es da den Leuten in die Hand zu drücken, die es zum Wiederaufbau ihrer zerbombten Dörfer brauchten, von der Abschiebung in Folter und Bürgerkrieg bedrohten Asylbewerbern durch Maßnahmen von Petitionen an Politiker bis Heiraten (damit die nen deutschen Pass kriegen) eine legale Existenz in Deutschland verschafft und und und.

Und ganz im Ernst: mitunter habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich alle diesen Dinge nicht mehr mache, sondern schnödes Business. Es haben mir sogar frühere Weggefährten deshalb die Freundschaft entzogen.

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Damit der Holocaust nie wieder sei
Wenn die neoconnerds ständig betonen, sie würden dem Faschismus sehr viel ferner stehen als ihre linken Kritiker, und ihr Philosemitismus, ihre Israel-Begeisterung weise sie als das genaue Gegenteil von Nazis aus, dann würde mich doch mal ihre Reaktion auf den Lackmus-Test für Antifaschismus interessieren. Der geht so:

"Wir fordern die Vernichtung des Faschismus durch dargelegte Maßnahmen:
Aufbau einer Volksrepublik, Befreiung der Arbeit z.B. durch Achtstundentag und freie Gewerkschaften, Sozialisierung der Wirtschaft, Friede und Recht durch Wiedergutmachung, Wiederherstellung von Humanität als Grundlage der Kultur (Freiheit der Bildung und der Künste), die Sozialistische Einheit gegen den Faschismus.

Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig.


Es lebe das Bündnis aller antifaschistischen Kräfte Deutschlands!

Es lebe ein freies, friedliches, sozialistisches Deutschland!

Es lebe der revolutionäre demokratische Sozialismus!

Es lebe die Internationale der Sozialisten der ganzen Welt! "



Manifest von Buchenwald

Na, wie haltet Ihr es damit?

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