Dienstag, 19. September 2006
Lechts gleich rinks
Ich meine ausdrücklich nicht die Blogbetreiber (und wünsche Statler tolle Bergerlebnisse), aber was die Kommentataren äh
Kommentatoren angeht, sticht mal wieder ein Feindbildaufbau ins Auge, der deutlich macht, was für einen Riesensplitter einige Leute in Selbigem haben. Einerseits werden da Dinge behauptet, die nicht stimmen, so etwa, PDS/Linkspartei und NPD hätten ähnliche Ansichten zur Wirtschaft, zu AusländerInnen, zu Israel und den USA, und linke und Rechtsradikale seien ein ähnlicher Menschentyp, in diesem Zusammenhang wird behauptet, die prügelnde Naziglatze stünde zu Herrn Frey im gleichen Verhältnis wie ein militanter Autonomer zu Oskar Lafontaine. Nun kann man das natürlich alles "es singt der Chor der Blöden, der schon immer war zu laut" abtun, aber da es mir viel zu viel Spaß macht, in solchen Abstrusitäten herumzupieken und ich vor einer wichtigen Besprechung gerade eine halbe Stunde nichts zu tun habe (bin sozusagen übervorbereitet), mache ich mal den Job meines Freundes, des Pathologen und seziere.

Ähnliche Ansichten zur Wirtschaft (Sozialismus) kann nur sehen, wer einen derartig radikalen Wirtschaftsliberalismus für die einzige aller möglichen Welten hält, dass ihm jeder Blick für die Welt außerhalb dieses festgefügten Weltbilds verlorengegangen ist. Die Nazis erstreben einen korporatistischen Kapitalismus mit Schutzzöllen, Protektionismus und naiv-paranoid-antisemitischen Vorstellungen von "gutem Lohn für gute Arbeit" und "Abschaffung der Zinsknechtschaft", was erst mal nur Floskeln sind, hinter denen außer geistiger Schlichtheit und mächtigen Vorurteilen wenig steckt.

Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Linkspartei bewegen sich diffus zwischen Gysis Konzept einer Wertschöpfungsabgabe zur Finanzierung des Arbeitgeberanteils in der Sozialversicherung (die nicht mehr Bestandteil des Bruttolohns sein soll, wodurch die Lohnnnebenkosten gesenkt werden sollen, nur dass die Belastung der Betriebe dann durch die Abgabe von hinten rum kommt), "zurück zum Keynesianismus" und zum Sozialstaat alter Prägung und ostalgischer DDR-Romantik; wie die Regierungspraxis aus der Berliner Bürgerschaft zeigt, sind sie dabei in der Praxis so pragmatisch (oder müsste es opportunistisch heißen), dass jedem Old-Fashioned-Sozialisten richtig schwindelig werden kann.


AusländerInnen: Eine populistische Sonntagsrede Lafontaines zum Stimmenfang bei Arbeitslosen ist eine Sache, aber die politische Arbeit der PDS/Linkspartei in Sachen Flucht und Asyl, AusländerInnenintegration etc. zieht am gleichen Strang wie die von FDP und Grünen, und bis vor kurzem war die PDS-Abgeordnete Ulla Jelpke in Sachen AusländerInnen- Menschen- und Bürgerrechtsarbeit so aktiv wie sonst nur Organisationen wie Pro Asyl oder ai.

Israel und USA: Die NPD vertritt einen Antisemitismus in direkter Nazi-Tradition, und mit Jürgen Rieger ist jetzt auch noch ein erklärter Anhänger der NS-Rassenlehren mit im Boot. Dazu kommt ein deutschtümelnder Antiamerikanismus, den eigentlich selbst kein Blood-and-Honour-Skin mehr ernst nehmen kann (in welcher Sprache ist denn Blood-and-Honour formuliert, hä?). Demgegenüber kritisieren Teile der Linkspartei die Welt- und Nahostpolitik der USA als imperialistisch und sehen Israel im Libanon eher als Aggressor denn als Angegriffenen, solidarisieren sich eher mit den PalästinerserInnen als mit den Israelis, andererseits lehnt die PDS-Bundestagsfraktion einen Nahosteinsatz der Bundeswehr aufgrund der Vorbelastung durch die NS-Vergangenheit rigoros ab.

Menschentyp: Alte SED-Kader sind natürlich ein anderer Schnack, aber die Linken, die ich kenne (überwiegend Wessis oder MigrantInnen) sind Leute, die man überwiegend so charakterisieren könnte: "Rebellisch, autoritätskritisch bis - feindlich, stark individualistisch, bisweilen kauzige oder exzentrische Charaktere", während es für typische Rechtsextreme charakteristisch ist, dass es sich um konformierende Asoziale mit hohem Maß an Autoritätsgläubigkeit handelt. Dass Rechts- und Linksradikale grundverschiedene Sozialcharaktere ausmachen, diese Erkenntnis wird selbst von solch des linken Gedankenguts völlig Unverdächtigen wie Horst Herold oder dem Essener Staatsschutz-Schreiber Rolf Tophoven vertreten. Die Vorstellung, Aussagen Lafontaines hätten auf die Handlungen miltanter Linker irgendwelchen Einfluss (was beim Verhältnis von Naziglatzen/Freien Kameradschaften zu Leuten wie Frey oder Mahler durchaus der Fall ist), ist völlig lächerlich. Für einen Teil der militanten Autonomen ist Lafontaine genauso Bestandteil des "Systems" wie Merkel, die Unterstützung der PDS durch Teile des Antifa-Spektrums wurde in den 90er Jahren als Rechtsruck betrachtet. Die Mehrzahl der verbleibenden militanten Linken in Deutschland sind entweder anarchistisch orientiert, rein pragmatisch im Sinne gewaltsamer "Selbsthilfe" ausgerichtet ("Klasse gegen Klasse", "Frauen schlagt zurück")
oder sozialrevolutionär im Sinne autonom-operaistischer Theoriebildung, aber weit entfernt von einem versprengten Vertreter der alten Sozialdemokratie.

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