Donnerstag, 16. August 2012
Neues zum Nobordercamp und weiterführende Überlegungen
Neues zum Nobordercamp und weiterführende Überlegungen


Es ist ja wirklich nicht einfach, wenn man die widersprüchlichen und widerstreitenden Informationen zum Nobordercamp verfolgt, zu dem ich mitmobilisiert hatte, an dem ich selber aber nicht teilnahm. Aus diesem Nebel an Eindrücken und Wahrnehmungen schält sich erst allmählich ein klares Bild heraus, das für mich aber inzwischen deutlichere Konturen annimmt. Gleichzeitig stellen sich dabei einige zentrale Fragen, die die radikale Linke in der BähRD seit gut zwanzig Jahren umtreiben. Wenn in einem der Kommentarbereiche unten davon die Rede ist, es hätte auf dem Nobordercamp rassistische Gewalt gegeben, ist das erschreckend und macht betroffen, es ist dann nur die Frage, was unter rassistischer Gewalt zu verstehen ist. Ich würde darunter zum Beispiel verstehen, dass jemand wegen der Farbe der Haut geschlagen wurde. Nach dem hier Verlinkten wurden aber Handlungen wie Augenrollen, jemanden unterbrechen oder nicht ausreden lassen bereits als Formen von Gewalt erlebt.

http://de.indymedia.org/2012/08/333635.shtml


http://www1.wdr.de/themen/politik/nobordercamp100.html


https://linksunten.indymedia.org/en/node/64170

Btw: In einem der Kommentare dort werden The Voice und die Karawane als "weiße" Organisationen bezeichnet. Das ist entweder schlecht erkennbare Ironie oder Nullahnung. The Voice ist eine Selbstorganisation von Flüchtlingen überwiegend aus englischsprachigen Staaten Afrikas, die Karawane eine offene Flüchtlingsselbstorganisation. Diese Gruppen als paternalistisch gegenüber PoC zu bezeichnen ist so wie Simon Wiesenthal des Antisemitismus zu beschuldigen.
Seit geraumer Zeit wird, auch und gerade, aber nicht nur von Seiten Traumatisierter, darauf hingewiesen, dass Sprache, Bilder, Umgangsformen usw. gewalthaltig sind. So richtig das ist würde ich doch noch sehr deutlich zwischen dieser symbolischen und/oder strukturellen Gewalt und körperlicher Gewalt unterscheiden. Mein eigener Standpunkt fällt dabei natürlich nicht einfach so vom Himmel. Einerseits bin ich als weißer heterosexueller akademischer Mann mittelschichtiger Herkunft multiprivilegiert. Andererseits habe ich meine eigenen Gewalterfahrungen, und da geht´s gerade nicht um verbale oder symbolische Gewalt. Kürzlich hatte ich zwei aufschlussreiche Gespräche, bei denen es um je eigene Gewalterfahrungen ging. Das Eine fand mit meinem alten Genossen T. statt und das Andere mit meiner alten Freundin S. T. schilderte die vielen gewaltvollen Demosituationen, die er erlebt hatte bis zur Tötung einer Genossin unmittelbar vor seinen Augen durch Staatsgewalt. S. berichtete von den Peitschenprügeln, die zu ihrer Erziehung gehört hatten ebenso wie Einsperren im Keller und dann Erlebnissen extremer Gewalt, die sie als erwachsene Frau hatte. Ich selbst habe meine gesamte Kindheit und Jugend hindurch Prügeleien erlebt, war da selbst zumeist Opfer, und hatte als junger Erwachsener (“jung” geht da etwa bis ins Alter 35) meine regelmäßigen Erfahrungen mit Haue-Demos, auch schon mal erlebt, wie es sich anfühlt, mit einer Schusswaffe bedroht zu werden. Meine kurdischen und nigerianischen GenossInnen berichteten dann von Gewaltdimensionen, die ich nicht nachvollziehen kann, da ging es um Bombenangriffe, Schießereien und Folter.

Das sind Gewalterfahrungen, die mit rein verbaler, struktureller und symbolischer Gewalt gar nichts zu tun haben. Und das sind auch die Hintergründe der Flüchtlinge auf dem Nobordercamp. Und dann erlebte ich, dass eine Mitstreiterin inzwischen “Triggerwarnungen” über Bilder oder Texte im Internet setzt, die gewalthaltig seien. Eigentlich kommen Triggerwarnungen aus dem Bereich der Traumatisierten-Selbsthilfegruppen oder der PsychiatriepatientInnen, die damit verhindern wollen, dass entsprechende Personen erneut Traumtatisierungen erleben. Ein Trigger kann z.B. dazu führen, dass bei einem paranoiden Menschen ein psychotischer Schub ausgelöst wird. Aber Triggerwarnungen an ein allgemeines, durchmischtes Publikum von einer Frau, die mir gegenüber sagte, als antirassistischer Aktivist müsse ich mich darauf einlassen, dass mich nunmal Faschos bedrohten, wenn die mich zusammenschlagen gäbe es halt zwei Wochen Krankenhaus, dann wäre alles wieder gut. Der Baseballknüppel als zumutbare Härte, aber Bilder oder Texte als abzuwehrender Triggerfaktor? Da stimmt doch etwas nicht.


http://noborder.antira.info/de/texts/definitionsmacht-anders-ausbuchstabiert-2/

http://blog.katrin-roenicke.net/?p=1143

Triggerwarnungen auf Blogs erscheinen mir heute als fast schon so etwas wie eine Mode, und da fühle ich mich dann allerdings sehr an die Vergewaltigungsdebatten so um 1990 erinnert: Ausgehend von real stattgefundenen Vergewaltigungen in Szene-Zusammenhängen wurde die an sich richtige Position (der ich voll und ganz zustimme), dass die Definition von dem, was eine Vergewaltigung sei nur vom Opfer definiert werden könne, dermaßen weit ausgedehnt, dass selbst Situationen, wo einvernehmlicher Sex, der aber schlecht war oder wo Geschlechtsverkehr überhaupt nicht stattgefunden hatte als Vergewaltigungen bezeichnet wurden, mit allen Konsequenzen der sozialen Ächtung für die “Täter”. So ähnlich ist das m.E., ich lasse mich gerne zu etwas Anderem belehren, auch mit dem Begriff der rassistischen Gewalt in diesem Kontext. Ich finde, mit so etwas wird reale Gewalt verniedlicht.

Nach dem mich all die gebloggten Texte zu der Thematik hilflos zurückließen fragte ich einen Flüchtlingsaktivisten aus Sierra Leone, was der davon hält und fand seine Antwort hochinteressant. Er meinte, auf dem Camp wären zwei total unterschiedliche Gruppen zusammengekommen: Die, denen es um Aktionen ging und die, die provozieren wollten. Die AktionistInnen betrachteten das Camp als Basis für Demos und mögliche Blockaden von Abschiebungen auf den Flughäfen Köln/Bonn und Düsseldorf, die Provokateure wollten auf Diskriminierung von PoC in allgemeinen Diskussionsprozessen aufmerksam machen, wobei sie sich aber bei den konkreten Gruppen, denen sie gegenübertraten eher die falschen Leute ausgesucht hätten.

Da würde sich eine neue Bewegung formieren, die nicht aus den Flüchtlingssoligruppen komme, sondern sich neu bilde aus Afrodeutschen und deutschen Afrikastudienbetreibenden.
Ihr konkretes Auftreten bezeichnete er als “Bullshit”, als ich auf die Kritik an Fleisch grillenden Roma kam lachte er nur und meinte, die seien vor allem sehr jung und müssten jetzt alles Mögliche ausprobieren, er hätte ihre Provokationen eher als Slapstick wahrgenommen. Wir waren ja auch mal jung. Na ja, unser “Spiel mit Grenzen”, indem wir Karstadt-Besucher abgefangen und einem “Asylverfahren” mit Anhörung in Kurdisch zugeführt hatten war dann ja nicht so viel anders. Insofern sehe ich das jetzt viel gelassener.


P.C.: Und viele aktionsorientierte TeilnehmerInnen des Camps haben von den ganzen Auseinandersetzungen nichts mitbekommen, für die war das einfach Penn- Ess- und Feierplatz nach den Demos und Sit-Ins.

... link (2 Kommentare)   ... comment