Sonntag, 26. August 2012
Gedenken wir der Toten der Festung Europa ?
Bedenken wir, dass das
Morden weitergeht.
Fragen wir uns wie wir weitermachen werden ? was wir unseren Kindern
antworten werden?

Wir begrüßen die Demonstration und möchten Euch unseren solidarischen
Beitrag überbringen. Aufgrund des zeitgleich stattfindenden KARAWANE
Flüchtlingscamp in Erfurt können wir nicht selbst präsent sein. Wir
hoffen, dass Flüchtlinge aus der Region das Wort ergreifen und über
die aktuelle Situation frei von Angst und schonungslos sprechen werden.

Das, was den vergangenen gewaltsamen Tagen im August 1992 in
Rostock-Lichtenhagen etwas Besonders verleiht, war das übergeordnete
Interesse politischer Kreise und die konkrete Organisierung der
Situation.
Es ging damals um die Durchsetzung einer Grundgesetzänderung ? konkret
die faktische Abschaffung des Asylrechts. Das Pogrom von
Rostock-Lichtenhagen war der notwendige Katalysator, Flüchtlinge
schärfer zu verfolgen, zu entrechten und auszugrenzen. Unter dem
Eindruck des Szenarios von hunderten Steine und Brandflaschen
werfenden meist jungen Männern, begrüßt und angefeuert durch den
Beifall tausender Sympathisanten sprachen Politiker schnell von
?Volkes Wille? und dass jetzt gehandelt werden müsse. Dass, das Boot
voll ist, das hatten sie schon vor dem Gipfel der rassistischen Mord-
und Brandanschläge Anfang der 90er Jahre, ihren Bürgern und
Bürgerinnen ständig eingetrichtert. Sorgfältig gepflegter Rassismus
und Faschismus hilft bei Zeiten richtungsweisende Projekte auf den Weg
zu bringen. In Folge des Pogroms und der tödlichen Brandanschläge in
Solingen, Mölln, Lübeck, Hoyerswerda und anderswo in Deutschland und
eben nicht nur im Osten führte die Regierung die sogenannte
Drittstaatenklausel ein. Deutschland erklärte sich umgeben von
sicheren Drittstaaten. Jeder Flüchtling, der durch eines der
umliegenden Länder nach Deutschland kommt, wird dorthin
zurückgeschoben. Dieses gegenüber den anderen europäischen Ländern
erklärbar zu machen, musste der rassistische Mob von der Leine
gelassen werden. Dieser erste Schritt Deutschlands setzte das Signal
für den Krieg gegen Migration. Heute sind Todeslager und Todeszäune
entlang der EU- Außengrenzen eingerichtet und mit der
Grenzschutzagentur FRONTEX wird Flucht und Migration militärisch
beantwortet.
Wer guten Mutes und mit dem Glauben an soziale Sicherheit und
Menschenrechte seine vom Imperialismus verwüstete Heimat verlässt, es
schafft alle Todesstreifen zu überwinden und in Europa ankommt, der
findet sich im Zentrum dessen wieder, was seine Flucht verursacht hat
? in den Kernländern der kolonialistischen Unterwerfung. Hier sind die
Stammplätze der mächtigsten Interessenverbände, die durch Besatzung
und Versklavung sich den materiellen Vorsprung verschafften, die Welt
zu dominieren und dafür zu sorgen, dass heute alle fünf Sekunden auf
dieser Welt ein Kind verhungert. Hier hat sich das System entwickelt,
dass Besitz und Eigentum über alles stellt. So dass nach Generationen
kaum noch einer merkt, dass seine Seele, seine immaterielle
Kraftquelle schon in der Kindheit zu geschüttet wird. Die Kultur des
Kapitalismus schafft Gesellschaften frei von Empathie ? seelenlose
Gesellschaften ? unfähig sein Zombiedasein zu überwinden, solange die
Angst nicht überwunden wird, dieses menschenfeindliche System - innen
und außen ? zu bekämpfen, solange die Privilegien zu angenehm
erscheinen, um sie fallen zu lassen.

Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen war nur ein Teil des multiplen
Zombies, der für Flüchtlinge in Deutschland überall in Erscheinung
tritt ? im Mord an Oury Jalloh, oder Amir Ageeb, Ndeye Mareame Sarr,
Laye Konde , Christy Omordion Schwundeck oder in der Verweigerung
überlebensnotwendiger medizinischer Versorgung wie bei Mohamed Sillah
und Ousman Sey, in der vom Verfassungsschutz betrieben NSU-
Nazi-Mordkampagne. Beweise vernichten und Märchen erzählen ? Glaubt
ihren Lügen nicht mehr.
Der multiple Zombie ist solange stark, solange wir uns reinziehen
lassen, solange wir uns Befehlsnotstände und Sachzwänge einreden, die
uns keine Wahl lassen, solange wir akzeptieren, dass Deportationen,
Lager und Sondergesetze wie die Residenzpflicht feste Grundlage der
deutschen Gastfreundschaft ist.

Wir haben vor einigen Wochen in Rostock Flüchtlinge aus den Lagern in
Rostock, Greifswald, Bad Doberan und Jürgensdorf getroffen. Was sie
uns erzählten über die Behandlung durch die Behörden und die
rassistischen Attacken auf der Straße, lässt wissen, dass
Rostock-Lichtenhagen sich im kleinen Maßstab tagtäglich widerholt und
dass ein großer konzentrierter Hassausbruch jederzeit und nicht nur
dort sich wiederholen kann. Besonders in Zeiten verschärfender
ökonomischer Bedingungen und wenn es für die Herrschaften oben von
Nutzen ist. Und umso leichter, als dass alle die permanenten kleinen
Ausbrüche gewohnt sind. Dass es zu keiner Wiederholung kommt, bedarf
es aller Anstrengungen, die Lager zu schließen und die Residenzpflicht
komplett (für alle und für das gesamte Bundesgebiet) abzuschaffen.
Bei unserer Versammlung im Lager in Rostock, sagte ein Flüchtling:
?Wir können nichts ändern, wir sind nur einige zehn- oder
hundertausende in diesem Land, die Deutschen sind 80 Millionen. Die
Deutschen müssen für uns was tun.?
Das System treibt in die Schizophrenie.
Die Antwort ist die Selbstorgansierung und der alltägliche Widerstand
wie er von THE VOICE Refugee Forum Mitte der 90er Jahre begonnen wurde
und bis heute die stärkste Basis der Verteidigung der Flüchtlinge in
Deutschland ist. Nicht 80 Millionen Deutsche haben die Lager Katzhütte
oder Zella Mehlis wie ein dutzende weitere in Thüringen geschlossen,
sondern der Protest und der nicht kompromittierbare Widerstand der
AktivistInnen von THE VOICE.

Niemand gibt Dir Dein Recht, wenn Du nicht darum kämpfst, niemand
zeigt Solidarität, wenn er Deinen Kampf nicht kennt. Die
Flüchtlingsprotestzelte (www.refugeetentaction.net) in Süddeutschland
haben eine neue Welle des Widerstands auf die Straße gebracht. Break
Isolation breitet sich aus. Nach dem Break Isolation Camp
(www.thecaravan.org/refugeecamp2012) in Erfurt werden sich
FlüchtlingsaktivistInnen aus ganz Deutschland auf den Weg auf einen
Protestmarsch nach Berlin machen. Das rassistische Gesetz der
Residenzpflicht missachtend, alle Flüchtlinge und ehrlich Gesinnte
aufrufend sich zu beteiligen und der menschlichen Würde ein Gesicht zu
geben, werden sie dem multiplen Zombie herausfordern und die Isolation
brechen.
Wir rufen alle zur Solidarität, Unterstützung und Beteiligung auf.

Wir müssen uns auch vor Augen führen, dass in der gegenwärtigen
Situation unter dem Eindruck der kapitalistischen Schuldenkrise,
rassistische und faschistische Hetze sich weiter verschärfen wird.
Unsere Antwort kann nur unsere Organisierung und unserer
Zusammenschluß sein ? im alltäglichen Kampf zur Verteidigung unserer
Rechte und zur Überwindung des kapitalistischen Systems.

KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, The VOICE
Refugee Forum,
Break Isolation-Flüchtlingsgemeinschaften in Deutschland

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