Mittwoch, 12. September 2012
Wahnsinn und Verstand VIII
Britt und Henning vögeln. Beide haben Ischtar genommen. Für Britt ist es einer der üblichen multiplen Superorgasmen, die mit einer spannenden Nacht auf Ischtar und einem adäquaten Partner nun einmal verbunden sind. Für Henning ist es etwas völlig Neues, eine Art Paradies auf Erden. Britt liegt auf ihm, läßt seinen Schwanz langsam in sie eindringen und streicht ihm mit dem Nagel ihres rechten Zeigefingers sachte die Nackenwirbelsäule hinauf und hinunter. Er empfindet die Berührung anders als sonst: nicht nur als zärtlichen Druck in seiner Haut, als sanftes, aber nachdrückliches Hinabstreichen, sondern als eine Art Penetration seines Nackens. Britts Finger ist in ihm, verbindet sich mit seinem Rückenmark, löst elektrische Impulse in seinem Stammhirn aus, keine jähen und unangenehmen, sondern sanfte, wärmende Wellen des Wohlbehagens, die sich in ihm ausbreiten. Er glaubt, seine Körperchemie vor sich zu sehen, die Reaktionen, die in seinem Inneren ablaufen, in rotes Licht getaucht, gleichzeitig spürt er seinen Schwanz in ihrer Möse. Warm, feucht und weich nimmt sie ihn auf, und niemals zuvor hat Henning so sehr das Gefühl des wirklich Miteinander-Verschmelzens empfunden. Britt fühlt seinen pochenden Schwanz, als wäre es ihr eigener, gleichzeitig nimmt sie wahr, was in ihm vorgeht, weiß aber, daß er viel stärker auf sich selber reduziert ist. Es stört sie nicht; er ist ein Anfänger, der von Ischtar keine Ahnung hat. Blitzartig taucht in ihr ihre erste Nacht mit Franco auf, die erste Nacht, in der sie Ischtar probiert hatte, als sie erfuhr, daß dieser widerliche Möchtegern-Mafioso ein Zauberkünstler ist, der die geheimen Liebeskünste des Kybele-Festes, des Tantra-Yoga, des Hexensabbath gelernt und weit hinter sich gelassen hat, weil sie chemisch reproduzierbar sind.#


Langsam setzen sie sich in Bewegung. Jedes jedes erst langsame und sanfte, dann immer schneller und heftiger werdende ineinander Eindringen ist ein Höhepunkt für sich; kein Orgasmus am Schluß, sondern eine ständige Folge von inneren Explosionen.
Henning hat jedes Zeitgefühl verloren. Er weiß nicht mehr, ob sie zehn Minuten oder drei Stunden ineinander verschlungen sind, als er seinen Samen ejakuliert. Noch nie war das Erlebnis so intensiv. Ihr dunkles, langgezogenes "Aaaaahhhhh!" mischt sich mit seiner Stimme, schließlich kann er nicht mehr unterscheiden, wessen Lustschrei da zu hören ist, auch nicht mehr, wann dieser aufhört. Die Zeit steht still.
Britt ist es, die sich zuerst zurückzieht. Langsam erhebt sie sich und wälzt sich auf den Rücken. Schwer atmend blickt sie an die von einem gedimmten Fluter erleuchtete Decke. Ihre Klitoris ist auf eine Größe angeschwollen, die jenseits des Normalen liegt. Auch eine der Wirkungen von Ischtar. Gleichzeitig spürt sie die Ekstase in jeder Faser ihres Körpers. Ihr ganzer Organismus - eine einzige erogene Zone!
Sie dreht sich um und blickt Henning an. In diesem Augenblick, nur für den Moment, hat sie das Gefühl, noch nie jemanden so geliebt zu haben. Komisch, eigentlich war sie hinter Alfie her. Nun denn, auf ein Neues. Sie beugt sich sanft über Henning und nimmt seinen Schwanz in den Mund.


Um nicht allzu indiskret zu sein und im Übrigen den Eindruck zu vermeiden, dieses Buch wäre ein Porno, überlassen wir die Beiden aber jetzt besser sich selber ("Ooch! Schade!"). Immerhin sei darauf hingewiesen, daß sie noch mehrmals hintereinander kommen und am Schluß beide so weit sind, daß sie glauben, ihren Körper zu verlassen und weißes Licht sehen, dessen Herkunft sich nicht erklären läßt. Am Morgen ist das Fenster des Zimmers beschlagen, das Bettlaken läßt sich auswringen.

Den Tag über ist Britt beschäftigt, schiebt ihre Schicht in der Buchhandlung, in der sie gerade arbeitet. So kommt Henning, dem alles wehtut und der das Gefühl hat, sein Blutdruck sei auf der tiefsten denkbaren Kellersohle (Orgasmuskater), dazu, etwas über die Frau nachzudenken. Sie ist nicht nur schön, faszinierend, buntschillernd. Etwas an ihr macht ihm Angst. Nie, auch nur für eine Sekunde, hat sie ihre Souveränität verloren. Es scheint sie nichts umwerfen zu können. Und sie hat einen seltsamen Freundeskreis; tendenziell fast alles Leute wie Franco. Bunte, verwegene, existenzialistische Gestalten, mehrere davon Kriminelle. Sie hat Geld; und von den zwei Tagen in der Woche, die sie in der Buchhandlung arbeitet, kann sie das nicht haben. Und da ist noch was. Als er, auf der Suche nach Zigaretten, vor einigen Stunden ihre Nachttischublade geöffnet hat, fand er darin eine großkalibrige Wumme. Nen Trommelrevolver. Irgend etwas stimmt mit der Frau nicht. Der kleine, brave Henning, universitärer Durchschnittsautonomer, ist mitten in das große Abenteuer reingerasselt. Eigentlich ist für die sexuellen Abenteuer doch sein Bruder Kalle zuständig, und für die kriminellen Alfie. Tel Aviv, so ist das Leben.

Am Abend gehen Henning und Britt in eine Kneipe in der Nachbarschaft. Im Thekengespräch lernen sie einen etwas sonderbaren Typen kennen, der sich Rock nennt und gerade von einem Besuch aus Kassel kommt. Als gebürtige Kasselanerin fängt Britt mit ihm einen small talk über die Stadt an. Sie und Henning werden stutzig, als er von seiner Hinfahrt nach Kassel erzählt und berichtet, wer ihn das letzte Stück dorthin mitgenommen hat. Ein Mann auf dem Weg nach Frankfurt, dessen Beschreibung - und die seines Wagens - haargenau auf Alfie zutrifft. "Was macht Alfie denn in Frankfurt?" wundert sich Henning. Britt grinst schelmisch. "Vielleicht das Gleiche wie du in Hamburg?"
Die nächsten Tage unternehmen sie ein bißchen was zusammen mit Rock, der in Altona wohnt, seinen Angaben zufolge arbeitslos ist und noch einen Wohnsitz in Amsterdam hat. Er ist etwas klettig. Henning kommt er suspekt vor, aber Britt zerstreut seine Bedenken. Sie meint, daß er wohl einfach einsam ist und Anschluß sucht.
Nach sechs Tagen in Hamburg fährt Henning nach Hause zurück. Und so wunderschön die Zeit war, er hat das Gefühl, daß mit Britt etwas oberfaul ist.

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