Mittwoch, 26. September 2012
Eine Bilanz oder sowas Ähnliches - 9 Jahre Che-Blog
Seit September 2003 bin ich mit diesem Blog online, und das ist für mich persönlich eine sehr interessante und wechselvolle Geschichte. Die kennt ganz klar ihre Phasen und Etappen, und da 9 Jahre in der Welt des Web 2.0 eine lange Epoche sind macht es wohl Sinn, einmal Rückschau zu halten und auf die unterschiedlichen Entwicklungen einzugehen. Am Anfang stand das Angebot meines Freundes Medvech aus der Dotcomtod-Community mir ein Blog zu programmieren. Damals war Blogger-Software wie Wordpress, die jeder kostenlos benutzen konnte noch nicht verbreitet, Blogs waren typische Nerd-Produkte, Blogger schrieben ihren Sourccode noch selbst - so auch Medvech, der selber Programmentwickler im Bereich Mainframe-Betriebssysteme war. Das standardmäßigste und marktkonformste war zu diesem Zeitpunkt PHP Nuke, die Plattform von Dotcomtod. Mein Blog war von Medvech als ein Warlog konzipiert worden - so hießen die Blogs von Augenzeugen vor Ort im Jugoslawien- und Irakkrieg, die an Zensur, Desinformation und „eingebetteter Berichterstattung“ vorbei die ungeschminkten Fakten in die Öffentlichkeit bringen sollten. Dotcomtod war eine Plattform für Whistleblower, und am Anfang meines Blogs stand die Überlegung, analog zu den Enthüllungen über IT-Unternehmen politisch relevante Infos die in den Medien unter den Tisch fallen über mein Blog zu kommunizieren. So werden hier regelmäßig Aufrufe antirassistischer Gruppen veröffentlicht und Beiträge, die von Flüchtlingen, namentlich InsassInnen von Aufnahme- und Abschiebelagern verfasst wurden und für die ich nur den Kanal zur Veröffentlichung stelle.

Phase1: Medvech, 2003 - 2005

In der Anfangszeit war dieses Blog vor allem mit dem von Medvech, dem jüdischen Blog Chuzpe, Dotcomtod und Dons Rebellmarkt verlinkt, und da ich nach Don der zweitaktivste Autor bei Dotcomtod und auch einer mit den meisten Lesern war, parallel auch einer der häufigsten Kommentatoren bei Rebellmarkt und Chuzpe kam der größte Teil meines Traffics aus diesen Communities. Ich hatte damals die Absicht, einerseits mit AutorInnen und KommentatorInnen aus dem Dotcomtod-Umfeld über Themen außerhalb des Dotcomtod-Themenkreises zu diskutieren, andererseits den Kontakt mit meinem weit verstreut lebenden Freundes- und Bekanntenkreis aufrechtzuerhalten, insbesondere auch abgebrochene politische Diskussionen wieder aufzunehmen. Das Eine funktionierte gut, das Andere weniger gut. Viele meiner alten Friends hatten keine Zeit oder meinten keine Zeit zu haben, auf Blogs zu kommentieren, andere verstanden gar nicht, worum es beim bloggen geht. Die kannten nur statische HTML-Seiten, hatten mal gelesen, dass das Internet nur abbilde, was offline gedruckt schon existiere und da hörte es dann auch mit Interesse schon auf. Wieder andere irritierte es, dass Diskussionen auf meinem Blog anhand von Texten stattfanden, sie konnten sich online-Diskussionen nur als Chatrunden vorstellen. Letztendlich bestand die Runde, die damals auf meinem Blog regelmäßig miteinander diskutierte, stritt und auch rumalberte aus Medvech, Beate, dem Nörgler, Netbitch, dem Lebemann, Appkiller, Novesia, Tanja und Clausi. Ein schreckliches Ereignis beendete diese Phase: Medvech ereilte ein furchtbarer Schicksalsschlag. Zunächst war da Stille, Einhalten, Ratlosigkeit, dann liefen die Diskussionen ohne Medvech weiter. Dazwischen kam dann noch ein sehr schwerer Unfall meinerseits, und wenn einem Schläuche im Körper hängen hat man anderes zu tun als zu bloggen. So hatte ich eine Zwangspause und musste mir dann einen neuen Hoster suchen, wobei mir Don und Appkiller behilflich waren. Auf diese Weise kam ich zu Blogger.de.


Phase 2: Die großen Blogschlachten, 2005 - 2007

Nachdem Don Alphonso eine Kooperation zwischen Henryk M. Broder, verschiedenen liberalen und konservativen Bloggern und unappetitlichen Blogs vom rechten Rand im PI-Umfeld aufgedeckt hatte begann eine Zeit der großen politischen Auseinandersetzungen, bei denen oft die Fetzen flogen, aber auch Konflikte durch offene Diskussionen beigelegt werden konnten und mit Paragraphen umwickelte Eisenstangen oder Anrufe bei Arbeitgebern nicht zum Einsatz kamen. Zugleich war ich auch auf ganz anderen Blogs sehr viel unterwegs, wie auf dem Literatur- und Melancholieblog von Modeste und beim Girl, wo so eine Schnittstelle zwischen NE/IT-Blasethemen, Berlinthemen und Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus lag. Da ich immer noch nach Don als dem Dotcomtod-Star dort Nr. 2 war und mit unheimlich vielen Blogs wo ich auch selber kommentierte vernetzt war das die Zeit mit meinem meisten Traffic: 1500 - 2000 BesucherInnen am Tag, wo ich heute vielleicht auf 30 komme. Mit Statler, jo@chim, Dr. Dean, Rayson, Stefanolix, The Mule, Nixxon, Momorulez, Balou, Nörgler, Netbitch, Workingclasshero, Loellie fanden heiße und tiefgründige Diskussionen statt. Im Großen und Ganzen zwischen links und prowestlich-rechtsliberal, aber doch mit sehr viel Raum für Nuancen und Differenzierungen, wobei sich die Linken auf diesem Blog ja untereinander stets und innig beharkten.

Phase 3: Momorulez and Company, 2007 -2011

Momorulez hatte ich ja gerade schon erwähnt. Anfangs kommentierte ich bei dem und der bei mir sehr gelegentlich, und bei der Fülle der Blogkontakte und der Namensähnlichkeit hatte ich oft Probleme, zwischen Momorulez, The Mule und Monoma zu unterscheiden und auch oft Antworten gebracht, welche die Adressaten durcheinanderwürfelten. Das änderte sich, als mehr und mehr Momorulez und ich auf dessen und meinem Blog und bei den Bissigen Liberalen in Auseinandersetzungen mit Neuen Rechten neuesten Typs, d.h. neoliberalen und „prowestlichen“ Linken- und Moslemhassern gerieten und dabei zumeist Seite an Seite standen. Im Herbst 2007 lud mich dann Momorulez in einer wahren Flut von Emails und PMs , die vor Empathie, Freundlichkeit und Sympathie geradezu überquollen, ich wusste gar nicht mehr, was mir da geschah, nach Hamburg ein, um mit ihm, Noah Sow und noch einem Freund von ihm einen Kunstverein zu gründen, konkreter Anlass war ein Spiel des FC St. Pauli.


Mit absoluter Selbstverständlichkeit hatte ich erwartet, dass er mich bei sich übernachten lassen würde, in meiner Welt ist das so: Wenn ich jemanden aus einer anderen Stadt in meine Stadt einlade kümmere ich mich um seine/ihre Unterbringung. Fahre ich nach Göttingen, penne ich bei Britta oder Andre, fahre ich nach Kassel, penne ich bei Netbitch, bin ich auf dem Weg nach Süden, kann ich bei Nörgler oder Don schlafen, das gilt umgekehrt, ist Are oder Azad in Deutschland schläft er bei mir.

Momorulez war nicht bereit dazu mich bei sich knacken zu lassen, Schlafsack ausrollen auf dem Küchenfußboden hätte ausgereicht, er meinte, so viel Nähe könne er nicht zulassen, beschaffte mir auch sonst keinen Pennplatz, und ich wurde genötigt, in einem Hotel zu logieren, das ich mir gar nicht leisten konnte und wofür ich mir Geld borgen musste. Als ich ihn dann traf überraschten mich zwei Dinge: Als Blogger wirkte er extrem emotional, aufgedreht und überschwenglich, im real life erlebte ich ihn eher als emotional gedämpft, Leisesprecher, schüchtern und zurückhaltend. Ansonsten empfand ich ihn als lieb und nett, auf Anhieb tierisch sympathisch, aber eben auch mit der Nebenwahrnehmung: Hinsichtlich sozialer Kompetenz noch sehr ausbaufähig.

Aus dem Verein wurde meines Wissens nichts, stattdessen ging daraus das Gruppenblog Shifting Reality hervor. Unsere gemeinsamen Aktivitäten auf diesem Blog führten dazu, dass ich die anderen Blogs auf denen ich sonst so unterwegs war mehr und mehr vernachlässigte, bei Modeste zu lesen und zu kommentieren fehlte mir bald die Zeit, was ich im Nachhinein bedauerte. Ansonsten setzten sich die großen Grundsatzdiskussionen mit den Blogliberalen und Anderen fort, das politische Bloggen stand, neben meinen Bergtouren allerdings, zunehmend im Vordergrund, und andere vorzugsweise nette und schöne Sachen wie z.b. Trouvaillen oder Konzertberichte standen zurück.


Die Kommunikation mit Momorulez war phasenweise schwierig, erlebte mehrere Krisen und endete dann mit einem Donnerschlag. Darauf gehe ich gleich noch ein, im Mittelpunkt stehen für mich zunächst unsere Kommunikationsprobleme. Momorulez´Art Beiträge in Blogs zu lesen ist eigenartig. Er beanstandet selber ständig, dass andere Leute ihm nicht richtig zuhören würden, er selbst hört anderen Leuten aber auch nur sehr bedingt zu. Seine Lesart würde ich als projizierendes Lesen bezeichnen: Es geht ihm zumeist nicht unmittelbar um die direkte Aussage, sondern eher um eine Story hinter der Story, die er irgendwie wittert. Dabei werden dann Beiträge darauf abgesucht, ob sie insgeheim homophobe, rassistische, paternalistische oder sexistische Implikationen enthalten. Diese ja vielleicht möglichen sekundären Implikationen werden dann als der eigentliche Inhalt behauptet, unabhängig vom ursprünglichen Textzusammenhang. Zugleich fordert er für sich selber und seine Situation als Schwuler mit massiven Marginalisierungserfahrungen eine Empathie, die er gegenüber Anderen nicht aufbringt.

In der Anfangszeit unserer Blogkommunikation leitete ich Antworten auf Beiträge von ihm, Loellie oder Rhizom, die sich auf Marginalisierungserlebnisse von Schwulen bezogen meist damit ein, dass ich hierzu nur als Heterosexueller Stellung nehmen könnte. Gemeint war damit im guten Butlerschen Sinne, dass ich nach dem Prinzip „Benennung der eigenen Sprecherposition“ agierte, eigene Erfahrungen damit, wie es ist, schwule Marginalisierungserlebnisse als Betroffener zu kennen habe ich ja nicht. Das wurde mir aber als das genaue Gegenteil dessen ausgelegt, was ich eigentlich meinte - nämlich als Behauptung eigener Suprematie. Aus „Ich bin nur ein Hetero, ich kann nicht beurteilen, was Dich quält“ wurde „Ich bin doch nicht schwul, ich bin nicht wie Du“, aus dem Versuch, Empathie zu äußern das absolute Gegenteil. Dieses Prinzip zog sich durch all unsere Kommunikationen, und inzwischen glaube ich, Momorulez hat einen unüberwindbaren Grundargwohn, das Gegenteil von Urvertrauen, dergestalt, dass er bei seinem jeweiligen Gegenüber, wenn das nicht einer bestimmten Marginalisiertengruppe angehört, die schlimmstmögliche Interpretation einer Aussage voraussetzt.


Und da werden in aller Regelmäßigkeit Zusammenhänge hergestellt, die es gar nicht gibt. Etwa bei Detlef Hartmanns Diktum, heutige Führungskräfte würden nicht mehr wie früher spießig und bieder auftreten, es herrsche eher ein Druck, sich periodisch selbst neu zu erfinden, womit einerseits zeitgeistmäßig trendy zu sein und andererseits größtmögliche Anpassung an alle Zumutungen der Arbeitswelt gemeint war. Diese Formulierung war für ihn Grund genug, Shifting Reality zu verlassen, da sie “ein Tritt in die Fresse” für Schwule sei, die nur überleben können, wenn sie sich selbst neu erfinden. Nun ja, dieses Thema kommt bei Hartmann nicht vor, es geht in dem Buch um Industriesoziologie und um Widerstand am Arbeitsplatz. Und wenn die Formulierung missverständlich ist wählt man halt eine andere, Formulierungen sind austauschbar. War übrigens massivstes Derailing, was Momorulez damals selber betrieben hatte, ich bekam ja meine Rezension gar nicht fertig.

Etwas schwieriger liegt der Fall bei Cassandra. Es ist tatsächlich schwer verständlich, wie unkritisch sie der Institution katholische Kirche gegenübersteht und inwieweit ihre Frömmigkeit mit linken Vorstellungen vereinbar ist, ich selbst habe mich dieser Thematik gegenüber zu zurückhaltend bzw. gar nicht verhalten. Nur ist das ja nicht der Hauptvorwurf von Momorulez, der besteht vielmehr in der Behauptung, Cassie bejuble Leute, die ihn tot sehen möchten. Hier prallten wirklich zwei Welten aufeinander, wie sie verschiedener nicht sein könnten: Momorulez lässt keine Aussage an und für sich stehen, sondern bezieht alles auf große Metadiskurse, und Cassie lebt in einer mein-kleines-Dorf-und-ich-Welt, in der es überhaupt keine großen Diskurse außerhalb der Sache an sich gibt. Und in diesem Kontext äußerte sie Sympathie für eine Gruppe evangelikaler Einwanderer aus Ghana. Eine konkrete Gruppe, innerhalb derer es Schwule gibt, die dort akzeptiert werden. Aus dieser Aussage leitete Momorulez ab, sie leugne, dass es Evangelikale gäbe, die Schwule töten wollten, und juble diese insgesamt hoch. Ich konnte dieses Thema seinerzeit in einem Telefonat klären, sagte, was es mit diesen Evangelikalen auf sich hat, und am Ende sagte er “Na dann ist es ja gut”.

Aber es scheint wohl so zu sein: Wenn ihn etwas sehr triggert, kehrt er zur triggernden Anfangserfahrung zurück, da helfen dann keine Klärungsversuche. Das hatte ich auch mit Hartmann erlebt: Irgendwann schrieb er mal, da hätte für ihn gar nicht die Negation schwuler Perspektiven in der Formulierung im Mittelpunkt gestanden, sondern die Tatsache, dass er sich am Arbeitsplatz nicht behaupten könne wenn er die Aussage Hartmanns akzeptiere. Später war es dann wieder die indirekt homophobe Implikation des Satzes, er dreht sich das immer so wie er es braucht.

Als ich auf einer Bergtour fickende Murmeltiere fotografierte und die ins Blog stellte leitete er daraus ein verklemmtes Verhältnis von mir gegenüber Schwulen ab. Dass ein Bergsteiger Wild fotografiert und seine Fotos, die gar nicht so einfach zu machen sind voll Stolz ins Netz stellt, auf diesen naheliegenden Gedanken kam er nicht.

Bei der Cassie2-Affäre bemühte ich mich hermeneutisch wie ich ausgebildet wurde mich in beide Seiten einzufühlen und beiden den Standpunkt der jeweils anderen Seite zu vermitteln, bekam aber von beiden nur heftigste Abwehr. Während Cassie Momos Analogie- und Kontinuitätsbildung von schamanistischen Riten und Fußballfantänzen als “völkisch” behauptete in dem Sinne, dass hier die gleiche Art von ahistorischer Gleichsetzung völlig verschiedener Dinge vorläge wie in der Germanen- und Keltentumromantik der Völkischen witterte Momorulez rechtsradikale homophobe Propaganda im Sinne des Buchs Pink Swastika, von dessen Existenz sie noch nicht einmal was wusste. Für ihn war das Ganze ein existenziell bedrohlicher Angriff, für Cassie eine augenzwinkernde nachmittägliche Sofaplauderei. Für das Verhältnis Momos zu mir stellte die Tatsache, dass ich mich nicht öffentlich zur Solidarität mit Momo gegen Cassie bekannt hatte eine schwere Belastung dar. Ich weiß allerdings nicht, was ich da hätte tun sollen außer Cassie eindringlich zu vertellen wie das auf Momo wirkt, was ich ja getan hatte. Inhaltlich kann ich der Aussage “völkisch” nicht zustimmen, aber, nun ja, dass Fußball und der Tanz ums Lagerfeuer so viel miteinander zu tun haben wie ein Abiball mit einem Potlatsch-Fest, die Aussage stimmt ja. Ahistorisch war das schon; Cassies “Bekehrungsversuch” mit dem Hinweis auf extatische Riten im Frühchristentum allerdings auch voll daneben.

Aktuell kritisierte er den Beitrag von Alan Posener in der Welt über die Verleihung des Adorno-Preises an Judith Butler

http://www.welt.de/kultur/article109112736/Judith-Butler-ist-so-borniert-wie-Ulrike-Meinhof.html

mit der Folgerung, er hätte ja nur darauf erwartet, dass irgendwann jemand die Verbindung zwischen Homosexualität und Terrorismus herstelle. Hat nur niemand gemacht. Weder Butler als Gender-Theoretikerin spielt hier eine Rolle, noch wird darauf eingegangen, dass sie Lesbe ist (zumindest glaube ich, dass sie das ist, weiß es aber nicht genau), sondern er kritisiert ihren Antiimperialismus, der aus Springer-Sicht – straff rechtskonservativ, dogmatisch gegen die Linke, kompromisslos proisraelisch bis hin zum Hochjubeln israelischer Militärschläge – der aus einer solchen Perspektive gesehen tatsächlich Ähnlichkeiten mit dem Antimperialismus von Ulrike Meinhof hat. Die eine unterstützte die PLO, die andere findet lobende Worte für Hamas und Hizbollah, das ist der Blickwinkel. Dass das dumm, borniert und politisch reaktionär ist ist keine Frage, die homophobe Ausrichtung wird von Momo aber herbeigewillkürt.

Entsprechend war es mit dem Anlass des Bruchs auf meinem Blog, für den zwei Momente den Ausschlag gaben:

Zum Einen meine Aussage, dass ein kritisches Sich Auseinandersetzen mit der eigenen Rolle im Genderzusammenhang das richtige Setting braucht und völlig nach hinten losgehen kann wenn es von den falschen Leuten betrieben wird wie ich seinerzeit in meiner Männergruppe erleben musste und zum Anderen Netbitchs Bezug darauf, dass auch das sozial von Lesben dominierte Göttinger Frauen&Lesben-Zentrum gesellschaftliche Hierarchien nur umgedreht, aber keine wirklich emanzipatorischen sozialen Strukturen aufgebaut habe. Beide Aussagen wurden von Momo in einen politisch reaktionären Sinnzusammenhang gestellt in den sie nicht gehören, er fühlte sich offensichtlich mal wieder getriggert und unmittelbar Aggressionen ausgesetzt, obwohl ihn niemand bedrohte, ja er in dem verhandelten Kontext gar nicht vorkam.

Munter stellte er dann allerlei Mutmaßungen über mein Verhältnis zu Flüchtlingen und PoC an (er hätte mich ja einfach mal anrufen und nachfragen können, statt empiriefrei loszuassozieren), das ging dann so, dass ich mit Flüchtlingen deshalb gut zurechtkäme, weil ich als jemand, der Gefolterten und Geflüchteten hilft ja in einer Hierarchie oben wäre, Nichtweiße auf Augenhöhe ertrüge ich nicht. Das wissen meine kurdischen Freunde, meine indischen und südkoreanischen GeschäftspartnerInnen, meine türkischen KollegInnen und meine afrodeutschen und ziganischen Bekannten anders. Als ich allerdings schrub, dass diese absolut überhaupt nicht PC sind und mit Alltagsrassismus ironisierend bis grob veralbernd umgingen, mit so einer Art Borat-Humor und dafür Beispiele brachte äußerte Momo “Entsetzen” ob meines “Rechtsrucks”.


Gerückt bin ich nirgendwohin, ich stehe politisch exakt da, wo ich vor 20 Jahren gestanden habe. Humor ist halt nicht jedermanns Sache. Mal abgesehen davon, dass ein Teil der Beiträge auf meinem Blog von nichtweißen Flüchtlingen geschrieben wurde und von mir nur ins Blog gestellt wird und dass sowohl Noah als auch The Voice und JOG bei mir verlinkt sind.

BTW: Wofür ich Momorulez sehr dankbar bin ist die Erweiterung meines Horizonts, die ich durch ihn erfahren habe. Damit meine ich jetzt nicht unbedingt die Einnahme der Marginalisiertenperspektive - die kenne ich besser, als er sich das vorstellen dürfte - sondern Nachhilfe in Philosophie. Erst durch Momorulez habe ich Habermas so richtig zu würdigen gelernt, der war für mich bis dato der Staatsphilosoph der Bonner Republik, der Entschärfer der Kritischen Theorie. Dass ich ihm da wirklich unrecht getan habe lernte ich erst bei Momorulez. Und inzwischen habe ich Habermas auch in das Programm der Seminare eingebaut, die ich in der Erwachsenenbildung gebe.

Zum Anderen lernte ich bei ihm noch mehr über französischen (Post) Strukturalismus, der sich bei mir bisher auf Bourdieu, Baudrillard und das Biomacht-Dispositiv von Foucault beschränkte. Das ist für mich noch wichtiger, da meine eigene weltanschauliche Selbstverortung da ziemlich nah dran ist: Neuer Antiimperialismus plus Horkdorno plus Bourdieu plus Biomachtkritik, das ist so in etwa mein Ansatz.


Also an dieser Stelle: Danke, Momorulez!


4) Neue Perspektiven und Aussichten

Die allzu starke Fixierung auf das politische Bloggen hat leider für mich andere, spannende Spielwiesen verschwinden lassen. Weder bei Modeste noch auf dem Trouvaillen-Blog

http://trouvaillen.blogger.de


bin ich noch aktiv, in Kletterforen glänze ich mit Abwesenheit, und das sollte sich bald ändern. Insofern wird in nächster Zeit auch hier wieder sehr viel mehr Privates zu lesen sein.

Auch bei alten, in letzter Zeit oft vernachlässigten Bloggefährten werde ich mich wieder häufiger sehen lassen.

Die Infos aus der Flüchtlingssoliarbeit, Kampagnenaufrufe usw. kommen natürlich weiterhin in gleicher Häufigkeit, Fotostrecken ohnehin, und mein Roman wird in dichter Folge weiter vorgestellt. Ich hoffe dann auch ein guter Gastgeber zu sein und freue mich über Anregungen und interessante Kommentare, gerne auch in epischer Länge.

... link (51 Kommentare)   ... comment