Sonntag, 29. Januar 2006
Biji Kurdistan azad!
Wenn ich weiter unten schrieb, dass mich nationale Identitäten, Flaggen und Territorien primär nicht interessieren, sondern die soziale Frage, so gibt es hierzu natürlich eine wichtige Einschränkung. Damit sich eine soziale Frage überhaupt erst stellen kann, muss zunächst das Überleben der Menschen gesichert sein. Der Staat an sich dient dazu, die Interessen des Kapitals zu organisieren oder dazu, Konflikte zwischen Kapital und Arbeit in der ein oder anderen Weise zu kanalisieren der Staat Israel hat aber noch eine andere Existenzgrundlage davorgeschaltet, nämlich zu garantieren, dass Auschwitz nie wieder sei, oder prosaischer gesprochen, den eines sicheren Refugiums für jüdische Menschen aus aller Welt. Man braucht kein Zionist zu sein, um angesichts der Shoah und aus pragmatischen Gründen diese Existenzgrundlage Israels anzuerkennen. Ähnlich verhält es sich mit Kurdistan. Ich gehörte in den 80ern und 90ern zu denjenigen Linken, die sich, ausgehend davon, dass die Kurden zu diesem Zeitpunkt das waren, was die Juden in den 30ern und 40ern und die Armenier in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, für die kurdische Sache engagierten. Unsere kurdischen GenossInnen waren wiederum Leute, die sich nicht ethnisch definierten, sondern als internationalistische Linke in deutschland sahen; so hieß eine der entsprechenden Politgruppen Antifa Südkurdistan (und einen lieben alten Freund, der nicht mehr unter uns ist vergesse ich nie). Man lernte voneinander. Leute, für die politischer Kampf in der Heimat bewaffneten Kampf bedeutet hatte, in diesem Fall gegen Saddams Republikanische Garden, hatten den Vorteil, dass sie bei Auseinandersetzungen mit Nazi-Skins keine Furcht zeigten. Sie wiederum hatten großes Interesse an politischer Theoriediskussion, auch und gerade an Lifestyle und Hipness, sie wollten sich sowohl westlichen Lebensgenuss als auch den Theoriestand der westlichen akademischen Linken aneignen. Gemeinsam brachten wir viel Gutes zustande, so den Wiederaufbau einer im 2. Golfkrieg zerbombten Brücke und einer Schule. Ich erinnere mich noch an das Bangen, als eine Genossin verschleppt und gefoltert wurde, und die Freude, als sie wieder frei kam, das gute Gefühl, sie in die Arme schließen zu können, nachdem man um ihr Leben gefürchtet hatte.
Tja, und wenn ich dann im Irak sehe, dass in Kurdistan relative Ruhe herrscht, dass es dort wenig Anschläge und kein Entführungsbusiness gibt, und wenn ich die Rolle Talabanis in der heutigen irakischen Politik sehe, so kann ich ein gewisses Gefühl der Genugtuung nicht verhehlen. Es ist nicht umsonst gewesen, was wir damals getan haben.

Auf der anderen Seite ist einer meiner kurdischen Freund nach dem 3. Golfkrieg in die Heimat zurückgegangen, und obwohl er dort eine sehr gute Stellung hatte, kam er nach wenigen Monaten zurück. 20 Jahre Leben in Deutschland, genauer gesagt im subkulturellen Zusammenhang der westdeutschen autonomen Szene und zugleich 20 Jahre voller Terror, Völkermord, Bürgerkrieg und Krieg in seiner Heimat hatten ihn seinem Land und sein Land ihm entfremdet. Er ist zurückgekehrt, er ist deutscher Linker kurdischer Herkunft, kein Kurde, der in Kurdistan glücklich würde.

Und parallel sieht man, dass in kein Land mehr Juden einwandern als nach Deutschland, und zwar vor allem aus Israel. Gründe sind der omnipräsente Terror der Al-Aksa-Intifada, aber auch die Wirtschaftskrise, hohe Steuern und nicht zuletzt die innere Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft, die nichts mehr mit dem Wir-Gefühl der Pionierzeit zu tun hat. Moderne, säkulare, westlich sozialisierte, gut ausgebildete Israelis, ob Sabres oder Nachkommen von Shoah-Überlebenden und neu eingewanderte russische oder äthiopische Juden haben sich oft nichts zu sagen. Und wer Verwandte oder sonstige gute Kontakte in Deutschland hat überlegt sich oft, dorthin auszuwandern. Beide Beispiele habe ich nicht ohne Grund gewählt. Es gibt die historische Notwendigkeit eines jüdischen Staates, sofern er säkular und demokratisch ist auch die eines Staates Palästina. Falls der Irak in die Brüche geht, bin ich für ein unabhängiges Kurdistan, zu dem auch Suleymaniya gehören sollte, um durch Ölexporte das Überleben Kurdistan azads zu ermöglichen.l Aber es gibt keine atavistischen Bindungen an Boden, Ethnie oder Religion, es muss Freiheit von der Tyrannei des Nationalen geben. In diesem Sinne allen Einwanderern, die sich für das Land entscheiden, in dem ich lebe und arbeite, ob aus Kurdistan, Israel oder sonstwoher, "herzlich willkommen"!

P.S.: Die Attraktivität Deutschlands als Einwanderungsland hängt natürlich in hohem Maße an einer bis vor kurzem vorhanden gewesenen sozialen Sicherheit, die die engagiertesten Vertreter "westlicher Werte" vollständig liquidieren wollen. Wir dürfen es nicht zulassen.

... comment

 
Da hast Du wohl gerade ein paar Rechten ihre Spielförmchen zertreten http://www.statler-and-waldorf.de/?cat=1

... link  


... comment