Mittwoch, 13. September 2006
Niedersächsisches Innenministerium stellt Ordnungsrecht vor Menschenrecht
Das Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen, ein
Zusammenschluss aus Ärzte- und Psychotherapeutenkammern, Menschenrechts-
und Flüchtlingsverbänden, ist in Sorge um Gazale Salame aus Hildesheim,
die in die Türkei abgeschoben wurde. Ihre Wiedereinreise wird trotz
eines positiven Gerichtsurteils vom Innenministerium verhindert.
Menschenrecht müsse vor Ordnungsrecht gehen, erklärten Vertreter des
Netzwerks am Mittwoch in Hannover. Das Netzwerk fordert die
Landesregierung auf, dem Urteil des Verwaltungsgerichts zu folgen und
für die Wiedereinreise von Gazale Salame zu sorgen. Das behördliche
Vorgehen dürfe die Not hilfsbedürftiger Flüchtlinge nicht aus
ideologischen Gründen verlängern.
Menschenrecht vor Ordnungsrecht!

Gazale Salame wurde im Februar 2005 mit ihrer anderthalbjährigen Tochter
und im 3.Monat schwanger in die Türkei abgeschoben, als ihr Mann die
beiden älteren Töchter in die Schule brachte. Seitdem lebt sie unter
schwierigen Bedingungen in einem armen Vorort von Izmir. Sie hat ihre
beiden älteren Kinder und den Mann nicht wieder gesehen, der Vater und
die Schwestern kennen den kleinen Bruder nur von Fotos, die
Unterstützerinnen bei Besuchen in Izmir gemacht haben.
Das Verwaltungsgericht Hannover hat die Ausreiseaufforderung für den
Vater im Juni aufgehoben, die zuständige Landrätin wollte das Urteil
akzeptieren und sich für eine schnelle Familienzusammenführung
einsetzen. Das Innenministerium zwingt den Landkreis jedoch Berufung
einzulegen. Bis zu einer Entscheidung können weitere Monate vergehen.

Der Zustand der jungen Mutter in Izmir ist nach Aussagen mehrerer Ärzte
besorgniserregend. Der Psychiater, Dr. Fatih F. Karaman aus Izmir, der
Frau Salame im Auftrag der türkischen Menschenrechtsstiftung untersucht
hat,attestiert ihr eine behandlungsbedürftige Depression und
Angststörung mit Suizidalität. Eine Behandlung kann nur Erfolg haben,
wenn sie wieder zu ihrer Familie kann und eine Zukunftsperspektive sieht.

Das Schicksal dieser Familie ist nur ein Beispiel dafür, dass die nach
unserer Verfassung zu beachtende Verhältnismäßigkeit bei
ordnungspolitischen Entscheidungen nicht mehr gewahrt wird. Der Schutz
der Familie hat in unserer Verfassung einen sehr hohen Rang, ebenso das
Recht der Kinder auf beide Eltern und zwar unabhängig davon, ob sie
verheiratet sind oder nicht. Welches vergleichbar schwerwiegende
öffentliche Interesse steht dem entgegen und könnte das
Auseinanderreißen einer Familie rechtfertigen?

... comment