Sonntag, 26. August 2012
Die Polizei kommt um Mitternacht...
che2001, 02:14h
http://www.kreis-stade.de/default.cfm?DID=2324466
Familie mit zwei kleinen Kindern in den Kosovo abgeschoben – Nach neun
Stunden waren sie weg – Flüchtlingsrat protestiert
FREDENBECK.. Sie kommen um Mitternacht, klingeln an der Tür in Schwinge
und geben ihnen 20 Minuten Zeit, um ein paar Sachen zusammenzupacken.
Sechs Beamte in Uniform und Zivil haben in der Nacht von Montag auf
Dienstag einen 29 Jahre alten Mann, seine 24 Jahre alte Frau sowie ihre
ein und drei Jahre alten Kinder in einer nächtlichen Abschiebe-Aktion in
den Kosovo gebracht. Vor 23 Jahren waren Gani Fazlijaj und Sultane
Bajrami aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland geflohen. Keine
halbe Stunde nach dem Beginn der nächtlichen Aktion in Fredenbeck sitzt
die betroffene Familie in einem Fahrzeug und wird weggebracht.
„Überfallartig“ nennt der Flüchtlingsrat Niedersachsen die Abschiebung
in Schwinge. „Der Fall der Familie illustriert, dass in Niedersachsen –
zumal im Landkreis Stade, der nicht zum ersten Mal durch besondere
Rücksichtslosigkeit im Umgang mit Flüchtlingen Schlagzeilen macht –
Abschiebungen mit aller Härte durchgesetzt werden, wenn die Betroffenen
als nicht nützlich genug klassifiziert sind“, sagt der Geschäftsführer
des Flüchtlingsrates, Kai Weber. Kaum vorstellbar, dass sich so ein Fall
in einem anderen Bundesland ereignet hätte, so Weber: „Die Familie steht
verzweifelt vor den Trümmern ihrer Existenz und weiß nicht, wohin.“
Zuständige Ausländerbehörde ist der Landkreis Stade, und der steht für
seinen Umgang mit den Betroffenen seit Monaten in der Kritik. Das
TAGEBLATT hat mehrfach darüber berichtet.
Die Vorwürfe des Flüchtlingsrates im Fall der Familie Fazlijaj/Bajrami
weist Dr. Eckart Lantz, Erster Kreisrat, entschieden zurück. „Die
Vorwürfe des Flüchtlingsrates sind in keinster Weise korrekt“, sagt
Lantz: „Wir entscheiden immer nach Recht und Gesetz.“ Zum konkreten
Einzelfall dürfe er aus datenschutzrechtlichen Gründen nichts weiter sagen.
Die TAGEBLATT-Recherchen ergeben aber schnell ein vollständiges Bild des
Dramas. Die ganze Verwandschaft des abgeschobenen Gani Fazlijaj wohnt in
Fredenbeck, sechs Geschwister und die Eltern, alle mit gesichertem
Aufenthaltstitel. „Wir hätten das nicht für möglich gehalten“, sagt
Bruder Muzli Fazlijaj, zumal seine Frau und seine beiden Kinder am
Mittwoch nächster Woche in der Kreisverwaltung die deutsche
Staatsbürgerschaft bekommen – von der Behörde, die die Abschiebung
seines Bruders mit Familie verfügt hat. Er selbst gilt als gut
integriert. Für ein neues Fahrzeug des Deutschen Rotes Kreuzes hat er
zum Beispiel 2 500 Euro gespendet.
Die gesammelten Unterlagen der Familie belegen einen jahrelangen
Rechtsstreit, in dem der Kreis alle juristischen Auseinandersetzungen
gewonnen hat. Die Lage von Gani Fazlijaj war auch dadurch unhaltbar
geworden, dass er in einem entscheidenden Moment gegen eine Verfügung
des Landkreises keinen Einspruch eingelegt hatte. Der Unterschied
zwischen Gani Fazlijaj und seinen anderen Geschwistern ist, dass er die
Familie nicht allein ernähren konnte. „Unzureichende eigenständige
Sicherung des Lebensunterhalts“, heißt das in Behördendeutsch.
Teilzeitstellen hatte Gani Fazlijaj mehrfach und jetzt offenbar auch
eine Vollzeitstelle in Aussicht. Allerdings zu spät, um die Abschiebung
noch zu stoppen. Auch die Härtefall-Kommission des Landes Niedersachsen,
die Ende 2011 und im April 2012 mit dem Fall befasst war, lehnte das
Ersuchen Gani Fazlijajs ab.
Für den eigentlichen Vorgang der Abschiebung sind das niedersächsische
Landeskriminalamt und die Landesaufnahmebehörde in Zusammenarbeit mit
der Polizei zuständig. Familie Fazlijaj gehört der Ashkali-Minderheit im
Kosovo an. Gani Fazlijaj und seine beiden Kinder haben die kosovarische
Staatsbürgerschaft. Sultane Bajrami die serbische.
Abschiebungen ohne vorherige Ankündigung und deshalb auch mitten in der
Nacht sind in Niedersachsen seit 2005 wieder möglich. Damals hob der
jetzige Innenminister Uwe Schünemann einen Erlass der Vorgängerregierung
auf, der dies verhindert hatte. Die nächtliche Abschiebeaktion wird mit
der Uhrzeit des Abfluges begründet. Um Mitternacht stand die Polizei in
Schwinge vor der Tür, um 9.25 Uhr startete der Flieger in Frankfurt.
Landung im Kosovo um 11.45 Uhr. In dem Land, das Gani Fazlijaj vor 23
Jahren als Sechsjähriger verlassen hatte.
Der Flüchtlingsrat
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen wurde 1984 gegründet und ist als
gemeinnütziger Verein anerkannt. Er koordiniert ein Netzwerk von rund
500 Flüchtlingsinitiativen, Kirchengemeinden, Gewerkschaften und
Einzelpersonen, die sich für die Interessen von Flüchtlingen in
Niedersachsen einsetzen, gewährleistet eine Beratung für Flüchtlinge
sowie für andere Migranten in Notsituationen und organisiert über die
Geschäftsstelle eine Reihe von Projekten. Der Flüchtlingsrat beteiligt
sich als Mitglied von Pro Asyl an der Koordination und Kommunikation auf
Bundesebene und steht in engem Kontakt zu Schwesterorganisationen in
Europäischen Nachbarländern. Aufgabengebiete sind Öffentlichkeits- und
Lobbyarbeit für Flüchtlinge, sowie Weiterbildung mit Seminaren und
Fachtagungen, Rechtshilfe in ausgewählten Einzelfällen und die
Herausgabe der Zeitschrift „Flüchtlingsrat” und die Durchführung von
Flüchtlingshilfe-Projekten.
Familie mit zwei kleinen Kindern in den Kosovo abgeschoben – Nach neun
Stunden waren sie weg – Flüchtlingsrat protestiert
FREDENBECK.. Sie kommen um Mitternacht, klingeln an der Tür in Schwinge
und geben ihnen 20 Minuten Zeit, um ein paar Sachen zusammenzupacken.
Sechs Beamte in Uniform und Zivil haben in der Nacht von Montag auf
Dienstag einen 29 Jahre alten Mann, seine 24 Jahre alte Frau sowie ihre
ein und drei Jahre alten Kinder in einer nächtlichen Abschiebe-Aktion in
den Kosovo gebracht. Vor 23 Jahren waren Gani Fazlijaj und Sultane
Bajrami aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland geflohen. Keine
halbe Stunde nach dem Beginn der nächtlichen Aktion in Fredenbeck sitzt
die betroffene Familie in einem Fahrzeug und wird weggebracht.
„Überfallartig“ nennt der Flüchtlingsrat Niedersachsen die Abschiebung
in Schwinge. „Der Fall der Familie illustriert, dass in Niedersachsen –
zumal im Landkreis Stade, der nicht zum ersten Mal durch besondere
Rücksichtslosigkeit im Umgang mit Flüchtlingen Schlagzeilen macht –
Abschiebungen mit aller Härte durchgesetzt werden, wenn die Betroffenen
als nicht nützlich genug klassifiziert sind“, sagt der Geschäftsführer
des Flüchtlingsrates, Kai Weber. Kaum vorstellbar, dass sich so ein Fall
in einem anderen Bundesland ereignet hätte, so Weber: „Die Familie steht
verzweifelt vor den Trümmern ihrer Existenz und weiß nicht, wohin.“
Zuständige Ausländerbehörde ist der Landkreis Stade, und der steht für
seinen Umgang mit den Betroffenen seit Monaten in der Kritik. Das
TAGEBLATT hat mehrfach darüber berichtet.
Die Vorwürfe des Flüchtlingsrates im Fall der Familie Fazlijaj/Bajrami
weist Dr. Eckart Lantz, Erster Kreisrat, entschieden zurück. „Die
Vorwürfe des Flüchtlingsrates sind in keinster Weise korrekt“, sagt
Lantz: „Wir entscheiden immer nach Recht und Gesetz.“ Zum konkreten
Einzelfall dürfe er aus datenschutzrechtlichen Gründen nichts weiter sagen.
Die TAGEBLATT-Recherchen ergeben aber schnell ein vollständiges Bild des
Dramas. Die ganze Verwandschaft des abgeschobenen Gani Fazlijaj wohnt in
Fredenbeck, sechs Geschwister und die Eltern, alle mit gesichertem
Aufenthaltstitel. „Wir hätten das nicht für möglich gehalten“, sagt
Bruder Muzli Fazlijaj, zumal seine Frau und seine beiden Kinder am
Mittwoch nächster Woche in der Kreisverwaltung die deutsche
Staatsbürgerschaft bekommen – von der Behörde, die die Abschiebung
seines Bruders mit Familie verfügt hat. Er selbst gilt als gut
integriert. Für ein neues Fahrzeug des Deutschen Rotes Kreuzes hat er
zum Beispiel 2 500 Euro gespendet.
Die gesammelten Unterlagen der Familie belegen einen jahrelangen
Rechtsstreit, in dem der Kreis alle juristischen Auseinandersetzungen
gewonnen hat. Die Lage von Gani Fazlijaj war auch dadurch unhaltbar
geworden, dass er in einem entscheidenden Moment gegen eine Verfügung
des Landkreises keinen Einspruch eingelegt hatte. Der Unterschied
zwischen Gani Fazlijaj und seinen anderen Geschwistern ist, dass er die
Familie nicht allein ernähren konnte. „Unzureichende eigenständige
Sicherung des Lebensunterhalts“, heißt das in Behördendeutsch.
Teilzeitstellen hatte Gani Fazlijaj mehrfach und jetzt offenbar auch
eine Vollzeitstelle in Aussicht. Allerdings zu spät, um die Abschiebung
noch zu stoppen. Auch die Härtefall-Kommission des Landes Niedersachsen,
die Ende 2011 und im April 2012 mit dem Fall befasst war, lehnte das
Ersuchen Gani Fazlijajs ab.
Für den eigentlichen Vorgang der Abschiebung sind das niedersächsische
Landeskriminalamt und die Landesaufnahmebehörde in Zusammenarbeit mit
der Polizei zuständig. Familie Fazlijaj gehört der Ashkali-Minderheit im
Kosovo an. Gani Fazlijaj und seine beiden Kinder haben die kosovarische
Staatsbürgerschaft. Sultane Bajrami die serbische.
Abschiebungen ohne vorherige Ankündigung und deshalb auch mitten in der
Nacht sind in Niedersachsen seit 2005 wieder möglich. Damals hob der
jetzige Innenminister Uwe Schünemann einen Erlass der Vorgängerregierung
auf, der dies verhindert hatte. Die nächtliche Abschiebeaktion wird mit
der Uhrzeit des Abfluges begründet. Um Mitternacht stand die Polizei in
Schwinge vor der Tür, um 9.25 Uhr startete der Flieger in Frankfurt.
Landung im Kosovo um 11.45 Uhr. In dem Land, das Gani Fazlijaj vor 23
Jahren als Sechsjähriger verlassen hatte.
Der Flüchtlingsrat
Der Flüchtlingsrat Niedersachsen wurde 1984 gegründet und ist als
gemeinnütziger Verein anerkannt. Er koordiniert ein Netzwerk von rund
500 Flüchtlingsinitiativen, Kirchengemeinden, Gewerkschaften und
Einzelpersonen, die sich für die Interessen von Flüchtlingen in
Niedersachsen einsetzen, gewährleistet eine Beratung für Flüchtlinge
sowie für andere Migranten in Notsituationen und organisiert über die
Geschäftsstelle eine Reihe von Projekten. Der Flüchtlingsrat beteiligt
sich als Mitglied von Pro Asyl an der Koordination und Kommunikation auf
Bundesebene und steht in engem Kontakt zu Schwesterorganisationen in
Europäischen Nachbarländern. Aufgabengebiete sind Öffentlichkeits- und
Lobbyarbeit für Flüchtlinge, sowie Weiterbildung mit Seminaren und
Fachtagungen, Rechtshilfe in ausgewählten Einzelfällen und die
Herausgabe der Zeitschrift „Flüchtlingsrat” und die Durchführung von
Flüchtlingshilfe-Projekten.
... comment