Sonntag, 16. April 2006
Elemente der Gegenaufklärung - heute: Die Neuen Rechten
Die Neue Rechte - oder Nouvelle Droite - ist eine politische Richtung, die sich vor allem durch ein taktisches Verhältnis zu ihren eigenen behaupteten oder tatsächlichen Inhalten auszeichnet. In ihr weltweit ausgebautes Netzwerk gehören Leute wie der bekennende Neonazi und frühere kühnen-Anwalt Jürgen Rieger (Betreiber des Neonazi-Schulungszentrums Hetendorf und Schriftführer des Grundbesitzervereins von Blankeneese), der französische Rechtsintellektuelle Alain de Benoist,l sein straßenkompatiblerer Mitstreiter Jean Marie Le Pen, aber auch der Harvard-Professor Artur Jensen, der in den 70ern mit gefälschten bzw. frei erfundenen Zwillingsstudien die Erblichkeit von Intelligenz beweisen wollte, sein Kollege Hans Eysenck, der eine sehr vergröberte Auffassung des Behaviorismus vertritt, die darauf hinausläuft, dass es für Neurosen grundsätzlich niemals gesellschaftliche Ursachen gibt. Die inhaltlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Vertretern der neuen rechten sind geringfügiger, als es nach außen den Anschein hat. Ihr gesamtes Gedankengut ist Fassade, es dient nur dazu, der Vorstellung der Freiheit und Gleichheit und Entwicklungs- und Emanzipationsfähigkeit des Menschen etwas entgegenzusetzen. Der alte Rassismus der Nazis wurde durch "Ethnopluralismus" ersetzt, ein Gedankengut, das naturgegebene Unterschiede zwischen unterschiedlichen Völkern postuliert, ohne dass da noch von Höher- oder Minderwertigkeit die Rede wäre, vielmehr wird andersartigkeit postuliert. Riegers Gesellschaft für biologische Anthropologie, eugenik und Verhaltensforschung knüpft hierbei noch direkt an die NS-Rassenbiologie an, aber der Kerngedanke des Ethnopluralismus, der auf Unaufhebbarkeit der Differenz hinausläuft, beeinflusst in starkem Maße auch das Denken und die Politik einer Menschenrechtsorganisation wie die Gesellschaft für Bedrohte Völker, die hieraus die Unabhängigkeitsforderungen von Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, den Kosovaren etc. ableitete, mit zuverlässiger Regelmäßigkeit aber linken nationalen Befreiungsbewegungen die Unterstützung entsagte. Ebenso versuchen Neue Rechte mit Modellen von angeborenen Intelligenzunterschieden jede auf freie Entfaltung und Integation ausgerichtete Pädagogik zu torpedieren.



Erstaunlicherweise knüpft das Denken der Neuen Rechten ausgerechnet an die Positionen eines radikal linken Theoretikers an: Der frühere Vorsitzende der KPI im Faschismus, Antonio Gramsci, hatte die Theorie von der Kulturellen Dominanz entwickelt. Demzufolge sei eine Revolution nur möglich, wenn das revolutionäre Lager eine Dominanz über alle wesentlichen gesellschaftlichen Diskurse hergestellt habe, wenn Kunst und Kultur durch eine Klassenbewegung geprägt seien. So war die französische revolution zwangsläufig erfolgreich, denn hier hatte das Bürgertum durch die von ihm getragene große kulturelle Strömung der Klassik, die sich von der klerikal-aristokratischen Rokoko-Kultur absetzte, einen das Bewusstsein der Menschen umformenden kulturellen Überbau geschaffen. Und genau das geschah im Italien des frühen 20. Jahrhunderts nicht: Das Bürgertum hatte seine alleinige kulturelle Dominanz, seine gesellschaftliche Deutungshoheit verloren, das Proletariat hatte sie aber nicht erobert, sondern es herrschte eine gesellschaftliche Pattsituation, in der der Faschismus eine stark brutalisierte und um proletarische Versatzstücke erweiterte Variante der bürgerlichen Leitkultur gewaltsam durchsetzte. Lange Zeit wurde Gramsci hauptsächlich von undogmatischen Linken diskutiert, z.B. entwickelte Nicos Poulantzas auf dieser Grundlage eine eigene Faschismustheorie. Was das eigentliche Wesensmerkmal der Neuen Rechten ist, ist hingegen die Tatsache, dass sie Gramsci von rechts aufgreifen und über das Thematisieren von Themen, die auf die Ungleichheit der Menschen hinauslaufen, Diskurshegemonie erreichen wollen. Dies ist ihnen in vielen Fällen geglückt, die niemals stattgefundenen Zwillingsstudien, die angeblich angeborene Intelligenzunterschiede begründen, haben fast eine ganze Generation von Lehrern und Psychologen dazu gebracht, von der optimististischen Entwicklungspsdychologie der 70er Jahre Abschied zu nehmen. Es gibt heute fast keine gesellschaftliche Debatte, auf die Neue Rechte nicht mittels geschickt dosierter Informationspolitik in den Medien Einfluss nehmen. Auch in der Blogosphäre wurde eine ihrer Denkfabriken schon ausgemacht (das Studienzentrum Weikersheim), und eines muss bei diesen Leuten ganz klar sein: Die Mehrheit sind lupenreine Nazis, die lediglich ein taktisches Verhältnis zu ihren eigenen Überzeugungen haben und dosiert ihre antiegalitären Positionen in die Öffentlichkeit träufeln.

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Einmal mehr ein vorzüglich auf den Punkt gebrachter historisch-analytischer Überblick, der die Gegenwart erhellt! -
Seit Mitte der 90er ist auch klar, daß Konrad Lorenz, den mein Vater bereits in den 70ern als den "Luis Trenker der Verhaltensforschung" bezeichnet hatte, ein hochgradiger Wissenschaftsbetrüger war. Als man es schließlich an der Uni Bonn wagte, seine zentralen Experimente zu wiederholen, stellte sich heraus, daß die Ergebnisse nicht wiederholbar waren. "Mangelnde intersubjektve Überprüfbarkeit" - das Todesurteil.
Blöd nur, daß der Lorenz-Müll sich noch bis heute in den Schulbüchern findet.

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ich schliesse mich dem vorredner an

"Einmal mehr ein vorzüglich auf den Punkt gebrachter historisch-analytischer Überblick, der die Gegenwart erhellt!"

und ergänze noch: und die den knackpunkt präzise benennt:

"Was das eigentliche Wesensmerkmal der Neuen Rechten ist, ist hingegen die Tatsache, dass sie Gramsci von rechts aufgreifen und über das Thematisieren von Themen, die auf die Ungleichheit der Menschen hinauslaufen, Diskurshegemonie erreichen wollen."

das mit der diskurshegemonie oder einfacher, präsenz in den medien trifft am auffälligsten für frankreich zu. hängt wohl auch mit der zentralisierung und konzentration der publizisten und grossdenker in paris zusammen. in der bundesrepublik ist es noch nicht so weit, immerhin, das zentrum ist da die die wochenzeitung "junge freiheit", die das scharnier zwischen intellektuellen neuen alten nazis, neuen rechten, nationalliberalen und cdu-stahlhelmfraktion bildet.

die prinzipielle ungleichheit der menschen ist die eigentliche grundlage des konservativismus, die ihn vom liberalismus und sozialdemokratie unterscheidet (der leninistische sozialismus wiederum läuft de facto auf eine ungleichheit zwischen den kadern und den massen hinaus).

die nation als metaphysisch begründete gemeinschaft des blutes (und eben nicht einer organisation eines ihr zugrundeliegenden sozialen vertrags) spielt in der denke der neuen rechten eine unheilvolle rolle.

ein folgerichtig durchgeführter konservativismus hätte zu seiner zeit, wenn nicht den aufrechten gang, dann doch die verwendung der faustkeils unterbunden. so ist konservatismus zu jeder epoche eine eigene strömung zur besitzstandwahrung von vordem herrschenden schichten. heute ist das, was bei uns als konservativismus firmiert (von mir ironisch bei einer cdu-stahlhelmfraktion verortet) der sache nach ein ordoliberalismus ohne thron und altar.

diese berührungsstelle der, ich habe sie schon benannt, neuen alten nazis, neuen rechten, nationalliberalen und ordoliberalen gilt es weiter zu beobachten. vermutlich hofft da einer vom anderen profitieren zu können, der einen erhoffen sich argumentative munitionierung, die anderen alimentierung über allerhand posten, pöstchen und netzwerke, wie vitamin b auf neudeutsch heisst.

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Wichtig in diesem Zusammenhang sind noch einige weitere Zeitschriften, nicht so bekannt wie die Junge Freiheit, aber dafür mit5 einem relevanteren Leserkreis, nämlich Nation und Europa, Critikon, Elemente und Mut. Zu den Stamnmlesern letztgenannter Postille gehört Helmut Kohl. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Gessenharter, der als Professor an der Hochschule der Bundeswehr nicht eben in dem Ruf des Linksextremismus steht, hat in einer Studie nachgewisen, dass die Neuen Rechten in den 80er Jahren über die Vermittlung ihrer Ideen durch diese Zeitschriften ein Stück weit mitregiert haben. Kohls Tabubrüche, wie der prowestliche Heimatabend in Bitburg, waren nicht, wie das oft missverstanden wurde, die Tapsigkeiten eines politisch unsensiblen Pfälzer Provinzelefanten, sondern planmäßige Provokationen, deren Stichworte von den Neuen Rechten stammten. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Unterscheidung zwischen demokratischen Konservativen und Rechtsextremen als eine sehr ambivalente, löcherige und schlüpfrige Angelegenheit heraus.

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