Montag, 20. November 2006
Die Schulzeit des Che
Ich war mächtig aufgeregt, als ich eingeschult wurde, freute mich aber sehr über die riesige Ostertüte (Schultüten hießen damals Ostertüten, weil die Einschulung bis wenige Jahre vorher zu Ostern erfolgte). Als die Namen der Neuschüler aufgerufen wurden, meldete ich mich an der falschen Stelle mit "hier": Es wurde der Name eines Schülers vorgelesen, der den gleichen Vor- aber einen anderen Nachnamen hatte als ich. Dass es überhaupt Leute gibt, die meinen Vornamen tragen, wusste ich bis dahin nicht. Na, immerhin wurde Derjenige mein Freund. Es war auch beruhigend, dass etliche meiner bisherigen Spielgefährten in meiner Klasse waren. Trotzdem kam eine harte zeit auf mich zu. Schule war Krieg.
Zum Einen waren da mein Wissensvorsprung und die Lehrer, ein Kapitel für sich. Am ersten Tag des Religionsunterrichts zu Anfang der zweiten Klasse widersprach ich der Auffassung der Lehrerin, als ich sagte, die ersten Menschen wären nicht Adam und Eva, sondern die Neandertaler gewesen. Als es in der 4. in Sachkunde hieß, beim Gewitter donnere es, weil die Wolken aufeinanderprallten, widersprach ich und sagte, Wolken seien nichts als Nebel, das Donnern komme von elektrischen Entladungen, und als es in Physik in der 8. hieß, wenn etwas verbrennt, würde die Masse erhalten bleiben, teils im Rauch, teils in der Asche, die zusammen die ursprüngliche Masse der verbrannten Substanz enthielten, sagte ich, nach e=mc² könne das nicht sein, weil ein Teil der Masse inEenergie umgewandelt wird. ch war ein Überflieger, aber keinesfalls ein Streber: Mit meinen Wissensbekundungen stellte ich die Autorität der Lehrer in Frage, ließ sie manchmal gar als Volltrottel dastehen. Das machte mich nicht unbedingt besonders beliebt. Hinzu kam, dass ich sehr klein und schwach war; wie sich später herausstellte, litt ich an Anämie, die mich 2 Jahre in meiner Entwicklung zurückwarf. Damit war ich Freiwild, denn mich zu verprügeln war risikolos. Ich konnte mich nicht wehren. Zeitweise wurde ich einmal täglich verprügelt, ich war irgendwann so weit, dass ich mich einfach wideerstandslos zusammenschlagen ließ, und einmal wurde ich von einem Mitschüler schulhoföffentlich verprügelt, nur, um zu demonstrieren, dass ich es so gewohnt sei, verhauen zu werden, dass es mir schon nicht mehr ausmachte. Immerhin war ich noch nicht so weit unten wie jener Mitschüler, der es von seinem gesamten Sportkurs in der Umkleide besorgt bekam und an dessen gellenden Schreien sich die Mitschüler ergötzten.


Ich zog aus diesen Erfahrungen meine Konsequenzen und lernte Judo. Als mich mal wieder einer meiner Peiniger anfiel (inzwischen waren wir auf dem Gymnasium), warf ich ihn zu Boden, nahm ihn in einen Haltegriff, setzte mein nie unter seinen Arm und sagte. "Lass mich von jetzt an in Ruhe, oder ich brech Dir den Arm!" Das war ernst gemeint, und ich hatte keinerlei Hemmschwelle, es zu tun. Es wirkte, ich hatte mir Respekt verschafft.


Die Gewalt war allgegenwärtig. Auf Schulhofprügeleien wurden schon mal arme ausgekugelt, ein Mitschüler rammte mir im Werkunterricht eine Schusterahle bis aufs Heft in den Oberarm, und auch die Lehrer straften uns bisweilen noch mit Schlägen, auch wenn sie dies offiziell nicht mehr durften. Schule in den 1970er Jahren war vor allem Mangelverwaltung: In der 5. und 6. waren wir 48 Kinder in einer Klasse, es gab aber nur für 36 Stühle und Tische, der Rest musste sich mit dem Fußboden begnügen. Da kam es besonders gut, wenn man dem verhassten Mitschüler direkt vor einer Klassenarbeit den Stuhl aus dem dritten Stock warf.


- Die Quälereien gingen, wenn auch weniger intensiv, bis ins Alter von 17 Jahren weiter, und auch dann wurde noch viel Scheiß gebaut, etwa auf einer von mir veranstalteten Fete der Kartoffelsalat auf die Scheiben meiner Fenster geschmiert. Immerhin kamen einge zeit später einige meiner Freunde, z.B. ein Judo-Kumpel, zum aufräumen und Saubermachen - mein Vater war wutschnaubend eine Nacht ausgezogen. Andererseits waren meine Feten als Kuppelparties sehr beliebt, denn gegen Ende unserer Pubertät war der einzige Sinn und Zweck einer Fete der, mit jemand Anderem zu liegen zu kommen. Und so ging schließlich die grausame und brutale Schulzeit in das nicht minder actionreiche, aber im Vergleich heitere, fröhliche und hedonistische Studentenleben über. Rückblickend gesagt, kann ich, wenn ich die skandalisierende Berichterstattung in den Medien über Gewalt an Schulen verfolge, dort nichts finden, was es nicht schon zu meiner Schulzeit gegeben hätte, außer Schusswaffengebrauch, wie in Erfurt. Nun, den hatte es zumindest in Amerikanien gegeben, von nichts anderem handelt Bob Geldofs "I don´t like Mondays". Ich weiß, dass wir als 8 jährige die Straßenseite wechselten, wenn uns 15 jährige entgegenkamen, "die großen Jungs kriegen alles fertig" hieß es, und unsere Erwartungshaltung war, von ihnen in den Fluss geworfen zu werden. Früher muss es noch schlimmer gewesen sein, den eine Lehrerin erzählte aus ihrer Kindheit, dass sich da regelmäßig die Jungs aus der C-Straße mit denen aus der F-Straße auf dem alten Exerzierplatz getroffen hatten, um ihre Auseinandersetzungen mit Schlagstöcken auszutragen.

Die Gewalt an Schulen war damals für die Presse kein Thema. Erstens war die mit RAF und kommunistischer Unterwanderung wo man hinschaut und überhaupt beschäftigt, zum Anderen berichteten die großen Medien über Kinder vor allem auf eine pädagogisierende, stark die Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit in den Vordergrund rückende Weise; da hätte das Thema Gewalt an Schulen einfach gestört. Und für die konservative Bürgerpresse waren Kinder viel zu unwichtig, um über ihre täglichen Hauereien zu berichten. Die Generation der Älteren hatte dazu eh die Meinung "Da fehlt der Rohrstock."

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Oh Mann! Ich schreib was von "I don´t like Mondays", und in Emsdetten passiert das Gleiche an einem Montag. Geisterhaft....

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ausweitung der kampfzone
nicht nur zu "emsdetten" - fragen und anmerkungen zum amok neuen typs:

http://autismuskritik.twoday.net/stories/2991830/

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