Montag, 25. Juni 2007
Konkrete Dinge
Zwei Beiträge in der aktuellen konkret finde ich aus unterschiedlichen Gründen bemerkenswert. Erich Später beschreibt in dem Beitrag "Weltfeind Zionismus", wie es nach dem 6-Tage-Krieg zur Manifestation jenes Vulgärantiimperialismus kam, der Israel zu einem Hauptfeind aller revolutionären Bewegungen erklärte. die deutsche Linke, nicht nur die Antideutschen, erklärt das Umkippen der früheren Israelbegeisterung deutscher Linker in einen kompromisslosen, in manchen Zügen antisemitischen Antizionismus ja meist damit, dass dieser über Verdrängung und Projektion es ermögliche, die deutsche Schuld an der Shoah gewissermaßen psychohygienisch zu entsorgen. Solange Israel nicht als militärischer Sieger und nicht als Besatzer fremder Gebiete aufgetreten sei, habe man es als Opfer betrachten können, mit dem man als guter Antifaschist solidarisch war, aber eben als etwas Passives, ein Objekt.Sobald Israel als aggressiv handelndes Subjekt aufgeteten sei, als militärischer Sieger, habe der latente antisemitismus der Deutschen Israel mit dem Faschismus gleichgesetzt und damit die eigene Psyche frei von Schuldgefühlen gehalten. Diese Betrachtungsweise mag auf Einzelpersonen, insbesondere aus der RAF, zutreffen, funktioniert aber nicht kollektiv auf die antiimperialistische Linke übertragen und übersieht außerdem, dass es sich um eine weltweite Entwicklung handelte, zumindest was die zweite Hälfte, die plötzliche Israel-Verdammung durch Linke angeht. Allerdings ist eine solche Betrachtungsweise typisch für deutsche Linke in ihrer nabelschauhaften Selbstreflexivität. Später macht eine andere Rechnung auf, fernab von derlei Küchenpsychoanalyse. Er weist nach, dass die antiisraelische Polemik nach dem 6-Tage-Krieg von der Sowjetunion ausging und konkrete Gründe hatte, die teils in außenpolitischen Interessen der Sowjetunion im Nahen Osten, teils in der Bekämpfung von politischen Forderungen der russischen Juden zu suchen sind. Der antizionistische Antiimperialismus wurde offizielle Doktrin des Warschauer Paktes und infiltrierte sehr erfolgreich auch moskauunabhängige linke Diskurse. Bisher hatten Analysen des Nahostkonfliktes immer angenommen, die PFLP sei zwar ideologisch prosowjetisch gewesen, habe aber nie den politischen Interessen der UDSSR gedient. Dies muss unter Umständen nun anders gesehen werden. Konkrete Machtpolitik statt fragwürdigen Psychologismen, das ist eine interessante und mir neue Perspektive.

In dem Beitrag "Das größere Übel" beschäftigen sich Bernhard Schmid und Tjark Kunstreich mit den Wahlen in Frankreich. Während Schmid Sarkozy nicht nur als französischen Prototyp eines Neocon, sondern auch als persönlich extrem ambitionierten, eisenharten und narzisstischen und daher gefährlichen Mann charakerisiert, spricht Kunstreich zunächst von Äquidistanz, weist darauf hin, dass auch Royal dereguliert und Sozialabbau betrieben hätte, wenn auch moderater als Sarkozy, eher nach deutschem Modell. Bis dahin kann ich ihm folgen, doch dann hebt er ab: Royal gehöre zu einer Ressentiment-Linken, ohne jeden Zusammenhang zu den politischen Verhältnissen in Frankreich ist plötzlich von Ayaan Hirsi Ali die Rede, die ebenso wie Sarkozy eine radikale Vertreterin der Aufklärung sei, die Mehrheitslinke stünde für die Gegenaufklärung usw. usf. etc.pp. hebt eine antideutsche Kakophonie an, die mit dem ursprünglichen Gegenstand des Artikels nichts mehr zu tun hat, aber für Sarkozy Partei ergreift. Ich habe von Tjark Kunstreich schon wirklich lesenswerte Beiträge gelesen, denen ich zustimmen konnte. Das hier hingegen liest sich wie das Parolengeschrei eines Gehirngewaschenen. Ist Hardcore-Antideutschtum vielleicht eine Krankheit?

... comment

 
Kjak Tunstreich ist eben auch ein Antideutscher. Die Schnittmenge aller Hardcore-Antideutschen ist doch ihre Israel, Juden, Antisemitismus usw. - Theologie.

24h lange Beschäftigung mit Israel, ein paar Satzbausteie Hirsi Ali, Kelek hie, ein paar Sprechblasen Israel, Juden, Islamophobie da. Während viele von uns Moslems 5 mal am Tag beten, sind die 24h lang mit Rudelwixen über Israel beschäftigt.

Das Antideutschtum ist eben eine weiterer Monotheismus, der guten Deutschen eben!

... link  


... comment
 
Der kunstreiche Tjark
Che, was für lesenswerte (im Sinne von auch zustimmungsfähig) Beiträge von Tjark Kunstreich hast Du denn gelesen?

Wenn ich mir das hier so anschaue, erscheint er mir vor allem als einer der ganz unsäglichen Hardcore-ADs der Freiburger Linie.

http://gigi-online.de/falle4.html

Hier wird vor allem das Identitätskonzept dieser Leute deutlich, das eben schon nicht mehr das Identitätskonzept Adornos ist. Bei Adorno geht es darum, dass Identifikation zu Integration in die Gesellschaft führt, z.B. die Identifikation des Arbeiters mit seiner Arbeit oder der Frau mit ihrer Hausfrau-Mutterrolle, beides die Selbst-Anerkennung von Entfremdung durch das Subjekt. Identifikation des gesellschaftlichen Außenseiters mit seiner Außenseiterrolle im Sinne von Zugehörigkeit zu einer Subkultur oder proud to be gay ist damit nicht gemeint (sie kommt bei Adorno gar nicht vor) und bei Marcuse sogar Nucleus von Emanzipation, Kunstreich wirft das unterschiedslos zusammen. Das Konzept des "Nichtidentischen" wiederum beinhaltet bei Adorno einen vagen Begriff von Potenzialen zur Freiheit, eine eher metaphysische Vorstellung wie das Absolute bei Schelling oder das Prinzip Hoffnung bei Bloch und nicht, wie bei den Antideutschen, das Negieren von personeller oder gruppenzugehöriger Identität. Die Tatsache, dass der Jude im antisemitischen Ressentiment austauschbar ist, scheint mit bei Adorno auch anders definiert als hier, aber da bist Du der Experte.



Der Rest der Texte zeigt, wie sehr die nichtidentischen Antideutschen selber in der Identitätsfalle sitzen, insbesondere auch als frühere Elche.

http://www.redaktion-bahamas.org/aktuell/tjark-12-4-02.htm


http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web38-2.htm


http://projekte.free.de/schwarze-katze/texte/ad25.html

... link  

 
Der hat früher ganz brauchbare Kulturkritiken und Beiträge zu antiautoritärer Pädagogik geschrieben. Ansonsten gebe ich Dir in Allem Recht, wobei ich zur Austauschbarkeit des Juden im antisemitischen Ressentiment sagen würde, dass das von Kunstreich nicht so gesagt wird, sondern nur, dass der Jude nichts mit dem Inhalt des antisemitischen Ressentiments zu tun hat. Der Antisemitismus-Begriff bei Adorno ist ja eine Theorie des mit Vernichtungswillen verbundenen Ressentiments an sich, auch Homophobie würde darunter fallen. So weit kann kein Antideutscher gehen, die Elemente des Antisemitismus und des autoritären Charakters kommen im Feindbilddenken der Antideutschen ja selber vor.

... link  

 
Antideutsch reloaded
In Ergänzung hierzu: Man weiß nicht so richtig, ob man lachen oder kotzen soll

http://kritikundpraxis.olifani.de/?p=44

Und hier kritisierten auch schon vor längerer Zeit selbst Antideutsche die Bahamas-Clique. Interessant der Bericht über die entsprechende Veranstaltung, wo Araber- und Tote-Blondinen-Witze zum guten Ton gehörten, oder nennt man das politischen Diskurs?


http://www.forumromanum.de/member/forum/forum.php?action=ubb_show&entryid=1046085885&mainid=1046085885&USER=user_133392&threadid=2

... link  

 
Ich kann jetzt verhältnismäßig wenig zum Identitäts- oder Nicht-Identitäts-Konzept der Antideutschen sagen, die verwirren mich immer eher, als daß ich das noch sinnvoll kommentieren könnte.

Aber zum einen muß ja schon mal eingeworfen werden, daß sich auch bei Adorno, meines Wissens in der "Minima Moralia", nicht nur nettes über Schwule findet, und das, was da steht, hat er eher aus der Freudschen Neurosenlehre, wo dann nach der Genese von Homosexualität gefragt wird und diese wahlweise in zu starker Mutterbindung oder Narzißmus dann verortet wird.

Das sind so Topoi, die insofern auch in eine solche Diskussion gehören könnten, weil man den Gigi-Text eher vor dem Foucault-Hintergrund lesen muß, glaube ich, und gar nicht im Bezug auf Adornos Nicht-Identisches.

Im Kontext dessen wäre dann eben Homoseuxalität nix ursprüngliches, sondern etwas erst von den Sexualwissenschafte produziertes, immer der Figur folgend: Man konstituiere, erforsche und pathologisiere die Abweichung, um so die Norm durchsetzen, indem ich z.B. Behandlungsmöglichkeiten erfinde und allen zeige, was passiert, wenn man sich nicht normalisiert.

Und im Detail ist das komplizierter, aber man kann schon sagen, daß die Psychoanalyse sich in dieses Normalisierungs-Schema einreiht, um aus dieser Perspektive dann eben auch jene Bestantdeile von Marcuse, Adorno und Horkheimer und Fromm eher zu kritisieren - eben da, wo sie Anleihen machen bei Freud.

Beim mit sich nicht gleichen Blogger kann man das oft ganz gut nachvollziehen, was für einen manipulativen Quatsch manche dialektisierte Denkbewegungen diese Psychoanalytisierung von Gesellschaftstheorie so mit sich bringen kann.

"Proud to be gay" und "Stolz, ein Deutscher zu sein" sind beide im Normalisierungsmuster bereits enthalten, dann, wenn man über Leitkulturmuster zur Assimilation zwingen will. Ob man den antisemtischen Rassismus der Basis so fassen kann, dazu müßte ich selbst noch mal im letzten Teil von Foucaults "Sexualität und Wahrheit 1" nachlesen.

"Proud to be Gay" hingegen ist aber einfach eine Umwertung des Anormalen zum Positiven. Da's aber eben nicht Teil derer selbst ist, Dominanzkultur, die funktioniert heteronormativ, liegt dann genau darin die Differenz zum "stolzen Deutschen". Bezogen bleibt's aber auf die Dominanzkultur.

Wollte man nun über diese Muster hinausgehen, für mich käme dann erst Adorno in's Spiel. Die "Negative Dialektik" und der Versuch, durch den den Begriff des Nicht-Identischen Denken zu dynamisieren, ist eine mögliche, "dekonstruktive" Antwort auf solche normalisierenden Diskurse, die über das Zusprechen von Identitäten Macht ausüben.

Was ja immer wichtig ist, die "Negative Dialektik" und die "Ästhetische Theorie" als Antwort-Versuche auf die "Dialektik der Aufklärung" zu verstehen, nicht als deren Fortsetzung.

Und perspektivisch finde ich's deshalb auch richtig,, tatsächlich gegen Indentitätsmodelle ganz grundsätzlich anzugehen, und da kann Adorno dann wieder bei helfen ... würde mir meinerseits "proud to be gay" nie auf's T-Shirt schreiben, weil's eben genau so behämmert ist wie "Proud to be straight".

Und stattdessen mit Adorno mich eher dem Besonderen zuwenden, nämlich meiner ganz spezifischen Art zu lieben und zu begehren und der nicht minder spezifischen und ganz besonderen Art Anderer auch ... das Allgemeine normalisiert, so kann man diese Realtion Foucault/Adorno vielleicht verkürzt kurzfassen.

... link  

 
It's okay to be gay and i'm gay to be okay.
;-)

... link  

 
@Dean:

Oder so, ja ;-) ...

... link  

 
Vielleicht bin ich ja sehr bodenständig: Das plakative "Say it loud, workingclass and proud!" beinhaltet für mich das Aufrechterhalten eines Anspruchs auf Überwindung der Klassengrenzen, zu deren Ausgangspunkt es aber gehört, sie überhaupt erst wieder wahrzunehmen!

... link  

 
... das ist aber auch eine ganz andere Form der "Identifikation mit" als im Falle von proud to be black oder gay.

Wobei bei black zumindest noch das Schreiben der "je eigenen" Geschichte aussteht. Bei gay auch, aber anders.

"Say ist loud, workingclass and proud" ist ja in einem ganz anderen Sinne "angeboren" als "gay". Das ist ein anderer Diskurstyp.

Ergänzend gibt's ja noch die Differenz zwischen politsch-strategischer Praxis und Aussagen über das So-oder-so-Sein von Personen. Im Fall von "proud to be gay" macht das ja politisch-strageisch auch Sinn: Ich lasse mich nicht abqualifizieren und sach das laut.

Aber Du willst doch keine Arbeiteridentität im selben Sinne behaupten, wie sie "Deutschen" oder "Schwulen" zugesprochen wird (oder sie sich selbst zusprechen)?

... link  

 
Nö, es bedeutet, den Klassenwiderspruch, der nie aufgehört hat zu existieren, dessen Existenz vom herrschaftlichen Diskurs aber so sehr bestritten wird, dass man nicht einmal mehr über seine Nichtexistenz redet, wieder auf die Tagesordnung zu heben. Ich definiere mich ja auch weder als Deutscher noch als Hetero, sondern als Gegner des bestehenden Weltsystems, der ein anderes will.

... link  

 
Es grünt so grün ...
Ja, d'accord. Aber in welcher Hinsicht ist denn die in der Tat getarnte Klassenfrage eine Identitätsfrage?

PS: Habe gestern abend noch die ganze Zeit über den Pygmalion-Plot gegrübelt, auch darüber, was der mit der Gewaltfrage zu tun hat und insofern auch, ob das wirklich stimmt, was ich so alles behauptet habe ... man sollte vielleicht einfach mal mit Audrey Hepdurn in "My Fair Lady" durch Programmkinos tingeln und solche Fragen stellen. Und die Lieder neu einspielen - "Es grünt so grün wenn Spaniens Blüten blühen", und dann zeigen wir dazu diese Arbeiter unter Plastikfolien auf Gemüsefarmen und die schwarzen Jungs südlich von Gibraltar, die an den Thunfisch-Schleppkäfigen hängen, wo die Kapitäne und Schiffsbesetzungen dann nur noch zugucken, wann einer abfällt, weil's so viel Ärger machen würde, die in Spanien mit an Land zu nehmen. Und schnieden dann immer wieder den nigerianischen Präsidenten rein, der ausruft "Homosexualität ist unafrikanisch!".

Das würde sinnvoll Identitätsfragen diskutieren, so eine Montage .... mein Gott, jetzt hat er's! mein Gott, jetzt hat er's! Es grünt so grün ....

... link  

 
Die Klassenfrage ist in erster Linie eine Identitätsfrage. Ob ich Prolet, Bourgeois oder etwas dazwischen bin, wirkt sich bis in jede Faser meines Denkens, Empfindens und Handelns aus. Interessanterweise ist die ständig geäußerte und gesellschaftlich dominierende Ansicht, Klassen existierten heute nicht mehr oder Klassenwidersprüche seien nicht mehr so wichtig oder das seien alles historisch überholte Kategorien eine Ansicht, die ich bisher nur Vertreter der Mittel- und manchmal der Oberschicht habe äußern hören. Kaum ein Prol würde so etwas sagen, im Gegenteil! Unterhalt Dich darüber mal mit Loellie, ansonsten lies mal Bourdieus "Les pétites distinctions".

Der Film wäre Klasse, wir sollten uns bald an die Produktion machen! Ich würde das noch unterlegen mit "Deutschlands Freiheit wird am Hindukusch verteidigt - bevor Sie als Flüchtling oder Asylbewerber zu uns kommen, erschießen wir Sie bei sich zu Hause" - und dazu "Short memory" von Midnight Oil.

... link  

 
Baby, mit dem Bourdieu habe ich mich schon auch beschäftigt, das ist jetzt ehrenrührig ;-) ... außerdem hat Bourdieu ja nun auch nicht in jedem Fall recht. Außerdem habe ich doch gerade ganz explizit zugestimmt, daß es natürlich noch Klassen gibt. Dieser Humbug der "nivellierten Mittelstandsgesellschaft" war ja immer schon falsch.

Das Problem an allen Identitätsgeschichten ist halt, daß man, wenn man sich den Schuh anzieht, auch nix ändert. Betrifft auch das "Klassenbewußtsein" dann, wenn es als Identitätskonzept verstanden wird. Finde immer besser, das als geteilte Interessen zu verstehen.

Loellie ist doch gerade das Paradebeispiel - ich hoffe, der liest hier mit, sonst wäre das doof - von jemandem, der es überhaupt nicht einsieht, sich ein Identitätskonzept überbügeln zu lassen, wo dann bei bestimmten Fragen nur noch Leute mit Uni-Abschluß mitdiskutieren dürfen. Die Bescheidenheit "des kleinen Mannes", diese 50er Jahre-Nummer, die ist doch selbst einfach diese Identitätsnummer mit umgekehrtem Vorzeichen.

Aber den Film sollte man wirklich machen ... "immer wieder Sonntags kommt die Erinnerung", und dann gluckert wieder einer wech zum Diddelidelum, und auf das "immer wieder Sonntags" montieren wir Grönemeyer beim G8 Gipfel ...

... link  

 
Klassenlage subjektiv
Dieses Werk Bourdieus halte ich aber für so wichtig wie Sexualität und Wahrheit oder die Dialektik der Aufklärung. Vielleicht mache ich die Rechnung mal anders auf und komme aus dem handfest Praktischen. Ein guter Freund, politischer Genosse und Kommilitone von mir kam aus einer klassischen Arbeiterfamilie und war der einzige aus seiner gesamten Verwandtschaft, der studierte.Aufgewachsen war er in einem bürgerliche Viertel, in dem er sich als der Underdog und Paria empfand. Er erlebte viele Dinge an der Uni existenziell anders als ich, der ich aus einer Aufsteigerfamilie proletarischer Herkunft, aber aktuell zur Middleclass zugehörig (wo es mittlerweile selbstverständlich war, zu studieren) kam und in einem multikulturellen Arbeiter- und Studentenviertel aufgewachsen bin. Wir waren mal mit unserem gesamten Examenskolloqium bei unserem Prüfer eingeladen, es war ein lockeres Beisammensein mit Fingerfood und Wein. Er schilderte, dass er wenig Zeit zur Vorbereitung seiner Arbeit gehabt hatte, was eine Frau dann damit kommentierte, dann wäre das Ergebnis wohl auch nicht besonders gewesen. Beleidigt erwiderte er, im Gegenteil, eine Prädikatsarbeit. Ich erlebte den Abend als eine entspannte und nette Veranstaltung. Was die besagte Frasu anging, nahm ich an ihr vor allem wahr, dass sie schöne Brüste, einen sinnlichen Mund und ein nettes Lächeln hatte (Man muss ja irgendwo Proritäten setzen), er hingegen, dass es sich um eine Verteterin der upper middleclass handelte, die seine, des Arbeiterkindes Leistungen nicht zu würdigen wusste. Er erlebte fast jede Begegnung mit Angehörigen einer anderen als seiner Schicht, und das war während des Studiums zwangsläufig fast jedes Treffen mit anderen Menschen überhaupt, auf einer bestimmten Ebene als eine Art sozialer Konkurrenz, in der er der Ausgegrenzte war. Das führte dann schon mal zu merkrwürdigen Szenen. Auf einer Party erzählte er, dass er gerade zu Klassengeschichte forschte, worauf eine Historikerin sehr mittelschichtiger Herkunft einwandte, Klsse wäre doch eine völlig überholte Kategorie. Daraufhin sagte er ihr ins Gesicht: "Ja, dass solche Mittelschichtstussen wie Du das denken war mir klar!"

So etwas erlebte ich ziemlich häufig mit Leuten mit Arbeiter- oder Unterschichtsherkunft. Bei einem Kongress, wo ein Kollege und ich uns mit einem Manager unterhielten, meinte dieser hinterher: "Egal, was der erzählt, er strahlt aus, dass er zur anderen Seite gehört. Er ist Upper Class, er gehört zum Feind, das spüre ich körperlich!". Ein befreundeter Psychologe erzählte einmal, dass die Psychopathologie die Gesellschaftsstruktur widerspiegele: Angehörige der Oberschicht hätten überdurchschnittlich häufig Phobien und psychosomatische Störungen, Leute aus der Mittelschicht verstärkt Neurosen, Psychosen seien bei der Unterschicht am Stärksten verbreitet, Soziopathen würden sich am Häufigsten ganz oben und ganz unten finden. Wenn es um Identitätskonzepte geht, grabe ich, wo ich stehe, d.h. ich fange mit der Identität an, in die ich hineinsozialisiert bin.

... link  

 
Durch den Begriff hindurchgehen, um ihn aufzulösen
Che, wir schreiben gerade aneinander vorbei.

Das ist mir doch klar, daß es das gibt, und da ich jahrzehntelange kaum Akademikerfreunde hatte und alleine schon wegen der IGS immer auch welche aus klassischen Arbeiterschichten, kenne ich das auch.

Hatte genauso auch mit Snobkids zu tun, wo ich mir dann ganz ungelenk vorkam. Neulich war so eine klassische, hanseatische höhere Tochter hier bei uns zu Besuch, diese strenge Variante, die einen Herrschaftsanspruch schon mit der Muttermilch aufgesogen hat, die haben wir gemeinschaftlich gehaßt. Daß es das alles gibt, auch faktische Identitätsprägungen solcher Art, bestreite ich ja gar nicht. ABER - mir geht's um sowas:


"... er hingegen, dass es sich um eine Verteterin der upper middleclass handelte, die seine, des Arbeiterkindes Leistungen nicht zu würdigen wusste."

Genau das meine ich ja: Er bleibt so auf die Bewertung duch Upper Class-Angehörige bezogen, wenn er sich diese zugewiesene Identität anzieht und sich zu ihr verhält.

Ich kann mich jetzt ja auch nicht hinstellen und sagen: Nö, ich bin nicht schwul, natürlich sind der Umgang mit diesem Thema Fragen, die zu dem beitrugen, was ich jetzt bin. Trotzdem gehören in politisch-utopischer Perspektive diese Schemata als solche aufgelöst. Ich bin eben, na, den Originalnamen kennst Du ja, und nicht primär schwul, woraus ich dann alles andere irgendwie abzuleiten hätte.

Im Falle des Arbeiters löst man natürlich auf durch das Anstreben der "klassenlosen Gesellschaft", bei Fragen wie Rassismus, Feminismus und bedingt - über "Bevölkerungspolitik" - auch bei Homosexualität spielt immer auch Ökonomie eine zentrale Rolle.

Da gibt's dann aber noch eine kulturelle Ebene darüber, wo man die Schwarz/Weiß, Mann/Frau, Deutsch/Nicht-deutsch etc.-Geschichten als solche attackieren und auflösen muß. So habe ich Adorno auch immer gelesen, dessen Diktum, man müsse durch den Begriff hindúrchgehen, um ihn aufzulösen ...

Übrigens bleiben die Antideutschen insofern schon begrifflich dem verhaftet, wogegen sie sind, und so erklärt sich wohl auch die Wiederkehr dessen in so vielen Gedankengängen ...

... link  

 
Wir reden eigentlich nicht aneinander vorbei, sondern very much to the point. Natürlich liegt eine emanzipative Perspektive nur in der Auflösung solcher Identitäten bzw. Identifizierungen. Als ersten Schritt muss man diese aber erst einmal annehmen und sich bewusst machen. Die wenigsten Menschen sagen ja von sich "ich habe ein bestimmtes Minderwertigkeitsgefühl oder eine bestimmte Aversion, weil ich so und so sozialisiert bin", sondern die meisten Menschen hegen das einfach ohne sich da irgend etwas bewusst zu machen. Der erste Schritt zur Befreiung bestünde meines Erachtens darin, die vorgefundene soziale Identität mit einem anderen Selbstbewusstsein zu füllen. Ich wünschte mir allerdings nichts so sehr, wie ein klassenbewusstes Prekariat - genau das ist es ja nicht. Was die Antideutschen angeht - nach dem eigenen Anspruch der Kritischen Theorie müsste die Position zum Nahostkonflikt ja nicht die bedingungslose Identifikation mit der Zahal sein, sondern (bei Beibehaltung der Rolle Israels als Zufluchtsort für alle Juden) tendenziell die Auflösung der Identitäten Juden- Palis, ein Bewusstsein als Klassensubjekt oder als Individuum.

Ich denke, mit der Position hier:


http://che2001.blogger.de/stories/386740/


waren wir vor fast 20 Jahren avantgardistisch. Aber das weiterzudenken scheitert am Konservativismus der Linken.

... link  

 
Das scheitert an der geistigen Zugenageltheit aller Beteiligten. O, you male chauvinistic pigs, you have won! But not in the long run - there is more of possibilities, as you can imagine! It´s no mystery making history, it´s only a mystery to get the victory. We will be free, some day, by any means necessary! Regagneramos la vida! Fuego y lama por todo Estado! A bas el ordre patriarchalo!

... link  

 
Ich setz einfach mal 'nen Link zu einer Gegenposition, auch zu jenem, was ich oben geschrieben habe - alles andere als neu, der Text, von antideutscher Seite wird kritisiert, daß er 1943 die eliminatorische Tendenz des Antisemitismus ignoriert habe (ist auch bei Hagalil zu finden, ein Text aus der Konkret macht das so, sinngemäß).

Finde, daß Sartre hier das Problem mit großer rhetorischer Verve auf den Punkt bringt, obwohl ich seine Antwort so 1 zu 1 nicht teilen würde, haut das schon rein:

Zitat:

"Die Juden haben jedoch einen Freund: den Demokraten. Aber das ist ein erbärmlicher Verteidiger. Gewiß erklärt er, alle Menschen hätten die gleichen Rechte, sicher hat er die Liga für Menschenrechte gegründet. Aber schon seine Erklärungen zeigen die Schwäche seiner Position. Er hat sich im 18. Jahrhundert ein für allemal für das analytische Denken entschieden. Er ist blind für die konkreten Synthesen, die ihm die Geschichte bietet. Er kennt weder den Juden noch den Araber, noch den Neger, noch den Bourgeois, noch den Arbeiter: er kennt nur den Menschen, der zu allen Zeiten und überall sich selbst gleich ist."

http://www.hagalil.com/antisemitismus/europa/sartre.htm

Das hat man oft mit linksliberalen Zeitgenossen - wenn man z.B. betont, daß ein Snoop (den erwähne ich nur, weil irgendwer immer auf dessen Provokation einsteigt ;-) ... ) doch gar nicht anders kann, als auf ihn umgebenden, ganz alltäglichen Rassismus zu reagieren und sich dessen Stereotypen auch anzuziehen, somit einen höchst selbstironische schwarze Identität zu fomulieren, die den rassistischen Blick bereits zum Thema hat, kommt zurück: Wieso, alle Menschen sind doch gleich, der ist doch der Rassist (und Frauenverächter sowieso), wenn er sowas macht!

Mit anderen Worten: Die Identitätsfrage hängt auch zusammen mit der Assimilationsfrage ... allerdings nur, wenn man sie falsch stellt, glaube ich.

... link  

 
Ein großartiger Text! Wobei sich das Eine und das andere nicht ausschließen; es könnten ja der jüdische und der palästinensische Proletarier, Schwule oder Künstler zu der Erkenntnis kommen, dass es jenseits von Jude und Palästinenser Schnittmengen gibt. Und Snoop Dog ist kein Einzelfall, schau dir Bands wie Public Enemy, Niggers with Attitude oder Apache Indian an. Weder die Assimiliation noch der deutsche Entwurf der Multikultur, nämlich Ethnopluralismus, eigentlich eine Erfindung der Neuen Rechten erscheint mir als Lösungsweg sondern halt immer nur Autonomie: Ein möglichst großes Maß an Selbstbestimmung verbunden mit einem ethnischen Schmelztiegel, der weder Assimilation noch Multikultur , sondern dialektische Synthese einer neuen Kultur und Gesellschaft bedeutet.

... link  

 
Ja, ich persönlich bin da ja ganz bei Dir. Und zudem großer Fan all dieser Kreolitäts-Konzepte oder wie die heißen. Ethnopluralismus halte ich auch für Käse.

Das ist aber ja eine politische Perspektive, die an der Suche nach einem Selbstverständnis gewissermaßen abprallt.

Im Falle Israels übrigens habe ich das als Kaumwaswisser immer so verstanden, daß trotz jahrtausendealten Traditionen dieses ganze politische Konstrukt natürlich immer auch die Suche nach einem jüdischen Selbstverständnis nach dem Holocaust und nach Jahrhunderten Opferrolle auch weiterhin IST, und aus der Nummer muß man erst mal rauskommen, geht nicht ... man korrigiere mich, wenn ich falsch liege.

Behaupte einfach mal ganz großspurig, daß ähnlich, wie schwarze Körper wahlweise mit der Sklaverei oder dem BiafraBauch symbolisch belegt sind, ob sie wollen oder nicht, sind dies jüdische Körper mit dem Holocaust - ich weiß, das liest sich scheußlich, und man weise mich drastisch zurecht, wenn das falsch ist, aber das ganze Nahost-Drama ist doch eigentlich nur vor diesem Hintergrund verständlich? Man belehre mich.

Und wenn Du Dich in Deiner Körperlichkeit noch mit Sklaverei beschäftigst, dann finde mal die Schnittmenge mit jenen, die dieses Stigma nicht mit sich rumschleppen.

Kann mal jemand die feministische Perspektive beisteuern?

By the way: Habe gerade im Documenta Heft Nr. 3 gelesen, daß in Frankreich irgendwelche Flachwichser gerade behaupten, der europäische Antisemitismus, der im Holocaust dann mündete, sei im Grunde genommen deshalb entstanden, weil diese der letzte Hort der Tradition in einer zertrümmernden Moderne und Aufklärung gewesen seien. Das 3. Reich ist aus dieser Perspektive dann das, was bei Demokratisierung hinten rauskommt.

Kenne ja andere Varianten dieser These aus der liberalen Ecke, also des vermeindlichen Zusammenhangs zwischen Demokratie und Faschismus - wenn sich das koppelt an die französischen Hirnies und den Papst, Hallelujah, dann haben wir den Salat. Lammert hat in der FR gerade schon mal wieder losgelegt in genau solche Richtungen.

Den Sartre-Text halte ich übrigens für einen seiner bedeutensten, der haut schon schon rein ....

... link  


... comment