Sonntag, 2. September 2007
Zur Irrelevanz des Antideutschtums
Mit Lysis, Nullzeitgenerator, Dr. Dean und anderen habe ich ja diverse Debatten zum Thema Antideutsche geführt und mich gewundert, welche Bedeutung diesen mancherorts beigemessen wird. In meiner Stadt gibt es einerseits zurzeit ein Revival der klassischen autonomen Antifa, die hauptsächlich aus sehr jungen Leuten besteht, teils marxistisch-leninistisch und teils anarchistisch ausgerichtet, mit Antifaschismus und Antiimperialismus als gemeinsamer Klammer (nicht der antizionistische Antiimperialismus, hinsichtlich Israel und Juden ist man sensibel). Die bilden mitunter relativ große Schwarze Blöcke. Und auf der anderen Seite gibt es vielleicht 5-6 Antideutsche, die aber auch niemandem weh tun. Eines der Hauptthemen hier im Norden ist eine Bleiberechtskampagne für jugendliche Bürgerkriegsflüchtlinge vor allem aus dem Libanon und Afghanistan, da hätte der Antiislamismus der Bahamiten schlechte Karten. Gut, aber das kann ja wonanders anders sein. Ich sprach gerade mit einem guten Freund über seine Einschätzung dieser Dinge. Er ist Mitbetreiber eines linken Buchladens und regelmäßiger Organisator aller möglichen Tagungen, Lesungen und Kongresse und sollte es daher wissen. Ich erzählte ihm also, dass es Leute gäbe, die der Meinung seien, die Antideutschen übten eine Diskurshegemonie innerhalb der radikalen Linken aus, bzw. alle Diskussionsprozesse im linksradikalen Lager würden durch die Antdeutschen beeeinflusst und fraktioniert, und fragte, ob das so wäre. "Totaler Schwachsinn!" war die Antwort, und er meinte, dieADs wären eine winzige Sekte ohne zahlenmäßige Relevanz in der linken Szene, wenn auch publizistisch äußerst aktiv. Man müsste in Berlin, Magdeburg, Leipzig, Dresden, Freiburg oder bestimmten Wohngegenden Hamburgs leben und durch den Binnenhorizont der jeweiligen Stadtszene das politische Geschehen insgesamt wahrnehmen,, Junge-World- oder konkret-Redaktionsmitglieder kennen oder ausschließlich online statt im richtigen Leben politische Diskussionen verfolgen, um zu einem solchen Fehlurteil zu kommen.

Na, dann bin ich beruhigt! ;-)

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Ich glaube auch, außerhalb von Berlin, Dresden, Leipzig, Freiburg, Cottbus, Magdeburg, Potsdam, Marburg, Mainz, Erfurt, Bremen, Frankfurt, Essen und Köln interessiert das kaum jemanden. ;-)

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D´accord, mit dem Zusatz: IN Bremen interessiert das niemanden. Wobei ich antideutsche Kritik in dem Sinne, wie Du das zu verstehen scheinst, damit nicht so primär meine. Also, antiimperialistische Positionen darauf abzuklopfen, ob sie antizionistische/verkappt antisemitische Elemente enthalten oder einem Internationalismus in der Tradition von Befreiungsnationalismen einen grundsätzlichen Antinationalismus entgegenzustellen oder in der Linkspatei linksnationalistische Positionen zu kritisieren und internationalistische zu stärken, das finde ich ja alles im Grundsatz erstmal legitim, und das findet nastürlich auch statt. Und dass einzelne Elemente antideutscher Theorie wie ein Patchwork in das allgemeine Denken linker Gruppen einbezogen werden, mag man gut oder schlecht finden, aber es findet auf jeden Fall statt. Doch die Vorstellung, die ein Wertmüller da präsentiert und die in Blogs öfter mal zu lesen ist, die sich in meiner offline erlebten Wirklichkeit aber überhaupt nicht wiederfindet, dass die Antideutschen DEN DISKURS der radikalen Linken insgesamt dominieren würden bzw. die Frage antideutsch oder traditionsmarxistisch bzw. antiimperialistisch DAS BIG THEME linker Diskussion sei, das sehe ich nicht und hält besagter Genosse für völligen Mumpitz. In meiner unmittelbaren Umgebung beschäftigt man sich primär mit Bleiberecht, klassischen Antifaaktionen und G8/IWF/Weltbank/Entwicklungspolitik-Kritik. In Bremen sind das ARAB, Libasoli, JOG (Jugendliche ohne Grenzen) usw. bestimmende Kräfte. Die VertreterInnen des sog. Neuen Antiimperialismus haben hier ziemliches Oberwasser, während ich von Antideutschen in Bremen bisher nichts wahrgenommen habe außer ein paar Sprüchen. Neben den Bleiberechtsgeschichten, Antifa und Internationalismus-Arbeit (vulgo Globalisierungskritik genannt, was ich für eine inhaltlich weit daneben liegende Charakterisierung halte) spielen dann neue Armut/Hartz IV und z.B. die Probleme der Punks und Junkies vom Sielwall noch eine ziemliche Rolle.

Wenn ich allerdings von Antideutschen spreche, dann habe ich damit primär wirklich Leute wie Wertmüller und Grigat mit ihrer merkwürdigen Verzerrung der Kritischen Theorie, ihrem Konzept von antikapitalistischem Engagement als "strukturellem Antisemitismus" usw. im Kopf.

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Benennen wir doch einfach die Antideutschen als das, was sie sind: Sektierer bar jeglicher gesellschaftlicher Relevanz. Hauptmanko: Man bleibt in der Theorie stecken, geifert und giftet gegen Leute, die aktiv werden, z.B. in der Flüchtlingshilfe und stilisiert sein Außenseitertum zur avantgardistischen Attitüde. Motto: "Alle doof außer ich". Dummerweise kommt man so nicht weit, bemerkt das und setzt immer noch einen drauf wie der Wertmullah mit seinen Grotesken angesichts der Israeldemo in Berlin vergangenen Januar oder wie kürzlich Herr Bozic von der Jungle "WELT" mit seinem antisemitischen Ausfall.

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@Jolly: Ausfälle bietet der Bozic ja reichlich dar, aber welchen Ausfall meinst Du im letzten Satz genau?

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Ich schätze mal, die Gleichsetzung eines Boykotts israelischer Waren aus Protest gegen die Besatzungspolitik in den Westbanks mit "Deutsche kauft nicht bei Juden" und israelkritischer Linker mit der SA.

vgl. Diskussion hier:

http://shiftingreality.wordpress.com/2007/08/29/was-ist-aus-den-ossis-blos-geworden/#comments

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stimmt.

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Wobei der antideutsche Diskurs schon weit über die Antideutschen selbst hinaus wirkt. Ich hatte eine Diskussion zum Thema Israel-Palästina um die Frage, ob man denn die Vertreibung der Palis bei Gründung des Staats Israel als Verbrechen zu betrachten hat oder nicht. Ich schilderte, wie die Irgun Zvai Leumi damals vorging (Ob eine Gruppe als Terroristen, Partisanen oder Freiheitskämpfer bezeichnet wird, ist ja Sache der Sieger, die hinterher die Geschichtsbücher schreiben), den Bombenanschlag auf das King David Hotel und Guerrillataktiken wie das Verbrennen von Ernte und Saatgut auf palästinensischen Farmen und die Zerstörung von Brunnen. An dieser Stelle empörte sich eine Mitdiskutantin (die überhaupt keine Antideusche ist, sondern auch in die Ecke neuer Antiimperialismus gehört), ich würde die mittelalterliche Fama von den Juden als Brunnenvergifter reproduzieren. Dass die Zerstörung von Brunnen zu den klassischen Taktiken des Partisanenkampfs gehört und von der Irgun praktiziert wurde, wie sie von anderen Partisanengruppen anderswo auch praktiziert wurde, interessierte hier nicht mehr. Mit Antisemitismus ist es wie mit Sexismus: Da das Thema moralisch stark aufgeladen ist, was ja auch gar nicht anders sein kann, ist hier die Schwelle sehr niedrig, anderen das Schlimmste zu unterstellen. "Wer als erster Auschwitz sagt, der hat gewonnen", damit lag Droste schon nicht so falsch. Das hat aber nichts mit einer Relevanz der Konzepte "Struktureller und sekundärer Antisemitismus", "Identisches vs. Nichtidentisches bei politischen und sozialen Bewegungen" und "Kapitalismus/Imperialismuskritik als Verschwörungstheorie" zu tun, wie die Bahamiten und Friends sich das vorstellen.

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@Che

"...dass die Antideutschen DEN DISKURS der radikalen Linken insgesamt dominieren würden..."

...ist ein Zerrbild, das ganz ähnlich der Verschwörungstheorie besonders dort verbreitet ist, wo die Antideutschen dafür verantwortlich gemacht werden, daß man selbst nichts (mehr) reißt.

In der betrunkenen Fassung:

http://classless.myblog.de/classless/art/1890580

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Höhö, etwas wuchtig dimensioniert, aber durchaus lustig. Müsste dann allerdings noch mächtig mit Illuminaten, Bilderbergern und der Zahl 23 aufgefüllt werden. Dass dieses Zerrbild in meiner Welt nicht auftaucht, hängt dann wohl aber auch damit zusammen, dass man in meiner Umgebung damit emsig beschäftigt ist, ein Bleiberecht für bestimmte Flüchtlinge oder Flüchtlingsgruppen durchzusetzen, Kulturprojekte zu organisieren etc., so dass keine Grundlage da ist, jemanden für etwas verantwortlich machen, was man nicht schafft ;-)

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Ich verfüge ja immer nur über gefährliches Halbwissen, was mich im Falle der Antideutschen auch a bisserl freut ... aber mal so gefragt: Was genau ist denn eigentlich links an denen?

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ziwo
Eben.

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Waidmannsdank

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