Sonntag, 29. August 2010
Sozialneid
Was uns zu Paaren treibt und dafür sorgt, dass ein solidarisches Miteinander, eine Einheit der Armen und Prekären in diesem Lande gar nicht erst auf die Beine kommt ist diese Haltung sozial schwach gestellter Menschen, sich selbst der vermeintlichen Tatsache zu versichern, doch selber nicht ganz prekär zu sein und sich hingegen panisch von jenen abzugrenzen die dies vermeintlich tatsächlich sind. Einerseits. Und Andererseits habe ich auch schon die seltsamsten Formen von Sozialneid bei Leuten erlebt bei denen man dies zuletzt denken sollte. Also beispielsweise hatte ich während meines ersten Jobs nach dem Studium erlebt, dass Leute aus der eigenen linken Szene, die selber von Arbeitslosengeld oder Sozi lebten mir diesen Job neideten. Schnell entstanden Gerüchte darüber, wieviel Geld ich hätte und dass ich unsozial sei, weil ich meine üppigen Einkünfte nicht teile - bei einer auf ein Jahr befristeten ABM-Stelle in einem sozialen Projekt! Wenn schon Kreise, deren erklärtes Programm der Klassenkampf ist sich in solch selbstlähmender Manier mit sich selbst bzw. dem lieben Nachbarn beschäftigen und weniger damit, wie Widerstand gegen die echten Umverteiler von oben zu organisieren wäre, so verwundert es nicht, dass da keine Massen sind, die sich regen und der "meinem Nachbarn geht es noch schlechter als mir"-Blick in Kombination "Warum soll es jemandem besser gehen als mir?"-Blick die konventionelle Perspektive bleibt - die es aufzubrechen gilt. Und ich für meinen Teil gönne meinem Arzt, der mir geholfen hat, ein langes, schweres und schmerzhaftes Leiden zu überwinden und mir ein guter Begleiter über viele Jahre ist seinen Porsche von Herzen - meinem Ex-Chef, dessen Bentley nichts als geronnene Ausbeutung der Arbeitskraft anderer Menschen ist diesen hingegen überhaupt nicht.

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Ich finde die Schilderung deiner Göttingen-Probleme echt sympathisch. Und man könnte die Geschichte von dem Vorwurf, dass man die Einkünfte einer befristeten ABM-Stelle nicht teilt, schön verbinden mit der Geschichte vom schwarzen Anzug weiter unten.

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Und was folgt Deiner Meinung nach daraus?

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Ich finde die Schilderung deshalb sympathisch, weil ich als jemand, der drei Jahre in Göttingen wohnte und studierte, dieses Klima nachvollziehen kann. Ich war in diesen linken Zusammenhängen nie wirklich aktiv, aber ich hatte den Eindruck, dass es da teilweise sehr kleinkariert zugeht, irgendwie kleinbürgerlich. Da werden auch Feindbilder gepflegt. Und dazu passt es, dass man dich in das Feindbild einreiht, weil du einen Anzug anhast.

Ich wurde in Göttingen unpolitisch. Ich war mal bei einer Redakiontskonferenz, drucksache oder irgendwas, ist mir entfallen, war 1991 jedenfalls eine neue Publikation: Da wurde eine halbe Stunde ernsthaft diskutiert, ob man beim Abdruck eines mündlich geführten und auch in direkter Rede publizierten Interviews mit einem Göttinger Grünenpolitiker das Binnen-I in dessen Antworten einführen darf. Er hat nur in der männlichen Form geredet. Die meisten haben schon gecheckt, dass das nicht geht, aber einem harten Kern war das wurscht, die setzten sich über den Beschluss hinweg. Keiner traute sich etwas gegen diesen harten Kern zu sagen.

Das ist ein banales Beispiel, aber es hat mir einen kleinen Einblick in diese Strukturen gegeben.

Daran habe ich mich bei deinen Göttingen-Geschichten wiedererinnert.

Wobei ich das überhaupt nicht alles über einen Kamm scheren möchte. Ich kannte in der Roten Straße ein paar sehr angenehme Menschen. Selbst ein oder zwei Leute der Antifa M, die ich zufällig über einen Freund kannt, waren privat weit weniger die coolen und stahlharten Typen, als die sie sich gerne präsentierten.

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Ich kannte die (M) ja eher als den Ausverkauf autonomer Positionen betreibenden Abwiegler-Verein, von dem wir uns links positionierten. Die zur Schau getragene Militanz von denen war tatsächlich Schaulaufen. Ich habe ja nun 16 Jahre in der Göttinger linksradikalen Szene verbracht und zeitweise zu ihrem Kern gehört und würde da nicht generalisieren wollen: Diese Szene zerfiel in Subszenen, bevor das Rigid-Moralinsaure sich durchsetzte gab es da mal eine sehr lockere Zeit, geradezu Swinger-Club-like, das Moralische ging Ende der 90er auch wieder zurück, und wie es da heute ausschaut vermag ich nicht wirklich zu beurteilen.

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Abwiegler-Verein? Aha. Ich habe da seinerzeit nicht durchgeblickt. Grün hinter den Ohren und bürgerlich-grün geprägt. Aber die Antifa M ist mir hängengeblieben, im Gegensatz zu anderen, ähnlichen Gurppen damals in Göttingen. Die haben sozusagen eine gute PR betrieben, auch ästhetisch. Es gab da ja ziemlich krasse Plakate, alle schwarzbehelmt, in Konfrontation mit der ebenfalls behelmten Polizei etc. Es wurde da etwas aufgebaut, was schnell zum Mythos wurde. Das machte auf mich kleinen Erstsemester Eindruck. Und dann waren da irgendwann 93 oder 94 eine Reihe von Hausdurchsuchungen, was ich durch besagten Freund direkt mitbekam, da kam es ja zu einer Solidarisierungswelle mit einer großen Demo, sogar mit Trittin.

Ich lese gerade, dass die M sich 2004 aufgelöst hat, wg. Antideutsche und Antiimps, nunja.

Ich erinnere mich (ich hab das mal in meinem Blog erwähnt) an einen Artikel in der atom (glaub ich) aus den 80ern, in Zusammenhang mit Wackersdorf, da hat ein Autonomer namens Lupus aus Frankfurt einen mich beeindruckenden Text geschrieben, selbstreflexiv. Diese Selbstreflexivität habe ich in Göttingen nicht mehr bemerkt, das war mir alles zu hart und lediglich feindbildkonstituierend, mit Floskeln überhäuft.

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guckstu hier:

http://www.unrast-verlag.de/unrast,5,1,206.html


Der Teil der autonomen Szene in Göttingen, dem ich angehörte war sowas von selbstkritisch und selbstreflektiert, dass es Zeiten gab, in denen keine Diskussion mehr zu einem Ergebnis gebracht werden konnte. Im Gegensatz zur (M) standen wir aber auch nicht in der Öffentlichkeit. Das war ja auch der Witz: Wirkliche Militanz wäre in der Position, in der die (M) sich befand gar nicht möglich gewesen. So war das eine Gruppe, die uniform vermummte und behelmte Demos durchzog, aber vorher beim Ordnungsamt nicht nur die Marschroute, sondern auch Anzahl und genaue Größe der mitgeführten Transparente durchgab und OrdnerInnen stellte. Schon die Gründung der (M) stellte einen Abschied von autonomen Positionen dar: Eine vereinsähnliche Organisation, die sich aus den linken Selbstverständnisdebatten verabschiedete und bemüht war, Dominanz auszuüben und auf eine bundesweite Organisierung hinarbeitete, sich dann zunehmend an der KPD der 20er orientierte. Hart, feindbildkonstruierend, mit Floskeln überhäuft, so waren die, nicht nur die, eigentlich ein Großteil der Szene, meine eigenen unmittelbaren Zusammenhänge trotz anderer Schwächen glücklicherweise eher nicht. Und meine Erfahrung, die ich aber auch nicht verallgemeinern möchte war die, dass gesunder Menschenverstand und soziale Kompetenz umso besser entwickelt waren, je sozial durchmischter die Gruppen waren, für mich ein Grund, mich aus der studentischen Linken zu verabschieden.

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@Antideutsche vs. Antiimps: In meiner Zeit war der Begriff "Antiimps" eine Bezeichnung, die sich auf das UnterstützerInnenumfeld der RAF bezog, ich kriege Krämpfe, wenn ich diesen Terminus als allgemeine Bezeichnung für AntiimperialistInnen im weiteren Sinne lese.

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Die Geschichte der Antifa (M) und um sie herum
Und wen´s interessiert, hier noch einmal meine Beiträge zu diesem Dunstkreis:


http://che2001.blogger.de/stories/1264998/

http://che2001.blogger.de/stories/1266837/

http://che2001.blogger.de/stories/1615101/#1617537

http://che2001.blogger.de/stories/1530766/#1531474

http://che2001.blogger.de/stories/1319133/

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Danke für die Links, interessant, du bist da wohl Fachmann. Conny sagt mir auch noch was. "Wandelt Wut und Trauer in Widerstand". Mir wäre aber ehrlich gesagt nie eingefallen, zu so einer Trauerkundgebung zu gehen. Ich kannte die nicht und mich schrecken solche Sätze wie "von Bullen ermordet" ziemlich ab. Die wurde meines Erachtens ziemlich instrumentalisiert. Ich bin auch erst im April 91 nach Göttingen gekommen.

Ich kann nur meine Außensicht von damals wiedergeben. Die Antifa M war bekannt wie ein bunter Hund, dass es andere Gruppen gab, habe ich nicht wahrgenommen. Wobei ich Flugblätter und überhaupt Schriftten (die halt so rumlagen) eher von anderen Gruppen gelesen habe. Ich könnte nicht sagen, wofür die M stand. Das deckt sich mit dem, was du schreibst. Im Nachhinein waren es sicher die Durchsuchungen (mein besagter Freund bekam Probleme, weil er einen Wecker in Handgranatenform hatte) und die Erfahrung, dass in so einer für meine Begriffe bürgerlichen Stadt plötzlich so eine Solidarität mit "Linksradikalen" da ist.

Lupus-Gruppe, ja, von denen war das wohl. Wie gesagt, das hat mich beeindruckt. Später waren mir die Leute, aber auch die Texte, die sie schrieben, zu hart, zu äußerlich, zu zweidimensional, zu linear, ich habe mich damit praktisch nicht mehr beschäftigt. Das meine ich jetzt natürlich nicht persönlich.

P.S.: Über den Unterschied von Antiimps und AntiimiperialistInnen habe ich bislang keine Gedanken gemacht.

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Ja siehst Du, und ich habe zu den Leuten gehört, die solche Trauerkundgebungen mitorganisiert haben. Conny war eine Kommilitonin von mir gewesen. Ein Kommentator dieses Blogs hatte danebengestanden, als sie getötet wurde.


@"die Erfahrung, dass in so einer für meine Begriffe bürgerlichen Stadt plötzlich so eine Solidarität mit "Linksradikalen" da ist." ---- Das war ja nur der Abklatsch von dem, was früher in Göttingen so passiert war, in der Zeit der Hausbesetzungen. Beim Kampf um die Augenklinik wurde die Polizei mal zum Rückzug gezwungen, nachdem die HausbesetzerInnen einen Trupp festgesetzt hatten, und die Wasserwerfer mit Zurückspritzen mit an die Sperinkleranlage angeschlossenen Schläuchen beantwortet. Nur wegen dieser Kämpfe stehen die alten Kliniken und die Häuser am Kreuzbergring noch. Bürgerlich ist die Fassade, die Szene war phasenweise schon sehr radikal und deren Ausstrahlungskraft auf Jugendliche sehr groß. ich würde sagen, die autonome und linksradikale Szene insgesamt war für die SchülerInnenszene in den 80ern und 90ern Trendsetter, auch und gerade kulturell gesehen. Und Göttingen neben Hamburg, Bremen und Kreuzberg SO36 damals eine der absoluten linken Hochburgen nördlich des Mains.

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Ich bin an Porsche und bentley hängengeblieben. Nichts dagegen. Sollen die Leute machen, was sie wollen.

Aber lassen wir Leute dreizehn Jahre in die Schule gehen und danach nochmal ein paar an die Uni, damit sie sich hinterher über Autos Gedanken machen? Das würden wir doch eher von einem plötzlich zu Geld gekommenen Hauptschüler erwarten.

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Als Statussymbole sind die austauschbar. Aber ob jemand damit reich wird, dass er Menschen hilft und dabei die Vorteile des Systems für sich ausnutzt oder ob jemand dadurch reich wird, dass er einfach Menschen konsequent ausnutzt ist schon noch ein Unterschied. Mein Thema war aber eigentlich die Tatsache, dass sich unterschiedlich marginalisierte oder nicht marginalisierte, aber jedenfalls unwohlhabende Menschen durch Statusunterschiede gegeneinander ausspielen lassen und damit das System insgesamt stabilisieren, obwohl sie es eigentlich ablehnen. Pathetisch kann ich da auch mal Hannes Wader zitieren: "Da hat die Bank schon zugeschlagen und Emma Kleins Laden plattgemacht und nen Parkplatz draus gemacht. Der gehört dem Superkaufhaus und das wiederum der Bank, doch das Schärfste ist, dass Emma Klein, bettelarm und vor Kummer sterbenskrank sich doch noch immer zu den Unternehmern zählt und am Wahltag die Partei der eigenen Enteigner wählt. Sag warum schlagen so viele Leute, gestern wie heute, den eigenen Interessen voll ins Gesicht und merken es nicht?"

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Das kapiere ich schon. Die Leute, ob dumm oder schlau, denken über ihren Status nach, statt ihr Hirn zu benutzen. Nur ist das soziologisch gesehen nicht besonders überraschend. Dass Bildung nichts hilft ist auch nicht überraschend, nur enttäuschend.

Halbwegs passend zu Wader:

http://www.youtube.com/watch?v=zJUtoP2cm5w

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Ein Bekannter von mir, so um die 50, gibt ein ähnliches Beispiel wie Tante Emma. Arbeitslos geworden, pfändet die Bank sein Haus, das er auf Oberkante Unterlippe finanziert hat. Herzinfarkt. Nun versucht er als Versicherungsvertreter sein Glück. Leider ohne den gewünschten Erfolg. Da selbständig, ist er aber nun privat krankenversichert und kann in kürzester Frist die Beiträge nicht mehr zahlen. Zweiter Herzinfarkt.
Aber schlipstragender Selbständiger, der er ist, redet er trotzdem wie ein konservatives Tageblatt daher und schimpft auf die faulen Arbeitslosen. Gleichwohl ist er natürlich im Herzen links, schon immer gewesen...

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(Kurz abgedriftet)
Der Bekannte sollte möglichst Arbeitslosigkeit, auch kurze, vermeiden. Für Hartz IV ist die Frage der privaten Krankenversicherung seit der letzten Gesundheitsreform katastrophal geworden. Vorher wurde man bei den Öffentlichen pflichtversichert, jetzt kann man nicht mehr wechseln.

Das heisst dann konkret, man muss in den neuen „Basistarif“ wechseln. Da der extrem unbeliebt bei den Versicherern ist, ist der so auf 560+ Euro pro Monat angesetzt. Bei Hilfebedürftigkeit wird der halbiert. Wenn es darunter einen geringeren Tarif gibt, darf man laut ARGE den nehmen. Der Witz jedoch ist, dass der KK-Zuschuss auf den Maximalbetrag der gesetzlichen Versicherung begrenzt ist; dadurch entsteht eine Deckungslücke von ~ 150 Euro, für die es laut Dienstanweisung der BfA keine rechtliche Grundlage gibt, diese zu decken.

Es gibt zwar hier und da verstreut Urteile der Sozialgerichte, aber natürlich werden die wieder angefochten und die Rechtsabteilung der eigenen ARGE stellt sich sowieso taub.

(Vielleicht ist das bei Selbstständigen aber anders als bei Ex-Studenten)

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