Montag, 6. August 2012
Sachbearbeiterin aus der Ausländerbehörde entreisst bei Abschiebung Mutter ihr Baby und schimpft „Schluss mit diesen Zigeunerdiskussionen!“
Versuchte Abschiebung einer siebenköpfigen Romafamilie nach Mazedonien Sebastijan A. getrennt von seiner Familie aus dem Flüchtlingslager Billstieg abgeführt

Am 27.7.2012 überfielen ungefähr 10 PolizeibeamtInnen eine Wohnunterkunft in Hamburg-Billstedt. Mit Fotos der siebenköpfigen Familie A. bewaffnet, suchten sie freitagabends ab ca. 20.00 Uhr nach der Romafamilie aus Mazedonien. Als sie den Familienvater, seine Frau und das jüngste Kind antrafen, sagten sie, dass sie eine halbe Stunde Zeit zum Packen hätten – danach würden sie alle zusammen abgeschoben.


Als klar wurde, dass die vier Schwestern im Alter zwischen 4 und 8 nicht bei den Eltern sind, stellten sie die Eltern vor die „Wahl“, wer von ihnen beiden als erstes und allein abgeschoben werden sollte. Der Vater,
der am erst 12.7.2012 nach einem erneuten zweiwöchigen Klinikaufenthalt wegen schwerer Depression und dem Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung entlassen worden war, nahm die Abschiebung auf sich.


Um von den Eltern den Aufenthaltsort der vier Mädchen zu erpres-sen, riss eine Polizeibeamtin das Baby an sich und drohte, es wegzunehmen, wenn sie nicht sagen würden, wo die Kinder seien. Daraufhin gab die
erschrockene Mutter der Polizei den Anmeldezettel für die Ferienfreizeit der Kinder, um ihr Kind zurückzubekommen. Die Polizei stahl den Eltern die Adresse, sodass es später stundenlanger Telefonate bedurfte, um eine Te-lefonnummer zu finden, wo die Kinder und ihre Betreuer zu erreichen waren.

Die Polizei sperrte dann den Flur ab, wo sich die Räume der Familie befinden, und verhinder-te damit jeden Kontakt und auch die Möglichkeit, dass besser deutsch sprechenden Mitbe-wohner übersetzen. Sodann wurde der Familienvater in einen Reisebus der Firma „Hansa Rundfahrt“ aus Hamburg-Bramfeld (seit Jahren für den Einsatz bei Massenabschiebungen bekannt) gebracht, der von Polizeibeamten in Lederhandschuhen und mit Knüppeln und Waf-fen bewacht wurde. Obwohl Bewohner und ein den schwer depressiven Vater versorgender Psychotherapeut die Beamten auf die Erkrankung hinwiesen, wurde diese mit der Bemerkung abgewiesen, eine Ärztin sei im Bus. Als diese verlangt wurde, hieß es plötzlich, sie sei doch keine Ärztin.

Offensichtlich wurde die geklaute Adresse sofort genutzt, um bei der angegebenen Telefon-nummer anzurufen. Es wurde angedroht, die Kinder abzuholen und abzuschieben. Aus wel-chen Gründen auch immer nahm die Polizei dann von diesem perversen Vorhaben Abstand.

Die Familie stammt aus ärmlichsten Verhältnissen aus einem Romaslum in Mazedonien. Die Lebenssituation (14 Menschen in einem unbeheizten Raum von 16 Quadratmetern) ist doku-mentiert. Die Eltern sind Analphabeten und haben keine Chance, ihre Familie in Mazedonien menschenwürdig zu
versorgen. Es wurden mehrere Petitionen eingereicht, auch die kirchliche Beratungsstelle fluchtpunkt ist tätig. Es gibt zwei schulpflichtige Kinder, die gut deutsch ge-lernt haben. Der Vater weist eine wiederkehrende psychische Störung auf.



polizei

Diese brutale Maßnahme kann nur als eine weitere Verschärfung einer menschenverachten-den Säuberungspolitik gegen Angehörige einer nachweislich besonders in Südosteuropa bru-tal verfolgten Minderheit betrachtet werden. Die Hamburger Ausländerpolitik setzt damit die grausame Verfolgungspolitik fort.


Da die Duldung der Mutter und Kinder am 30.7.2012 ausläuft, ist Präsenz an diesem Tag in und vor der Ausländerbehörde wichtig.



UPDATE



Am Tag nach der Aufregung um das brutale Auseinanderreißen der Romafamilie A., durch die Abschiebung des Vaters gibt es nicht nur ein per Internet geführtes Interview mit Sebastijan über die Art und die Folgen der Abschiebung, sondern auch Ergänzungen und Korrekturen zum Ablauf der Verschleppungsaktion am Vorabend:



Inzwischen ist der Name der Person bekannt, die das Baby der Mutter entriss, um damit den Aufenthaltsort der Schwestern abzupressen: Es handelt sich nicht um eine Polizistin, sondern um die zuständige Sachbearbeiterin aus der Ausländerbehörde, Frau Th. Die junge Frau, die zu Öffnungszeiten in der Amsinckstraße in Zimmer 216 ihr Unwesen treibt, ist vielen BewohnerInnen des Billstieg bekannt. Auch bei ihrer Teilnahme an dem Auseinanderreißen der Familie A. ließ sie es sich nicht nehmen, anderen Roma anzukündigen, dass man sich bei der „Verlängerung“ ihrer Duldung wiedersehen werde.

Angesichts des Vorgehens bei Familie A. und der Tatsache, dass in der Nacht vom 27. auf den 28.Juli 2012 die Polizei noch einmal wiederkam, um drei weitere Familien aus dem Billstieg zur Abschiebung abzuholen, kann diese Ankündigung von Frau Th. nur als massive Drohung verstanden werden. Gepaart mit der Ankündigung ihrer Vorgesetzten aus dem SPD-Senat, in den Sommermonaten knapp 1.000 Roma aus Serbien und Mazedonien abzuschieben, sprechen wir erneut von einer Säuberungsaktion der Hamburger Regierung an einer verfolgten Minderheit.

In den Räumen der Familie A. stritten sich die verschiedenen Behörden dann noch darüber, wer für die aus ihrer Sicht misslungene Aktion verantwortlich sei. Die Ausländerbehörde hätte nämlich eigentlich wissen können, dass die vier Mädchen nicht in Hamburg waren: die Falken hatten Verlassenserlaubnisse beantragt und bewilligt bekommen (wegen der rassistischen Residenzpflicht dürfen Geduldete ihren Landkreis bzw. in Hamburg die Stadt nicht verlassen.) Der Streit wurde mit dem Spruch beendet, dass es ja ohnehin die Familie sei, denen die Abschiebekosten zur Last gelegt würden (Wollen Abgeschobene später wieder einreisen, müssen sie tatsächlich vorher ihre Abschiebekosten bezahlen, auch wenn sie bei der Abschiebung noch Kinder waren). Als dann aber die von der Abschiebung betroffene Mutter fragte, warum Frau Th. ihr nicht beim letzten Besuch gesagt habe, dass sie „freiwillig“ ausreisen müssten, befahl die Sachbearbeiterin ihr, zu schweigen: „Schluss mit diesen Zigeunerdiskussionen!“

Inzwischen sind auch die Gründe klarer, warum die Polizei im Auftrag der Ausländerbehörde nicht die vier Schwestern – die übrigens zwischen 6 und 12 Jahren alt sind – mit dem verängstigen und psychisch kranken Vater aus dem Ferienlager entrissen: es fuhr schlicht keine Fähre mehr nach Föhr!


Noch ein paar Worte zum Gespräch mit Sebastijan:
Es war bewegend und traurig für uns, mit unserem Freund zu sprechen, den wir noch am Tag zuvor im Billstieg gesehen hatten. Seine Frau, mit dem Baby auf dem Arm, hörte sich unser Gespräch nur an. Sie fühlte sich nicht in der Lage, mit ihrem Mann zu sprechen.

INTERVIEW

Sebo kann ich dich ein paar Sachen fragen?
Ja.
Wie haben sie dich im Bus behandelt?
Die haben mir gesagt, ich muss ruhig sein und ich darf nichts sagen. Ich
bin ruhig gewesen ich habe Medikamente getrunken.
Haben sie dir die Medikamente gegeben?
Der Arzt hat mir ein Medikament gegeben
Es war ein Arzt die ganze Zeit dabei?
Es war eine Ärztin. Sie war mit, bis wir in Mazedonien gelandet sind.
Gab es einen Dolmetscher? Damit du mit der Ärztin reden kannst?
Bis Bieberhaus waren Dolmetscher. Danach sind wir in einem Kleinbus aus
Sportallee, diese grauen gefahren. Da war kein Dolmetscher mit mir bis
Mazedonien.
Was hat das Medikament mit dir gemacht: bist du müder geworden oder wach
oder ruhig?
Ich war so ruhig, so müde, konnte mich gar nicht bewegen und so.
Waren auch andere Leute, die abgeschoben wurden?
Es war normales Flugzeug mit Touristen. Nicht getrennt. Ich allein und
die Polizei nur wegen mir.
Wie viel Polizei?
Bis Düsseldorf im Kleinbus waren 5 Leute mit mir. Dann sind 2 zurück
nach Hamburg. Drei sind mit mir nach Mazedonien gefahren.
Das Flugzeug hatte ziemliche Verspätung , lag es an dir?
Die haben mich zweimal raus und rein genommen. Etwas wegen Motor haben
sie gesagt.
Als du in Skopje angekommen bist, was ist passiert?
Die Polizei hat schon gewartet wegen mir. Hat die Papiere genommen von
unsere Polizei (er meint die deutschen) die mazedonische Polizei hat
gefragt: Was hast du da gemacht, dass sie dich zu dritt begleiten? Wer
bist du: ein großer Krimineller? Bandit, Mafia, was bist du? Sie sagten
bis jetzt hatten sie das nie gesehen, dass sie jemand mit so großer
Bewachung bringen, so viel Polizei. Was hast du getan in Deutschland?
Als ich runtergegangen war, war ein großer Polizist, ein Kommandeur. Er
fragte mich, mit welchem Bus ich nach Deutschland gekommen war damals.
Wer hat mich gebracht und so...
Die Ärztin hat gesagt: Bitte nicht so viel fragen wenig Stress. Der Mann
ist krank. Wenn ihr Fragen habt, schickt einen Brief, dass er später
kommt, in 1-2 Wochen, wenn er sich beruhigt hat. Jetzt bitte Ruhe, er
braucht Ruhe.
Wir nehmen deine Dokumente jetzt, haben sie gesagt. Ist neues Gesetz:
wenn Leute Asyl in einem anderen Land wollten, dann wird dein pass beim
Ankommen weggenommen und du bekommst strafe. Du bekommst ein Termin zum
Interview und dann gucken wir weiter.
(Anwesende Mazedonier erklären uns, dass die Strafe 2 Jahre keine
Krankenversicherung und kein Sozialgeld bedeutet plus eine Geldstrafe
von 2 bis 3.000 Euro.)
Vor mir war ein Junge aus Deutschland, auch abgeschoben wie ich, der
musste nach 2 Wochen zur Polizei. Sie haben seinen Pass weggenommen für
Minimum ein Jahr. Die andere Strafe ist Geld.
Dann bist du mit dem Bus nach Kumanovo gefahren?
Ich habe einundhalb Stunde gewartet und Autostop gemacht, dass jemand
mich mit nimmt nach Kumanovo. Ich habe die Leute gebeten, habe gesagt:
Ich bin aus Deutschland abgeschoben hierher , meine Frau und Kinder sind
da, ich habe gar nichts und so. Dann hat mich einer mitgenommen.
Was ist mit dem Geld passiert, was du mit hattest?
Vom Billstieg bis zur Ausländerbehörde hat die Polizei alles untersucht:
meine Handtasche. Sie haben gesagt: Du brauchst nichts. Wir geben dir
die Fahrkarte, so brauchst du kein Geld da.
Hattest du Geld selber?
Fast 120.- habe ich gehabt bei mir.
Die haben sie weggenommen?
Ich hatte fast 200.- Euro. Ich habe etwas gegeben an die Leute, die in
mein Zimmer kamen, damit sie auf meine Frau und Kinder aufpassen die tage.
Die habe dir kein Geld gelassen?
Nein, ich hatte nichts zu essen. Heute habe ich wieder was gegessen.
Und haben sie dir ein Papier gegeben, dass sie dir das Geld weggenommen
haben?
In Düsseldorf die deutsche Polizei hat mir meine Tasche genommen, mein
Telefon und Geld. Ich dachte, wenn ich ins Flugzeug gehe, dann geben sie
mir das. Aber sie haben mir meine Sachen gegeben, aber nicht mein Geld.

Zum Abschluss nur eine kurze Anmerkung für die, denen es nicht aufgefallen ist: Die selbe Ärztin, die sich weigerte, sich bei der Verschleppung Sebos über die psychische Erkrankung informieren zu lassen, sondern ihn für reisefähig erklärte, ihn dann während der Reise mit Medikamenten ruhigstellte, gibt gegenüber der mazedonischen Polizei die Anordnung, dass der kranke Mann nicht interviewfähig sei. Vielleicht wollte sie einfach nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass derüberlastete Mann in ihrer Anwesenheit dekompensiert oder zusammenbricht.



http://romas-in-hamburg.blogspot.de

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