Montag, 18. September 2006
Allende mit Hitler verglichen
Das jedenfalls ist, zugeben nicht so pointiert bei einem Blogkommentator zu lesen, der ausführt:

"Bemerkenswert ist weiterhin, daß die chilenische Militärdiktatur (wie zahlreiche andere Militärdiktaturen, die leider notwendig waren, z.B. in Argentinien, Brasilien, Spanien, Portugal,…) freiwillig abgetreten ist und die Demokratie wieder eingeführt hat, als die kommunistische Bedrohung vorbei war.", nun, wer so etwas vertritt, könnte auch damit argumentieren, dass der Nationalsozialismus nötig war, um eine kommunistische Machtübernahme zu verhindern (was mir ein Teil meiner Lehrer noch so erzählt hat),
die Arisierungen mit der Gesundung der deutschen Wirtschaft begründen,
von der Kleinigkeit abgesehen, dass der "freiwillige" Rücktritt der spanischen Faschisten 39 Jahre auf sich warten ließ. Mann, waren die generös - schon nach 39 Jahren und nur wenigen Hunderttausend Toten zur Demokratie zurückgekehrt.

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Wer so argumentiert, wird am Ende da landen, die "Ökonomie der Endlösung" als Maßnahme zur Rettung des Kapitalismus zu rechtfertigen. Natürlich sagt das keiner, es wagt auch niemand zu denken, aber wer sich auf das Glatteis der Rechtfertigung faschistischer Diktaturen einlässt, der bewegt sich in diese Richtung.

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ein erster schritt zur "endlösung" ist getan: siehe hier

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Wer gibt solchen geistigen Dünnschiß von sich? Ist ja abartig.

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die büso ist mir auf der straße so gekommen: ihr linken seid mit euren ideen dafür verantwortlich, dass wir in 10-20 jahren in der dritten welt die menschen erschießen müssen, damit die welt nicht überbevölkert wird und wir in freiheit leben können...

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Übrigens, Artur, dieser Vorschlag der Eigentümlich-frei-Sekte, der ja auf Zensuswahlrecht hinausläuft, wird auch von den Behirnten unter den liberalen und liberal-libertären Bloggern deutlich zurückgewiesen. Nicht jede Sau wird auch durchs Dorf getrieben, zum Glück.

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Wahlrecht
Apropos Wahlrecht: das Buch von Luciano Canfora (Kleine Geschichte der Demokratie...) ist da ganz erhellend (zumindest für mich Nicht-Historiker ;) ).

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Pinochet ist nicht wirklich freiwillig zurückgetreten.
In der Verfassung blieben ihm und anderen Militärs noch weite Machtbefugnisse, die aber von der seit 89 ständig wiedergewählten Mitte-Links (und übrigens in wirtschaftlichen Fragen sehr liberalen) Koalition immer weiter erfolgreich zurückgedrängt wurden. Kurz vor 89 begann sich auch die Haltung der Unternehmerverbände zu ändern. Aus deren Sicht waren die Kosten der internationalen Ächtung Chiles (inklusive der USA) höher als der Nutzen einer garantiert unternehmerfreundlichen Politik.
Pinochet ist für einige schreckliche Morde und Folterungen verantwortlich. Die sehr umfangreichen Berichte sind offen im Netz erhältlich. Trotzdem wurden unter seiner Herrschaft (v.a. nach 82) wirtschaftspolitische Spielregeln gelegt, deren Erfolge (dramatischer Rückgang der Armut, bessere Bildungschancen, sehr viel Wirtschaftswachstum, eine heute sehr stabile Demokratie) eben nicht wegzudiskutieren sind.
Die Mitte-Links Koalition hat stets betont, dass sie die Menschenrechtsverletzungen verabscheut UND gleichzeitig die Wipol unter Minister Büchi weiterführt.
Und 1973 stand Allende wirklich vor dem Ende.
Entweder wir betrachten unsere Ex-Kolonien gemäss unseren Theorien oder wir akzeptieren sie als selbstständige, historische Entitäten, deren Entwicklung voller Überraschungen ist.
Unsere Geschichte ja auch.

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Hitler ist nicht, wie damals im Radio gesagt, kämpfend bis zuletzt im Bonker gefallen. Hitler ist für die schrecklichsten Verbrechen der Menscheitsgeschichte verantwortlich. Trotzdem wurden unter seiner Herrschaft wirtschaftspolitische Spielregeln gelegt, deren Erfolge (dramatischer Rückgang der Arbeitslosigkeit, bessere Berufschancen für Parteimitglieder, sehr viel Wirtschaftswachstum, eine heute sehr stabile Demokratie) eben nicht wegzudiskutieren sind. Und 1932 stand Brüning wirklich vor dem Ende.

- Merkst Du was? Zu Chile ist außerdem zu sagen, dass Bestandteil des chilenischen Wirtschaftswunders millionenschwere Bestechungsgelder an die Junta ebenso waren, wie Investitionen, die ausländisches Kapital (ITT, Kenncott Copper Corporation, VW) dort tätigte, nachdem Pinochet die Arbeiterbewegung vernichtet hatte. Nur ein toter Gewerkschafter ist in dieser Kapitallogik ein guter Gewerkschafter, da investiert es sich leicht. Auch Deutschland wird mit China erst dann konkurrenzfähig sein, wenn Arbeitslager ein fester Bestandteil der deutschen Industrieproduktion geworden sind.

Kurz und krass, wer damit argumentiert, dass die Dikatur in Chile zu wirtschaftlichem Aufschwung geführt hat, kann genausogut sagen, dass Witwenverbrennungen die Rentenkassen entlasten oder Krieg immer den Eisenaktien nützt.

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So einfach ist das nicht.
Ich möchte damit auch in keinster Form sagen, dass ich Diktaturen toll finde. Es sind furchtbare Verbrechen begangen worden.
Aber:
Weder Adenauer noch einer der deutschen Wirtschaftsminister hat jemals gesagt, dass sie sich in einer Kontinuität der Wirtschaftspolitik von Hitler sehen. Das ist in Chile schlicht und einfach anders.
Ansonsten kann man Pinochet sowieso nicht einfach mit Hitler gleichsetzen. Keiner von beiden ist mir sympathisch, trotzdem gibt es da Unterschiede (4 Mio in KZs, Weltkrieg).
Die linksliberalen Regierungen haben die neoliberale Agenda in der Wirtschaftspolitik fortgeführt (Deregulierung, Abbau von Handelshemnissen, Privatisierung, weiterer Rückzug des Staats aus der Wirtschaft) UND gleichzeitig den Einfluß der Militärs auf politische Institutionen zurückgedrängt.
Ich liefere gerne Zahlen oder Zitate nach, aber die ausländischen Direktinvestitionen waren nicht besonders hoch oder der entscheidende Punkt (v.a. nicht in den 80er Jahren). Die von Allende sehr weitgehend verstaatlichte Kupferindustrie verblieb auch in der Diktatur und bis heute in staatlicher Hand (Codelco).
So etwas wie historische Wahrheit besteht eben aus einer Menge von kleinen Linien, die sich oft nicht unter die bekannten breiten Linien wie Kampf Arbeit gegen Kapital, Imperialismus oder Dependencia Theorie ziehen lassen.

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Bin gerade in Eile, insofern gehe ich darauf später ausführlicher ein, jetzt nur so viel: Michelle Bachelet sagt nicht, dass sie Pinochets Wirtschaftspolitik fortsetzt, vielmehr hat sie mit dieser gebrochen. Was die KZ-Morde angeht, ist da die Zahl 6 Mio, nicht 4 anzusetzen. Wie gesagt, Rest kommt.

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http://www.dw-world.de/popups/popup_printcontent/0,,1939384,00.html
Aus meiner Sicht ist das eine ziemlich ausgewogene Darstellung.
... nach 17 Jahren und nachdem mit Ricardo Lagos bereits vor Bachelet ein sozialistischer Diktatur-Exiliant 8 Jahre Präsident war, erkennt die neue Chefin der Sozialisten plötzlich, dass es da ja noch ein Wirtschaftsmodell gibt, mit dem zu brechen ist?

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muss es nicht heißen:
"man wollte den Nationalsozialismus, um die Arbeiterbewegung zu zerschlagen." (?)

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Es muss so heißen, ja. Es gab allerdings mal eine Debatte, in der es um die Frage ging, inwieweit die Shoah selber ein ad extremum auf die letzte Konsequenz gebrachter Kapitalismus sei, quasi die Verwertung der menschlichen Arbeitskraft buchstäblich bis auf die Knochen. Götz Aly und Susanne Heim, auf die der Begriff "Ökonomie der Endlösung" zurückgeht, meinten allerdings weniger diese recht abstrakte These, sondern gingen in vielen Einzelfällen mikro- und alltagshistorisch den Biografien der Täter nach und zeichneten ein Bild des kalten, hochökonomisch handelnden Technokraten, das sie den ideologisierten Rassenfanatikern entgegenstellten. "Ökonomie der Endlösung" ist bei Heim und Aly eine offene Frage, kein Befund, ihnen geht es um die vielen "Dr.Seltsams" unter den NS-Tätern als Menschentyp.

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Ja und nein. Ich dachte das zwar mit, meinte primär aber die Theorie vom Nationalsozialismus als kapitalrevolutionärem Projekt - also nicht nur Nationalsozialismus, um die Arbeiterbewegung zu zerschlagen, sondern auch, um die Konjunktur anzukurbeln, einen neuen Wirtschaftszyklus einzuleiten, letztlich den Kapitalismus in Deutschland zu modernisieren. Die Argumentation, die man bei gelegentlichen Kommentatoren in der Blogosphäre vereinzelt liest, Regime wie die Junta in Chile hätten dort den Kapitalismus gerettet, bewegen sich im Prinzip auf der gleichen Ebene. Wer das wirklich konsequent bis zum Ende fortführt, müsste eigentlich damit enden, KZs zu rechtfertigen. Platter gesagt, sind wir wieder bei Hitlers Autobahnen.

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