Donnerstag, 28. September 2006
Ein kleines bißchen Apartheid muss schon sein
Koalition plant verfassungswidrige Diskriminierungen beim Kindergeld,
Erziehungsgeld und Elterngeld fuer Ausländer

Bundestag will Gesetze zum Elterngeld und zum Kinder- und Erziehungsgeld
für Ausländer noch Ende September 2006 beschließen

Eine in allerletzter Minute offenbar durch das Bundesinnenministerium in
den "Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD" zum Elterngeld
eingefügte Verschärfung sieht vor, dass aus humanitären Gründen
dauerhaft in Deutschland bleibeberechtigte Ausländer nur ausnahmsweise
das geplante Elterngeld erhalten sollen.

Wortgleiche Regelungen sind für das am 27.09.06 um 09.30 Uhr neben dem
Elterngeld auch auf der Tagesordnung des Familienausschusses stehende
Gesetz zur Änderung des Anspruchs von Ausländern auf Kinder- und
Erziehungsgeld geplant. Bereits am Freitag 29.09.06 soll das Gesetz in
2. und 3. Lesung vom Bundestag endgültig verabschiedet werden.

Aufgrund von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes darf jedoch
aus Gründen der Gleichbehandlung Ausländern mit humanitärem Bleiberecht
das Kinder- und Erziehungsgeld nicht weiter vorenthalten werden.

Die auf Veranlassung des BMI geänderte Vorlage der Koalitionsfraktionen
hierzu war offenbar derart "geheim", dass sie erst am 26.09.06 um 16.30
Uhr an die Fraktionen gemailt wurde. Sie enthält neue Einschränkungen
des Anspruches von Ausländern beim Kindergeld, Erziehungsgeld und
Unterhaltsvorschuss, die wiederum verfassungswidrig sind.

Betroffen vom Ausschluss von Familienleistungen sind u.a. Ausländer mit
Aufenthaltserlaubnis nach
* § 23a Aufenthaltsgesetz (Härtefallkommissionsentscheidung),
* § 24 AufenthG (Kriegsflüchtlinge),
* § 25 Abs. 3 AufenthG (menschenrechtlicher Abschiebeschutz nach EMRK;
Gefahr für Leib und Leben),
* § 25 Abs. 4 AufenthG (humanitärer vorübergehender oder
Daueraufenthalt) sowie
* § 25 Abs. 5 AufenthG (dauerhafte rechtliche oder tatsächliche
Unmöglichkeit der Rückkehr).

Voraussetzung für einen Elterngeldanspruch der genannten Ausländer ist
demnach, dass der das Kind betreuende Elternteil zugleich in Teilzeit
(und zwar mindestens XX Stunden, aber maximal 30 Stunden) erwerbstätig
ist, oder ihm im Rahmen eines längerfristigen oder dauerhaften
Arbeitsvertrages*) von seinem Arbeitgeber Elternzeit (Erziehungsurlaub)
gewährt wurde.

Wenn jedoch der eine Elternteil Vollzeit und der andere garnicht
arbeitet, gibt es gar kein Elterngeld, auch nicht den sonst an
nichterwerbstätige Erziehende gezahlten Grundbetrag von 300 Euro/Monat.
Wer als Ausländer mit humanitärem Aufenthaltstitel weniger als 3 Jahre
in Deutschland lebt, soll generell kein Elterngeld bekommen können, so §
1 Abs. 7 Bundeselterngeldgesetz i.d.F. der Ausschuss-Drs. 16(13)139.

Sinngemäß ebenso umformuliert wurden jetzt auch die geplanten
Neuregelungen zum Kindergeld, zum Erziehungsgeld und zum
Unterhaltsvorschuss, vgl. Ausschuss-Drs. 16(13)140:


"(7) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht
freizügigkeitsberechtigte Ausländerin ist nur anspruchsberechtigt, wenn
diese Person

1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt,

2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer
Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die
Aufenthaltserlaubnis wurde

a) nach den §§ 16 oder 17 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,

b) nach § 18 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt und die Zustimmung
der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur
für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,

c) nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in ihrem
Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 des
Aufenthaltsgesetzes erteilt,

oder

3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und

a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet
im Bundesgebiet aufhält und

b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen
nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in
Anspruch nimmt"

Auf eine Begründung der geplanten verfassungswidrigen Neuregelungen
verzichten die genannten Gesetzentwürfe der Einfachheit halber gleich ganz!

Hier zum download die auf Veranlassung des BMI in dieser Woche
vorgelegten Ausschusss-Drucksachen zur Änderung der geplanten
Neuregelungen zu den Familienleistungen für Ausländer (mit erläuternden
Informationen des Flüchtlingsrates Berlin).


Das Bundesverfassungsgericht hatte den Gesetzgeber bereits Ende 2004
aufgefordert, bis zum 1.1.2006 eine gesetzliche Neuregelung zu schaffen,
um Ausländern mit befristetem Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen
aus Gründen der Gleichbehandlung mit anderen Ausländern mit befristetem
Aufenthaltstitel etwa zum Familiennachzug das Kinder- und Erziehungsgeld
zuzusprechen, vgl.

www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg04-111.html

und

www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg04-116.html


Die Bundesregierung hatte bereits Anfang 2006 Gesetzentwürfe vorgelegt,
die die Regelungen zu den Familienleistungen für Ausländer entsprechend
der Vorgaben des BVerfG korrekt gestalten sollten (wenngleich die Frist
zur Umsetzung der BVerfG-Beschlüsse schon am 01.01.2006 abgelaufen ist),

vgl. BT-Drs 16/1368 (Entwurf Änderung Kinder- und Erziehungsgeld und
Unterhaltsvorschuss für Ausländer, mit ausführlicher Begründung des
Änderungsbedarfs aufgrund der BVerfG-Entscheidungen)

sowie BT-Drs 16/1889 § 1 Abs. 7 BEEG, (Entwurf Elterngeldgesetz).

In allerletzter Minute schiesst nun das Bundesinnenministerium
(scheinbar mit Billigung der Fraktionen, die hier nur noch als
Handlanger der Exekutive fungieren) mit seiner Änderung dazwischen. Ganz
offensichtlich eine bösartige Taktik, weil so die Zeit nicht mehr
reicht, den neuen Text angemessen zu prüfen und in den Parlamentsgremien
zu beraten

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Update: Stellungnahme von Pro Asyl zu diesem Thema
Gesetzgebungscoup per Last-Minute-Änderungsantrag

Koalition schließt aus humanitären Gründen bleibeberechtigte Ausländer weitgehend von Eltern-, Kinder- und Erziehungsgeld aus

PRO ASYL und iaf: Affront gegen das Bundesverfassungsgericht

Während die Gesetzgebungsmühlen der großen Koalition bei vielen Reformen eher langsam mahlen, geht es mit der Entrechtung von ausländischen Familien gelegentlich ganz schnell. Mit einem Gesetzgebungscoup in allerletzter Minute will die Koalition morgen dafür sorgen, dass Ausländer, die aus humanitären Gründen ein auf Dauer angelegtes Aufenthaltsrecht haben, nur in wenigen Ausnahmefällen einen Anspruch auf Elterngeld, Kindergeld oder Erziehungsgeld haben sollen. Mit Last-Minute-Änderungsanträgen (1) wird versucht, den Großteil der betroffenen Ausländer von Ansprüchen auf die genannten Familienleistungen auszuschließen. Offenbar wurde die Hektik vonseiten des Bundesinnenministeriums vorsätzlich in das Gesetzgebungsverfahren hineingetragen, nachdem die Gesetzentwürfe schon monatelang vorlagen. So bleibt den Abgeordneten keine Zeit für die Prüfung, ob das Gesetz mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Übereinklang steht.

Das Bundesverfassungsgericht hatte den Gesetzgeber bereits Ende 2004 aufgefordert, bis zum 1. Januar 2006 eine gesetzliche Neuregelung zu schaffen. Mit dieser sollte aus Gründen der Gleichbehandlung mit anderen Ausländern das Kinder- und Erziehungsgeld für Ausländer mit einem aus humanitären Gründen erteilten Aufenthaltstitel gesichert werden. Bereits vor Monaten vorgelegte Gesetzentwürfe der Bundesregierung hatten dies zunächst korrekt umsetzen wollen und sich dabei auf die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung bezogen. Die jetzt gewählte Überfalltaktik und ihr gesetzgeberisches Ergebnis ist ein massiver Affront gegen das Bundesverfassungsgericht.
Betroffen sind u.a.:
- Ausländer mit Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Entscheidung einer Härtefallkommission (§ 23 a AufenthG),
- Kriegsflüchtlinge (§ 24 AufenthG),
- Flüchtlinge, die aus menschenrechtlichen Gründen nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder die wegen konkreter Gefahr für Leib und Leben eine Aufenthaltserlaubnis besitzen (§ 25 Abs. 3 AufenthG),
- Menschen, die eine Aufenthaltserlaubnis aus sonstigen humanitären Gründen besitzen (§ 25 Abs. 4 AufenthG),
- Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, weil aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründe eine Rückkehr dauerhaft unmöglich ist (§ 25 Abs. 5 AufenthG).


Der weitgehende Ausschluss dieser Ausländergruppen von den Familienleistungen ist kinder-, familien- und flüchtlingsfeindlich. Besondere Absurditäten ergeben sich beim Elterngeld. Zählen die Ausländer zu den o.g. Personengruppen, dann ist Voraussetzung für den Bezug des Elterngeldes, dass der betreuende Elternteil in Teilzeit bis zu 30 Stunden erwerbstätig ist oder ihm der Arbeitgeber Erziehungsurlaub gewährt hat. Ist jedoch ein Elternteil voll erwerbstätig und der andere gar nicht, soll auch der Grundbetrag für nicht erwerbstätig Erziehende von 300 Euro monatlich verweigert werden. Und wer als Ausländer mit einem humanitärem Aufenthaltstitel weniger als drei Jahre in Deutschland lebt, soll überhaupt keine Familienleistungen erhalten können.




Diese Änderungsentwürfe sind unverständlich angesichts der politischen Maßgabe der Regierungskoalition, Familien zu stärken, ihre Integrationsleistungen anzuerkennen und sie in diesen zu unterstützen. „Es gibt keine sachlichen Gründe für den Ausschluss von Ansprüchen auf Familienleistungen. Vielmehr führt dieser zu einer Schwächung von Familien und stellt zudem eine eklatante Diskriminierung dar“, so Cornelia Spohn vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften. „Es sind die Kinder, die in erster Linie von diesen Vorgaben getroffen werden, denn Familien erhalten die staatlichen Leistungen zu ihrem Besten.“







Üblicherweise werden Gesetzentwürfe sowie Änderungen begründet. Den jetzigen Änderungsvorschlägen fehlen die Begründungen für die Entrechtung der betroffenen Familien und für das selbstherrliche Unterlaufen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts völlig. Offenbar halten die Regierungsparteien Leistungsausschlüsse, die Ausländer und Flüchtlinge betreffen, nicht für begründungsbedürftig.







“Frei gewählte Abgeordnete lassen sich hier als Stimmvieh missbrauchen für einen integrations- und familienfeindlichen Gesetzgebungskurs. Die Sonntagssprüche über die Förderung von Kindern und Familien gelten offenbar nichts, wenn es das Bundesinnenministerium so will“, so Bernd Mesovic von PRO ASYL.

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