Samstag, 3. Februar 2007
Voll proletarisch, woll.
"Was macht eigentlich der Dingenskirchen?" "Der hat jetz auselernt und kommt in Halle vierenfuffzich. Opa das mit die vielen Roboters hinkricht binnich ja skeptizissimo."

Herrlich, mal wieder solche Gespräche mitzubekommen, erinnern sie mich doch an die eigenen Wurzeln.

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naja, sind das wirklich noch proletarier oder sind das etwa facharbeiter, oder arbeiterelite?

lehrstelle im metallbereich, dafür sollen sich abiturienten bewerben, hört man, nicht die dümmsten, nehme ich an, und etliche von denen [sollen] auch abgewiesen werden.

das wirkliche proletariat gibbtes woanners, wa.

und die unterschicht - diskussion kommt daher, dass das, was sich bisher als mittelschicht verstand, den sozialen abstieg vor augen hat. wenn man sich mal überlegt, was bei den grossen firmen in den bereichen abgeht, die früher mal als kaufmännische angestellte und mittleres mangement bezeichnet wurden. übrigens eine schicht, die auch nicht immer ruhig und staatstragend bleiben muss.

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Ich bin der Letzte, der einem verstaubten Proletariatsbegriff anhinge. Was hier zum Tragen kommt, ist aber mehr so die Milljöhsozialisation, wie sie sich an Sprache und Umgangsweise ausdrückt.

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Roths Überlegungen zur permanenten Neuzusammenseztung der Klasse wären da weiterführend. Die am Rande der Deklassierung befindlichen Mittelschichten täten gut daran, sich als neues Proletariat zu sehen und eine entsprechend proletarisch-klassenkämpferische Haltung einzunehmen. Der sog. Unterschichts-Diskurs ist nichts als Sozialfaschismus.

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Die "am Rande der Deklassierung befindlichen Mittelschichten" neigen wohl eher zum Faschismus als zum proletarischen Klassenkampf. Fromm, Reich, Horkheimer u.a. lassen grüßen.

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Dies zu konstatieren bedeutet ja nicht, es einfach so handlungslos hinzunehmen.

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nicht schlecht, che:

Was hier zum Tragen kommt, ist aber mehr so die Milljöhsozialisation, wie sie sich an Sprache und Umgangsweise ausdrückt.

arbeiter ist einer, der so spricht wie ein arbeiter. guter ansatz, das denken an der sprache festzumachen, und hier das proletarisch-unmittelbare gegen das mittelschichtig-abstrahierte zu setzen.

gibt es bloß das problem, dass ich mir die fähigkeit zur analyse durch eben den verzicht aus das pralle menschenleben erkaufe. aber das kriegen wir auch noch hin, bevor man einen übelstand abstellt, muss man ihn als solchen erkannt haben.

"Die am Rande der Deklassierung befindlichen Mittelschichten täten gut daran, sich als neues Proletariat zu sehen und eine entsprechend proletarisch-klassenkämpferische Haltung einzunehmen."

das was hier als proletarisch-klassenkämpferisches bewusstsein bezeichnet wird, war zu seiner zeit der wunsch nach anerkennung als staatsbürger und der wunsch nach verbesserung der persönlichen lage, die, noch zu zeiten vor dem ersten weltkrieg, als die sozialdemokratie ihre grosse zeit hatte, beschissen genug war.

das problem heute ist nicht, dass große teile der bevölkerung nicht als staatsbürger anerkannt sind, und auch nicht, dass das überleben auf niedrigem niveau in frage gestellt wäre.

es geht vielmehr darum, dass die gesellschaft, in der wir leben, sozial sehr durchlässig ist, allerdings nicht nach oben. es geht darum, dass auch eine gute ausbildung nicht mehr die möglichkeit bietet, diese in erwerbsmöglichkeite umzusetzen, oder, vulgärmarxistisch, dass auch qualifikation den marktwert der ware arbeitskraft nicht erhöht. dazu noch die erkenntnis, dass die renten und die medizinische versorgung im alter eben nicht mehr im gewohnten umfang sicher sind, und in zukunft alter eben wieder das sein wird, was es früher war: mühe, entbehrung.

das aber trifft das bürgertum im kern, weil die bürgerliche (ja, und auch die der facharbeiter) strategie des aufstiegs anstrengung und verzicht auf kurzfristige kompensation zugunsten lägerfristiger orientierung ist.

wobei die frage beim klassenkampf doch immer die ist, wer denn der gegner ist, und wo er sitzt, und was denn die plätze und posten sind, der platz am trog, an den man selber möchte.

es gab da früher bessere angebote: der verschwendungssüchtige und dabei strunzdumme weil degenerierte adel, die reichen juden, die fett gefressenen kapitalisten, denen alles gehörte, und man es ihnen deshalb nur wegzunehmen brauchte.

das, was sich heute als vorgebliche interessenvertretung des kleinen mannes gibt, ist nichts anderes als der platte neid von leuten, die sich zurückgesetzt fühlen. hier sehe ich nichts positives, keinen zukunftsentwurf, allenfalls gier als die zugrundelegung dessen, was vorhehm als populismus verkauft wird. bedauenswerterweise versuchen so mache, sie heir ihr süppschen zu kochen.

fritztheblitz hat gesagt, zu was ein deklassiertes bürgertum fähig ist. ganz genau, deutsche arbeit für deutsche bürger, ausländer raus, gemeinnutz vor eigennutz, freie bahn dem tüchtigen und miesmacher an die wand. also die gleichheit des kasernenhofs, die zu erfahren offenbar das höchste glück für jeden guten deutschen ist.

deutsche, kauft kämme!, war der titel einer flugschrift des widerstands gegen die ns-diktatur, die fortsetzung lautete: es kommen lausige zeiten.

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Altes und neues Proletariat und die Perspektive des Kampfes
Meine Antwort darauf, auch-einer, ist komplex. Zunächst einmal sind Diejenigen, die sagen, Klassensozialisierung oder Schichtzugehörigkeit seien, von der sog. neuen Unterschicht abgesehen, heute doch gar nicht mehr so wichtig, mit schöner Regelmäßigkeit Angehörige der Mittelschicht. Arbeiter habe ich so etwas noch nie sagen hören. Und Angehörige der Upperclass sind im Allgemeinen hochgradig klassenbewust. Auf einer Party erzählte mal ein Freund, Historiker wie ich und aus einer sehr klassisch milljöhgeprägten Bremer Arbeiterfamiliie stammend, er forsche zur Zeit an der permanenten Neuzusammensetzung der Klasse und daran, wie schichtspezifische Sozialisierug das Bewusstsein und das Sozialverhalten präge. Da meinte eine Kollegin, die aus einem Mittelschichtshaushalt vom Lande stammte, das seien doch Kategorien, die man heute so gar nicht mehr anwenden könne, und er sagte ihr ins Gesicht, ja, dass eine Mittelstandstusse wie sie dieser Meinung sei, könne er sich vorstellen. Die Leute, die noch so etwas wie eine proletarische Familientradition haben, legen auf diese im allgemeinen viel Wert.


@"das was hier als proletarisch-klassenkämpferisches bewusstsein bezeichnet wird, war zu seiner zeit der wunsch nach anerkennung als staatsbürger und der wunsch nach verbesserung der persönlichen lage, die, noch zu zeiten vor dem ersten weltkrieg, als die sozialdemokratie ihre grosse zeit hatte, beschissen genug war.

das problem heute ist nicht, dass große teile der bevölkerung nicht als staatsbürger anerkannt sind, und auch nicht, dass das überleben auf niedrigem niveau in frage gestellt wäre.

es geht vielmehr darum, dass die gesellschaft, in der wir leben, sozial sehr durchlässig ist, allerdings nicht nach oben." - Dazwischen war aber noch einiges Anderes. 1918-1923 kämpften wesentlich Teile der Arbeiterklasse für die soziale Revolution, um sich dann 1923-1933 in Form des Antagonismus von SPD und KPD selber zu blockieren und auch, wenn auch weitgehend außerhalb der proletarischen Kernmilljöhs, Potenzial an die SA zu verlieren. Dann wurde unter dem NS die Arbeiterklasse durch die massenmörderische und terroristische Zerschlagung ihrer Organisationen einerseits, die Diszilpnierung und In-Arbeit-Bringung durch den Reichsarbeitsdienst zum anderen und ein staatlich organisiertes Kleine-Leute-Glück zum Dritten integriert. Dennoch ging diese Integration nicht so weit, dass das Motto der SoPade "Nach Hitler wir!" nicht doch hätte gelebt werden können. die deutsche Arbeiterschaft der 1950er, 60er und 70er Jahre mag spießig und piefelig gewesen sein, alles mit sich machen ließ sie nicht. Als 1988 bei Krupp Massenentlassungen drohten, blockierten Krupp-Arbeiter eine Rheinbrücke und stürmten einen Empfang in der Villa Hügel, wo sie die Büffettische umwarfen und Möbel geraderückten. in einem Interview sagten sie "Wenn wir hier richtig loslegen, sind die Autonomen in der Hafenstraße arme Waisenkinder gegen uns." Als ich selbst in einer Fabrik am Band arbeitete, erfuhr ich, was "alle Tage sabotage" heißt: Um den unmenschlich hektischen Arbeitstakt des Akkords zu mildern, warf immer so 2-3 Stunden nach Schichtbeginn ein Kollege eine Mutter oder Unterlegscheibe in das Getriebe einer kompliziert aufgebauten Multifunktionspresse. Das Ding fraß sich dann fest, die Presse stand still, unmd ein Einrichter musste geholt werden, um die Maschine zum Laufen zu bringen. Der war natürlich eingeweiht und ließ sich viel Zeit, und wir hatten so täglich eine zusätzliche Pause. Ein anderer Aspekt proletarischer Renitenz war die tatsache, das dot viel geklaut wurde. Ganze Auspuffanlagen wurden auf Nachtschicht aus dem Werk geschleppt. Die gleiche Art von subversivem Verhalten war mir vorher in meinem Zivildienst in einer großen uniklinik begegnet, wo jeden Monat 3 bis 4 EKG-Geräte verschwanden, mit denen sich wohl jemand seine Praxis einrichtete, wenn die nicht in ein Land mit Endung stan gingen. Ich denke, solches Verhalten tritt überall dort auf, wo in einem hochgradig taylorisierten Betrieb hochgradig entfremdete Arbeit geleistet wird. Es gibt ja eine eigene Forschung, die sich damit befasst. In deutschland spricht man meist von Eigen-Sinn, in Großbritannien (Thompson, Habsbawm) von moral economy, und das trifft es wohl am Besten: die ArbeiterInnen halten sich durch geringfügige Delinquenz dafür schadlos, dass uihnen der Rhythmus der Maschine aufgezwungen wird und halten sich dafür subjektiv im Recht.


So, und schon seit den 1970ern läuft eine Debatte um die permanente Neuzusammensetzung der Klasse, die Karl Heinz Roth auf einen recht weit entwickelten Stand gebracht hat. Demzufolge hätte ein Prekariat, zu dem zum Beispiel verarmte AkademikerInnen mit der Lebensperspektive Dauerpraktikum oder marginale Existenz als outgesourcte Ein-Personen-Unternehmen (Interimsassistenz u.ä.) gehören, ja das geistige Potenzial zur Entwicklung eines kämpferischen Klassenbewustseins auf hohem Niveau. Ein Milljöh, dem ich selber verbunden bin, auch wen ich mit meinem eigenen gutbezahlten Job inzwischen nicht mehr hineingehöre, ist eine Szene, die sic aus solchen prekären AkademikerInnen, kurdischen und iranischen Exilanten überwiegend mit Guerrillahintergrund und auch "normalen" MigrationsarbeiterInnen zusammensetzt, und diese Kreise, hochgradig klassenbewusst, entsprechen schon ziemlich genau dem, was Roth mit seinen "proletarischen Zirkeln" vorschwebt. Nur ist das natürlich in keiner Weise für irgendwas repräsentativ.

Es müsste Aufgabe der Linken sein, diese divergierenden Kräfte zusammenzuführen zu einem breiten Bündnis gegen soziale Zumutungen, statt irgendwelche Geisterdebatten um angeblichen linken Antisemitismus zu führen oder zu meinen, als Deutsche die Probleme der Israelis oder Palästinenser lösen zu können. Gelingt der Linken nicht die Thematisierung und breite thematische Besetzung dr sozialen Frage in Deutschland, blüht uns in einer sich verschärfenden arbeitsmarktpolitischen Situation das, was mit Hoyerswerda und Hünxe 1991 eingeleitet wurde: Riots von rechts.

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danke, che, für die komplexe antwort auf eine komplexe frage.


Es müsste Aufgabe der Linken sein, diese divergierenden Kräfte zusammenzuführen zu einem breiten Bündnis gegen soziale Zumutungen....

eben.

bloß dass da im augenblick wenig kommt.

ist natürlich auch die frage, was im einzelnen soziale zumutungen sind, und wer sie abstellen kann. damit meine ich auch, dass es an der zeit ist, die berechtigung sog. sozialer besitzstände zu überprüfen.

richtig ist, dass hier für die nächste zeit genug zu tun ist.

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